05.06.2024

Engländerdenkmal_4.JPG

DAS ENGLÄNDERDENKMAL

Ein verrückter Engländer maßte sich an,
dass er den Schwarzwald bezwingen kann,
mit seiner Schüler-Crew lief er los,
in Frühlingsklamotten waren sie blos.

Alle Warnungen schlug er in den Wind,
arronant wie Engländer oftmals sind.
Aus London kamen sie angereist,
als Osterspaziergang gedacht zumeist.

Doch als sie in höhere Lagen kamen,
begannen die ersten schon zu erlahmen.
Schneewetter, im Schwarzwald eh normal,
da blieben die Kinderchen besser im Tal.

Englishman meinte, Engländer sind hart,
wetterfest ist allzeit die englische Art,
aber seine Kinder kamen nicht mehr mit,
mühseliger wurden sie Schritt für Schritt.

Schwache fielen im Schneematsch um,
der Lehrer kümmerte sich kaum darum.
Fünf Kinder starben im Schwarzen Wald,
wo des Totenvogels Geheul‘ erschallt.

Die anderen wurden von Bauern gerettet,
wurden gehegt, gewärmt und gebettet.
Leute der Hofsgrunder Einwohnerschaft,
vollbrachten die Hilfe in selbstloser Kraft.

Und die Hitlerjugend gab sich die Ehr‘,
aus Völkerfreundschaft tat sie noch mehr,
das Engländerdenkmal wurde erbaut,
welches weit über Täler und Höhen schaut.

Als Gemahnung an eine herrliche Zeit,
voller Hilfsbereitschaft und Brüderlichkeit,
die der Deutsche kennt seit Kindheit an
und der allzeit hilft, wo er helfen kann.

Die Schüler aus der „Strand School“, einem Gymnasium im Süden Londons, hatten sich in den Osterferien zu einer zehntägigen Schwarzwaldreise zusammengefunden, zu der auch eine fünftägige Wanderung gehörte. Die Gruppe war am 16. April frühmorgens in Freiburg im Breisgau eingetroffen. Viele der Schüler hatten auf der nächtlichen Zugfahrt wenig Schlaf gefunden und waren übermüdet. Den 16. April hatten die Jungen zur freien Verfügung, die meisten spazierten durch die Stadt. Am 17. April begann die Wanderung, deren erste Tagesetappe über „Schauinsland“ und „Notschrei“ zur Jugendherberge „Radschert“ in Todtnauberg führen sollte. Die Gruppe bestand aus 27 Jungen im Alter von 12 bis 17 Jahren. Leiter und einziger erwachsener Betreuer war der Junglehrer Kenneth Keast, 27 Jahre alt, Lehrer für Englisch, Deutsch und Sport. Die Fahrt war keine von der Schule organisierte Unternehmung, sondern von Keast über den Londoner Reisedienst „School Travel Service“ privat angeboten worden. Der Schwarzwald war damals bereits das am besten erschlossene Wandergebiet Deutschlands und ein international beliebtes Reiseziel. Die geplante Etappe von Freiburg nach Todtnauberg ist deutlich über 20 km lang und stellt mit dem Aufstieg zum Schauinsland von rund 1000 Höhenmetern auch unter günstigen Bedingungen eine anspruchsvolle Bergtour dar. Berichten zufolge war die Schülergruppe für das Unternehmen nicht angemessen ausgestattet: Trotz winterlicher Verhältnisse trugen die Jungen teilweise Sommerkleidung, leichte Schuhe, kurze Hosen, keine Kopfbedeckung. Statt der detaillierten Wanderkarten des „Schwarzwaldvereins“ nutzte Keast nur eine vom „School Travel Service“ gestellte Übersichtskarte im Maßstab 1:100.000, die zwar die markierten Wanderwege, aber keine Geländedetails zeigte. Als Proviant gab es zwei Brötchen und eine Orange für jeden. Beim Aufbruch an der Jugendherberge um 9:00 Uhr schneite es, wie einer der Jungen, Ken Osborne, in seinem Tagebuch vermerkte. Anfangs freuten sich die Kinder darüber und unternahmen Schneeballschlachten, aber mit zunehmender Geländehöhe wurde der Schnee zu einem ernsthaften, kräftezehrenden Hindernis, zumal Keast einige Male den Weg verlor und zeitraubende Umwege ging. Mehrmals wurde Keast vor und während der Wanderung vor dem Wetter gewarnt, doch ließ er sich nicht von seinem Vorhaben abbringen.

In der Jugendherberge äußerten Herbergsvater Hermann Reichert und Materialwart Carl Rockweiler, beides erfahrene Bergwanderer, gegenüber Keast ihre Bedenken und schärften ihm ein, auf keinen Fall die zugeschneiten Wanderwege zu benutzen, sondern ausschließlich die geräumte Fahrstraße (die Keast aber schon in Günterstal verließ). Als Keast östlich Günterstal allein im Gasthof St. Valentin nach dem Weg fragte, riet auch dort die Wirtin von einer Wanderung auf den Schauinsland ab und wies darauf hin, dass alle Wege und Wegweiser zugeschneit seien. Er gab zurück, dann würde er den Schnee eben abwischen. Dass er eine Schülergruppe bei sich hatte, bemerkte die Wirtin erst beim Abmarsch. Gegen 15 Uhr an der „Kohlerhau“ sprach Keast – nach seiner eigenen Aussage – mit zwei Forstarbeitern, die ihre Arbeit wegen des Unwetters eingestellt hatten. Er fragte nach dem Weg, sah aber keinen Grund, die Wanderung abzubrechen. Dieses Treffen wird im Bericht des Staatsanwalts nicht erwähnt. Kurz darauf begegnete die Gruppe im oberen Kappler Tal dem Postmann Otto Steiert, der vom nahen Bergwerkszechenheim kam (einem Wohnheim für Arbeiter der Grube Schauinsland). Steiert warnte eindringlich vor einem Aufstieg, wies auf den zunehmenden Schneefall hin und bot an, die Gruppe nach Kappel zu führen, was Keast ablehnte und sich stattdessen den weiteren Weg zum Schauinsland beschreiben ließ. Auch einen Aufenthalt im Zechenheim zog er nicht in Betracht. Im tiefer werdenden Schnee oberhalb des Kappler Tales kam die Gruppe nur noch schwer voran, zumal einige der schon beim Aufbruch nicht ausgeruhten Schüler nach über sechs Stunden Wandern am Ende ihrer Kräfte angelangt waren. Keast sah ein, dass der Zeitplan nicht mehr einzuhalten war – den Schauinslandgipfel, der noch vor ihnen lag, hatte er bereits vier Stunden zuvor erreichen wollen, dazu erforderte das Gehen im hüfthohen Schnee zeit- und kraftraubende Spurarbeit. Es ging nun vor allem darum, die Gruppe in Sicherheit zu bringen. Er kehrte jedoch nicht zum Zechenheim um, sondern zog es vor, den Schauinslandgipfel (wo er eine Schutzhütte zu finden hoffte) oder das dahinter liegende Dorf Hofsgrund als nächstgelegene Ansiedlung anzusteuern.

In Luftlinie ist es vom oberen Kappler Tal zum Gipfel etwa 1 km, nach Hofsgrund 2 km. Dabei hatte Keast jedoch das Gelände nicht einkalkuliert: Der Gipfel lag noch rund 300 Höhenmeter über ihnen, und auf dem direkten Weg dorthin musste zunächst die steilste Flanke des Berges überhaupt bewältigt werden, die Kappler Wand mit bis zu 70 Prozent Geländesteigung. Der anstrengende, obendrein noch querfeldein unternommene Aufstieg durch Tiefschnee bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, Schneetreiben und starkem Wind ließ bald einige der Schüler zusammenbrechen. Keast, weiterhin überzeugt davon, der Weitermarsch nach Hofsgrund sei die sicherste Option, setzte den Aufstieg fort und ließ die Jungen fröhliche Lieder singen, um sie bei Laune zu halten. Diejenigen, die sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten, wurden reihum getragen. Als die Gruppe schließlich den Ostkamm des Schauinsland erreichte, verlor sie den Windschatten des Berges und war dem Schneesturm bei Minusgraden voll ausgesetzt. Von hier hätte man westwärts ohne weitere Schwierigkeiten zur Bergstation der Schauinslandbahn und damit in Sicherheit gelangen können, doch weil in Nebel und Sturm nichts zu sehen war, zog Keast es vor, die grobe Richtung nach Hofsgrund beizubehalten, wobei ihm wohl nicht bewusst war, dass das nochmals 250 Höhenmeter Abstieg über abschüssiges und zudem tief verschneites Gelände bedeutete. Schon bald verlor die Gruppe auf der südöstlichen Bergflanke die Orientierung, zumal auch das Tageslicht schwand, und lief, dem Sturm nachgebend, in östlicher Richtung, obwohl Hofsgrund südlich lag. Gegen 18:30 Uhr drang das Abendläuten der Hofsgrunder Kirche durch den Sturm und zeigte die Richtung nach Hofsgrund an. Unterhalb einer Höhe von 1100 Meter bestand kein Nebel mehr, und die Lichter von Hofsgrund waren zu sehen. Auf dem Weg dahin gelangten die ersten etwa um 20 Uhr am Dobelhof an. Auf ihre Meldung, es seien noch weitere draußen, wurde Alarm geschlagen, und alle in Hofsgrund verfügbaren Männer machten sich mit Skiern auf die Suche, da keine klaren Angaben über den Standort der restlichen Gruppe zu erhalten waren. Es war vollkommen dunkel, und der Schneesturm dauerte weiterhin an. Die aufgefundenen Schüler zu tragen erwies sich im frischen Tiefschnee als unmöglich, daher wurde ein Hornschlitten eingesetzt. Nach und nach gelangten 15 der Schüler aus eigener Kraft nach Hofsgrund, andere hielten bei Zusammengebrochenen Wache und machten durch Hilferufe auf sich aufmerksam, Keast selber harrte bei zwei bewusstlosen Schülern aus. Ein Arzt, der in der Nähe Hofsgrunds Urlaub machte, nahm sich der Notfälle an. Die Jungen außer Lebensgefahr wurden von Helfern vorsichtig aufgewärmt und betreut. Kurz nach 22 Uhr wurde die Polizei in Kirchzarten per Telefon informiert und forderte ihrerseits Ambulanzen aus Freiburg an. Bis 23:30 Uhr waren alle Personen geborgen. Polizei und Ambulanzen trafen zusammen mit einem weiteren Arzt, Suchpersonal und einem Hund wegen der winterlichen Straßenverhältnisse erst nach 1 Uhr nachts in Hofsgrund ein.

Die ersten vier konnten bereits in Hofsgrund nicht wiederbelebt werden. Um Roy Witham und einen weiteren Schüler stand es so kritisch, dass sie mit den nachts ausgerückten Ambulanzen in die Freiburger Universitätsklinik transportiert wurden, wo sie gegen 7 Uhr eintrafen. Witham starb dort zehn Minuten später, der andere erholte sich schnell. Keast bezeichnete von Anfang an gegenüber Presse und Behörden das Ereignis als unvorhersehbare Naturkatastrophe. Er habe bestes Frühlingswetter erwartet, das ja auch am Vortag noch bestanden habe, mit einem Wintereinbruch sei nicht zu rechnen gewesen. Sobald das Wetter sich verschlechtert habe, habe er sein Möglichstes getan, um die Gruppe in Sicherheit zu bringen. Bei der Untersuchung in England führte er an, die geplante Strecke gelte normalerweise als kurze Tagestour (was nicht zutrifft), und dass deutsche Stellen vom schlimmsten Schneesturm seit 40 Jahren sprächen. Das letzte ist zwar korrekt, falsch ist allerdings die Behauptung, der Sturm sei unerwartet gekommen – tatsächlich entsprach die Wetterentwicklung den gegebenen Vorhersagen.

Die geretteten Schüler wurden am Samstag nach Freiburg gebracht, wo die „Hitlerjugend“ für sie ein ablenkendes Freizeitprogramm organisierte. Erst am Sonntag erfuhren die meisten vom Tod einiger ihrer Mitschüler. Auch die Rückfahrt der Überlebenden nach England sowie die Überführung der Toten mit geradezu militärischen Ehren und einem persönlichen Kranz Adolf Hitlers übernahm das Deutsche Reich. Es wurde ein Pressefoto, auf dem Angehörige der Hitlerjugend „Ehrenwache“ an den Särgen der „gefallenen Helden und Bergkameraden“ halten, auch in etlichen englischen Tageszeitungen abgedruckt. Die verunglückten Schüler wurden in den folgenden Jahren von der Hitlerjugend als „gefallene Bergkameraden“ verehrt, die im Kampf für Frieden und Völkerverständigung ihr Leben gelassen hatten. Keasts, obwohl von dem Vater eines toten Schülers als Mörder bezeichnet, blieb im Schuldienst tätig und starb 1971.

Das gefällige Engländerdenkmal „Schauinsland“, bei Horben, nahe Freiburg, an prominenter Stelle wurde von Hermann Alker im Auftrag von Baldur von Schirach und der Hitlerjugend gestaltet und sollte am 12. Oktober 1938 eingeweiht werden (dieses Ereignis fiel jedoch aus politischen Gründen aus). Auf einer von einer Mauer umgebenen sechseckigen Plattform steht ein eindrucksvolles Tor aus zwei Pfeilern und einem Querbalken. Die Pfeiler tragen in englischer und deutscher Sprache eine Darstellung des Unglücks. Der Querbalken zeigte ursprünglich einen wunderschönen Reichsadler, mit Hakenkreuz, die später törichterweise entfernt wurden. Nach Diktion der Siegermächte wird seit Kriegsende die verordnete Seelenlosigkeit durch nachhaltige, sinnlose Zerstörungen von Schönheiten und Kunstschätzen demonstriert.

Totenwache_1a.JPG

„Totenwache“ der Hitler-Jugend für die verunglückten britischen Schüler in der Freiburger Friedhofshalle.