ASEN-ALFEN-OPFER - WODANS OPFERTOD
 
Unser altgermanisches Asen-Alfen-Opferfest liegt im Oktober-Schwarzmond, als Winter-Beginnfeier, auf einer Phase, in der sich einerseits die Abstiegskräfte des sich ankündigenden düsterenJahresabschnittes durch den Rückgang des Tageslichtes schon verdeutlichen und eine beklommene Stimmung hervorrufen - andererseits handelt es auch um die Dankbarkeit bewirkende Zeit der Ernte für Landmann und Jäger.
 
Es ist Jagdzeit, insbesondere die Hochwild-, die Hirschjagd ist auf. Der Hirsch galt den Indogermanen und unseren direkten germanischen Vorfahren bis ins Hochmittelalter der Edda-Schriften als Gottes- und Lichtsinnbild. Im Jahresmythos ist es der Sonnenhirsch, der nun im Oktober zur Sterbenszeit der Natur getötet wird. In diesen Wochen der Neige steht die Asenrune, das Sinnzeichen des Asen Wodin (Ahnenseelengott) im ODING-Runenfestweiser. Zur altreligiösen Wodin-Kultfeier, dem Asen-Alfen-Opfer (in altn. Sprache: isa-ilfa-blöt) muß das Kultdrama Wodins - die Runenfindung - in einem rituellen Spielakt nachgestellt worden sein, zumindest hat man ihrer gedacht und sie verinnerlicht..
 
Was hat es mit der im eddischen Hvamal (138-141) beschriebenen Runenfindung der Geistgottheit auf sich ? Es wird berichtet, dass Wodin im Weltenbaum hing, also im kosmischen Raum schwebte, weste, daß er kargte, ihn weder Trank noch Speise labte, dass er vom Speer verwundet blutete und litt, dann zurückstürzte, in die Materie des strukturellen Seins hinabfiel, die Runen ergriff, jene Ideenmuster der Urzeugung, und weiter dann Wort für Wort, mithin Gedanke für Gedanke, und daraus wachsend Tat für Tat leistete, also Werk für Werk zur weltlichen Wirklichkeit gedeihen lies. Wodin, die Schöpfermacht, wird hier mythisch umschrieben als Werdekraft, die den Stufen der Schöpfung selbst innewohnt, die jeglichem Ding, auch dem Menschenwesen, zutiefst als Urgestaltungsimpuls eingegeben ist. Über die archetypische Bedeutung des germanischen Gottesopfers mag jeder Suchende seine ihm gemäßen Überlegungen anstellen.
 
Im herbstlichen Niedergang erfolgt die Kräftekonzentration für die vordingliche Geistschöpfung, welche mit dem frühjährlichen Naturerwachen wieder sichtbar vor uns hintritt. So etwa muss die Sinngebung des Asen-Opfers gelautet haben. Die Festteilnehmer, die Gildegenossen suchten in spirituelle Verbindung zu treten mit dem Geist-Seelengott und den Begleitmächten, den vielfältigen Emanationen seiner energetischen Wesenheit: den Toten der Familien, den großen Ahnen, den dahingegangenen heldischen Volksführern, den unvergessenen Priesterinnen, Seherinnen und allgemein sämtlichen Lichtseelengeistern (Liosalfar). Um mit den Jenseitigen leichter in Verbindung treten zu können, trank man den kultischen Rauschtank, den Oðroerir (Erreger, Aufrührer des Gemütes) den Seelenbeweger. Mit jedem gemeinsam gekosteten Minnehorn (-becher) musste die angestrebte ekstatische Fähigkeit und bewusstseinserweiternde Kraft zunehmen, um die zunächst fern scheinenden Dimensionen der Ahnenseelen zu erahnen oder zu erreichen. Wir hören, dass während dieses Herbstfestes auch der Bragibecher geleert worden sei. Damit gedachte man des Dichtergottes Bragi, einer Erscheinungsform des Geistgottes, des „Wut“-Gottes Wodin selbst. Noch die deutschen Meistersinger des Mittelalters meinten, dass „Herze und Wuot“ zum Wesen eines Dichters gehöre. Das Wort „Wut“ (z.B. mhd. Minnewuot = Liebeskraft) bedeutet eigentlich nicht „Zorn“, sondern „Seelenerregung“. Den Begriff altn. Bragi, bragr, stellt man wortgeschichtlich aber zu sans. bráhman, was mit „Opfergesang“ übersetzt wird. Der Bragi erweist sich also im Ursprung als der kultische (göttliche) Sänger des urgermanischen Feiergeschehens.
 
Der Altar zum Asen-Alfen-Opferfest ist geschmückt mit Eiben-, Tannen- oder Fichtenzweigen und Erntedankzeichen (Herbstfrüchte, Kornkränze usw.) Er trägt außer den Sinnbildern der Geisteskräfte (Edda-Buch, Runensteine od. -stäbe, Lichter/Kerzen, Seelen-Zopfgebäcke, dem wodinischen Geistspeer Gungnir) auch den Totenkopf, der an das Sterben der Körper und die Jenseitigkeit erinnert. Der geweihte Kulttrank, der am Altar ausgeschenkt wird und den die Feiergilde gemeinsam mit dem geweihten Zopfgebäcken schweigend und besinnlich einnimmt, sollte auch farblich an das Blut Wodins erinnern, welches er im kosmogonischen Ur-Selbst-Opfer für die mythische Schöpfung der germanischen Welt vergossen hat (es bietet sich ein roter, herber Beerenwein an). „Erdenblut“ und „Himmelsbrot“ gemahnen die Feiernden an die Allverknüpftung des Seins und insbesondere an ihre Wesensverbundenheit mit ihrem Seelengott Wodin-Odin.
 
Das germanische Asen-Alfen-Opferfest
 
Ihm altgermanischen ODING-Runenjahrweiser findet sich die Asen-Rune (~)‚ die den Geist-Seelengott, den Asen Wodanaz / Wodin / Odin meint, auf einer Neumond-Position ca. Mitte Oktober. Es war zu vermuten, dass sie für das altgläubige Ahnen-/Asengedenken (Asa-Alfablöt) stehen müsste. Sehr viel jüngere, hochmittelalterliche literarische Zeugnisse, bestätigen die Richtigkeit dieser Annahme. Die inhaltsreichste Aussage über die herbstliche Asen- und Alfenfeier, ist ein Gedicht (Austrfararvisur / Ostfahrtweisen) des Isländers Sigvat, der im Auftrage des Heidenverfolgers König Olaf von Norwegen, zum Winterbeginn 1017 (?), seine Erlebnisse einer Amtsreise nach Schweden beschrieb: Eines Abends kam Sigvat und seine beiden Begleiter an eine Stelle die er Hof (hof = alt- nord. Heiligtum) nannte. Die Tür war fest verschlossen und sie konnten nicht hinein. Dort wurden sie von Leuten angeschrien, es wäre eine geheiligte Stätte. Man jagte sie fort. Aus einem Nachbarhause schrie eine alte Frau: „Bleib‘, elender Bube aus meinem Haus’, 0dm zürnt, ich bin Heidin, ein Albenopfer ist angesetzt.“ In der ganzen Gegend war es nicht anders. Sie wurden ebenso fortgewiesen von drei Bauern namens Ölver, was wohl Kultbierbrauer bedeutet. Auch der bekanntermaßen freundlichste Mann der Gegend, ließ sie nicht hinein. „Kein Heide nahm mich auf zur Übernachtung... Fort mit Euch, hatte man uns viermal zugeschrien“, jammert Sigvat. Wir halten fest: das „Heiligtum“ wurde als geweiht bezeichnet - man feierte ein „Alben-Opfer“ - Glaubensfremde wurden nicht zugelassen !
 
In der Saga des HI. Olaf (995-1030), Kap. 107, heißt es von den Drontheimern: „dass die Bauern dort vielbesuchte Gastmähler zum Wintersanfang (den Wintersnächten) abhielten. Da waren große Trinkgelage ... alle Ehrenbecher wurden nach altem Brauch den Asen geweiht. ... dass man dort Rinder und Rosse schlachtete ... Und beim Vollziehen des Opfers habe man den Spruch gesprochen, daß das zur Jahresbesserung dienen solle.“ Die Vigaglumssaga, Kap. 6, berichtet: „Zu Beginn des Winters wurde da ein Fest zugerüstet und das Disenopfer veranstaltet und alle sollten dies Gedächtnis feiern.“
 
Was unter Asen / Ansis / Aesir zu verstehen sei, erklärte Jordanis in seiner Gotengeschichte: „Die Goten nannten ihre Vorfahren, durch deren Glück sie gleichsam siegten, nicht einfache Menschen, sondern Halbgötter, das bedeutet Ansis.“ Unter Alfen / Alben verstand man ähnliche Geistwesen. In einem isländischen Märchen werden sie als die für menschliche Augen unsichtbaren Geschwister der Menschen geschildert. Schon aus der oft vorkommenden Nennung von Asen und Alfen in einem Atemzuge, lässt sich ihre nahe Gemeinsamkeit ablesen. Im Angelsächsischen sind es die „ese and ylfe“; im Altnordischen „ása ok álfar“ (im eddischen „Grimnismal“ 4, „Thrymsqviðha“ 7 und der „Locasenna“ 2). Aus manchen Schriftstellen geht hervor, dass auch die Disen (Feen) als weibliche Seelenwesen / Schutzgeister zu verstehen sind. Damit gehören auch sie in die Gruppe jener Wesenheiten, die mit zunehmender Winterdunkelheit an Kraft und Einfluss gewinnen.
 
Dieses Opferfest zur Begrüßung des Winters - wie es heißt - das Winternachtsopfer (vetrarnattáblót), stand nach dem was wir von ihm erfahren, ganz im Zeichen der Ahnenseelenverehrung. Im Herbst - zu Winters Anfang, das ist etwa Mitte Oktober - wurde ein großes Ahnen-/Seelenfest abgehalten. Da der Vollmond aus dem Neumond erwächst, muss auch die Winterzeit mit dem Neumond beginnen und das Winterbegrüßungsfest eine Schwarzmondfeier sein. Sie konnte wohl als stilleres Familienfest für die toten Vorfahren der Sippe, aber auch als gastfrohe Kultfeier einer ganzen Gau-Gilde von Sudgenossen gehalten werden. Im letzteren Falle, werden der dahingegangenen Volkshelden, der beliebten Könige, Sänger und der edlen, weithin bekannt gewordenen hohen Frauen (Seherinnen), gedacht worden sein. Dabei wurden kultische Trink- und Schmausgelage abgehalten, während denen man in Gedanken an die allgegenwärtigen Ahnenseelen die Minnehörner (Erinnerungsbecher) leerte. Man buk die unterschiedlichsten Zopfgebäcke (Seelenzöpfe), zog zu den Grabhügeln, nahm Seelenspeisungen vor, spielte, tanzte und sang zur Freude und zur Ehrung der Vorfahren. Der Geist- und Seelengott Wodin / Odin mit dem Kultnamen der „Ase“ spielte fraglos die Hauptrolle im rituellen Geschehen dieser Festlichkeiten - daneben wie wir schon hörten, auch die anderen göttlichen Kraftmächte. Die Runenfindung des Asen und sein vorausgegangenes Hängeopfer, wird möglicherweise als Initiationsritus nachgeahmt worden sein.