28.10.2024

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So könnte eine junge Denisova-Frau ausgesehen haben.

Der Denisova-Mensch

Die Denisova-Urmenschen wurden erst vor wenigen Jahren entdeckt. Bis jetzt gibt es nicht mehr als einen Knochen, einen Unterkiefer und drei Zähne. Nun haben Forscher rekonstruiert, wie die Urmenschen möglicherweise aussahen. Beim Denisova-Menschen handelt es sich um eine weitentfernte Schwestergruppe des Neandertalers. Während die Neandertaler vor allem in Europa und  Westasien lebten, zogen Denisova-Menschen durch Ostasien. Sie lebten womöglich noch vor etwa 40.000 Jahren im zentralasiatischen Altai-Gebirge. Der Denisova-Urmensch ist erst seit wenigen Jahren bekannt. 2008 fanden russische Forscher einen Knochen und Zähne in Südsibirien.

„Wir bieten die erste Rekonstruktion der Anatomie des Skeletts von Denisova-Urmenschen“, sagt Autor Liran Carmel von der Hebräischen Universität in Jerusalem in einer Pressemitteilung. Die Wissenschaftler verglichen dafür spezifische Veränderungen des DNA-Strangs (DNA-Methylierung) zwischen den drei Menschengruppen, um Unterschiede zu entdecken.

Die Studie: „Reconstructing Denisovan Anatomy Using DNA Methylation Maps“, Cell, 19.9.2019

Man suchte nach Hinweisen, was diese Unterschiede in Bezug auf die Anatomie bedeuten könnten. Dabei haben sie 56 anatomische Eigenheiten entdeckt, in denen die Denisova-Urmenschen sich vom modernen Menschen und/oder von den Neandertalern unterschieden. 34 dieser Eigenheiten bezogen sich auf den Schädel. „In vielen Punkten ähneln Denisova-Urmenschen den Neandertalern, aber in manchen Eigenschaften ähneln sie uns und in anderen sind sie einzigartig.“ Genau wie die Neandertaler hatten sie wahrscheinlich ein hervorstehendes Gesicht und ein breites Becken. Speziell bei den Denisovas war aber ein verlängerter Zahnbogen. Sie hatten vermutlich ein breiteres Gesicht als moderne Menschen und Neandertaler.

Wissenschaftler versuchen schon länger, das Aussehen eines Lebewesens durch genetische Marker in der DNA herauszufiltern, wie Ottmar Kullmer, Paläoanthropologe beim Senckenberg Museum in Frankfurt erklärte. Allerdings sei die Forschung noch nicht weit genug, um ein genaues Aussehen durch die DNA rekonstruieren zu können. „Am Ende ist natürlich auch eine künstlerische Note in solchen Rekonstruktionen“, sagte der Experte. Man könne aber davon ausgehen, dass die Methoden in Zukunft besser werden.

Der Urmensch könnte außerdem dazu beigetragen haben, dass der Mensch heute eine bessere Immunabwehr besitzt. Eine veröffentlichte Studie im Fachmagazin „Nature Immunology“ berichtete, dass moderne Menschen eine Genvariante des Denisova-Menschen besitzen. Diese verstärkt demnach eine Reihe von Immun- und Entzündungsreaktionen. So wird der Mensch den Forschern zufolge auch besser vor krankheitserregenden Mikroben geschützt.

Halb Neandertalerin, halb Denisovaner

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Eingang zur Denisova-Höhle

Forscher haben in Sibirien einen bemerkenswerten Knochen gefunden: Er stammt von einer jungen Frau, die vor rund 50.000 Jahren gestorben ist. Ihre Mutter war Neandertalerin, ihr Vater Denisovaner – ein Vertreter einer erst vor Kurzem entdeckten Menschengruppe.

„Aus früheren Studien wussten wir bereits, dass Neandertaler und Denisovaner gelegentlich Nachwuchs miteinander gezeugt haben”, sagt die Studienautorin Viviane Slon vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. „Doch ich hätte nie gedacht, dass wir so viel Glück haben könnten, auf einen direkten Nachkommen der beiden Gruppen zu stoßen.”

Studie: The genome of the offspring of a Neandertal mother and a Denisovan father”, Nature, 22.8.2018

Erst vor zehn Jahren wurden in der Denisova-Höhle im Altai-Gebirge im südlichen Sibirien die ersten Fossilien entdeckt, die Hinweise auf eine bis dahin unbekannte Menschengruppe brachten. Mittlerweile ist klar: Zusammen mit den Neandertalern sind die Denisovaner die nächsten ausgestorbenen Verwandten heute lebender Menschen. Ihre Spuren kann man heute noch finden: „Menschen aus Ozeanien tragen bis zu sechs Prozent Denisova-DNA in ihrem Erbgut, Asiaten und Europäer viel weniger“, sagt Slon gegenüber science.ORF.at. „Zeitpunkt und Ort dieses Genaustausches sind noch unklar, aber vermutlich haben sie nichts mit dem Vermischen mit Neandertalern zu tun, was es ja auch gegegeben hat.“

Das Fragment, das im Mittelpunkt der aktuellen Studie steht, wurde 2012 in der Denisova-Höhle entdeckt und ist Teil eines längeren Knochens. „Wir schätzen, dass die Frau, der der Knochen gehörte, zum Todeszeitpunkt mindestens 13 Jahre alt gewesen ist”, sagt Bence Viola, der früher an der Universität Wien gearbeitet hat und nun an der University of Toronto in Kanada forscht. Das Knochenfragment („Denisova 11“) wurde für genetische Analysen nach Leipzig gebracht, nachdem es aufgrund seiner Proteinzusammensetzung als menschlich identifiziert worden war.

Zur Überraschung der Forscher stellte sich dabei heraus, dass die Mutter von „Denisova 11“ eine Neandertalerin war und der Vater ein Denisova-Mensch. Zwar berichteten schon frühere Studien von Überresten der beiden Menschenarten oder -gruppen – sowie zusätzlich von Hinweisen auf den modernen Menschen – in der Höhle. Bisher ging man aber davon aus, dass sie sich eher nacheinander dort aufhielten – im Abstand von ein paar tausend Jahren. Die aktuelle DNA-Analyse hingegen zeigt, dass sich Denisovaner und Neandertalerin zur gleichen Zeit in der Höhle oder ihrer Umgebung lieb hatten.

Zusätzlich haben die Forscher festgestellt, dass die Mutter genetisch näher mit Neandertalern verwandt war, die in Westeuropa lebten, als mit einem Neandertaler, der zu einem früheren Zeitpunkt in der Denisova-Höhle gelebt hatte. Dies zeigt, dass die Neandertaler Zehntausende von Jahren vor ihrem Verschwinden zwischen West- und Ost-Eurasien migrierten.