DER WILDE WEIN

Ach, wär’ ich wie der wilde Wein,
in seiner goldnen -, roten Glut -;
der Herbsttag sollt’ mein Festtag sein;
die späte Sonne macht’ mir Mut.

 
Ich krallte mich in Mauern fest,
und rankte hoch und höher hin,
vernetzt’ auch fleißig mein Geäst,
schützt’ manches süße Vöglein drin.

 
Der Frühling würde grün mich färben,
wie all’ die frühen Triebe sind,
bevor die Strahlen mich umwerben,
wär’ ich naiv und blass als Kind.

 
Dann erst in meinen reifen Zeiten,
erlangte ich der Farben Pracht,
wenn andere sich zum Tod bereiten,
die beste Schönheit aus mir lacht’.

 
Ach’, wär’ ich doch wie wilder Wein,
dass mir im Herbst das Feuer loht,
dass mir im letzten Abschieds-Schein,
nicht müde, fahle Blässe droht’.
 
Für Jamina in Wiesbaden