„Verflucht sei Jesus“
(1. Kor. 12,3)
Jesuskult und Christentum
- die wahren Ursprünge -
Jesuskult und Christentum
- die wahren Ursprünge -
Der Schleier von Manoppello, auch Volto Santo von Manoppello genannt, ist eine monochrome spätgotische Pinselzeichnung auf gazeartigem Leinen, die vermutlich eine niederländisch geprägte deutsche Arbeit darstellt und um 1500 ausgeführt wurde. Das Tuch wird in der italienischen Stadt Manoppello in den Abruzzen seit Jahrhunderten als Reliquie verehrt.
Obwohl die Bibel keine Beschreibung der körperlichen Erscheinung Jesu enthält, zeigen die verfügbaren Beweise, dass er nicht den typischen Darstellungen von ihm heute ähnelte. Aufgrund des fehlenden Zugangs zu seinen Körperteilen oder Skelettresten wandten sich die Forscher an die forensische Anthropologie, um Hilfe zu erhalten. Diese Illustration wurde von Archäologen und Wissenschaftlern aus Israel und dem Vereinigten Königreich erstellt. Es ist so gar nicht wie die Fotos, an die wir gewöhnt sind!
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Es ist zum Erstaunen, wie gering der Ertrag des anderthalbtausendjährigen christianischen Einwirkungsversuches auf die geistige Wesenheit der Großen Deutschen doch letztlich geblieben ist - die kleinen Seelen aber wurden davon schon arg zerrissen. Kaum einem der wahrhaft hohen, vorbildgebenden Geister wäre es in den Sinn gekommen, sich zu dieser Religionsidee zu bekennen, die im Kern ihrer orientalischen Fremdartigkeit eigentlich unvermittelbar und unverstanden bleiben musste. Wolfgang v. Goethe, die vollkommenste, feinste Ausprägung des deutschen Typus, bezeichnete sich selbst wiederholt als alter Heide und gab seiner Abscheu gegenüber den bekannten kirchenchristlichen Selbstdarstellungen unverblümtesten Ausdruck. Das Kreuzemblem nannte er das widerwärtigste unter der Sonne. Die quälende, von Generation zu Generation weitergereichte Frage des ins Christentum geworfenen Volkes hat Reiner M. Rilke in ergreifende schlüssige Worte gefasst: „Wer ist denn dieser Christus, der sich in alles hineinmischt ? Der nichts von uns gewusst hat, nichts von unserer Arbeit, nichts von unserer Not, nichts von unserer Freude, so wie wir sie heute leisten, durchmachen und aufbringen und der doch, so scheint es, immer wieder verlangt, in unserem Leben der erste zu sein. Oder legt man ihm das nur in den Mund ? Was will er von uns ? Er will uns helfen, heißt es. Ja, aber er stellt sich eigentümlich ratlos dabei an in unserer Nähe. Seine Verhältnisse waren so weitaus andere.“ (aus „Brief des jungen Arbeiters“, 1922)
Für einen ernsthaften Wahrheitssucher, der sich durch den Anteil honigsüßer Sprüchlein von „Feindesliebe“ und „Gottesgüte“ in den christlichen Traktaten nicht irreführen und einnehmen lässt, bleibt die Gestalt des zum Gottessohn hochgelobten jüdischen Wanderpredigers undurchsichtig und unaufrichtig. Die Widersprüchlichkeit seiner Worte und auch seiner Taten hätten in Wirklichkeit und Wahrheit einer großen starken Person, wie sie von entzückten Parteigängern gezeichnet wurde, keinen Raum gehabt. Er predigte Liebe und gleichzeitig Hass; er sprach von Vergebung und gleichzeitig von Verfluchung. Das werbewirksame Bild des „Rabbi Josua“ (hebr. „Jahwe hilf“, wurde Jehóschua oder Jeschúa ausgesprochen; gräzisierte Form: „Jesus“) ist verklärt, geschickt verfälscht und von den historischen Gegebenheiten weit entfernt. Nicht zuletzt durch fleißige Bücher- und Menschenverbrennungen, die den geschichtlichen Weg der christlichen Kirchenorganisationen säumen, ist es gelungen, die Wahrheitsfindung über die Gestalt Jesu hinauszuzögern. Wer aber heute die bedingungslose Frage stellt, der wird erschöpfende Antwort erhalten. Die neutestamentlichen synergistischen Standardschriften können jetzt mit essenischen sowie mandäischen Quellenfunden verglichen und zusammengeschaut werden. Insbesondere die frühchristlichen Schriftsammlungen aus einem Kopten-Kloster zu Nag-Hammadi und der Essenerbibliothek zu Qumran gewähren Einblicke hinsichtlich einiger wichtiger Geschehnisse des ersten Jahrhunderts nach Null. Die Tempelrolle, Kriegsrolle, der Habakuk-Kommentar und die Damaskusrolle entstammen der Herrschaftszeit herodianischer Dynastie. Es fanden sich zahlreiche verlässliche Anhaltspunkte für die Datierung. Dem Habakuk-Kommentar zufolge opferten die Invasoren Palästinas (die Römer) vor ihren Standarten; das taten sie jedoch erst in kaiserzeitlicher und noch nicht in republikanischer Epoche. Die Zeit, in der wir angewiesen waren, die Echtheit des Jesusbildes allein aus den Fälschungszertifikaten seiner Werbestrategen beurteilen zu müssen, ist vorbei. Ausführliche fachwissenschaftliche Abhandlungen, an die sich ein interessierter Laie kaum herantraut, sind zur Genüge veröffentlicht worden. Die Aufgabe vorliegender Arbeit soll es sein, eine knappe, überschaubare, allgemeinverständliche Orientierungsmöglichkeit zu liefern. Erstmalig werden die aussagestarken zeitgenössischen Quellen so betrachtet, dass sie sich zu einem geschlossenen, widerspruchsfreien Geschichtsbild der Jesusgestalt und der Entwicklung zum Christentum ergänzen.
Ausgangslage
Eine Grundvoraussetzung, um die Person Jehoshua/Jesus zu verstehen, ist die Kenntnis um die religiösen und politischen Zustände seiner Zeit und seines Lebensraumes. Die jüdische Glaubenswelt war in drei Hauptrichtungen gespalten: in Pharisäer, Sadduzäer und Essener. Die Pharisäer (aramäisch, die „Besonderen“, „Abgesonderten“ - im Sinne jüd. Exklusivität) stellten die breite, einflussreiche religiös-politische Partei dar, die einerseits bemüht war, durch genaue Befolgung des jüd. Gesetzes (Thora = Gebot, Weisung‚ Belehrung) den rechtgläubigen Weg zu wahren, andererseits aber auch mündlich überlieferte Auffassungen nicht völlig auszugrenzen, somit also der religiösen Entwicklung gegenüber nicht gänzlich verschlossen zu sein. Von diesem - aus jüdischer Sicht gesehen - vernünftigen Judaismus stammt das gesamte heutige Judentum. Die Sadduzäer (nach dem salomonischen Hohepriester Sadok) vertraten eine Geistesrichtung, die ihre Anhänger unter der konservativen Elite des Landes fand. Sie lehnten mündliche Überlieferungen und Neuerungen ab, indem sie sich auf die enge Sicht altjüdischer Traditionen beschränkten. Sie glaubten beispielsweise nicht an die iranische Idee der Totenauferstehung und die Fortdauer der Seelen. Natürlich hatten sich diese einflussreichen Kreise mit den politischen Machtverhältnissen, d.h. mit der römischen Oberhoheit, ebenso arrangiert wie die pharisäische Mehrheit. Die Essener (von aramäisch Ossenes, die „Befolger“ des jüd. Gesetzes); mit ihrer Untergruppe der Nazoräer/Nasiräer/Nasaräer (aramäisch nasar = beobachten, beachten), die „strengen Beachter“ der Satzungen und Gebote des jüd. Gesetzes, wie sie sich aus den reichen Handschriftenfunden vom Toten Meer (nahe dem Ruinenfeld Qumran), auch der Bergfeste Masada und in Ägypten (Nag Hamadi) zu erkennen geben, waren eine ethische Erneuerungsbewegung, die den „Neuen Bund“, eine kämpferische Geheimorganisation im jüdischen Gemeinwesen, aufgebaut hatte. Sie hielten sich geradeso wie ihre Mitbewerber für die eigentlich Rechtgläubigen, standen im schroffen, unversöhnlichen Gegensatz zu den etablierten Parteien und gingen in ihrer Ablehnung des offiziellen Judentums so weit, dass sie sich von diesem nicht nur geistig, vielmehr auch in seinen Wohnbezirken, abzusondern versuchten. „Von jeder falschen Sache sollst du dich entfernen“, heißt es in ihrer Gesetzesrolle. Eine wirklich eigene Stadt hatten sie aber nach der Aussage des jüd. Historikers Flavius Josephus (37-100 n.0) nicht, vielmehr lebten sie inmitten der anderen möglichst ihr Eigenleben. Ihr Hauptquartier eines über ganz Palästina verteilten zusammenhängenden Gemeindeverbandes war die Stätte Khirbet Qumran am wüsten Nordwestrand des Toten Meeres, die sie in ihrer Geheimsprache „Damaskus“ nannten (s. Damaskusrolle). Dort lebte die Führung des Ordens, zum Teil auch mit Frauen und Kindern. Knochenfunde zeigen, dass diese Frauen und Männer auffallend muskelschwach waren, es muss sich um eine geistige Elite gehandelt haben, die körperliche Arbeit nicht gewohnt war (Der Spiegel 7/2000, 192). Im Zentrum ihres Glaubens stand die urjüdische Treue zur Thora, den mosaischen Gesetzesschriften, und iranische Hoffnungen auf den unsterblichen Ewigkeitswert und die Erlösungsfähigkeit der Menschenseele. Zwar setzte sich die jüdische Religion allgemein aus alten Anleihen zusammen, die sie bei den großen nachbarlichen Kulturnationen Ägypten und Babylon aufgenommen hatte; die Essener fußten aber - ihnen selbst wohl unbewusst - zusätzlich auf jüngeren Beeinflussungen aus den Jahrhunderten griechisch-hellenistischer bzw. seleukidischer und vorausgegangener persischer Vorherrschaft. War es doch der Perserkönig Kyros, welcher im Jahre 538 durch ein großzügiges Edikt den jüdischen Neuanfang mit dem Jerusalemer Tempelbau erst ermöglicht hatte.
Die iranische Religiosität besaß eine magische Anziehungskraft weit über das politische Einflussgebiet der Perser hinaus. Ihr war einst im 9. Jh. Zarathustra Spitama, ein charismatischer Reformer, geschenkt worden, der die Religionsgeschichte wie kaum ein anderer bestimmen sollte. An der altarischen Volksreligion arbeitend, war er bestrebt, sie zu veredeln und insbesondere für den einzelnen Gläubigen tiefer und verinnerlichter zu gestalten. Trotz mancher Rückschläge entstand eine iranische Religion von höchster Feinheit und kräftigster Glaubensinbrunst. Was hätten, abgesehen von den stammverwandten Arioindern, die Nachbarkulturen an religiösen Werten dem entgegenzusetzen gehabt ?! Die Babylonier mit ihrer Überbewertung des Gestirnskultes, die Ägypter mit ihrem gedanklichen Gebanntsein auf die Jenseitsreise oder die hebräische Staatsreligion mit ihrem Auserwähltheitsdünkel einer zu engen Selbstbezogenheit. Zwar beeinflussten iranische Jenseitshoffnungen und Eschatologien allgemein die jüdische Religion, doch befruchteten zusätzlich die aufwühlenden iranischen Erlösungsmysterien und der Dualismus von Licht und Finsternis das jüdische Essenertum. So war die essenische Anschauung von der Herrschaft zweier in der menschlichen Brust ringender Geister (Rollenfragment Q 4) unbestreitbar zarathustrisch. Darüber hinaus wurde aber die gesamte hellenistische Gnosis iranisch geprägt, und auch die sich hervorbildende Christologie mit ihrem paulinischen Grundlagenkonzept bediente sich dieser Ideenangebote. Die christliche Erlösungslehre ist nicht denkbar ohne die vorausgegangene iranische Lehre von der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen !
Während der schrittweisen Auflösung des jüdischen Staates etwa ab 66 n.0 wurden seine verschiedenen Religionsverbände gezwungen, sich in anderen Weltgegenden niederzulassen. Flavius Josephus (Jüd. Krieg VII 3,43) berichtet: „Das jüdische Volk ist nämlich stark unter die eingeborene Bevölkerung auf dem ganzen Erdkreis zerstreut.“ Nun wanderten sie wiederum scharenweise aus, flohen vor den Drangsalen in schon bestehende ausländische Judengemeinden und ließen in vielen fremden Städten die jüdischen Bevölkerungsanteile nochmals anwachsen. Auch die Essener der Siedlung Qumran versteckten rechtzeitig vor den zu erwartenden Auseinandersetzungen ihre wertvollen Schriftrollen in den umliegenden Höhlen und werden sich nach bestandenen Kämpfen abgesetzt haben. Ein Großteil der Essener-Nazoräer-Sekte verließ im Verein mit anderen ebenso abseitsstehenden Bevölkerungsgruppen die palästinensische Heimat in Richtung Osten; sie siedelten sich im unteren Babylonien, südlich von Bhagdad und in den angrenzenden persischen Gebieten an. Unter ihrem Namen Nasoräer oder Mandäer (von ostaramäisch manda = Erkenntnis) existieren sie in schwachen Resten bis heute. Sie hielten sich allezeit bewusst für Johannesjünger. Ihre Hauptschriften sind: Das Johannesbuch, eine Hymnensammlung des Titels Qolasta sowie der rechte und der linke Ginza (d.h. Schatz) mit seinem Frontteil, dem Buch des Herrn der Größe, mit der Apokalypse als Abschluss; seine Einzelschriften stammen aus ca. 70 n.0 bis 700 n.0. Die Mandäer betrachten sich selbst als die „Treugebliebenen“ und die Juden als den abgefallenen Teil einer ehemaligen palästinensischen Volks- und Religionsgemeinschaft.
Spaltung
Die altisraelische Gesellschaft war heillos theologisch vergiftet. Die begüterte akademische Oberschicht der Schriftgelehrten dünkte sich haushoch über jene erhaben, die unkundig, teilnahmslos oder gar unwillig den strengen nationalen Religionsgesetzen gegenüberstanden. Diese „Gesetzesunkundigen“ (eigentlich die gesamte soziale Unterschicht) wurden wie Krankheitsträger erachtet, an denen man fürchtete, sich mit dem Virus des Unheils anzustecken. Mit grässlichen Tabus und Verfluchungen wurden sie belegt. Die Heirat mit einer Tochter derselben wurde verboten, denn sie galten als Geschmeiß, Gewürm, Vieh - und man „darf nicht beim Vieh liegen“ (I 366/7; II 69. 502). Gesetzesunkundige durfte man töten, durfte sie verhungern lassen (II 515/6. IV 541), sie erschienen wie Hunde (III 621). Sie durften auch vor Gericht nicht zeugen, bekamen kein öffentliches Amt und waren wie Nichtjuden, Sklaven, Frauen und Kinder vom gemeinsamen Tischgebet ausgeschlossen (siehe „Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Mischna“, Strack und Billerbeck, Berlin 1922/8).
So standen sich die verschiedenen Stände und Klassen in einer kaum zu steigernden Feindseligkeit gegenüber. Glaubenseifer, Hass, Verachtung und dünkelhafte Selbstgerechtigkeit schufen das gesellschaftliche Klima am Vorabend des Jüdischen Krieges. Jede einzelne Gruppe war eifernd überzeugt, sie allein besäße das rechte Gottesverständnis. Aus jener Bewegung der vom offiziellen Tempeljudentum abgerückten, aggressiv-revolutionären Essenerpartei bzw. aus deren Untergruppe der Nazoräer war der Mann aus Galiläa, Jesus (geb. ca. 6/7 v.0), hervorgegangen. Die Essener bezeichneten die religiöse Führung in Jerusalem kompromisslos als „Lehrer der Finsternis im Haus der Sünde“, sich selbst aber als „Söhne des Lichtes“. Maßlos anmutende Schimpfreden gegen eine verachtenswerte Obrigkeit in Jerusalem hatte schon der Prophet Jesaja im 8. Jh. geführt. Er legte den Herrschenden die Worte in den Mund: „Wir haben mit dem Tod einen Bund und mit der Hölle einen Vertrag gemacht; wenn eine Flut dahergeht, wird sie uns nicht treffen; denn wir haben die Lüge zu unserer Zuflucht und die Heuchelei zu unserem Schirm gemacht.“ (Jes., 28,15) Und er drohte: „...dass euer Bund mit dem Tode zunichte werde und euer Vertrag mit der Hölle aufgelöst sei. Und wenn eine Flut dahergeht, wird sie euch zertreten; sobald sie dahergeht, wird sie euch vertilgen.“ (Jes., 28,18) Auch in den Augen der Essener waren die Jerusalemer Höllenfürsten der kommenden Flut verfallen. Einen „Neuen Bund“ wollten sie errichten, in Berufung auf dem Propheten Jeremia: „Siehe, Tage kommen, spricht Jehova, da ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund machen werde: nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern gemacht habe, da ich sie bei der Hand fasste, um sie aus dem Lande Ägypten herauszuführen, welchen meinen Bund sie gebrochen haben.“ (Jer. 31,31f)
Die Qumraner vom „Neuen Bunde“ lebten im krassen Gegensatz zum offiziellen jüdischen Mondkalender nach einem Sonnenzeitweiser und beteten konsequent nicht in Richtung Jerusalem, sondern zum Sonnenaufgang hin, weil ihnen der Jerusalemer Tempel durch Frevel und Lüge unrettbar verdorben schien. Die Morgensonne galt ihnen als Sinnbild des göttlichen Aufganges, und sie hielten den nichtjüdischen Ritus der Wassertaufe. Philon von Alexandrien (25 v.0 - 40 n.0) schrieb: „Sie halten den Körper für vergänglich, die Seele aber für unsterblich.“ Auch darin standen sie im Widerspruch zum traditionellen und offiziellen Judentum. Das „Alte Testament“ kennt weder die Unsterblichkeit der Seele noch irgendwelche Gefilde der ewigen Seligkeit. Zum Verständnis der Essenergemeinschaft müssen mehrere außerjüdische Vorbilder herangezogen werden, beispielsweise auch die Bruderschaften der griechischen Philosophie, insbesondere die elitären Schulen des Pythagoras. Es erwies sich als richtig, was der jüdische Historiker Flavius Josephus mitteilte: „Sie suchen sehr nach alten Büchern und lesen sie, erforschend, was in fremden Ländern getan wird, Verständnis aus ihnen empfangend und aufmerksam auf das, was der Seele und dem Leibe zum Nutzen ist.“ (Jüd. Krieg II 8,2) So wünschten sich besonders die eifernden Essener, von den Wohnbezirken der gemeinen Juden, der vermeintlichen Sünder, abzusondern, zogen in die judäische Wüste und errichteten in der Nähe des Toten Meeres ein Zentrum (Qumran, ab ca. 150 v.0), wo sie in klösterlicher Zucht ihr Gemeinschaftsleben organisierten. Auch die Zerstörung ihrer Ansiedlung durch ein Erdbeben im Jahre 31 v.0) scheint sie im Eifer eher bestärkt zu haben, obschon sie die Stätte jahrzehntelang verödet liegen ließen. Sie werden von da ab noch strenger gegen sich selbst und andere vorgegangen sein. Ihr geistiger Führer war in den Jahren ca. 15-25 n.0 Johannes der Täufer, von dem sich die Mandäer als Glaubensvolk direkt ableiten. Er empfing in der Nähe der Siedlung Qumran zuweilen große Scharen von Pilgern. Manche waren Essener, die von weit hergekommen waren, um von ihrem Sektenoberhaupt die Wassertaufe zu erhalten; andere waren begierig, die Predigten des Johannes zu hören, und wurden nach gelungener Überredung mit der Taufe in den johanneischen Sektenverband aufgenommen. Flavius Josephus berichtete, dass die Essener den Brauch übten, Kinder zu adoptieren, die sie ganz ihrem Einfluss aussetzten, sie also zu fanatischen Glaubenskämpfern ausbildeten. Sowohl von Johannes (Lk. 1,80) wie auch von Jesus (Lk. 4,1) wird berichtet, dass sie „in der Wüste“ waren. Johannes nahm offenbar schon als Kind, Jesus vielleicht als Jüngling die Botschaften der Essener in sich auf. Völlig abwegig wäre der Gedanke, Johannes der Täufer hätte von Anfang an einen eigenen Sonderweg beschritten, er wäre kein Essener gewesen. Diese streitbare fanatisch-zelotische Gemeinschaft würde unmittelbar vor ihrer Haustüre keine andere als nur die Predigt ihres Sekten-Evangeliums geduldet haben. Zudem beweisen Funde in den vielen nahegelegenen Höhlen, dass auch etliche Anhänger im Umfeld der klösterlichen Kleinsiedlung wohnten. In dieses essenische Hoheitsgebiet hätte sich kein Fremder mit falschem Zungenschlag hineinwagen dürfen. Die Entfernung zwischen Qumran und der Taufstelle beträgt nur ca. 15 Kilometer. „Er taufte zu Bethabara jenseits des Jordans“ (Joh. 1,28). Wir müssen Johannes als den Gegenhohepriester der essenisch-nazoräischen Sondergemeinde im damaligen Judenstaat ansehen.
Aufschlussreich ist die Schilderung des Zeitgenossen Flavius Josephus, der aus Sicht des nüchternen Beobachters die leidenschaftlichen, für das Judentum so typischen Schwarmgeister beschrieb. Die hat es vor, während und nach Johannes und Jesus allezeit gegeben: „Es waren dies Verführer und Betrüger, die unter dem Vorwand göttlicher Sendung auf Umwälzung und Aufruhr hinarbeiteten und das Volk zu religiöser Schwärmerei hinzureißen suchten, indem sie es in die Wüste lockten, als ob Gott ihnen dort durch Wunderzeichen ihre Befreiung ankündigen würde“ (Jüd. Krieg II. 13,6). Jedenfalls wanderte auch Jesus zu Johannes und dessen Schülerkreis in die Wüste hinaus, schloss sich an und ließ sich unterrichten. Es entwickelte sich ein echtes, länger währendes Jüngerverhältnis (Lehrer-Schüler-Beziehung). Bei den Essenern war bekanntlich die Wassertaufe fester Bestandteil ihres religiösen Brauchtums. Die Taufe Jesus durch Johannes bedeutete nichts anderes als die Aufnahme in den johanneischen Verband unter der Schirmherrschaft des Essenertums. Über diese Anfangsphase berichten die mandäischen Schriften: Im Ginza lesen wir, wie Jesus als Neuankömmling zuerst „in Demut einhergeht, die Taufe des Johana [Johannes] empfängt und erst durch die Weisheit des Johana weise wird.“ Er scheint seinen Lehrer zu Beginn der Schülerphase mit überschwänglichen Worten gepriesen zu haben, was sogar noch aus einigen Evangelienstellen hervorgeht (z.B. Mt. 11,7-11). Zweifellos wurde er dessen Lieblingsschüler. Die genannte Stelle besagt aber auch in aller Klarheit, was unüberbrückbar zwischen die beiden treten musste: Jesus schmeichelte dem Johannes, er sei der Größte unter den Menschen, „... aber der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.“ Gleichzeitig lockte er seine Zuhörer: „Wer sich selbst erniedrigt wie ein Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“ (Mt. 18,4) Da sich Rabbi Jesus ja in zunehmendem Maße selbst vom „Himmelreich“ ableitete, degradierte er damit den populären Täufer-Johannes zur Bedeutungslosigkeit.
Nachdem Jesus mythisches Wissen und Überredekunst seines Lehrers erschöpfend ausgebeutet hatte, begann er sich von diesem mehr und mehr abzuwenden, ja, er fing an zu predigen, er selbst sei derjenige, den Johannes als den großen kommenden Erlöser verkündete; er selbst wäre der Messias/Christus (der Gesalbte), der zum Ende der Weltzeit erwartet wurde. Für die erhitzte Phantasie des Jesus schien jetzt die Endzeit unmittelbar bevorzustehen. Dass er sich darin gründlich getäuscht hatte, muss nicht näher ausgeführt werden. Johannes und der feste Kern seiner essenischen Anhängerschaft machte diesen Schritt nicht mit und erklärte den Messiasanspruch Jesu für Exaltiertheit und Verrücktheit. Der Ginza berichtet: „Dann aber verdrehte er [Jesus] die Rede des Johana [Johannes], veränderte die Taufe im Jordan, verdrehte die Rede der Wahrheit und predigte Frevel und Trug in der Welt.“ Der essenischen Schule, aus der Jesus hervorging, galt die veränderte Lehre eine Irrlehre. Johannes und die Nazoräer nahmen Anstoß und „ärgerten sich an ihm“ (Mt. 13,57); „und sie wurden voll Zorn, als sie ihn reden hörten“ (Lk. 4,28), d.h. sie vermochten die plötzliche Wandlung vom kleinen Schüler zum gottgesendeten Messias nicht mitzuvollziehen. Jesus hatte die Stirn, in Ansprachen vor den Johannesjüngern deren Meister herabzusetzen, sich selbst als den bedeutenderen hinzustellen, Johannes lediglich als seinen Vorankünder oder Wegbereiter zu bezeichnen, und folgerichtig begann er auch, dessen essenisch-meisterlichen Taufritus nachzuahmen (Lk. 7,24-29). Wie überspannt und abstoßend die Selbstüberhebung des Jesus auf die meisten seiner früheren Genossen gewirkt haben muss, besagt die Stelle im Ginza von der „Verkündung des Lügenmessias: Ich bin Gott, ich bin Gottes Sohn.“ Geradeso berichten die Evangelien, man warf ihm vor: „Du bist ein Mensch und machst dich selbst zu Gott.“ (Joh. 10,33) Daraufhin spaltete sich die Gemeinde.
Jesus gelang es, einige Anhänger des Johannes auf seine Seite zu ziehen. Gegenüber dem orthodoxen Judentum gab es zwischen den beiden Gruppen eine gewisse Solidarität, aber untereinander herrschte bald scharfe Konkurrenz. Fortan gab es ein Nebeneinander von Johannesjüngern und Jesusjüngern. Wie immer in solchen Fällen, standen etliche auch dazwischen, schwankten hin und her und fanden keine endgültige Entscheidung. Die Johannesjünger fasteten, die Jesusjünger nicht (Mk. 2,23ff; Mt. 9,14f). Die Jesusjünger verstießen sogar gegen das strenge Sabbatgebot (Mk. 3,20ff), obschon die Essener die Sabbatruhe noch peinlicher einhielten als Pharisäer und Sadduzäer (Jüd. Krieg II 8,9).
Jesus gab sich durchaus weltlich, den fleischlichen Freuden zugetan, zumindest nicht abgeneigt. Er pflegte mit einer Freundin umherzuziehen. Im „Evangelium des Phillipus“ (Nag-Hammadi II,3) bekundet der Spruch 32: „Es waren drei, die allezeit mit dem Herrn wandelten: Maria, seine Mutter, und ihre Schwester und Magdalene, die man seine Gefährtin nennt. Denn [eine] Maria ist seine Schwester und seine Mutter und seine Gefährtin.“ Der Spruch 55 sagt: „Und die Gefährtin von [Jesus] ist Maria Magdalena. Der [liebte] sie mehr als [alle] Jünger, und er küsste sie [oftmals] auf ihren [Mund]. Die übrigen [Jünger], sie sagten zu ihm: ,Weshalb liebst du sie mehr als uns alle ?` Es antwortete der Erlöser, er sprach zu ihnen: ,Weshalb liebe ich euch nicht [so] wie sie ?`“ Spruch 56: „Wenn ein Blinder und einer, der sieht, beide im Finsteren sind, sind sie nicht voneinander unterschieden. Wenn [aber] das Licht kommt, wird der, der sieht, das Licht sehen, und der Blinde wird im Finsteren bleiben.“ Im 1946 zu Nag-Hammadi in Mittelägypten gefundenen „Thomasevangelium“, einem alten Kodex aus dem 2. Jahrhundert (Logion 114), kommt zum Ausdruck, dass die männlichen Parteigänger des Jesus seinen Frauenverkehr nicht schätzten; da heißt es: „Simon Petrus sagte zu ihnen: ,Mariham soll von uns gehen, denn die Frauen sind des Lebens nicht würdig !`“ Wie stark die Spannungen innerhalb der Gruppe waren, kommt in den weiteren Dialogen zum Ausdruck (21): „Maria sprach zu Jesus: ,Wem gleichen deine Jünger ? Er sprach: Sie gleichen kleinen Kindern, die sich auf einem Feld niedergelassen haben, das ihnen nicht gehört. Wenn die Herren des Feldes kommen, werden sie sagen: Lasst uns unser Feld. Sie (die Jünger) sind ganz nackt wehrlos) in ihrer (der Herren) Gegenwart, damit sie es ihnen lassen und ihnen ihr Feld geben.“ Ebenso findet sich dort (NHC II, 2) ein Gespräch zwischen einer Frau namens Salome und Jesus aufgeschrieben: Salome sagte (61): „,Wer bist du, Mensch ? Du bist in mein Bett gestiegen und hast von meinem Tisch gegessen.“ [sie meint damit: „Du hast mich penetriert und hast dich zusätzlich noch bei mir durchgefuttert] Jesus sagte zu ihr: ,,Ich bin der, der entstanden ist aus dem, was gleich ist. Man gab mir von dem, was meines Vaters ist. [Jesus antwortet auf den Vorwurf der Frau also: Ich/wir kommen alle aus der gleichen Ursubstanz, ob ich jetzt bei deinem Körper liege oder von deiner Speise esse, was soll es, alles kommt doch aus Gott, auch du und ich; warum sollen wir uns nicht gemeinsam daran erfreuen !] [Salome sagte daraufhin:] ,,Ich bin deine Jüngerin. [also: Wenn du es so siehst, wird es schon richtig sein !] [Jesus sagte zu ihr:] ,,Deshalb sage ich: Wenn er/es gleich ist, wird er/es sich mit Licht füllen/gefüllt werden, wenn er/es getrennt ist, wird er/es sich mit Finsternis füllen/gefüllt werden.‘ [d.h.: Wenn wir erkennen, dass wir alle eigentlich gemeinsam - auch die scheinbaren Gegensätze von Frau und Mann - aus Geist sind, wird uns alles licht -, wenn wir aber diese materielle Scheintrennung im Vordergrund sehen, dann bleibt uns alles finster und unserem Begreifen verschlossen !] Der Codex II von Nag Hammadi, in dem das „Thomasevangelium“ überliefert ist, gilt al eine geschehnisnahe Quelle. Er wird ca. auf das Jahr 400 datiert, aber seine Entstehungszeit im östlichen Syrien um Mitte des 2. Jhs. angenommen. Es ist aber nachweisbar, dass die Handschrift eine bedeutend ältere koptische Vorlage gehabt hat. Bereits 1952 hat H.-Ch. Puech festgestellt, dass Teile dieses Evangeliums schon längere Zeit in griechischer Sprache vorlagen, nämlich in den um die Jahrhundertwende gefundenen Oxyrhynchus Papyri 1,654 und 655.
Des Jesus essenisch eingestellter Freundeskreis, seine Familie, „die Seinen“, die es gut mit ihm meinten, suchten den - selbst für die damaligen überspanntesten jüdischen Gemüter - von einer ganz außerordentlich anmutenden religiösen Psychose ergriffenen Zimmermannssohn; sie wollten ihn festhalten, zur Vernunft bringen, denn sie waren überzeugt, er sei wahnsinnig geworden. In Mk. 3,21 lesen wir: „Und als es seine Brüder hörten, gingen sie aus, ihn zu fangen, denn sie sagten, dass er aus seinem Verstande herausgegangen sei.“ Die Freunde meinten: „Ein Dämon ist über ihm und er ist völlig irrsinnig.“ (Joh. 7,20) „Von da an drehten sich viele Jünger um und gingen mit ihm nicht weiter.“ (Joh. 6,66) Bezeichnend ist der Satz: „Denn auch seine Brüder glaubten nicht an ihn.“ (Joh. 7,6) Jesus wurde aus der Gemeinde ausgestoßen und als Irrlehrer verflucht. Es heißt: „sie warfen ihn aus der Stadt“ (Lk. 4,29) oder „sie warfen ihn aus dem Weinberg“ (Mk. 12,8); Symbolbegriffe wie das „Hinauswerfen“ aus „Stadt“ und „Weinberg“ bedeuteten im essenischen Verband soviel wie „den Bann vollziehen“. Das Bild der Pflanzung wie des gehegten Weinberges haben die Qumraner oft auf sich angewendet (z.B. Gesetzesrolle VIII,5). Dass Jesus von seinen ehemaligen Glaubensbrüdern verflucht wurde, geht aus frühchristlichen Schriften (1. Kor. 12,3) deutlich hervor: Die Verdammungsformel lautete: - „Verflucht sei Jesus“. Johannes muss selbst noch kurz vor seiner Festnahme durch die pharisäisch gelenkte Obrigkeit oder aus dem Kerker heraus vor seiner Enthauptung seinen ehemaligen Lieblingsschüler als ungetreu erkannt, verworfen und über ihm den Bann ausgerufen haben. Deshalb durfte Jesus unmöglich nach dem Tode des großen Lehrers dessen Nachfolge in der Leitung des Nasoräerverbandes antreten. Die Warnung vor ihm ging in die johanneisch-mandäischen Liturgien ein. So heißt es in der Oxforder Sammlung XX,10: „Nehmet euch in acht, meine Freunde, nehmet euch in acht, meine Brüder, vor dem nichtigen Jesus Christus, vor dem, der die Gestalten verdreht und die Worte meines Mundes verändert...“. Im mandäischen Buch des Herrn der Größe wird „Christus der Verführer“ genannt; oder es heißt: „er ist der Satan“, „der Lügenmessias“, der „Höllenfürst“; und weiter: „dem Lügenmessias sind die verborgenen Dinge nicht geoffenbaret“, oder: „Jesus der Heiland nennt er sich, er ist der Satan“.
Deckungsgleich berichten die Qumraner Schriftrollen (Habakuk-Kommentar) einerseits vom „Lehrer der Gerechtigkeit“, der alle Geheimnisse der Propheten-Worte zu wissen bekam (II,9; VII,5), in dem Johannes der Täufer zu erkennen ist - und andererseits vom „Lügenpriester“, dem „Mann der Lüge“, „Lügenprophet“, „Lügenprediger“, der „das Gesetz verworfen hat inmitten ihrer ganzen Gemeinde“, „der viele verleitete... eine Gemeinde der Lüge zu errichten“, womit nur Jesus gemeint sein kann. Er ist einst als Außenstehender in die Urgemeinde aufgenommen worden, erwies sich dann aber als Abtrünniger, mit dem der „Lehrer der Gerechtigkeit“ in Streit geriet, weil er die Lehre der Gemeinde zum Teil nachahmte, in anderen Teilen verfälschte und etliche Gemeindemitglieder auf seine Seite hinüberzog. Ebenso berichtet die Damaskusrolle (B XX 11-16) vom „Mann der Lüge“ und den „Männern des Streites“ oder den „Männern des Geschwätzes“, die sich ihm angeschlossen haben und „Irriges geredet gegen die Gesetze der Gerechtigkeit“. Folgt man dieser Textaussage, fand eine Spaltung statt, die einen Teil der Anhänger des Lehrers seinem Einfluss entzog. Wörtlich heißt es: „Sie haben den zuverlässigen Bund verschmäht, den sie geschlossen hatten [oder: „dem sie sich angeschlossen hatten“] im Lande Damaskus [d.h. dem Neuen Bund]“. Laut Qumraner Schriftrollen ist der „Lügenmann“ (Jesus) der Gegenspieler des „Lehrers der Gerechtigkeit“ (Johannes), also ein Gegner innerhalb der Gemeinde. In der Damaskusschrift (B XX,14) wird der „Lehrer der Gerechtigkeit“ auch „alleiniger Lehrer“ geheißen. Dieser Wechsel in der Bezeichnung muss einen Anlass haben, wahrscheinlich doch den, dass seine Autorität in der Gruppe selbst oder in verwandten Kreisen bestritten worden ist. Bestritten wurde sie, wie wir wissen, von dem ungetreuen Schüler Jesus. Aus den Schriften geht auch dies hervor: Der Lehrer wurde nicht für den Messias angesehen, denn es wird ausdrücklich gesagt, der Messias käme erst (Damaskus V XX, 1). Die Predigt des Johannes lautete geradeso: Der Erlöser werde erst in der Zukunft kommen. Dann wird von der Wegnahme des „Lehrers der Gerechtigkeit“ gesprochen (B XIX,35f u. XX,14), womit die Verhaftung des Johannes beschrieben ist. Auch der Habakuk-Kommentar (XI,6) berichtet, der feindliche Hohepriester von Jerusalem, der „Frevelpriester“, hätte nach dem „Lehrer der Gerechtigkeit“ in der Wüste ausgegriffen, ihn „aufgesucht“, „um ihn in jähem Zorn im Hause seiner Haft zu verderben/verschlingen“, schließlich also zu töten. Dass Johannes der Täufer tatsächlich auf Anstiften der Synagogenleitung von Herodes geköpft wurde, steht außer Frage. Während dieser Verfolgungen und nach der Hinrichtung des Johannes tauchte Jesus unter und hielt sich einige Zeit versteckt (Mt. 14,13).
Unser wichtiger Textblock in der Damaskusrolle (B XX11-16) lautet: „Die Männer des Geschwätzes haben Irriges geredet gegen die Gesetze der Gerechtigkeit. Sie haben den zuverlässigen Bund verschmäht, den sie geschlossen hatten im Lande Damaskus [Qumran]. Von dem Tage, an dem der alleinige Lehrer fortgenommen wurde, bis zur Vernichtung der Männer des Streites, die gegangen waren mit dem Mann der Lüge, sind es 40 Jahre. In jener Zeit entbrennt der Zorn Gottes gegen Israel.“ Hier wird davon gesprochen, die Spalterpartei sei vernichtet worden. Abgesehen davon, dass gegnerische Gruppen sehr gerne voneinander vorschnell behaupten, sie seien endlich zerstört, wird die Jesusgruppe wahrhaftig am Rande ihrer Auflösung gestanden haben. Die Tötung ihres zweiten Anführers, des Jakobus 62 n.0, gehörte nämlich zu einer größeren Aktion der hochpriesterlichen Behörden unter Herodes Agrippa II auch gegen die kleinen Mitläufer. Es gab einen Befehl, alle Mitglieder der Jesussekte festzunehmen. Es werden nicht wenige getötet worden sein (Clemens Romanus, Erkenntnisse I. 71, aus ersten Jahren 3.Jh.). Dass es sich dabei um einen großen Polizeischlag gehandelt haben muss, ist zu ersehen, weil in seinem Gefolge ernstzunehmende innenpolitische Spannungen entstanden, in deren Verlauf der Hohepriester auf römischen Befehl hin seines Amtes enthoben wurde. Was die Nennung der 40 Jahre betrifft, könnte man annehmen, daß es sich dabei um eine symbolische, im jüd. Denken immer wiederkehrende Zahl handeln würde, aber von der Tötung des Täufer-Johannes bis zum Ausbruch des Jüdischen Bürgerkrieges, dem Beginn der altjüdischen Endphase, liegen wahrhaftig ca. 40 Jahre: von 26 bis 66 n.0. Die Damaskusrolle wäre demzufolge unmittelbar vor Beginn der Unruhen geschrieben worden. Genauer könnten wir uns die historische Schau kaum wünschen.
Die in mehreren Qumran-Schriftrollen (Kommentare zu den Büchern Habakuk, Micha, Zephanja und zu Psalm 57 u. 68) wiederkehrenden Gegensätzlichkeiten zwischen dem „Lehrer der Gerechtigkeit“ und dem „ruchlosen Priester“ sind ein Topos, ein festes Denk- und Ausdrucksmuster dieser Literaturgattung. Sie haben ihre Wurzeln in der Makkabäerzeit (175-135 v.0), als die fundamentalistische nationaljüdische Bewegung alle Aufweichungstendenzen, also Kompromisse gegenüber hellenistischen Neuerungen bekämpfte. Die Radikalnationalen warfen den Realpolitikern Anpassung und Kollaboration mit dem Besatzungsregime vor. Die „Lehrer der Gerechtigkeit“ waren entschiedene Thoralehrer. Im Micha-Kommentar werden die Priester Jerusalems Verführer und ihre einfältigen Anhänger das letzte feindliche Geschlecht genannt. Im Zephanja-Kommentar nennt der Verfasser Jerusalem und alle Einwohner des Landes Juda, über die der Zorn Gottes kommen werde. Im gleichen Sinne werden Juda und Jerusalem im Habakuk-Kommentar verflucht, an anderer Stelle „die Stadt Jerusalem, wo der gottlose Priester Greuel verübt und das Heiligtum Gottes verunreinigt hat“. Der letzte Gerechtigkeitslehrer einer langen Ahnenkette vor ihm aber war Johannes der Täufer; 40 Jahre nach seiner Ermordung brach das „Strafgericht Gottes über den Frevelpriester“ und das vorläufige Ende über Israel herein.
Hader und Hass
Jesus kam bis zum baldigen Ende seines Lebens nicht mehr zur Vernunft. Er ging den nun mal eingeschlagenen egozentrischen Weg weiter bis in den Tod. Dieser Mann konnte und wollte sich nicht mit den Gegebenheiten abfinden, nicht anpassen und unterwerfen. Er war gegen fast alles Bestehende, gegen die recht vernünftigen Pharisäer, gegen die strengen Sadduzäer und letztlich ebenso gegen die hochgradig radikalen, aber asketischen Essener, also die damaligen Johannesjünger - alle hatte er sich zu Feinden gemacht. Nur sich selbst mochte er gelten lassen und natürlich seine Selbstprojektion, „seinen Vater im Himmel“. Er war so voller Hass !
Im „Thomasevangelium“ (NHC II,2, Logion 10) wird Jesus zitiert: „Ich habe Feuer auf die Welt geworfen und siehe, ich hüte es, bis sie lodert.“ Er verfluchte mit einem schrecklichen Weheruf ganze Ortschaften, die ihm nicht so huldigten, wie er es sich wünschte (Mt. 11,20ff). Das einzige „Verbrechen“ dieser Siedlungen war es sicherlich, dass sie dem Nazoräertum des Johannes treu blieben. Er verfluchte jene, die nicht an seine Gottessohnschaft glaubten (Mt. 10,15). Er verfluchte das ganze Geschlecht, welches seine Größe nicht anerkannte (Mt. 12, 41f). Er verfluchte im cholerischen Ärger einen unschuldigen Feigenbaum zu Bathanien (Mt. 21, 19) wohl nur deshalb, weil dies die Stätte war, wo Johannes zuerst gepredigt hatte. Wer seine Botschaft nicht hören und annehmen wollte, dem solle es ergehen wie den Sodomern und Gomorrhern (Mt. 10,14 u. 15). Er verlangte den Selbsthass und den Hass gegen die eigenen Hausgenossen, gegen Vater, Mutter, Brüder und Schwestern (Lk. 14,26). Die Zerstörung der Familieneinigkeit war ihm gleichgültig (Mt. 10,35ff). Er sagte: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ (Lk. 11,23; Mt. 12,30). Er wollte keinen Frieden bringen, sondern Entzweiung (Lk. 12,51ff); er kündigte den Krieg um seinetwillen an (Mt. 10, 34). Er verhieß den Pharisäern die Ausrottung (Mt. 15.13f) und den Unverständigen die Verbrennung im Feuerofen (Mt. 13,42+50). Er wollte ein gnadenloser Richter sein (Mt. 25,41). Von Verzeihung und Vergebung mochte er nichts wissen (Mt. 7,23). Es gibt in den Berichten über ihn nicht ein einziges ernstzunehmendes Beispiel, wo er Feindesliebe selbst praktiziert hätte, trotz seines Wortes in Mt. 5,43. Er hielt Scheltreden von nicht zu überbietender Maßlosigkeit, die Schärfe seines Zornes war angsterregend. Seine Gegner nannte er Narren, Heuchler, Blinde, übertünchte Gräber, Schlangen, Natternbrut, Otterngezücht, Fliegen, Säue, Kinder der Hölle. Er ging in seinem krankhaften Haß so weit, dass er hoffte, die Verstockten blieben verstockt auch bis zum Ende, damit sie grauenhaft bestraft werden dürften (Mk. 4,12). Er behauptete von sich, größer und bedeutender als der Tempel zu sein (Mt. 12,6). Das Volk war entsetzt von seiner Redeweise (Mt. 7, 29; Mk. 1,22). Er wusste, dass soviel eingepeitschter Hass natürlich Gegenhass erzeugen würde; „Ihr müsst gehasst werden von jedermann um meines Namens willen“ (Mt. 10,22), und „mich aber hasst die Welt, weil ich ihr sage, dass ihre Werke böse sind“ (Joh. 7,7), bekannte er seinen Mitläufern. Er schwelgte in schrecklichen Untergangsphantasien aller bestehenden Zustände; er verkündete (aus essenischem Gedankengut) die Zerstörung des jüdischen Zentralheiligtums (Mk. 13,1-25). Schließlich ist es nicht verwunderlich, dass auch das Volk ihn widerhasste und als es die Wahl hatte, lieber einen Kriminellen frei ließ, ihm aber zurief: „Er werde gekreuzigt !“ (Mt. 27,23).
Diesen ganz fürchterlichen Hass sowie die eigenartige Bindungslosigkeit an Familie (Mt. 12,48) und andere reale Gegebenheiten kompensierte der Psychopath Jesus seelengesetzlich durchaus folgerichtig mit gleichzeitiger Empfehlung einer völlig irrealen fiktiven Liebeslehre, die weder er selbst vorzuleben vermochte noch irgend ein anderer nachleben könnte. Vielleicht erklären sich seine destruktiven Verwerfungen aus den Drangsalen seiner eigenen Jugend, die nicht völlig unbeschwert gewesen sein dürfte, gilt er doch nach jüdischer Tradition als der aus einem Gewaltakt hervorgegangene „Sohn der Maria“. Auch die Muslime nennen Jesus „Isa Bin Marjam“. Dies sind unzweifelhafte Hinweise darauf, dass er als uneheliches, also eigentlich vaterloses Kind zur Welt kam - ein im damaligen Judentum nicht einfaches Los. Die extreme Anbindung an den von ihm visionär erschauten Geistvater im Himmel als Ersatz eines wahren leiblichen Vaters hätte damit ebenfalls eine sehr verständliche Erklärung gefunden.
An seinen hysterischen Hass- und Rachegedanken wie auch an seiner überstrengen unrealistischen Tugendlehre gibt sich Jesus gleichermaßen als Essenerschüler zu erkennen. Die Essener schworen einen furchtbaren Eid, die „ungerechten“ Juden zu hassen und den „gerechten“ Volksgeschwistern beizustehen. Ihr Sektenkanon schrieb ausdrücklich Hass gegen die „Söhne des Frevels“ vor. Sie verpflichteten sich zum gnadenlosen Kampf und gleichzeitig zur selbstlosen Barmherzigkeit. Philo von Alexandrien bescheinigte ihnen eine „Leidenschaft der Menschenliebe“, die allerdings ausschließlich innerhalb des jüdischen Volkstums Gültigkeit besaß. Da heißt es: „Keinem will ich vergelten das Böse, mit Gutem will ich den Menschen verfolgen“ (Damaskusrolle X, 17+18; X,23; XI,1-3); „Ein jeder soll seinen Bruder [nicht jedermann!] lieben wie sich selbst“ (Damaskusrolle VI, 21). Die von Jesus gepredigte Sittenlehre deckt sich Punkt für Punkt mit dem, was Flavius Josephus über die Essener bekanntgab (Jüd. Krieg, Kap.8,2) und was wir aus ihrem Qumraner Sektenkanon entnehmen können. Sie waren eine konspirative, militante Geheimorganisation (so weit Geheimhaltung möglich war) zur geistigen und politischen Befreiung des jüdischen Volkes. „Sie trugen alle ein Schwert“, berichtete Josephus - und Jesus sagte seinen Jüngern: „Wer nichts hat, verkaufe sein Kleid und kaufe ein Schwert.“ (Lk. 22,36) Festzustellen ist: Auch die Qumraner wollten missionieren, geradeso wie es Johannes und Jesus unternahmen. Im Sektenkanon steht: „Alle Willigen herbeizubringen ...“ (X, 7); „Jedermann, der willig ist, ist der Gemeinschaft der Einung anzuschließen“ (VI, 13), war also bei Eignung willkommen.
Stein des Anstoßes
Über den eigentlichen unüberbrückbaren Grund für den Bruch zwischen dem ehemaligen Lehrling Jesus und seinem Lehrer Johannes ist viel gerätselt worden. Sie stritten um den Sinn der Taufe, um den Wert des Asketentums, also um den rechten Grad der Enthaltsamkeit. „Johannes aß nicht und trank nicht“, Jesus „isst und trinkt [...] Siehe wie ist der Mensch ein Fresser und Weinsäufer“ (Mt. 11,18f). „...die Jünger des Johannes und die Pharisäer fasteten viel [...] und deine [Jesus] Jünger fasten nicht.“ (Mk. 2,18) Sie stritten um das Rätsel, ob die Endzeit unmittelbar bevorstünde oder nicht, sicherlich auch über ihre Selbsteinschätzungen. Aus den neutestamentarischen christlichen Propagandaschriften, welche ja sämtlich unter dem Einfluss des von Haus aus strenggläubig eifernden Juden Saul-Paulus entstanden sind, ist auf die Frage nach dem Hauptstreitpunkt keine erschöpfende Antwort herauszulesen. Die Synoptischen Evangelien wollten keine historisch getreuen Berichte sein, sondern werbewirksame Instrumente, um auch die essenischen Johannesschüler an sich zu ziehen. Der bittere, abstoßende Streit wurde von ihnen aus kluger Berechnung vertuscht. Hinreichenden Aufschluss erhalten wir aber von den mandäisch-nasoräischen Schriften der Gegenseite. Im Genza wird Jesus als „Vollender des Judentums“ beschimpft und bekämpft. Sein Christentum bezeichnete man als eine neue, vom Judentum ausgegangene Religion; es heißt: „Vom Judentum sind alle Irrlehren ausgegangen“ und in nicht zu überbietender Deutlichkeit: „Jesus Christus, der Prophet der Juden.“ Hat er doch selbst gesagt: „Denkt nicht, dass ich gekommen bin, das [jüd.] Gesetz oder die [jüd.] Propheten aufzulösen, ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen“ (Mt. 5,17); „Denn ich sage euch wahrlich: Bis dass Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom [jüd.] Gesetz, bis dass alles geschehe.“ Er war ersichtlich vom gleichen kindhaften Wahn besessen wie sämtliche jüdischen Thora- oder Gesetzesfanatiker, deren Überzeugung es einstmals war und noch immer ist, dass Jahwe, den sie als den göttlichen Weltenschöpfer betrachten, das Volk Israel mehr liebe als alle Völker und dass er damit „einen Eid hielte, den er geschworen hat“ (5 Mose 7,8; 9,5). Der „Christianismus“ des Jesus und ebenso der seines fleißigen Verkünders Paulus dürfen sehr wohl als organische Fortsetzung eines ins Weltniveau erhöhten und also eigentlich erst vollendeten Altjudentums (nicht des Judentums schlechthin !) gedeutet werden. Abwegig ist diese Betrachtung keineswegs, hat doch allein dieser judäo-christliche Sonderweg der Judenheit als „Gottesvolk“ den Bonus des geistigen Eintrittes - und im gleichen Atemzug die Akzeptanz ihrer internationalen Macht - als Fremdvolk im Kreise seiner Gastvölker verschafft.
Die „Urchristen“ (Nazoräer), also „Messiasgläubige“, waren scharfe Gegner des offiziell bestehenden jüdischen Staates und seiner römischen Marionettenregierungen. Das hinderte sie trotzdem nicht, ihre Fäden bis in die Kreise der Tempeldiener hinein zu spinnen. Dort existierten sicherlich vereinzelte Sympathisanten als Verbindungsmänner und Zuträger. Die Nazoräer bezeichneten Jerusalem als Sitz des „Frevelpriesters“, seine Mitarbeiter als „Finsterlinge“ und das ihm dienende, angepaßte Israel als verfluchens- und vernichtenswertes „letztes Geschlecht“, über dem sich am Tag der Rache die Schale des göttlichen Zornes ausgösse. Natürlich hofften sie, dass ihnen eines Tages gottbegnadete Männer geschenkt würden, die ihr Los als unterjochte, gedemütigte Nation änderten. Ihre Könige und ihre Hochpriester wurden durch die verruchten, „ungläubigen“ Römer bestimmt. Schon seit dem Jahre 334 v.0 standen sie unter griechisch-makedonischer Fremdherrschaft, und seit 63 v.0 war ihr Land eine römische Provinz. So hofften sie also auf einen weltlich-militärischen und einen geistlich-religiösen Erlöser/Messias/Christus. Ein Qumranfragment (4 Q 246) spricht davon, dass einer kommen werde, der „mit Namen Gottes Sohn gepriesen und den man den Sohn des Höchsten nennen wird.“ Jener und eigentlich jeder Auserwählte, der aus dem Geiste Gottes kommen sollte, musste als „Gotteskind“ verstanden werden, doch nicht im Sinne einer leiblich-fleischlichen Sohnschaft, so etwa im Sinne menschlicher Fortpflanzungsart. Der essenische Gegenhohepriester, Johannes der Täufer, verkündete diesen Sohn des Höchsten, und sein Schüler Jesus begann in irgend einem Moment seiner beginnenden religiösen Psychose zu glauben, er selbst sei jener, von dem sich seine nationalfanatischen Genossen so Großes erhofften. Er wurde auch wirklich für kurze Zeit ein Hoffnungsträger der revolutionären, essenisch-zelotischen Aufstandsbewegung. Deshalb ist er folgerichtig - unter der Beschuldigung, ein politischer Umstürzler zu sein - in adäquater Weise nach römischem Besatzungsrecht hingerichtet worden. Die von Juden geschriebenen christlichen Evangelien sind zum alleinigen Zweck verfasst worden, vorrangig jüdische Anhänger zu schaffen, Menschen zu „fischen“, zu überreden, bislang fernstehende Stammesgenossen zu gewinnen. Sie durften in ihrer Gesamttendenz nicht grob antijüdisch gehalten sein; doch um jene nicht von vornherein zu verprellen, die das offizielle Tempeljudentum hassten - wie die johanneischen Nazoräer-Kreise, die Samaritaner u.a. - blieben letzte Spuren auch einer „antijüdisch-christlichen“ Urwahrnehmung erhalten: „Euer Vater ist der Teufel...“ (z.B. Mt. 23,33 u. Joh. 8,44). In ihren Qumran-Schriften lasen die Eiferer Worte wie diese: „Die Fürsten Judas sind solche geworden, über die Zorn ausgegossen werde.“ (Damaskusrolle A VIII,3). Die dem realen Judentum gegenüber milder gestimmten Jesus-Jünger versuchten im zähen Ringen, die radikalen Johannes-Jünger auf ihre Seite zu ziehen (Ap. 19, 3). Von dieser Absicht zeugt noch das spätere Johannesevangelium, welches wie ein Fremdkörper innerhalb der vier synoptischen Evangelien anmutet. Seine Sprache ist überwiegend jene der jüdisch-iranisch-dualistisch geprägten Qumran-Leute bzw. entspricht dem Tenor der samaritanisch-mandäischen Gleichnissprache.
Wenn wir versuchen, an den eigentlich geringfügig erscheinenden konkreten Streitpunkten zwischen Johannes und Jesus - also zwischen Altessenern und Urchristen - vorbeizuschauen, um ihre dahinterstehenden wesentlichen, nämlich strategischen Differenzen zu erforschen, dann drängt sich folgende Erkenntnis auf: Die Essener waren vorrangig Glaubensfanatiker; sie fühlten sich als ein auserwähltes Volk innerhalb des Judenvolkes, als der „gute Rest des Volkes“; wenn die anderen nicht dazugehörenden Volksgeschwister nach göttlichem Heilsplan zugrunde gehen müssten, das würde sie zu keiner Träne rühren. Die Jesus-Urchristen dachten hingegen als völkisch-patriotische Juden zuerst an die Rettung des ganzen Volkes, sie fühlten sich für das Gesamtwohl verantwortlich. Bei den Johannes-Essenern hatte sich die religiöse Inbrunst verselbständigt, bei den Jesus-Essenern war sie bewusst noch Mittel zum Zweck der religiösen (jüdischen) Volkswohlfahrt.
Rabbi Jesus
Der Grund dafür, dass die Botschaft Jesu so viele Missverständnisse hervorrief und sich so viele Menschen daran stießen, lag an ihrer schier undurchdringlichen Widersprüchlichkeit. Sie ist heute aufklärbar ! Rabbi (d.h. Meister/Lehrer) Jesus - wie ihn seine Jünger nannten - beschritt eine Art dritten Weg oder Mittelweg; er lehnte das etablierte Judentum in der bestehenden Form energisch ab, er lehnte aber ebenso ab den kampfbesessenen essenischen Geist, der dieses damalige Tempeljudentum und die regierende Oberschicht mit Stumpf und Stiel auszurotten gedachte. Er wollte eine Reform des Judaismus und eine Verinnerlichung des Jahweismus (im Sinne der Essener), nicht aber den radikalrevolutionären Umsturz mit notwendig werdendem anschließendem völligem Neuaufbau. Ihm muss die qumranische Kriegsrolle der Essener bekannt gewesen sein; er wusste von ihren kriegerischen Plänen; er kannte die Zeloten (extremistische Widerstandskämpfer gegen die röm. Besatzungsmacht), er hatte sie selbst in seine Truppe gerufen. Einer davon war „Simon, genannt Zelotes“ (Lk. 6,15f). Er kannte auch aus nächster Nähe jene, die den Dolch im Gewande trugen und damit blutige Terroranschläge gegen die romfreundlichen/romhörigen Volksverräter durchführten. Einem dieser patriotischen Meuchelmörder hatte er die Kassenverwaltung seiner Einheit anvertraut: „Judas Ischariot“ (Schreibweise von Sicarri, d.h. Dolchmann). Die Dolchmänner /Sicarri waren besonders radikale Zeloten. Diese zornigen Leute hielten alles Bestehende für unrettbar verseucht; Ehrfurcht gebot ihnen allein noch die eigene Idee von der gründlichen Erneuerung. Bald sollte sich zeigen, dass sie kein Heiligtum und nicht mal den prächtigen Tempel in Jerusalem schonen wollten. Solch einen militanten, selbstzerstörerischen Glaubenswahn gegen die eigenen Volksgenossen scheint der in dieser Hinsicht besonnenere - oder im Laufe seines Wirkens besonnener gewordene Jesus abgelehnt zu haben. Seine mangelnde Radikalität gegenüber der Besatzungsmacht Rom musste an einem Mann aus dem Essenerkreis seltsam unjüdisch-pazifistisch wirken. Dies Verhalten, zusammen mit dem Vorwurf, sein Vater sei ein römischer Besatzungssoldat gewesen, bescherte ihm bei den Mandäern den verächtlichen Namen „Jesus der Rhomäer/Rumaya“, was mit „Römling“ zu übersetzen wäre.
Was er predigte, war gespeist von der iranischen „Menschensohn-Lehre“, doch die ihm am Herzen liegenden altehrwürdigen Traditionen seiner Nation, insbesondere den jüdischen Nationaldünkel, mochte er als eifernder Jude freilich nicht preisgeben: „Das Heil kommt von den Juden“, belehrte er eine samaritanische Frau (Joh. 4,22). Er hat keinen einzigen Nichtjuden unter seine Jünger gerufen und sich deutlich gegen die „Heidenmission“ ausgesprochen: „Diese zwölf sandte Jesus, gebot ihnen und sprach: Gehet nicht auf der Heiden [Nichtjuden] Straße und ziehet nicht in der Samariter Städte, sondern gehet hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel“ (Mt. 10,5-6). Er umgab sich deshalb mit 12 Jüngern, weil er sich ausschließlich um die 12 Stämme Israels sorgte. Er beabsichtigte, den geistigen Tempel der Juden zu reinigen, so wie er auf dem wirklichen Tempelvorhof einstmals seinen Unmut über das Händlerwesen ausgelebt hatte (Mk. 11,15). Seinem Judenvolk eine höhere Sittlichkeit zu schenken, schien sein Wille; Nichtjuden waren ihm herzlich gleichgültig (Mt. 15,24). Jesus beabsichtigte ersichtlich, für seinen eigenen Stamm der gleiche zu werden, der Zarathustra einstmals für sein Perservolk geworden war. Er wollte wachrütteln aus vermeintlicher Glaubenslauheit und Veräußerlichung, mit scharfen, schlimmen Worten - aber er mochte nicht, wie die essenischen Johannesjünger, die Tempeljudenheit grundsätzlich bekämpfen und vertilgen. So stellte sich dieser einstige Nazaräer Jesus zwischen die Fronten und ließ sich zermalmen.
Wäre Paulus, der Jesus in seinem Seelenkern gut begriffen hatte, nicht gewesen - der aus der Vita Jesu, den iranisch-essenisch-nazoräischen Lehren vom erlösungsbedürftigen Menschensohn-Erlöser und den jüdisch-alttestamentarischen Prophetien eine Weltreligion zusammenbraute - wäre nach Jesu Tod bei seinen Anhängern nichts als eine kleinjüdische Ratlosigkeit zurückgeblieben. Die Johannes-Lehre wie auch die Jesus-Lehre waren Reformversuche des Judentums, welche beide gleichermaßen völlig fehlschlugen, dafür aber anderwärts ganz wundersam unsinnige Wirkungen erzielten.
Über Herkunft und äußeres Erscheinungsbild des Rabbi Jesus ist viel spekuliert worden. H. Steward Chamberlain (1855-1927) und seine Nachfolger vertraten die These von einem „arischen Jesus“ aufgrund der vielen scheinbaren Gegensätzlichkeiten zwischen Judenheit und Christentum. Sie durchschauten und werteten dabei nur ungenügend die vordergründig widersprüchlich anmutende Zerrissenheit der antiken jüdischen Religionslandschaft bei gleichzeitig einmütig-fanatischen Bekenntnissen der zerstrittenen Judensekten zu den alten Verheißungen, basierend auf dem selbstgefälligen Auserwähltheitsdünkel sowie zum gemeinsamen Patriarchen Moses und dem von ihm propagierten alljüdischen Stammesgott Jahwe. Die Chamberlain-Schule ging davon aus, die Mutter Jesu sei ein Mädchen hethitisch-indogermanischer Blutlinien aus Dan im Norden des „Heidengaues“ Galiläa gewesen, die von einem römischen Soldaten namens Pandera/Panthera geschwängert worden sei. Die Beweisführung ist jedoch unzulänglich. Für eine solche Abstammung der Maria fehlt jede konkrete Nachricht, aber ihre Notzüchtigung von einem Offizier der Besatzungsarmee ist durchaus glaubhaft. Ein „arisches“ Aussehen dürfte Jesus trotzdem kaum besessen haben. Der römische Beamte Lentulus (nach antiken Quellen ein übergeordneter Beamter des Pilatus) beschrieb ihn mit üppigen braunen Haaren, vollem Bart und einer Körperlänge von fünfzehneinhalb Fäusten - etwas weniger als 1,50 Meter. Vermittelte er also das Bild eines eifernden, streitlustigen Zwerges ? Nach Joh. 8,33 u. 8,41 u. 8,48 entgegneten ihm die Juden während eines Wortgefechtes: „Wir sind Abrahams Samen“, „Wir sind nicht aus Ehebruch/Hurerei hervorgegangen“, „Ist es nicht so, dass du ein Samaritaner bist und den Dämon in dir hast ?“ - also: „Wir sind reine Juden, und nicht wie du ein Mischblütiger, der aus Ehebruch hervorgegangen ist.“ Nach dem Gesagten hielten die Juden Jesus für einen, an dessen Geburt ein Makel haftet. Unverblümt: Sie bezeichneten ihn als einen samaritanischen Bastard - als einen, dessen Vater unbekannt und dessen Mutter samaritanische „Heidin/Nichtjüdin“ sei. Die Samaritaner waren Nachkommen der vom assyrischen Herrscher Salmanassar angesiedelten Nichtjuden aus Babel, Kutha, Awa, Hamath und Sepharwaim. Dass Rabbi Jesus einen semitisch-babylonischen, zentralmesopotamischen Rasseeinschlag besaß, darf dieser abfälligen Bemerkung seiner Diskussionsgegner entnommen werden. Damit wäre auch jener für einen Juden der damaligen Zeit ungehörig-vertraute Umgang mit dem samaritischen Weib zu erklären (Joh. 4,9). Er verkündete ihr, der religiöse Gegensatz zwischen Samaria und Judäa werde schwinden (4,23). Schien er glauben zu wollen, von einer samaritanischen Mutter und einem jüdischen Vater abzustammen ? Der Vorwurf, Jesus sei ein samaritanisches Hurenkind, wurde, dem Evangelienbericht (Joh. 8,41) zufolge, von Juden im Tempel, also im unmittelbaren Angesicht ihres Gottes erhoben. Kein frommer Jude würde solche herabsetzenden Äußerungen ausgesprochen haben, hätte er sie nicht für wohlbegründet halten dürfen.
Aus den Aufzeichnungen ist folgender Sachverhalt zu entnehmen: Der jüdische Zimmermann Josef erlebte während seiner Verlobungszeit, dass seine Braut Mariam schwanger wurde, bevor er sich mit ihr geschlechtlich vereinigte. Ein römischer Hauptmann mit Namen Pandera/Pantera, der im Talmud als Stada/Fronvogt bezeichnet wird, soll die arme Landmagd Mariam mit Spinnarbeiten beschäftigt und geschwängert haben, weshalb Jesus in jüdischen Schriften mitunter „Ben Stada“ oder „Ben Pantera“ (Sohn des Fronvogts/Pantera) genannt wird. Der Evangelist Matthäus erklärte (1,19): „Er [Joseph] wollte sie hienach nicht zum Gerichte schleppen, sondern heimlich fortschicken.“ Celsus, ein römische Philosoph, veröffentlichte um das Jahr 178 n.0 eine Schrift unter dem Titel „Wahres Wort“, in der er die jüdischen Überlieferungen heranzog (Orig. I, 28): „Verstoßen von ihrem Mann und ehrlos herumirrend, gebar sie in der Dunkelheit den Jesus. Dieser verdingte sich aus Armut nach Ägypten und lernte dort einige Kräfte kennen, auf welche die Ägypter stolz sind, kehrte, in den Kräften groß sich fühlend, zurück und erklärte sich ihrethalben öffentlich als Gott.“ Nach den ursprünglichsten Berichten (Justin, Dial. 78) geschah seine Geburt in einer Höhle nahe dem Dorfe Chomh. Celsus führte weiter aus (und der Kirchenvater Origenes widersprach ihm nicht ! Orig. I, 38), dass der uneheliche Junge bemakelter Herkunft im Geheimen aufgezogen wurde. Es spricht alles dafür, dass der alternde, biedere Zimmermann eines Tages seine Verlobte mit dem Stiefsohn von ihrem Aufenthaltsort in Ägypten abholte, um sich mit ihnen in einem unbekannten Ort Galiläas häuslich niederzulassen. Der Dorfname Nazareth wurde erst nach dem Jüdischen Krieg erfunden, um eine neue Erklärung für den Begriff des „Jesus der Nazaräer“ anbieten zu können. Die Nazaräer hatten sich als romfeindliche Rebellen erwiesen, ein Bekenntnis zu ihnen wäre innerhalb der römischen Welt unklug gewesen. In den griechischen Urtexten wird Jesus zwar grammatisch korrekt als „Nazaräer“ bezeichnet, trotzdem übersetzte Luther unrichtig: „Jesus aus Nazareth“. Im „Phillipusevangelium“ (NHC II,3: Spruch 47) heißt es: „Die Apostel, die vor uns waren, nannten ihn so: ,Jesus, der Nazoräer, Messias`. Was heißt: ,Jesus, der Nazoräer, Christus` [?]. Der letzte (10) Name ist ,Christus`; der erste Name ist ,Jesus`, der in der Mitte ist ,der Nazoräer`. ,Messias` hat zwei Bedeutungen: sowohl ,Christus` als auch ,der Gemessene`. ,Jesus` heißt auf hebräisch ,die Erlösung`. ,Nazara` heißt ,die Wahrheit`. Der (15) ,Nazarener` heißt daher ,die Wahrheit`. Christus hat man gemessen. Den Nazarener und Jesus hat man gemessen.“ Wie auch immer der Name des Fleckens gelautet haben mag, in dem Jesus Teile seiner Jugend verbrachte, dort, wo man ihn kannte, vermochte er keine einzige Menschenseele zu beeindrucken. In seiner Heimatstadt konnte er kein Wunder tun. Diese psychologisch interessante und bezeichnende Notiz ist gemeinsamer Bestand der Evangelien: „Und er konnte allda nicht eine einzige Tat tun.“ (Mk. 6,5) „Und er tat daselbst nicht viele Zeichen ihres Unglaubens willen.“ (Mt. 13, 54-58) „Und sie wurden zornig [...] stießen ihn zur Stadt hinaus [...] und wollten ihn hinabstürzen.“ (Lk. 4,28) „Denn er selber, Jesus, zeugte, dass ein Prophet daheim nichts gilt.“ (Joh. 4,44)
Ruhmvoller Tod
Der Tod des Jesus - richtiger ist es wohl, von Selbstmord zu sprechen - war kalt berechnet. Oft schon war er den Spürhunden der von ihm bekämpften religiösen Obrigkeit nur knapp entronnen (Mt. 12,15f; 14,13; 15,21). Er durfte sicher sein, dass er seinem sicheren Tod entgegenzog, wenn er in deren Hochburg Jerusalem, also in die „Höhle des Löwen“, eindringen würde. Doch er stand unter Zwang, es blieb ihm auf dem Weg zur Größe keine andere Wahl, er mußte sich opfern, um auch seiner eigenen Sektengruppe den Märtyrer zu schenken, über den die essenische Konkurrenz in Gestalt des enthaupteten Johannes schon stolz verfügte. Seit der Makkabäerzeit (ca. 152 v.0) hatte ein gewisser Märtyrerkult von den religiösen Eiferern in Israel Besitz ergriffen; er ist also vorchristlich. Nach dem Glauben - auch der essenischen Schwärmer - vermochte das Martyrium der Bluttaufe alle Sünden auszutilgen. Für Gott zu sterben, galt diesen Kreisen als die höchste Form des Gottesdienstes. Das Martyrium des Johannes wird verständlicherweise im „Neuen Testament“ als religiös bedeutsames Ereignis keineswegs gewürdigt. Es hatte aber für die johanneische Nazoräergemeinde einen Stellenwert, der der urchristlichen Einschätzung der Passion Jesu nur wenig nachsteht. Allein durch seinen Opfertod vermochte der Gründer des neuen jesueischen Sektenverbandes seiner Schöpfung die Würde und Weihe mitzugeben, die ihr noch fehlte, um gegen die Johannesgruppe erfolgreich auftreten zu können. Josephus schrieb von den Essenern: „Das schrecklichste Ungemach lässt sie kalt, denn Schmerzen überwinden sie durch Seelenstärke und einen ruhmvollen Tod ziehen sie dem längsten Leben vor“ (Jüd. Krieg II. 8,10). Er beschrieb die Hinrichtung eines von Römern gefangenen Juden, welcher „lächelte, als man ihn kreuzigte, über die Todesqual.“ (Jüd. Krieg III. 33,316) Der Tod am Kreuz war in jenen Zeiten ebenso banal wie ein mannhaftes Sterben. So ist, nüchtern gesehen, der zum außerordentlichen, unfassbar heiligen Geheimnis hochstilisierte „Opfertod Christi“ um keines anderen Menschen Willen geschehen als nur für die Glorie des „Geopferten“ selbst !
Der egozentrische Glaubensfanatiker Jesus hielt sich in seinem Prozess - unter der Folter und der Hinrichtung - nicht anders, als es vor ihm und nach ihm Unzählige seiner essenischen Glaubensgeschwister taten - und es ebenso Anhänger völlig andersgearteter Religionsgemeinschaften durchlitten haben. Die unbeugsame Gesinnung der Essener trat so recht im Krieg gegen die Römer zutage. Auf die schrecklichsten Arten wurden sie - Männer, Frauen und sogar Kinder - auf Streckbänken verrenkt, sie wurden verbrannt, zerbrochen, man quälte sie auf alle erdenklichen Weisen, aber sie blieben in ihrem Glauben fest. Man wollte sie zur Lästerung ihrer Lehre oder zum Genuss einer ihnen verbotenen Speise verführen oder zwingen - es gelang nicht. Und obwohl viele dieser Essener ein ungleich qualvolleres Martyrium erleben mussten als das des Jesus, gingen sie ebenso gleichmütig in den Tod, wie dieser es getan hatte (Jüd. Krieg II. Kap.8). Sein Tod war alles andere als eine erwähnenswerte Besonderheit in damaligen Zeiten, in denen ein Menschenleben nicht viel galt.
Erst als er am Hinrichtungspfahl des Kreuzes hing und vergeblich auf das wohl insgeheim erhoffte rettende Eingreifen seines visionären Traumvaters im Himmel warten musste, da begann die religiöse Psychose des Jesus einer gewissen Erschütterung zu weichen - da schrie er die ganze Verzweiflung seiner finalen Ernüchterung aus der Seele: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen ?“ (Mt. 27,46) Das „Evangelium des Phillipus“ (NHC II,3: Spruch 72) erklärt dazu dunkel: „,Mein Gott, mein Gott, warum, Herr, hast du mich verlassen ?` Er sprach dieses am Kreuz. Denn er war abgetrennt von diesem Ort. [...] der, der gezeugt worden war durch den, der [...] durch Gott. Der [...] heraus aus den Toten. [...] sein, aber [...], indem er vollkommen ist. [...] Fleisch, aber diese [...] ist wahres Fleisch, [...] es ist nicht wahr, sondern [...] nur ein Abbild der Wahrheit.“ Das Apokryphon des Johannes (NHC II,1) „Christophanie“ bekundet, die Unsicherheit der jesuischen Parteigänger nach ihres Anführers Tod: (5) „[Und] es geschah [eines Tages], als Johannes, [der Bruder] des Jakobus -- sie waren die Söhne des Zebedäus --, heraufkam zum Tempel, dass [sich] ein Pharisäer mit Namen Arimanios ihm [näherte und] zu ihm sagte: ,,[Wo] ist dein Meister, [dem] du gefolgt bist ?` Und er [sagte] zu ihm: ,,Er ist zu dem [Ort] gegangen, von dem er [gekommen ist].`` Der Pharisäer [sagte zu ihm: ,,Durch einen Betrug hat dieser Nazarener] euch irregeführt und eure [Ohren mit Lügen] gefüllt und [eure Herzen] verschlossen [und euch abgebracht] von den Überlieferungen [eurer Väter].`` [Als] ich, [Johannes], dies hörte, [wandte ich mich] vom Tempel weg [zu einem bergigen und verlassenen Ort]. Und ich war sehr traurig [in meinem Herzen; und ich sagte (bei mir)]: ,Wie [wurde] der Erlöser [eingesetzt ?] Und warum wurde er [in die Welt] gesandt von [seinem Vater] ? [Und wer ist sein] Vater, der [ihn gesandt hat, und welcher Art] ist [dieser] Äon, [zu dem wir gehen sollen]? Was nun [meinte er, (als) er zu uns sagte]: ,Der Äon, [zu dem ihr gehen werdet, ist] vom Typ der [unzerstörbaren] Äonen`? [Aber er] belehrte uns nicht über [diesen, von welcher Art er ist.]`"
Dieser Mann - Jesus - war nichts als das Opfer eines geistesgeschichtlichen Irrweges - einer irrsinnigen Konsequenz, in der er seinen Glaubensgeschwistern lediglich um ca. 40 Jahre vorangeschritten war. Sein Glaubenswahn ließ ihn als Einzelperson exakt das gleiche Fiasko erleiden, welches seine essenischen Gefährten zum Ende des Jüdischen Krieges erlitten: Kein Bundesgott Jahwe/Jehova aus Himmelshöhen ließ sich vom blutigen Menschenschicksal rühren !
Verfälschung
Nach der selbstprovozierten Hinrichtung des Jehoshua/Jesus übernahm für lange Jahre dessen ältester Halbbruder, der hochangesehene, asketisch lebende „Jakobus der Gerechte“, die Sektenleitung (Ap. 15,13-32; 21,18). Er galt als unbestrittener Führer der Urgemeinde und war dem Kephas/Petrus übergeordnet. Ihre Gruppe verharrte in einer Erstarrung, ohne lebendige Weiterentwicklung, bis die Denkanstöße in Gestalt der Neudeutungen des Saul/Paulus für konzeptionelle Unruhe sorgten. Für die Urjünger galt das essenische Jesuswort vom kommenden Messiasreich. Man könnte sie bezeichnen als eine „Gemeinde der Wartenden“ (Lk. 12,45f). Noch zu ihren Lebzeiten - so hatte es der gekreuzigte Rabbi Jesus unzutreffend prophezeit - würde nach vielen Turbulenzen das Himmelreich hereinbrechen, die politischen Verhältnisse gründlich zum Besseren wenden und sie für ihr treues Ausharren fürstlich belohnen: „Wer aber beharret bis ans Ende, der wird selig.“ (Mt. 24,13) Also warteten sie - aber vergeblich !
Die beiden, Jakobus und Petrus, nannte man „die Säulen“ der jungen Vereinigung. Sie, die dem toten Jesus am nächsten gestanden hatten, wandten sich in ihren Predigten ausschließlich an Juden; von einem Auftrag zur „Heidenmission“ war ihnen nichts bekannt (Gal. 2,7f). Jakobus, wie seine gesamte Gruppe der Jesus-Essener, beteten im Jerusalemer Tempel, im Gegensatz zu den Johannes-Essenern, die den Tempel mieden, als sei es die Hölle. Doch beide Gruppen standen voll zum geistigen Urjudentum und glaubten, nur wirkliche Juden könnten Mitglieder werden. Da die Jesus-Essener aber die altessenische Radikalität ablehnten, waren sie auch offener für gewisse Aufweichungstendenzen. Sie wurden aufnahmebereiter auch für die vielen Halb- und Nichtjuden in den Städten. Doch waren sie noch streng der Meinung, diese müssten - gewissermaßen als Eintrittsbillet zu ihrem exklusiven Kreis - zumindest künstliche Volljuden werden, durch Beschneidung der Penisvorhaut nach jüdischer Sitte. „Wenn ihr euch nicht beschneiden lasset nach der Weise Moses, so könnt ihr nicht selig werden“ (Ap. 15,1+5).
Ihrem Vorstandssprecher Jakobus wäre es im Traum nicht eingefallen, seinen aus gleicher Mutter hervorgegangenen Bruder (Jehoshua/Jesus), trotz dessen zuweilen hochfahrender Redeweise, als einen Sohn des jüdischen Volksgottes Jahwe anzusehen. Wahrscheinlich hatte er ihm irgendwann die zweideutige Vollmundigkeit nachgesehen als eine seiner Schnurren, Übertreibungen und harten Grenzgänge. Vielleicht hat er ihn zu Lebzeiten manchmal am Ärmel gezupft: „Jehoshi, das geht zu weit, du redest dich ja um Kopf und Kragen.“ Der aber wird ihn nur streng angeschaut und geantwortet haben: „Jaköble, das verstehst du nicht.“ Anzunehmen, dass Gottvater einen menschlichen Sohn, einen „Menschensohn“ gezeugt haben könne, war und ist für jüdisches Denken völlig abwegig. Doch auch Jakobus hielt sich - nach alter Essenertradition - für so etwas wie den Gegenhohepriester zum damaligen Haupt der sadduzäisch-pharisäischen Jerusalemer Priesterschaft, dem Ananias II. Ebenso wie sein Bruder es getan hatte, beschimpfte er in unerträglich herausfordernder Weise die korrupte religiöse Führung des Landes, so dass er schließlich im Jahre 60 n.0 (nach Hieronymus, im 7. Jahr des Nero) während einem seiner provokativen Tempelbesuche von hochpriesterlichen Bütteln die Tempelmauer hinuntergestürzt, mit Steinen beworfen und schließlich mit einem Knüppel erschlagen wurde (Eusebius II Kap. 23). Vorher schon hatte man vergeblich versucht, ihn durch einen Prozess auszuschalten; von einer Ladung vor den Sanhedrin, den obersten jüdischen Gerichtshof, wusste Flavius Josephus. Der Mord geschah in einer dem Jerusalemer Oberpriester günstig erscheinenden Zeitspanne: Der römische Landpfleger Festus war gerade abgereist und der neue Landpfleger Albinus (ab 63 n.0) noch nicht angekommen. Jedenfalls rief das unabgesprochene Vorgehen gegen die Sektenmitglieder und die Untat an dem beim niederen Volk aufgrund seiner Biederkeit recht angesehenen Jesusbruder so heftige Krawalle hervor, dass der Ananias II. - einerseits um die Ruhe wiederherzustellen und obendrein wegen seiner Eigenmächtigkeit - von den römischen Besatzungsherren abgesetzt wurde (Jüd. Alt. XX Kap.9).
Unter den Jesus-Essenern des Jakobus in Jerusalem befand sich auch ein Sektenmitglied namens Stephanus. Er wird als erster Märtyrer bezeichnet, der um seines „Christenglaubens an Jesu willen“ getötet wurde. Die ganze Wahrheit ist das nicht. Stephanus ist als überdreht-eifernder Jude - nach heutigem Sprachgebrauch als „Ultrarechtsradikaler“ - gestorben, weil er seinen jüdischen Mitmenschen Lauheit, d.h. mangelnden Patriotismus, vorwarf. Obendrein erwärmte er sich zwar auch für die iranisch-neujüdische Urmensch-/Menschensohn-Idee. Lauthals klagte er die Schriftgelehrten an, dem Gesetz des Moses nicht streng genug nachgelebt zu haben: „Ihr habt das [jüd.] Gesetz empfangen ... und habt’s nicht gehalten.“ (Ap. 7,52f) Solch eine Beschuldigung erschien der pharisäischen, „rechtsextremen“ Mehrheit eine derartige Beleidigung, dass sie sich zur Tötung durch Steinigung hinreißen ließ (Ap. 7,58). Aus diesem damals gewöhnlichen Akt des innerjüdischen Parteienhaders wurde später das erste „christliche Martyrium“ konstruiert.
Jahrzehntelang versuchte die jerusalemische Hohepriesterschaft, einvernehmlich mit den politischen Machthabern, das staatsfeindliche Sektenunwesen in den Griff zu bekommen. „Und um diese Zeit legte der König Herodes (Agrippa I) die Hände an etliche von der Gemeinde, sie zu peinigen“ (Ap. 12,1). Einer der Häscher war der Bluthund Saul/Saulus (ca. 10-65 n.0). Er war aus Tarsus (in der heutigen Türkei) von seinem Vater (wohl einem reichen jüdischen Kaufmann) zum Theologiestudium ins mehr als tausend Kilometer entfernte Jerusalem geschickt worden, um dort bei dem berühmten jüdischen Gesetzeslehrer Gamaliel in die Schule zu gehen (Ap. 22,3). Als junger Fanatiker stellte er sich in den Dienst der Tempelbehörden, um im höchsten Auftrage eine gnadenlose Jagd gegen Sektenangehörige zu betreiben. Viele Andersgläubige brachte er zur Strecke (Ap. 9,1; 22,3ff). Er gab zu, er habe etliche zu Tode gehetzt (Ap. 26,10f). Schließlich bat er selbst um Erteilung der Befugnis, mit hochpriesterlichen Haftbefehlen nach Damaskus/Qumran reisen zu dürfen, um das nazoräisch-essenische Hauptquartier auszuheben und die Führer zu Prozess und Bestrafung nach Jerusalem zu bringen (Ap. 9,2; 22,5). Es ist völlig undenkbar, dass er in die über zweihundert Kilometer entfernte syrische Stadt Damaskus gesandt worden wäre, um über diese weite Distanz Inhaftierte heranzuschleppen. Die Jerusalemer Behörden besaßen in der syrischen Stadt Damaskus keinerlei Befugnisse, einen Menschen festnehmen zu lassen. Die Stadt lag in einem anderen Verwaltungsbezirk. Keiner der römischen Marionetten in Jerusalem hätte in dieser Zeit gewagt, die politischen Regeln derart zu missachten. Zu einem ungesetzlichen Mord im Umkreis der Tempelmacht konnte man sich wohl hinreißen lassen, niemals aber zu einer Kompetenzüberschreitung solchen Ausmaßes, nämlich dem behördlichen Eindringen in einen fremden Distrikt. Solch eine Aktion wäre einer räuberischen Entführung gleichgekommen. Wir wissen heute: „Damaskus“ war das Tarnwort für das Qumraner Sektenhauptquartier. Die Essener sprachen, wenn sie Qumran meinten, vom „Neuen Bund im Lande Damaskus“ (Damaskusschrift B XIX, 33). Erst wer diese Zusammenhänge kennt, versteht auch die Stelle der Apostelgeschichte (9,2): „...er [Saul] bat um Haftbefehle gegen Damaskus an die Schulen.“ Natürlich war Damaskus/Qumran Hochsitz und gleichzeitig Hochschule der Essener. Bei diesem wichtigen, ja gewissermaßen krönenden Hauptschlag gegen die essenisch-nazoräische Sektenleitung versagte der überscharfe Polizeimeister Saul. Eine fromme Erscheinung, eine Vision - so heißt es lange Jahrzehnte später - hätte ihn davon abgehalten, seinen Auftrag auszuführen. Es wird wohl eher so gewesen sein, dass er in der Bibliothek und der Schreiberstube zu Qumran/Damaskus einen überraschenden Einblick und damit eine völlig neue Einsicht erhielt. Die essenischen Weisen werden ihm zugerufen haben: „Saul, Saul, warum verfolgst du uns, siehe, wir sind so gute gestrenge Juden wie du auch !“ Sein Weltbild wurde schlagartig umgewandelt. Er musste erfahren, dass die Essener (die er für fremdgläubige Spinner oder Abweichler und Umstürzler angesehen hatte), ebenso wie er selbst, fest auf der mosaischen Thora fußten und dass es eigentlich keinen unüberbrückbaren Grund für einen rechtgläubigen Juden geben konnte, diese Leute zu verfolgen. Er begriff, dass er nur als ein Werkzeug der Macht des Hohepriesters zu Jerusalem missbraucht worden war. Was lag schon am derzeitigen Oberpriester, der war austauschbar. Die Gedanken des Juden Schaul, der sich römisch Paulus nannte und eine gediegene hellenistische Bildung besaß, gingen in die Weite der griechisch-römischen Welt. Vielleicht hatte er damals schon in Qumran die Vision von einer jüdischen Religion, die er hinaustragen könnte über die ganze Erde, zu allen Völkern, um sie unter das jüdische Gesetz der Thora zu bringen.
Das geschah etwa im Jahre 36 n.0. Saul/Paulus quittierte den Häscherdienst. Interessant ist die Beschreibung seines äußeren Erscheinungsbildes aus den apokryphen sog. Paulusakten, die von einem asiatischen Presbyter stammen. In den Fragmenten aus der Zeit um 300 n.0 wird er folgendermaßen gezeichnet: „Ein Mann, klein von Statur, kahlköpfig und krummbeinig, gewandt in seinen Bewegungen, er hat zusammengewachsene Augenbrauen und eine etwas vorspringende Nase, er strahlt von Freundlichkeit. ...“ Dieser kleine, quirlige Mann mit schütterem Haar, blieb also einige Zeit in Qumran/Damaskus, um die Lehre des Neuen Bundes zu studieren (Ap. 9,19); eine dreijährige Lehrzeit gab er selbst an (Gal. 1,17f). Die gleichlange Spanne des Studiums verlangten die Essener von ihren Schülern. Wenn es ihm nicht schon vorher bekannt war, erfuhr er nun, dass momentan zwei Essener-Richtungen um Anhänger warben: die Schule des Johannes und die des Jesus. Paulus entschied sich für die seinen ehemaligen Auftraggebern gegenüber konziliantere, versöhnlicher eingestellte Gruppe - er wurde Jesus-Anhänger. Als er schließlich mit demselben Fanatismus zu predigen begann, mit dem er zuerst die Essenergemeinden auszurotten versuchte, kam es bald zu Auseinandersetzungen mit seinen neuen Freunden (Ap. 9,29). Was er lehrte, war auf seine Weise ebenso unerhört, wie es die Predigt des toten Jesus gewesen war. Man schickte ihn ins Exil, ins Ausland, in seine Geburtsstadt Tarsus zurück. Saulus-Paulus gab nicht auf, er braute etwas zusammen - eben sein ganz persönliches Jesusverständnis. Dieses Jesusbild mag nach jüdischem Verständnis noch so ketzerisch und auch für die meisten Jesusjünger unrealistisch gewesen sein - und doch, er hatte die tiefste jesuische Seelenneigung gut verstanden: den Hang zur Selbstvergötterung, sein inbrünstiges seelisch-geistiges Hineinwachsen- und Aufgehenwollen in Jahwe, den gestrengen jüdischen Vatergott. Was die Jesusjünger, diese schlichten, frommen jüdischen Gemüter, mit letzter Konsequenz nicht zu denken wagen durften, der jüdische Sohn eines reichen Großbürgers mit hellenistischer Weltbildung, der erfüllte posthum dem exaltierten, überdrehten, aus kleinen Verhältnissen stammenden „Zimmermannssohn“ Jeshua die Lebenssehnsucht von der Anerkenntnis seiner „Gotteskindschaft/Gottessohnschaft“ bzw. seiner besonderen Nähe zum jüdischen Himmelsvater.
Paulus gestand es ein, sein Jesusbild entsprach nicht dem der Gemeinde, die Jakobus der Gerechte leitete; die Augenzeugen in Jerusalem verkündeten „einen anderen Jesus“ (2. Kor. 15,7). Er wurde, um Rechenschaft abzulegen, in die Hauptstadt zurückbeordert, wo man ihn zu disziplinieren gedachte und - weil er sich nicht zurücknehmen wollte - mit ihm heftig zu streiten begann (Ap. 15,7). In den Jahren 49 n.0 und noch einmal 58 n.0 suchte er die noch lebenden Stammjünger seines Idols bzw. seiner Projektion in Jerusalem auf. In der Urgemeinde vermochte er sich kaum oder nur sehr zögerlich durchzusetzen; bei den Nichtjuden, denen es auf einen „Gottessohn“ mehr oder weniger nicht ankam, aber verbuchte er mit seiner Theorie vom geopferten Kind Gottes größere Erfolge. All das jüdisch-persisch-babylonisch-ägyptische Mischvolk aber, das den iranisch-gnostischen Gedanken vom Urmensch-Menschensohn nahestand, öffneten ihm bereitwilliger Ohren und Herzen. Erst nach den gewaltigen Seelenerschütterungen, welche die Zerstörungen Qumrans (68 n.0) und Jerusalems (70 n.0) hervorriefen, stellte sich auch die Bewegung des Neuen Bundes mehr und mehr auf die Seite der Pauluslehre, die schillernd, vielgestaltig, geschmeidig, liebedienerisch jedem nach dem Munde redete - aber unter allen ihren Tarnkäpplein im Kern nichts anderes als eine Art Altjudentum für Nichtjuden darstellte. Aber auch für die sinnsuchenden Nazoräer, insbesondere für jene, die einst in dem lebendigen Jesus den Messias/Christus zu erkennen glaubten, bot er Hoffnung und Auftrieb an. Er rühmte sich, den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche zu sein, und das trieb er offenbar bis zur Charakterlosigkeit. Er sagte von sich selbst: „Gleichwie ich auch jedermann in allerlei mich gefällig mache und suche nicht was mir, sondern was vielen frommt, dass sie selig werden“ (1. Kor. 10,33), so dass der römische Kaiser Julian (332-363) mit einigem Recht kommentierte, Paulus ändere seine Ansichten über Gott wie ein Tintenfisch seine Farbe je nach Unterlage. In Wahrheit aber ging es dem Paulus letztlich darum, seinen privaten Machttrieb auszuleben. Wer sich ihm nicht unterordnete, nicht seines Sinnes war, wurde ausgeschlossen, exkommuniziert (2. Th. 3,14). Der Glaube ist für ihn vor allem Gehorsam (Rö. 16,26). Bekehrung heißt für ihn: zum Gehorsam bringen (Rö. 15,18). Beständig wiederholt er: Ich ordne an, ich verfüge, ich befehle, ich will es so haben - auch unter hässlichen Drohungen (2. Ko. 13,2; 1. Ko. 4,21; 2. Th.; 1. Ko. 7,40). Er selbst erkennt keinen Richter über sich an und kritisiert sich auch selbst nicht (1. Ko. 2,15; 4,3). Diese paulinischen Vorstellungen, unter denen die sich bildende Christenkirche organisiert wurde, entsprechen mit wenigen Einschränkungen dem altjüdischen Synagogengeist. Selbstgerechte heuchelnde Verstellung und Herrschsucht bestimmten sein Leben - der angeblich zum („christlichen“) Gutmenschen gewandelte Paulus ist eben doch bis zu seinem Ende nichts als der krasse, tyrannische Saul geblieben.
Der für die Öffentlichkeit schändliche Hinrichtungstod ihres Meisters hatte sie ratlos und verzweifelt zurückgelassen; vom Erlöser hatten sie sich wenigstens die Vernichtung des „Frevelpriesters“ in Jerusalem und die Vertreibung der römischen Besatzungsmacht erhofft. Denn für Juden kam der Erlöser/Messias nicht, um von Sünden zu befreien, sondern um das Volk Israel freizumachen von fremden Völkern und Mächten. So verheißen messianische Qumrantexte „den Spross Davids, der auftreten wird am Ende der Tage, der über alle Völker herrschen wird, und alle Völker wird sein Schwert richten“ (4 QIII D 1-5). Paulus verkündete nun die dem Judentum eigentlich fremde Lehre des „leidenden Messias“, indem er den vom Propheten Jesaja erwähnten „Knecht Gottes“ auf Jesus bezog, der mit seinem Tod am Marterholz unsere allgemein menschliche Schuld auf sich genommen hätte. Ein irrer Gedanke, aber er war so tröstlich, insbesondere für alle (nichtjüdischen) Schuldversessenen - er kam an.
Paulus predigte nicht den Glauben des Jesus, der zum Heil verhelfe, sondern den Glauben an Jesus, welcher es sei, der selig machen würde. Der wirkliche Jesus, wie er war, wie er lebte, interessierte Paulus nicht im Geringsten. Jesus war für ihn nur insoweit von Bedeutung, wie er ihn in die Vernetzung seiner eigenen Ideen einbinden konnte. Jesus war tot, als Lebender hatte er völlig versagt, war schändlich gestorben; er war kein Messias, kein Christus, von dem man so viel erwartete. Im Konstrukt des Paulus war der abgeschiedene Jesus wichtiger als der lebendige. Seine Predigt war keine Wiederholung der Jesusworte, vielmehr rang er in oft schwer verständlicher Begrifflichkeit um eine Deutung von Tod und Auferstehung des gescheiterten Messias. Der Mann, welcher Jesus niemals begegnet war, ihn keine Sekunde gehört und gesehen hatte, dachte sich etwas derart Verworrenes aus, dass es den Vernünftigen abstoßend und lächerlich erschien, den Armen im Geiste aber ein wunderbares, niemals verstandenes verrücktes - aber gerade deshalb „heilig“ anmutendes - Geheimnis wurde. Die Christologie des Paulus verglich den gehängten Jesus mit einem Opfertier, dem „Opferlamm“, dem „Sündenbock“, der zum höchsten jüdischen Feiertag (der Selbstversöhnung) für die Sünden des Volkes geopfert wurde. Ein Gegenstück, dem Sinne nach identisches Tier wurde durch Handauflegung des Priesters mit der gesamten Sündenlast des Volkes beschwert und daraufhin in die Wüste gejagt (3. Mose 16). Mittels dieser rituellen Zeremonie sah der jüdische Kult in geradezu unverschämt billiger Art und Weise vor, die sündhaften Vergehen des Volkes hinwegzunehmen, also „ungeschehen“ zu machen. Nach den krausen Ideen des Paulus sollte nun ein hingerichteter Mensch, nein, sogar ein „Gott-Jesus“ dieses „Opferlamm“ für die gesamte Menschheit gewesen sein. Für Juden die unerhörteste, empörendste aller denkbaren Vorstellungen: Gott Jahwe habe sich selbst, in Gestalt eines Menschen - um menschliche Sünden zu tilgen - schlachten lassen. In diesem Sinne funktionierte Paulus das verschwendete Leben des Juden Jehoshua in einen nur ihm ersichtlichen „göttlichen Heilsplan“ um.
Zwar scheint es so, als wäre im altjüdischen Tempelkult das Menschenopfer nicht unbekannt gewesen. Vielleicht gehörte wirklich zu einem geheimgehaltenen Ritus, dem man besonders starke Magie zuschrieb, die Opferung eines Menschen. Apion, ein in Rom lehrender Grammatiker, schrieb in der ersten Hälfte des 1. Jh. n.0 - also als Zeitgenosse des Paulus - eine Klageschrift gegen die Juden an den römischen Kaiser Caligula, im Auftrage der Bürger von Alexandrien. In ihr wird berichtet, König Antiochus IV (175-164 v.0) habe in einem Kämmerlein des Jerusalemer Tempels einen gefangengehaltenen, aber wohlversorgten Griechen vorgefunden, welcher angab, für einen Opferakt aufgespart zu werden (Fl. Josephus, Contra Apionem II,7). Ebenso erklärte Damokritos (1. Jh. v.0), dass die Juden alle sieben Jahre einen Fremden aufgriffen, um ihn zu opfern. Diese Berichte sind alles andere als verwunderlich, wurden doch noch bei den Römern zur Zeit der punischen Kriege Menschenopfer vollzogen. Die Idee des Menschenopfers ist innerhalb der menschlichen Geistes- und Religionsgeschichte keine seltene Abnormität. Aber die paulinische Predigt, der jüdische Gott habe sich in Menschengestalt für die Sünden, auch die der Nichtjuden, von Menschen hinmorden lassen, das war und bleibt für die allermeisten jüdischen Geister unannehmbare Gotteslästerung. Und auch den feineren Geistern unter allen Völkern würde - nach heutigem Ethos - dieser christianische Glaubenskern wie ein archaisch-ordinärer, an Obszönität kaum überbietbarer Blutkult erscheinen, wenn er nicht längst ummäntelt wäre durch die lange Gewöhnung. Wer im Tollhause aufwächst, der muss jeder Kritikfähigkeit gegenüber dem Narrentreiben verlustig gehen.
Während die Predigt der Jesussekte nach der Großstadt Alexandrien und durch das fanatische Temperament des Saulus-Paulus zur jüdischen Gemeinde Roms, von dort aber ins römisch beeinflusste Europa getragen wurde, fand die Johannessekte deshalb keine ebenbürtige Verbreitung, weil ihr der reiche fördernde jüdische Nährboden versagt blieb - richtete sie sich doch unüberbrückbar gegen den real existierenden religiösen Judaismus. Der sich aus dem Neuen Bund des Nazoräertums entwickelnde Jesus-Christianismus - der des Jakobus wie auch jener des Paulus - wandte sich zu allererst an Juden, unter Zuhilfenahme einer rein jüdischen Argumentation - einer Erklärungsweise, die kein Nichtjude hätte verstehen können (siehe dazu Ap. 13,17-41). Paulus verkündete eine Verheißung, die ganz allein den jüdischen Vorvätern gegeben wurde (Ap. 13,32): Aus dem Stammbaum des Judenkönigs David hätte Gott den Jesus hervorkommen lassen, „dem Volk Israel zum Heiland“ (Ap. 13,23). Er lockte: „Ihr lieben Brüder, ihr Nachkommen Abrahams, euch ist dieses Wort des Heils geschickt worden“ (Ap. 13,26). Als Paulus in der römischen Hauptstadt anlangte, stellte er sich der dortigen Judengemeinde mit den Worten vor: „Ihr Männer, liebe Brüder, ich habe nichts getan gegen unser Volk und unsere väterlichen Sitten“ (Ap. 28,17), und er begann zu predigen „von Jesus aus dem Gesetz Moses und aus den Propheten“ (Ap. 28,23). Paulus versuchte, unter Zuhilfenahme seiner guten Kenntnisse der jüdischen Religionsschriften die Jesuserscheinung rein jüdisch auszudeuten. Die jüdischen Schriftkenner, denen er entgegentrat, aber waren besser informiert, sie erkannten sehr rasch, dass die paulinische Deutungsmethode nicht stichhaltig war, dass die genutzten Schriftzitate ursprünglich anders gemeint waren und anders verstanden werden mussten. So wurde die Predigt des Paulus von Juden mit voller Berechtigung abgelehnt: „...und widersprachen dem, was von Paulus gesagt ward, widersprachen und lästerten“ (Ap. 13,45). Jeder, der sich die Mühe macht, in den altjüdischen Schriften die Worte und deren Sinn nachzulesen, kommt zu dem gleichen Schluss wie die alten Juden und die moderne wissenschaftliche Bibelexegese, nämlich dass es keine einzige alttestamentarische Stelle gibt, die sich wirklich auf Jesus bezieht. Widerlegte man ihn aber, wurde er rasch beleidigend. Er verstieg sich zu Aussprüchen wie diesem: „Wenn ein Engel vom Himmel käme und predigte anders, der soll verflucht sein!" (Gal. 1,8) Der Held der Apostelgeschichte ist immer Paulus. Wer sich ihm widersetzte, galt stets als der Gottesfeind und Bösewicht. Seine Jesuspropaganda - aus welchen eigennützigen oder uneigennützigen Motiven er sie auch betrieben haben mag - war eine fadenscheinige, aus Sicht der Fachleute unhaltbare Konstruktion. Daran zu „glauben“ begannen allein jene, die sich einen Vorteil davon versprachen oder so unwissend, bequem oder unfähig waren, dass sie den Wahrheitsgehalt nicht nachzuprüfen vermochten. So ist es geblieben bis auf den heutigen Tag. Dazu gibt das „Phillipus-Evangelium“ (NHC II,3: Spruch 87) einen Verständnishinweis: „In dieser Welt dienen die Sklaven den Freien. Im Reich der Himmel aber werden [20] die Freien den Sklaven dienen.“
Der große Bruch
Wie aber ist es zu erklären, dass die aus gleicher essenischer Nazoräerwurzel hervorgegangene gegnerische Sektion des Täufer-Johannes zur mandäisch-antijüdischen Radikalität gelangte ? Der Weg dorthin läßt sich verfolgen. Das kann nur als eine Folge des jüdischen Bürgerkrieges plausibel gemacht werden. Welche Erbitterung unter den Einwohnern Judäas herrschte, beschrieb der Augenzeuge Josephus mit erschütternden Bildern aus der Endphase Jerusalems. Das Räuber- und Mörderunwesen brachte eine grenzenlose Verunsicherung. Schwärmer, Spinner, religiöse Phantasten, Umstürzler und jeder Vernunft abholde Starrsinnige schufen eine Atmosphäre des Hasses und des Blutrausches, die allein durch das harte Durchgreifen römischer Soldatenfäuste zur Ruhe gebracht werden konnte. Inwieweit römische Landverweser vorher das ihrige dazugetan hatten, um dieses Chaos (zumindest das seelisch-geistige) noch zu schüren, sei dahingestellt.
Die Qumraner Schriftrollen beweisen, wie auch das Zeugnis des Josephus, dass die Essener in moralischen Dingen sensibler waren und höher standen als das offizielle Tempeljudentum der Pharisäer/Sadduzäer. Doch sie verankerten sich ebenso fest wie diese im mosaischen Gesetz. Kein Essener hätte demnach den Moses als Betrüger bezeichnen können, wie es die späteren Mandäer-Nasoräer taten. Die essenischen Gruppen, auch die des Johannes, verachteten die damalige jüdische Führungsschicht, gewiss schätzten sie auch den Jerusalemer Tempel gering, weil sie ihn für entweiht hielten. Er war ihnen ein goldprotzender, ins Gigantische aufgeblasener, in seinem religiös-sittlichen Wert jedoch hohler Bau des schändlichen Fürsten Herodes. Aber deshalb die gesamte jüdische Väterreligion abzuschütteln, lag ihnen völlig fern, das besagt der Gesamttenor der Qumraner Schriftrollenfunde unzweideutig. Dann aber muss jenes Ereignis eingetreten sein, welches eine solche Erschütterung hervorrief, dass der eingefleischte Hass gegen Jerusalem, seine Hohepriester und das blindgläubige Juda in ihrem Bewusstsein eine krasse Ausdehnung erfuhr, die alles Jüdische in ihnen untergehen ließ.
Qumran ist wahrscheinlich nicht von Römern, sondern von jüdischen Rotten im Auftrag des Hohepriesters zerstört wurden. Als die staatliche Ordnung schwand, sich der Freiraum für ungesetzliche Aktionen vergrößerte, müssen die Herrschenden bzw. die Tempelobrigkeit in Jerusalem ihre Chance wahrgenommen haben, die unbequemen Querulanten in dem nicht fernen Wüstenkloster endlich auszuräuchern. Ihren charismatischen Meister, den Täufer-Johannes, hatten die „Finsterlinge“ geköpft (Mt. 14,3-11), nun mordeten sie hemmungslos seine Anhänger. Das pharisäisch-sadduzäische Judentum zeigte eine scheußliche Fratze, mit dem Mordstrahl in den Fäusten raste es gegen alle seine Gegner und suchte sie zu vertilgen. Das prägte sich in die Seelen der Geschundenen ein. Es kam zur Wandlung der johanneischen Sektenlehre, sie dehnte ihre Verfluchung auf die gesamte Judenheit - auch auf die religiöse Idee des Judentums - aus. Im mandäischen Johannesbuch wird von dem Blutbad unter den 366 Jüngern des Johana (Johannes) berichtet, welches der Anlass für die Zerstörung Jerusalems darstellen soll. Denkbar wäre, daß es sich bei den 366 Ermordeten um die Opfer des Überfalls auf Qumran handelt. „Gegen Jerusalem und das Judentum schreit alles Blut der Gerechten“, liest man im Buch d. Herrn d. Größe. In der Oxforder Liturgiesammlung (XLIV) heißt es: „Staub in den Mund der Juden, Asche in den Mund aller Priester. Der Mist, der unter den Pferden liegt, komme auf die Ältesten [d.h. die Vorsteher], die in Jerusalem sind.“ Die mandäische Literatur (re. Genza, Buch XV, Kap. II) bewahrte die Wut der Verfolgten in Geschichten wie der folgenden: Die bösen Geister und die sieben Planeten beschlossen, die Menschen zu fangen und eine Stadt der Gottlosigkeit zu gründen, sie bauten Jerusalem. „Die sieben Säulen entstanden, von denen alle Verkehrtheit und Lüge ausgegangen sind.“ Die Juden kamen, ließen sich hier nieder und mehrten sich. Nachdem sie eine mörderische Freveltat begangen hatten, erhielt der göttliche Bote die Erlaubnis vom Lichtvater/Gottvater, Jerusalem zur Strafe zu zerstören. Der Bote erscheint als weißer Adler (oder Falke) und vernichtet mit der Keule des Glanzes die Juden und ihre Stadt, Stätte für Stätte. Er spricht am Ende: „Ich zerstörte das Haus, das ohne Güte war !“
Rache der Essener
Dies ist eine sagenhafte Schilderung, welche das historische Geschehen mythisch verklärt. Fraglos war für die Mandäer aber klar, dass der göttliche Bote, der den Auftrag zur Jerusalemzerstörung erhielt, gleichzusetzen ist mit dem Täufer-Johannes, der nach Essenerart die Jerusalemer Frevelpriester befehdet hatte und auf deren Anstiften auch umgebracht wurde. Der Mythos wird - in der Art der ihm angemessenen Sprache - wirkliche Geschehnisse wiedergeben. Es entspricht ja der historischen Wahrheit, daß es ein Essener namens Johannes war, der den Rachegeist des toten Täufer-Johannes in sich trug und als Jerusalemer Gewaltherrscher diese Stadt und ihre Menschen von innen heraus zerstörte, während vor den Toren der römische Feind zum Sprung ansetzte. Der Geschichtsschreiber Josephus hatte nach eigenem Bekunden selbst dem Essenerverband angehört, war aber gemäßigten Sinnes und vermied es deshalb den monströsen Jerusalemzerstörer, den Wüterich Johannes, als Essener namhaft zu machen. Er erwähnt lediglich einen essenischen Hauptmann Johannes, der im Jüdischen Krieg gefallen sei (Jüd. Krieg II 20,4; III 2,1f). Der letzte Befehlshaber von Jerusalem, Johannes von Gischala, sah sich im Lichte einer Messiaserwartung - das räumt Flavius Josephus ein - so muß er eben doch Essener gewesen sein. Aus welchen Motiven hätte er auch sonst den Tempel in Besitz nehmen sollen, und warum unterstellten sich ihm die Zeloten des Eleazar ? Er kommandierte essenische Zeloten und galiläische Truppen, denen er jedes Mord-, Raub- und Vergewaltigungsrecht gegenüber der reichen Jerusalemer Oberschicht einräumte. Es kam zu unsagbaren Grausamkeiten, ausgeführt von jüdischen Tätern gegen jüdische Opfer (Jüd. Krieg IV 9,10f), die geschichtlich und seelenkundlich allein erklärbar sind durch den Zusammenprall verfeindeter Religionsgruppen. So entluden sich jetzt der Neid der verachteten besitzlosen Unterklassen sowie der in Qumran lange aufgespeicherte Hass auf Jerusalem, seine falschen Priester und deren blindergebenes Volk. Das alte Israel ist an seinen inneren religiösen und sozialen Spannungen zerborsten. Nach dieser wahnwitzigen Rache der Essener riss ein unüberbrückbarer Graben zwischen den beiden jüdischen Glaubensrichtungen auf.
Doch kehren wir noch einmal zum Kriegsausbruch zurück: Die blutigen Unruhen, die 66 n.0 in Judäa anfingen, sind von nationaljüdischen Fanatikern entfacht worden. Sie vertrauten einer Prophetie, die ihnen Sieg über jeden Gegner und anschließende Gewalt über alle Völker versprach: „Männer aus Judäa werden sich der Weltherrschaft bemächtigen!“ (Tacitus Hist. V, Kap.13) Aus einer Erhebung gegen die römische Befriedungsmacht entwickelte sich ein wirklicher Bürgerkrieg, in dem sich die Eiferer und Schwärmer gegenseitig niedermetzelten und die dazwischenstehenden Gemäßigten ebenso bedenkenlos umgebracht wurden. Josephus gab an: „Betrüger und Räuber nämlich taten sich zusammen, verleiteten viele Juden zum Abfall und reizten sie zum Befreiungskampf auf. Wer die römische Oberhoheit anerkannte, den bedrohten sie mit dem Tode, und offen sprachen sie es aus, daß die, welche freiwillig die Knechtschaft auf sich nähmen, mit Gewalt zur Freiheit geführt werden müssten. Truppweise verteilten sie sich demgemäß ins Land, plünderten die Besitzungen der Großen, mordeten die Eigentümer und äscherten die Dörfer ein.“ (Jüd. Krieg II 13,6) In dieser Zeit ist von jerusalemischen Parteigängern die ihnen feindlich gesinnte Essenerschaft mit ihren Untergruppierungen zerschlagen und das Gemeinschaftszentrum Qumran im Jahre 68 n.0 zerstört worden. Es wurde behauptet, dass die 10. Legion des Vespasian das Essenerkloster zerstört habe. Dagegen spricht aber die dortige Fundsituation. Unverhältnismäßig viele jüdische Aufstandsmünzen fanden sich aus den drei Jahren der jüdischen Empörung. Sie können nur von den Aufständischen selbst hingetragen worden sein, nicht aber von den Römern. Dieser Befund wurde von der Fachwissenschaft bestätigt, die darlegt: Römische Truppen befanden sich zu keiner Zeit im Sommer 68 n.0 in der Nähe Qumrans, also schon ca. 25 km östlich von Jerusalem. Die 10. Legion war in beträchtlicher Entfernung - nördlich von Jericho - verblieben, wo sie das obere Jordantal bewachte. Nun teilten die Ausgräber des Ruinenfeldes Qumran jedoch mit, sie hätten einige wenige „römische“ Pfeil- und Speerspitzen gefunden. Diese Angaben sind irreführend, weil damalige jüdische Schmiede sämtliche Waffen nach römischen Mustern als Tributleistungen herzustellen hatten und diese dann im Aufstand auch gegen Römer und innerjüdische Feinde benutzt worden waren. Während jener Jahre des blutigen Großreinemachens werden Tempeldiener im Auftrag der religiösen Obrigkeit nicht nur unliebsame Sekten vernichtet, sondern auch die von den Juden verachteten und gehassten Mitbewohner Palästinas, ethnische Minderheiten wie beispielsweise die Samaritaner, gleich miterledigt haben. Das jüdische Land wurde von einem mörderischen Rausch des Hasses erfasst; es zerfleischte sich, es fraß sich förmlich selbst auf. Einigen Familienverbänden der johanneischen Essenerschaft, wahrscheinlich gemeinsam mit samaritanischen und galiläischen Sippen, muss die Flucht nach Persien gelungen sein, wo sie zusammenwuchsen und unter dem Namen „Mandäer“ die Jahrhunderte überdauerten.
Samaria
Samaria war ein Gebirgsland im mittleren Westpalästina, also nördlich von Judäa, dessen heiliges Zentrum auf dem Gipfel des Garizin bei Sichem ca. 50 km von Jerusalem entfernt lag. Die Bevölkerung wurde von den Juden verächtlich betrachtet, weil es sich um ein assyrisch-babylonisch-altisraelitisches Rassegemisch handelte. Die Samaritaner empfanden sich nicht als Juden, waren trotzdem Jahwe-Anhänger und achteten das mosaische Gesetz. Sie waren seit dem 6. Jh. v.0, als die Juden nach dem persischen Sieg über Babylon aus ihrem Exil zurückströmten, mit den Neuankömmlingen grimmig verfeindet. So trat neben die orthodoxe jüdische Synagoge eine Art samaritanische Ketzergemeinde, deren erster Hohepriester Manasse war. In der Qumraner Schriftrolle Psalm-37-Kommentar wird dieser „ruchlose Manasse“ (Vers 14/15) erwähnt, ein Umstand, der nicht unbedingt als ein Beleg für die Gegnerschaft zwischen Essenern und Samariern zu werten ist, denn die Qumraner sammelten überhaupt alte Religionsschriften, nicht alle davon werden ihren eigenen Vorstellungen in Gänze entsprochen haben. Im Gegenteil, Essener und Samaritaner müssten sich wegen ihrer gemeinsamen Abneigung gegenüber der Jerusalemer Tempelhierarchie eigentlich recht nahe gekommen sein. Und wirklich, es gab eine Allianz: Die beiden Qumraner Kupferrollen beschreiben Bergungsorte, also Verstecke von Edelmetallen von unglaublich hohen Werten, die wohl für den zu erwartenden großen Endkampf „Krieg der Söhne des Lichtes gegen die Söhne der Finsternis“ deponiert waren. Die angegebenen Ortsnamen führen in das Gebiet Samaria. In der Essenerbibliothek zu Qumran befanden sich die Rezensionen des sogenannten samaritanischen Pentateuchs, also der samaritanischen Heiligen Schrift. Und der spätere Kirchenvater Epiphanius bezeichnete die Essener/Ossener sogar als eine samaritanische Sekte. Die Samaritaner blieben dieser freundschaftlichen Verbindung offensichtlich treu, sie trennten sich nicht von der johanneischen Essenerschaft und erteilten in ihrer Mehrheit den Spaltungsversuchen durch die neue jesuische Essenergruppe eine Absage. Die „christlichen Evangelien“ berichten zwar, Samaria hätte die jesuische Botschaft angenommen (Ap. 8,14; 9,31), in Wahrheit aber wissen wir, daß damals neue samaritanische Religionsstiftungen vorgenommen wurden. Simon Magnus der Samarier aus Gitta, aber auch Dositheus, Kleobios und Menander traten als Messias auf, um samaritanische Lehren zu verkünden, in denen Jüdisches mit iranisch-babylonischen Mythen und griechischen Zutaten vermischt war. Der große Simon verbreitete eine Botschaft, die jener des Jesus und des späteren Paulus scharf entgegenstand (Ap. 8,9-20). Er hasste die Tempeljuden ebenso wie die jüdischen Jesus-Christen. „Und sie [die Samaritaner] sahen alle auf ihn und sprachen: Der ist die Kraft Gottes, die da groß ist“ (Ap. 8,10). Wer also mehr Erfolg bei den Samaritaniern hatte, die (abgesehen vom möglichen samarischen Einschlag des Jesus) fremdvölkischen Juden-Apostel mit ihrer neujüdischen Jesus-Botschaft oder die einheimischen Reformatoren, welche die im samaritanischen Volk beheimateten Mythen neu erklärten, lässt sich denken. Die christlichen Evangelien bemühen sich auch hier um eine geschönte Schau, keinesfalls aber stellen sie die geschichtliche Wahrheit dar.
Die drei von Jesus verfluchten Ortschaften Chorazin, Bethsaida und Kapernaum (Mt. 11, 20ff) liegen in galiläischem Gebiet. Auch hier im „Heidengau“, wie man Galiläa aus jüdischer Position nannte (Mt. 4,15), muß es kräftige antijüdische Strömungen gegeben haben, sonst hätte es im Jüdischen Krieg der (wahrscheinlich essenische) Kommandant Johannes nicht vermocht, mit galiläischen und essenischen Soldaten das belagerte Jerusalem im Innern so schrecklich zu tyrannisieren. Hier im alten essenisch-samaritanisch-galiläischen Konfliktpotential fassen wir die Wurzeln für den mandäischen Bruderhass gegen die Juden.
Bruderkampf
Viele Angehörige dieser Volksgruppen dachten zuerst einmal nicht an Flucht, sondern schlugen nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung zurück und beteiligten sich an den Kämpfen. Die verfemten und gehetzten Bevölkerungsteile Palästinas nutzten die Gelegenheit zur Rache. Vom prächtigen Königspalast zu Jerusalem berichtet Flavius Josephus: „Jedoch ist es gar nicht möglich, den Königspalast in gebührender Weise darzustellen; außerdem verursacht die Erinnerung daran nur Qual, weil sie die maßlose Zerstörungswut des von Zeloten gelegten Feuers vor Augen führt. Denn nicht die Römer haben dies Bauwerk niedergebrannt, vielmehr waren es - wie wir oben erzählten - die einheimischen Verschwörer zu Beginn des Aufstandes.“ (Jüd. Krieg V,4) Zwei oder drei Jahre nach diesen Turbulenzen erschienen römische Belagerungslegionen im Jahre 70 n.0 vor Jerusalem, boten über einige Monate hinweg mehrmals vergeblich Friedensverhandlungen an, überwanden dann in wenigen Wochen den Widerstand der Besatzungen und Bollwerke; der Tempel ging in Flammen auf, die Stadt des „Frevelpriesters“ wurde zum großen Teil zerstört. Josephus schrieb über diesen Endkampf, wie die Verteidiger der Hauptstadt gegen die eigene Bevölkerung in ebenso unbeschreiblich bestialischer Weise wüteten wie untereinander: „Kein Geschlecht, solange die Welt steht, war erfinderischer in Werken der Bosheit [...] und schleppten sozusagen das zögernde Feuer in den Tempel hinein. Ohne Schmerz und Tränen sahen sie ihn von der oberen Stadt aus in Flammen aufgehen“ (Jüd. Krieg VI,16). Nicht erst diese Schilderung völliger Gleichgültigkeit, mit der die Stadtverteidiger dem Tempelbrand zusahen - den sie wahrscheinlich selbst gelegt hatten -, sondern schon die vorausgegangenen Berichte über das Treiben im Tollhaus Jerusalem machten klar, dass die eigentliche dem Tempel zugetane jerusalemische Oberschicht zu diesem Zeitpunkt bereits geflohen oder abgeschlachtet war. Die Jesus-Sekte konnte rechtzeitig entweichen. Leute aus Nachbarprovinzen, die auf die Jerusalemer nicht gut zu sprechen waren - Galiläer, Idumäer, Samaritaner und kämpferisch-besessene, wildentschlossene Essener, die die sadduzäischen Frevelpriester und deren fluchbeladenes Volk geradeso haßten wie fremdländische Römer - gaben in den Monaten vor dem Untergang in zunehmendem Maße den Ton an. Josephus schilderte den Charakter der Verteidiger: „Wer den anderen an der Misshandlung seiner Mitbürger nicht teilnehmen ließ, galt als selbstsüchtiger Schurke, und wer nicht teilnehmen durfte, bedauerte die Entziehung der Gelegenheit zu Grausamkeiten wie den Verlust eines besonderen Gutes“, er fährt fort: „Zuletzt fluchten sie auch noch dem Volke der Hebräer, um gegen Fremde weniger ruchlos zu erscheinen“ (Jüd. Krieg Kap. 5). Daraus ist zu ersehen, daß die letzten Herren von Jerusalem - vor der Stadtzerstörung - sich aus Machtgruppierungen zusammensetzten, die sich keineswegs mit dem religiösen und völkischen Judentum identifizierten. Was Flavius Josephus als Jude schamhaft verschweigen und gnädig unter den Mantel des Vergessens decken wollte, war die religiöse Selbstzerfleischung Altisraels. Was Josephus als sinnlos-unerklärbare Grausamkeit beschrieb, war der letzte, verzweifelte Versuch der Eingeschlossenen, das Kriegsglück zu ihren Gunsten zu wenden. Es war ein religionsbedingtes Morden. Die beschriebenen Greuelszenen innerhalb der Mauern Jerusalems sind nicht erklärbar mit dem Hinweis auf Belagerungsdruck, Hungersnot etc., es kann dafür nur eine einzige Erklärung herangezogen werden: eben jene des abgrundtiefen Vernichtungswillens zwischen verfeindeten Landsmannschaften und Religionsgruppen. Gerade im Judentum spielte ja die archaische Tradition des rituellen Opfermordes eine wesentliche Rolle - also die Hinmordung des Gegners zur höheren Ehre und zur Besänftigung der eigenen Stammesgottheit. Durch blutdampfende Opfermordorgien an den vermeintlichen „Satanskindern“ des „Alten Bundes“ mußte nach Logik der Mitglieder des „Neuen Bundes“ die jahweische Sieghilfe zu erzwingen sein. Und am Ende der vergeblichen Anstrengungen stand die Verzweiflung an sich selbst. Der Jüdische Krieg, der in seiner vollen Dauer also ein Religionskrieg, ein Bürgerkrieg und gleichzeitig ein Kampf gegen die römische Besatzungsmacht war, ließ aus seinem blutigen Chaos drei historische Früchte hervorreifen: 1. ein sich fest an das jüd. Gesetz (Thora) anklammerndes, zusammenhängendes Weltjudentum; 2. eine das jüd. Gesetz in die Welt der Nichtjuden hineintragende neue Religion, das Christentum; 3. eine das jüd. Gesetz ablehnende und bekämpfende neue Religion, das Mandäertum.
Dass sich die Essener nach dem Jüdischen Krieg in einer neuen Gestaltwerdung - eben im Mandäertum - auflösen mussten, lag in ihrer eigenen Lehre und Struktur zwanghaft begründet. Der Grundglaube der Essener war, der kommende große Endkampf gegen alle Fremdvölker würde in verschiedenen Stufen programmäßig ablaufen. Die Abfolge von Kampf und Sieg wären so sicher wie eine Tempelliturgie, die von Anfang bis Ende bereits vor ihrem wirklichen Vollzug feststeht. Mit ihrer Kriegsrolle hatten sie eine genaue Kriegsanweisung ausgearbeitet. Sie dachten, das Ringen fände zwar ganz herkömmlich auf der Erde statt, aber himmlische Mächte griffen in dritter Phase ein, um die „Söhne des Lichtes“ zum Triumph zu führen. Sie waren so sicher, wie es nur zutiefst gläubige Menschen sein können. Sie hatten alles von ihrer Seite her vorgeleistet, sie hatten sich den „göttlichen“ Gesetzen bedingungslos unterworfen, sie folgten ihren Meistern, ihren Lehrern - an ihnen konnte es nicht liegen, wenn der Sieg nicht kommen wollte. Die römischen Legionen aber schritten unaufhaltsam voran. Sie ließen sich durch keine Prophetien beirren, sie kannten keinen religiösen Haß, keine Reinigungsriten, kein Asketentum, keine Gebete zum Gott des Moses, und doch: Sie brachen - Schritt für Schritt unaufhaltsam heranklirrend - jeden Widerstand und schlossen Jerusalem gleich einem wilden, bösen Tier im Käfig ein. Was lag näher als zu glauben, daß die anderen Schuld trügen: die falschen Tempeldiener, die Frevelpriester und deren Kinder der Finsternis. Beim Eintritt in den „Neuen Bund“ hatten die heiligen Männer geschworen, alle Kinder der Finsternis zu hassen - jeden nach seinem Schuldanteil. Wörtlich lautet die Fluchformel in der Gesetzesrolle: „Erbarmungslos seiest du verflucht, weil deine Werke finster sind, verwünscht seist du in der Finsternis des ewigen Feuers!“ Jeder aufgenommene Essener hatte zu diesen Worten des Vorsprechers sein „Amen“ gesagt. Sie waren durchdrungen von der Gewissheit, sie seien der treugebliebene „Rest Israels“; auf sie kam es an, durch sie und für sie allein würde der Gott der Väter zur Rettung und glanzvollen Wiederherstellung des ganzen Volkes heraneilen. Der Kampf gegen die römischen Fremdlinge aber verlief unerklärlicherweise nicht nach Vorausschau der Kriegsrolle: Keine rettenden Engel mit Flammenschwertern in den Händen flogen herbei. Also begannen die essenischen Zeloten im belagerten Jerusalem jene hinwegzuschaffen, die ein Hindernis auf dem Wege zum Heil darstellten. Das große, „heilige“ Morden der Jerusalemer Aristokratie begann, welches Josephus, ohne das notwendige Verständnis mitzuliefern, beschrieben hat. Was lag an denen, die das Heiligtum Gottes verunreinigten, den Abtrünnigen, sie mussten um des Endsieges willen der Gottheit zum Opfer gebracht werden. Steht doch geschrieben: „Beim Erscheinen der Herrlichkeit Gottes für Israel ausgerottet werden aus der Mitte des Lagers und mit ihnen alle aus Juda, die sich schuldig machen in den Tagen seiner Läuterung“ (Damaskusrolle XX 25ff); in anderem Text: „Die Gottlosen Israels, welche ausgerottet und vernichtet werden für immer“ (Psalm-37-Kommentar). Hinweg also mit dem fluchbeladenen Schmutz, der die Augen Gottes beleidigt. Wer vermögend war, sich dem Wohlleben und den Freuden des Lebens hingegeben hatte, der war nach essenischem Urteil schuldig und sein Leben jetzt verwirkt. Drei große Netze spannt Belial, der Teufel, so meinten sie: Das sei Hurerei, Reichtum und Befleckung des Heiligtums (Damaskusrolle A IV 15f). Doch es half alles nichts, generationenlang waren sie streng und rein durch ihre Leben gegangen, immer den endzeitlichen Kampf vor Augen, dann waren sie mittendrin und versäumten es nicht, ihre blutige Pflicht zu leisten - der Sieg aber blieb aus, ein schauerliches Ende der Verzweiflung kroch in die Herzen der Überlebenden. Das Scheitern mußte zu einem völligen Zusammenbruch der jüdisch-essenischen Glaubenslehre führen und aus der Enttäuschung heraus zu einem Judenhaß/Selbsthass. Sie sagten sich: Jahwe, der Gott des Moses, hat uns verraten, verworfen, wir müssen ihn gründlich missverstanden haben, er will den Neuen Bund nicht - ist er, an den wir glaubten, wirklich Gott, oder ist er etwa der Teufel, so wie die Heiden meinen? Sie wussten, was in ihrer Damaskusrolle (A II,13) geschrieben stand: „... aber diejenigen, die er hasste, führte er in die Irre.“ Die Erkenntnis, nicht zu den Lieblingen, sondern zu den von ihrem Gott Gehaßten zu gehören, musste einen unheilbaren Schock ausgelöst haben. Von einem Essenertum hat man nach den Jüdischen Kriegen nichts mehr vernommen, es löste sich zwangsläufig auf: im johanneisch-mandäischen Antijudaismus und im jesuisch-paulinischen Christianismus.
Dazu bestätigt der Religionswissenschaftler Mark Lidzbarski (S. XV): „Die mandäische Religion [...] setzt eine Umwälzung von ungewöhnlicher Intensität voraus. Ihre Schöpfer suchten sich überall neue Werte zu bilden; sie schufen eine ganz neue religiöse Sprache. Das uralte semitische Wort für den Gottesbegriff ilah, das alle anderen Umwälzungen innerhalb der semitischen Religionen überlebt hat, das noch jetzt im Islam ebenso wie im orientalischen Christentum und im Judentum im Mittelpunkte der Religionen steht, ist aus ihrer Sprache verbannt. Sie gebrauchen es höchstens für fremde Götter, für Götzen.“ Die nahe Verwandtschaft zwischen dem Essenismus und dem Mandäismus ist für jeden Kenner der Quellenlage unübersehbar. Das mandäische Schrifttum birgt die nächsten Paralleltexte zu der gnostischen Symbolsprache des Johannesevangeliums im „NT“. Die Urmandäer waren Essener.
Nach Beendigung des Jüdischen Krieges wurden aus den übriggebliebenen, nach Osten geflohenen Johannes-Essenern die Johannes-Mandäer. Sie waren dem Hexenkessel des jüdischen Bürgerkrieges noch einmal entronnen. Sie hatten es am eigenen Leibe erlebt, wie fürchterlich Juden gegen Juden aus Religion zu handeln vermochten. Diese Erkenntnis erzwang den radikalen mandäischen Neuanfang. Aus Verzweiflung an ihrem jüdischen Volkstum, dem jüdischen Religionsgesetz und Gottesbild brachen sie mit allem, was ihrer Meinung nach in das durchlebte Chaos des Grauens geführt hatte. In ihrem Johannesbuch (Kap. 54, 191) wird die „Thora, das Buch des Frevels“ und „Jerusalem, die Burg der Lüge“ geheißen. Auch ihre Einsicht: „Das Buch der Juden kann nicht vom Lichte gekommen sein, sonst wären sie unter sich einig...“, spricht für sich. Sie lösten sich in ihrem Bewusstsein aus der jüdischen Volks- und Schicksalsgemeinschaft heraus, für sie galten fürderhin die „Juden, die Sündhaften“, als das Weltübel schlechthin.
Der Glaube des Jesus
Heute gilt als unstrittig, dass die Essener in ihren Sitten und Riten mehr iranischen als jüdischen Glaubensinhalten anhingen, obwohl sie gleichzeitig den Verheißungen der altjüdischen Prophetenschriften vertrauten, ja verschworen waren. Die altiranische Religion ist es, die den Schlüssel zum Verständnis des Essener-Glaubens und des Jesus-Glaubens birgt. Je mehr man sich in das Studium der vorliegenden Urschriften hineinbegibt, umso mehr lichtet sich die Erkenntnis, dass die tiefsten Glaubensinhalte der Essener iranischen Ideenzügen folgten. Auch der innere Glaube des Jesus (nicht sein typisch jüdischer politischer Aktivismus, den in noch radikalerer Art die Essener pflegten) sowie die Predigt des Saulus-Paulus, haben ihre Hauptquellen in der Religion der persischen Magier. Das entstehende persisch-jüdische Glaubensgemenge bot zwar nichts Neues - denn andere damalige Wanderprediger verkündeten ähnliches - aber das deshalb nicht weniger Unzulässige war, dass ein persischer Mythos aus den altjüdischen Prophetenschriften herausgelesen und bewiesen werden sollte. Dieser Versuch rief bei echten Glaubensjuden (Pharisäer/Sadduzäer) berechtigte Verstimmung hervor. Tempeljuden wie auch Essener erhofften mit der sehnlichst erwarteten Ankunft des Messias/Christos zunächst eine Befreiung von der Fremdherrschaft, dann aber weiterschreitend einen politischen Machtzuwachs, der ihnen den Triumph im Weltmaßstab bescheren würde.
Jesus dagegen hatte außer den Lehren des essenischen Johannes zusätzlich eine Portion Zarathustra mehr verinnerlicht. Er hielt sich für den gottgesandten „Menschensohn“ der iranischen Theologie - er und der Vater im Himmel seien eine Union. Diese Selbstbezeichnung in Wortwahl und Gedanke ist persischen Ursprungs. Der parsische Gehmurd ist Urmensch/Urseele und wurde mit Gottes Boten, dem Religionsstifter Zarathustra, gleichgesetzt. Der Urmensch selbst galt in dieser Religion als Inbegriff aller Weisheit und auch als Gottesverkünder, Messias, Erlöser, Heiland, Christos. Was die christliche Adams-Mystik hervorbrachte - Christus als den wiederauferstandenen Urmenschen Adam zu verstehen - ist eine Ableitungsform aus nichtsemitischen Vorbildern, deren vorchristliches Alter durch eranisch-indische Gegenbilder zu belegen ist. In den mandäischen und manichäischen Texten ist es der „Erste Mann“ (oder auch das „Erste Wort“), der im göttlichen Auftrag die Belehrung über die Menschen bringt. Der oberste Gott, der „Lichtkönig“, hat ihn gemeinsam mit der irdischen Welt erschaffen als Gehilfe im Kampf gegen das Böse - alle Engel müssen ihn ehren. Er heißt Manda d’Haije (Erkenntnis des Lebens), Enos-Uthra (Mensch der Wahrheit), Adam (Mann/Mensch). Die Namen wechseln, die Vorstellungen bleiben. Der oft mannweibliche Urmensch/Gottmensch galt als der göttliche Gesandte, als Reiniger, Retter und auch als erlösungsbedürftiger Erlöser. Als in die Materie versetzte Gotteskraft erachtete man ihn dem geistig-immateriellen Weltzustand noch nahestehend. So wurde er wie eine an ihrer Leiblichkeit „erkrankte“, erlösungshungrige Wesenheit verstanden. Das manichäische Dogma vom „erlösten Erlöser“, geradeso wie die paulinische „Menschensohn-Opferlamm-Lehre“ bezogen ihren Grundimpuls aus dem Iranischen. Dort ist der Urmensch Erneuerer der Welt, Träger der Gottesbotschaft und der Gotteskraft - der Erlöser für das ganze Menschengeschlecht, aber zugleich der Selbsterlöste, der als erstes Lichtgeschöpf in den Himmel zurückkehren darf. Er ist Ausfluß Gottes und zugleich der ideelle Vertreter der Menschenseelen, die „Große Seele“ - ein Begriff, der sich auf die Gesamtheit der Gläubigen oder Seelen bezieht. Hinsichtlich des Mikrokosmos vermag dieses Urmenschengebilde ebenso die Einzelseele und den Geist bzw. das Selbst des Menschen zu symbolisieren. Es ist der „Bote der Wahrheit“, es verkündet Wahrheit, Licht und Leben.
Im Zentrum der vielschichtigen indogermanischen Urmenschenlegende, wie sie aus indischen, persischen und germanischen Mythen erfahrbar wird, steht die Weltentstehungs-Opfer-Idee, das kosmogonische Opfer. Der Widersacher Gottes, der Böse, greift den Urmenschen an, er tötet ihn. Aus den Säften des Getöteten - einem Prototyp der Lebewesen - entstehen die Gattungen des Menschengeschlechtes. Nach anderen Texten gehen aus ihm die acht Stoffe hervor: aus dem Kopf das Blei, aus dem Blut das Zinn, aus dem Mark das Silber, aus den Füßen das Erz, aus den Knochen das Kupfer, aus dem Fett das Glas, aus dem Fleisch der Stahl, aus der Seele das Gold. Dies zeigt am deutlichsten die kosmische Bedeutung des Urmenschen im vorchristlichen Verständnis. Der altnordische Ymir-Mythos der eddischen Gylfaginning stellt das germanische Gegenstück der vedischen und avestischen Gottessagen dar. Mit dem indischen Yama und persischen Yima sind die gleichen zwittrigen Urmenschenriesen des Weltwerdemythos gemeint. Die alte Glaubensüberzeugung lautete: Mit seinem Opfertod hat der Urmensch unser aller Leben hervorgerufen, an seiner Seele haben wir alle Anteil; er vermag aber auch immer wieder in starken gottgeistigen Personen zu inkarnieren um im Kampf gegen das Böse die Menschen wachzurütteln und auf den Gottesweg zurückzuwenden. Er ist nach solcher theologischer Logik dann als Einzelmensch doch Träger der Weltgesamtheit aller Seelen. Durch sein wiedervollzogenes Uropfer (der Hingabe seiner Leiblichkeit), müßte er - folgen wir diesem Denkgesetz - „durch sein Blut“ das gesamte Menschenleben „wieder neu machen“, gewissermaßen mittels einer Art reinigender Neugeburt.
Der von seinem Herkommen reine Lichtleib der Urmenschenseele ging also in die Welt ein und krankt seitdem an dieser Einbindung und Vermischung mit dem Weltstoff. Nach dieser Deutung leidet der Mensch an sich selbst und vermag allein durch Überwindung der Materie sich zu befreien und erlösen. Jener iranischen/arischen Urphilosophie liegen durchaus vernünftige Einsichten und Folgerungen zugrunde. Dass jeglicher Werdung ein Opferakt vorausgehen muss, dass ohne Hingabe und Aufgabe kein Sprossen und Gedeihen denkbar ist, solche Einsichten gehören sicherlich zur menschlichen Urerfahrung. Auch dass der Mensch bzw. die Gesamtheit der Menschenseelen - personifiziert in eine symbolische Einheit - sein eigener Retter/Heiland/Messias/Christos sein kann und muss, dürfte ebenso zu den uralten Erkenntnissen der Weisen gehören. Diese Philosophien wurde aber in ungehöriger Weise mystifiziert und mit jüdischen Auserwähltheits-Hirngespinsten zu dem uns bekannten verquasten Ideenkonglomerat des Christianismus vermengt. Aus solcherart aufgefangenen theologischen Weltdeutungsgleichnissen, verbunden mit jüdischem Starrsinn und Fanatismus, braute sich im Hirn des vaterlosen Jesus ein arger Trank zusammen, den er glaubte, bis zur bitteren Neige austrinken zu müssen. Nach allem, was wir wissen, scheint es, daß er irgendwann anfing zu glauben, in ihm fände sich die Seele des göttlichen Urmenschen - des Menschensohnes - wiederverleiblicht. Er war sicherlich kein reiner Scharlatan, er hatte sich vielmehr unheilbar in seine Glaubenspsychose der Hybris verstrickt.
Der russische Forscher Nikolaus Notowitsch fand auf seiner Reise 1887 nach Kaschmir im tibetischen Kloster von Ladakh ein Manuskript betitelt „Das Leben des heiligen Issa, des besten der Menschensöhne“, mit Kurzabriss israelitischer Geschichte und einem Jesus-Evangelium, in dem von der Indienreise Jesu berichtet wird: „Damals geschah es, dass Issa [Jesus] heimlich das Haus seiner Eltern verließ, hinausging aus Jerusalem und sich nach dem Sindh begab mit Kaufleuten.“ Er wollte „sich vervollkommnen im göttlichen Wort und forschen in den Gesetzen des großen Buddha“. Es folgt eine detaillierte Schilderung der Erlebnisse und Erfahrungen Jesu in Indien, wo er von den Brahmanen verfolgt wurde, ebenso wie er 29jährig auf der Rückreise in Persien von zoroastrischen Hohepriestern verhört wurde und nachts von Magiern vor der Stadt wilden Tieren ausgesetzt, was er wundersam überlebte und nach Israel zurückkehrte, dort lehrte und gekreuzigt wurde. Die Auferstehung wird als Gerücht erwähnt. (Textübernahme aus unbekannter Quelle)
Marcion
Angesichts des urmandäisch-nazoräischen Quellenmaterials erscheint auch die Botschaft des Marcion einer neuerlichen Betrachtung wert. Er wurde um das Jahr 75 n.0 im pontischen Sinope als Sohn eines reichen jüdischen Reeders, der das Amt des Bischofs einer Christengemeinde innehatte, geboren. Er erlebte in seiner Jugend hautnah die Auseinandersetzung zwischen den jesuischen - wie er meinte „judaisierten Scheinchristengemeinden“ (deren einer sein Vater vorstand) - und den johanneischen essenisch-nazoräischen Urchristen, die er mit einem gewissen Recht antijudaistisch einschätzte. In Wirklichkeit dachten etliche idealjudaistisch und agierten deshalb gegen den Realjudaismus, oder sie waren bereits im mandäisch-antijüdischen Sinne abgedriftet. Marcion wandte sich gegen den eigenen Vater; sein Wissensdurst und ausgeprägter Gerechtigkeitssinn ließen ihn forschen, weite Reisen unternehmen und schließlich eine eigene „wahre“ Christenkirche gründen, die jener „jüdisch gelenkten“ den Kampf ansagte. Er verwarf das mosaische Alte Testament und lehrte seine Anhänger, daß Jahwe nicht Gottvater, sondern der Satan sei. Jesus habe auf einen nichtjüdischen unbekannten „guten Vater im Himmel“ vertraut. Ganz unsinnig erscheint diese Auffassung sicherlich nicht. Da Jesus unverkennbar die mosaische (jüdische) Lehre vom rachsüchtigen Jahwe mit der zarathustrischen (persischen) vom guten Lichtvater Ahura Mazdah (iran. „Weiser Gott“ - und dessen Urmensch/Menschensohn) verband, kann sein persönliches Gottesbild mit dem des Alten Testamentes nicht völlig deckungsgleich gewesen sein. Die Bedeutung der Frage, wieviel Jahwe-Anteil gegen wieviel Ahura-Mazdah-Anteil im Kopf des Jesus miteinander rangen, tritt angesichts der Tatsache zurück, dass sein Propagandist Paulus eindeutig zugunsten des Judengottes votierte. Mit seiner antijudaistischen Predigt stand Marcion nicht allein, eine Menge gnostischer Sekten formulierten ähnliches; auch ihnen galt der jüdische Stammesgott als gnadenloser Gewaltherrscher oder gar als Teufel und sein offizieller Priesterklüngel in Jerusalem - im Sinne Jesaias - als ein solcher, der mit der Hölle einen Vertrag habe.
Die uns heute zugänglichen Zeugnisse aus urchristlicher Zeit erlauben die Feststellung: Marcion irrte, wenn er meinte, es hätte jemals ein judenfreies Urchristentum gegeben, Marcion irrte jedoch nicht hinsichtlich seines Vorwurfes, die sich organisierenden jungen Christengemeinden seien jüdisch beeinflusst und gelenkt. Marcion lebte seit ca. 140 n.0 in Rom, wo er innigsten Kontakt mit der dortigen frühchristlichen Gemeinde unterhielt. Er war der erste, der versuchte, das junge Christentum aus seiner Verwurzelung im messianischen Judentum herauszulösen. Seine Erkenntnis, dass dafür eine eigene Grundlagenschrift für die Gemeinden vonnöten sei, veranlaßte ihn, seine Botschaft niederzuschreiben. Der erste Schritt zur Schaffung eines „Neuen Testamentes“ war getan. Schon 144 n.0 wurde er aus der judäo-römischen Christenkirche ausgestoßen und das Marcion-Evangelium verworfen. Jener Vorwurf der „judaisierten“ Christengemeinschaft zeigt, wie bedeutend von Anbeginn der bewusstjüdische Einfluss gewesen sein muss. Aufgrund welcher redlichen oder auch mehrsinnigen bzw. hintersinnigen Motivationen ein Teil des engagierten und vermögenden Judentums diese jüdische Predigt an die Heiden von Anfang an unterstützte, sei dahingestellt. Darüber lässt sich nur spekulieren. Sicher ist aber, dass sich auch Juden, welche der neuen jesuisch-paulinischen Richtung innerlich völlig fernstanden, Vorteile aus deren Anwachsen versprechen mussten. Dass nun der jüdische Stammesgott Jahwe zusammen mit seinem Lobredner, dem Rabbi Jeshua/Jesus, so erfolgreich den Heiden verkündet wurde, das konnte keinem frommen Juden mißfallen. Für sich selbst lehnte die Masse der Judenheit freilich diesen offensichtlichen Ideenmischmasch ab. Von den urjüdischen Verheißungen der Thora begannen sie sich nicht vor der Zerstörung des Tempels 70 n.0 zu trennen. Erst die Katastrophe der Tempelzerstörung und der blutigen Selbstzerfleischung ließ den jüdischen Volksgeist zögerlich nach neuen Wegen Ausschau halten. Einer davon war das sich ausbreitende Judäo-Christentum, welches aber gerade wegen seiner irreal anmutenden mystischen Unbegreiflichkeit für Nichtjuden eine größere Anziehungskraft ausübte als für die eigentlich (von Jesus) gemeinten.
Abendmahlwein
Gesichert ist, dass das Christentum aus der essenisch-gnostischen Nazoräersekte hervorging. Die Lehre des Neuen Bundes stand generationenlang im harten Ringen gegen verwandte jüdisch-iranisch bestimmte Mitbewerber um die Gunst der Gläubigen. Nur die Schwerpunkte dieser Sekten waren unterschiedlich gesetzt. Nach der Auflösung des altjüdischen Staates verlagerten zwangsläufig die jüdischen Religionsgemeinschaften ihre Aktivitäten aus der Begrenztheit Palästinas und Vorderasiens auf die Ebene der gesamten damals bekannten Welt. Starke ausländische Judensiedlungen hatte es vorher auch schon gegeben, doch erst jetzt quollen sie förmlich über, und ihr Parteiengezänk erhielt internationale Bedeutung. All die gnostisch-christlichen Richtungskämpfe der ersten beiden Jahrhunderte sind eigentlich nur innerjüdische Rangeleien - wobei jede Partei bestrebt war, sich unter den Nichtjuden Verbündete zu schaffen („Proselytenmacherei“). Die Christen „aus den Nationen“ sind vom Ursprung her nichts anderes als geworbene und überredete Judengenossen. Bereits in vorchristlicher Zeit waren Juden eifrigst dabei zu missionieren, um Anhänger zu werben. Unter Kaiser Tiberius im Jahr 19 n.0 hatte die jüdische Propaganda bei römischen Bürgern derart überhand genommen, dass es deshalb zu einer Gerichtsverhandlung und dem Ergebnis eines öffentlichen Verbotes kommen musste (Tacitus, An. II, Kap.8). Die intensive jüdische Glaubenswerbung konnte dem römischen Staatswesen ganz und gar nicht gleichgültig sein, denn - wie Tacitus berichtete - war es jüdische Eigenart, die gewonnenen Menschen gegen ihre eigenen Familien und gegen ihre Heimat zu beeinflussen; er schrieb: „Die, welche zu ihren Bräuchen übergehen, beobachten eben dasselbe [die argen Judensitten], und nichts wird ihnen eiliger eingeschärft, als die Götter [ihrer Ahnen] zu verachten, ihr Vaterland zu verleugnen, ihre Eltern, Kinder und Geschwister für nichts zu achten“ (Hist. V, Kap.4). Schon Kaiser Trajan (53-117) stand wieder vor gleichen Problemen, diesmal verursacht von nazoräisch-christlichen Juden, also Anhängern der Jesus-Sekte. Auffällig ist, daß der Jude Jesus seinen Werbeagenten (Aposteln) dieselbe Empfehlung mit auf den Weg gab, die schon Jahrzehnte vor ihm prinzipielle jüdische Verfahrensweise war. Wie sagte er?: „Denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen gegen seinen Vater und die Tochter gegen ihre Mutter und die Schwiegertochter gegen ihre Schwiegermutter“ (Mt. 10, 35) und „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert“ (Mt. 10,37). Was in diesem Sinne gepredigt wurde/wird, durch die Sendboten des Jesus, das ist purer essenischer Glaubensfanatismus, der es bei seinem Übereifer leichtfertig in Kauf nahm/nimmt, die Zerstörung aller Blutsbande zu betreiben. Doch während solch eine Aufforderung Juden nur noch tiefer in ihr geistiges Judentum hineintreibt, peitscht sie die Nichtjuden aus ihrem jeweiligen Volkstum hinaus. Hinter dieser Botschaft kann somit nichts anderes stehen als die Absicht der Völkerzertrümmerung - getreu dem altjüdischen Prophetenwort: „Alle [nichtjüd.] Völker sind vor ihm [Jahwe] wie ein Nichts und gelten ihm als wertlos und nichtig.“ (Jes. 40,17) Und: „Du wirst alle Völker fressen, die Jahwe, dein Gott, dir geben wird. Du sollst sie nicht schonen und ihren Göttern nicht dienen, denn das würde dir eine Fessel sein.“ (5. Moses 7,16ff) Zu beachten ist, dass es sich bei dieser Geistigkeit, um Zeugnisse des alten Hebräertums handelt, die von denen sich das Reformjudentum unterscheidet. Es ist zum Wundern, wieviel alten sauren, bitteren Wein dieser Jesus in seine Schläuche des Neuen Bundes füllte. Bezeichnend ist der lapidare Klagesatz, welcher gegen seine Apostel von besorgten Bürgern vorgebracht wurde: „Diese Menschen machen unsere Stadt irre; sie sind Juden“ (Ap. 16,20). Den Werbestrategen, welche eigens deshalb ausgezogen waren, um zunächst völlig unbekannten Menschen deren altvertraute Gedankenmuster auszuschwatzen, dafür aber andere - im Schwerpunkt jüdische Vorstellungen - einzupflanzen, war jedes Mittel der Übertölpelung recht. Welcher Antrieb dahintersteckte, kann seelenkundlich nur als „Wille zur Macht“ gedeutet werden. Wer seine Mitmenschen aus ihren vertrauten Gedankenkreisen herausführt, um sie in neu errichtete Ideengebäude hineinzuleiten, will Gewalt über sie gewinnen. Solch ein „Angler-Bedürfnis“ entspringt allemal egoistischen Impulsen, mögen die vorgeführten Motive noch so anmutig daherschreiten. Die Psyche des Paulus ist ein delikates Studienfeld. Er gewährt uns selbst einen guten Einblick: „Obwohl ich frei bin von jedem, habe ich mich doch selbst jedem zum Knecht gemacht, damit ich die meisten gewinne. Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich Juden gewinne. Denen, die das [jüd.] Gesetz halten, bin ich wie einer geworden, der das [jüd.]Gesetz hält, um sie zu gewinnen. Denen, die ohne [jüd.]Gesetz sind, bin ich wie einer geworden, der ohne [jüd.] Gesetz ist, um sie zu gewinnen. Den Schwachen bin ich wie ein Schwacher geworden, um die Schwachen zu gewinnen...“ (gekürzt, 1. Kor. 9,19ff) Ganz gleich, ob mit kaltem, zielgerichteten Verstande oder aus krankhafter Besessenheit heraus - letztlich ging es doch nur darum, den Gott des Stammes Israel zum Weltengott über alle Völker zu erheben. Die jüdische Volksreligion stellte Paulus nicht in Frage, er wollte sie keineswegs überwinden: „Die Beschneidung [der Penisvorhaut] ist wohl nützlich wenn du das [jüd.] Gesetz einhältst; hältst du das [jüd.] Gesetz nicht, so bist du aus einem Beschnittenen [Juden] schon ein Unbeschnittener [Nichtjude] geworden.“ (Röm. 2,25) und: „Welchen Vorteil haben die Juden, oder was nützt die Beschneidung [der Penisvorhaut]? Fürwahr sehr viel, zum ersten: Ihnen ist vertraut, was Gott geredet hat.“ (Röm. 3,1), aber „ist Gott [Jahwe] allein der Juden Gott? Ist er nicht auch der Heiden Gott? Ja freilich, auch der Heiden Gott.“ (Röm. 3,29) Die Verkündung des Paulus lautete letztlich: Wer gesetzestreuer Jude ist, soll es bleiben, denn er hat von Haus aus das Wissen um Gott. Wer aber ein dem jüdischen Religionsgesetz entfremdeter Jude oder Nichtjude, also Heide, ist, der möge zur jesuischen Form jüdischer Religion greifen. Klar und eindeutig sagt er: „Heben wir denn das [jüd.] Gesetz auf durch den [christl.] Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das [jüd.] Gesetz auf.“ (Röm. 3,31) Wer demnach als Nichtjude das paulinische „Evangelium“ annimmt, übernimmt und anerkennt auch gleichzeitig den jüdischen Stammesgott Jahwe und die jüdischen Gesetzesschriften, die „Thora“. Ebenso gleichzeitig akzeptiert er damit seine eigene Zweitrangigkeit gegenüber der Judenheit und seine Nichtigkeit in den Augen des von ihm selbstgewählten Gottes - dem seine Propheten Worte wie diese in den Mund legten: „... so will ich dir die Heiden [Nichtjuden] zum Erbe geben und die Welt zum Eigentum. Du sollst sie mit einem eisernen Zepter zerschlagen; wie Töpfe sollst du sie zerschmeißen.“ (Psalm 2,8,9.) Wir sollten eigentlich nicht erst Psychologen befragen müssen, um zu erfahren, welche seelisch-geistigen Brüche und Verwerfungen bei Christgläubigen daraus resultieren müssen.
Aus einem Zweig des jüdischen Essenertums ist die christliche Weltreligion emporgebracht worden. An der Hauptwurzel der Essener-Nazoräer stand die Verheißung des jüdischen Propheten Jeremias, der jüdische Stammesgott Jahwe wolle mit den Treugebliebenen von Israel und Juda einen neuen Bund schließen (Jer. 31,31f). Von einem „Neuen Bund“ (oder einem „Neuen Testament“, wie es Martin Luther nannte) mit nichtjüdischen Menschen war niemals die Rede! Die geistesgeschichtlichen Quellen sind auf Dauer nicht zu verstopfen - es sprudeln die lebendigen Wasser, und sie raunen der blindgläubigen Christenheit zu: Euer Glaube ist eitler Trug !
Viele Menschen haben diesen jesuisch-paulinischen „Abendmahlwein“ trotzdem getrunken und sind dadurch an Leib und Seele krank geworden und zugrunde gegangen. Anderthalb Jahrtausende lang ist im Namen Jesu Christi gemordet worden: bei Heidenverfolgungen, Kreuzzügen, Glaubenskriegen, auf Scheiterhaufen und in den Foltergrüften der Inquisition. Doch der doppelzüngige Glaube an ihn überlebte alle Verblendungen und Verbrechen, die auf sein Geheiß hin geschehen sind. Noch heute stehen sie drohend über dem Haupte eines jeden, der frei sein will vom Judengott Jahwe und seinen Verkündern Moses, Jesus und Paulus. Wenn wir bedenken, dass dieses Jesuswort vom „gerechten Feuertod“ (Mt. 13,42) für die, die ihm nicht folgen wollten, hunderttausenden „Ketzern“ und „Hexen“ im christlichen Mittelalter ein schauriges Flammenende bescherte - wenn wir bedenken, dass das Jesuswort vom „Krieg um seinetwillen“ (Mt. 10,34) unzählige Verfolgungen und Metzeleien hervorrief, bis auf und über den Dreißigjährigen Krieg hinaus, der unserem deutschen Land einen unwiederbringlichen Blutzoll abzwang, - dann dämmert dem einen oder anderen vielleicht die Ahnung, es könne die johanneische Fluchformel „Verdammt sei Jesus !“ nicht ganz so töricht gewesen sein, wie es uns der unehrliche Werbekünstler Saul-Paulus hinzustellen beliebte (1. Kor. 12,3).
Der unbestechliche Philosoph Friedrich Nietzsche sagte: „Ich begreife nicht, wie ein Deutscher je christlich empfinden konnte.“ Denn, so meinte er, „der Christ ist nur ein Jude ,freieren‘ Bekenntnisses.“ Gleichermaßen erklärte der britische Premierminister D’Israeli: „Christentum ist Judentum für Nicht-Juden.“ Karl Marx, ebenfalls einer jüdischen Familie entstammend, stellte fest: „Das Christentum ist ganz aus dem Judentum entsprungen [... es] ist der gemeine Gedanke des Judentums.“ Der Jude Heinrich Heine spottete, die Christen seien Menschen, „deren Religion nur ein Judentum ist, welches Schweinefleisch frisst“. Wennschon solche Aussprüche grobe Vereinfachungen von viel feinnetzigeren Zusammenhängen sind, so ist doch daran richtig, dass das Christentum den Versuch unternahm (und weiterhin unternimmt) die Völker der Welt geistig zu altjudaisieren, obwohl seine Ideenangebote mehrheitlich keineswegs originär aus der jüdischen Religionskultur herrühren. Diese Erkenntnis mag manchen Betrachtern geradezu unerhört erscheinen und wird es deshalb auch bleiben. Und doch ist sie schon zum Beginn unserer Zeitrechnung ausgesprochen worden. In der mandäischen „Apokalypse“, dem Schlußteil des „Buches des Herrn der Größe“, erscheint das Christentum als organische Fortsetzung - als eigentliche Vollendung des Judentums - Jesus gilt dort als der „Prophet der Juden“ - vor „Christus dem Verführer“ warnen diese Zeitzeugen: „Glaubt ihm nicht, denn in Zauberei und Blendwerk geht er einher !“
Dieser herbe Vorwurf bestätigte sich ohne jeden Abstrich in den historischen Realitäten. Wir können nur spekulieren, wodurch er ursächlich veranlasst wurde: durch die „ägyptischen“ Taschenspielereien des Jesus, von denen die jüdischen Quellen berichten, oder auch durch die jesuische Abkehr von den ursprünglichen essenischen Grundregeln des rigorosen Kampfes gegen Jerusalem und Rom. Paulus, der erfolgreichste Verkünder des Rabbi, bekannte sich zur Verstellung und Heuchelei zum Zwecke der Menschenfischerei, ohne jede Scham. Er stellte die entscheidenden gedanklichen, moralischen Weichen für das geschichtliche Wirken der Christenkirche, indem er Betrug zum Vorteil und zur höheren Ehre der eigenen Gottesidee legalisierte. Der perfide „Jesuitismus“ (ab 1534) war also keine nur unschöne, bedauernswerte Entgleisung, er folgte vielmehr den nachweisbar uranfänglichen Prinzipien christlichen Täuschungswillens: Obwohl die Christenpredigt den „Mühseligen und Beladenen“ (Mt. 11,28) das Himmelreich versprach, während eher ein Kamel durch ein Nadelöhr ginge, denn ein Reicher ins Gottesreich gelangen würde (Mt. 19,24), setzte sie sich ebenso von Anfang an dafür ein, daß die Unterprivilegierten der Obrigkeit untertan zu sein und ihr Los in Demut zu tragen hätten. Getreu den jesuischen Vorgaben sowie der paulinischen Geständnisse, wurde Jahwe - in Einheit mit seinem Verkünder-Rabbi Jesus - gleichzeitig zum Gott der Juden und der Heiden (Nichtjuden), der Ausbeuter und der Ausgebeuteten, der Pfeffersäcke und der Bettelmönche angepriesen. Könnte das je ein ehrliches Evangelium gewesen sein ? Die Arme-Leute-Religion vertrug sich vortrefflich mit jener Religion der Herrschenden-von-Gottes-Gnaden. Vertrug sie sich nur, oder ergänzte sie sich nicht doch in einer vorher nie gekannten zynischen Doppelzüngigkeit ? Die Botschaft der Nächstenliebe vertrug sich scheinbar widerspruchsfrei mit Plan und Tat der Völkervergewaltigung, jedes Menschenantlitz - sei es willig oder unwillig - an die „Richtstätten“ des Sinai und Golgathas zu zerren.
Mit welch schamlosen Täuschungen haben die paulinischen Missionare ihren Gott den Völkern aufgeschwatzt: Den Nordeuropäern ist er als der „Weiße Krist“, den Negern als Neger, den Chinesen als Chinese aufgeschwindelt worden. Könnte das die Art ehrlicher Makler sein ? Kein Mensch und kein persönlich gefasster Gott vermag allen alles zu sein, damit er gleichzeitig von allen verehrt würde - irgend jemanden muss er dabei zwangsläufig betrügen. In welcher Verstellung der jüdische Messias als „deutscher Heiland“ unseren Vorfahren vorgestellt wurde, ersehen wir beispielsweise aus dem altsächsischen Gedicht „Heliand“ (um 830). Kaiser Ludwig der Fromme hatte die in stabreimenden Versen angelegte Geschichte angeregt. Hier wurde Jesus, der nationaljüdische Wanderprediger, als ein mächtiger germanischer Volkskönig beschrieben, die Jünger als seine adligen Gefolgsleute. Doch auch die vielfältigsten Überlistungen reichten niemals aus: Die Erfahrung hat gelehrt, dass immer nur da, wo die weltlichen Gewalten den Glaubensboten ihren starken Arm liehen, ein durchgreifender Schritt zur Christianisierung eines Volkes hat gemacht werden können. Und danach folgte immer das, was die Maoris von Neuseeland den Missionaren vorhielten: „Ihr lehrtet uns gen Himmel sehen, aber während wir dahin schauten, kamen eure Brüder und nahmen uns die Erde, die uns gehörte.“
Müssen es sich die Menschen dieser Erde wirklich unabänderlich gefallen lassen, dass man sie aus christlichen Augen fortwährend als Bekehrungsobjekte betrachtet, dass man beständig um sie herumschleicht, um zu erspüren, wie man doch noch in ihr Herz gelangen könnte, um sich dort einzunisten und um ihre Seele einzufangen ? Sollte nicht endlich Achtung vor anderer Art und Denkweise einkehren ? Gehört nicht auch zum angeborenen menschlichen Elementarbesitz das Grundrecht auf Treue zum angestammten Volkstum, den eigenen Welterklärungsmodellen, den eigenen Göttern und ganz allgemein zur eigenen „Tafel der Wertungen“ ?
Quellenauswahl:
Karl Neumann, Julians Bücher gegen die Christen, 1880
Richard Reitzenstein, Das mandäische Buch des Herrn der Größe und die Evangelienüberlieferungen, 1919
Richard Reitzenstein, Das iranische Erlösungsmysterium, 1921
Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, 1922
Richard Reitzenstein u. H.H. Schaeder, Studien zum antiken Synkretismus aus Iran und Griechenland, 1926
Joachim Jeremias, Jerusalem zur Zeit Jesu, II.Teil - Die sozialen Verhältnisse, 1929
Martin Luther, Die Bibel od. d. ganze Hl. Schrift d. Alten u. Neuen Testaments, 1930
Emil Jung, Die Herkunft Jesu, 1934
Robert Eisler, Das Rätsel des Johannesevangeliums, in: Eranus-Jahrbuch 1935, 1936
Eduard Meyer, Geschichte des Altertums Bd. 4, 1939
Benz, Geist und Leben der Ostkirche (Brief des Lentulus S. 16), 1957
Flavius Josephus, Der Jüdische Krieg, Bd. I; II; II,2 Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1959, 1963, 1969
Hans Bardtke, Die Handschriftenfunde am Toten Meer - Die Sekte von Qumran, 1961
Mark Lidzbarski, Mandäische Liturgien, 1962
Otto Huth, Das Mandäerproblem des AT im Lichte der mandäischen Quellen, in: Jb. d. Symbolforschung Bd.3, 1962
Erich Brock, Die Grundlagen des Christentums, 1970
Johannes Lehmann, Jesus Report - Protokoll einer Verfälschung, 1970
Johannes Lehmann, Die Jesus G.M.B.H., 1972
Gnosis und Gnostizismus, Wege der Forschung Bd. CCLXII, Kurt Rudolph, Hrsg., 1975
Flavius Josephus, Jüdische Altertümer, übersetzt von Heinrich Clementz, 1979
Michael Baigent, Richard Leigh, Verschlußsache Jesus, 1991
Gerd Lühdemann, Jungfrauengeburt? Die wirkliche Geschichte von Maria und ihrem Sohn Jesus, 1997
Bild: „Schleier von Manoppello“ aus Muschelseide, soll nach Auffassung der kath. Kirche das Gesicht des Jesus darstellen