„Bundna-Månår“ (gebundenes Mondjahr)
Die 24 Runen sind in die 24 Mondstände (12 Schwarzmondstände und 12 Vollmondstände) des Sonnenjahres so einzufügen, dass die rechtsbeginnend erste Rune Odal auf eine Neumond-Position der Wintersonnenwende gestellt wird. Aus dem tiefsten Lichtstand beginnt das Mond-Sonnen-Jahr seinen Lauf, deshalb gehört die 1. Rune auf Winterwende-Neumond. Das wäre das Idealjahr und kommt alle 19 Jahre vor. Man nennt diese Zeitspanne von 19 Jahren beziehungsweise von 6.940 Tagen Meton-Zyklus. Meton war ein griechischer Astronom der das entdeckte. Er lebte im fünften Jahrhundert v.0 in Athen. Damit die Runen-Festzeiten möglichst immer um die Idealjahreszeit pendeln - und nicht zu weit abschweifen - muss geschaltet werden: jeweils im zweiten und dann im dritten Jahre, dann wieder im zweiten und so fort. In diesen Schaltjahren ist ein runenloser Leermonat um die Sommersonnwendzeit, zwischen Juni und Juli, einzufügen. Dies ist nötig, weil das Mondjahr von 354 Tagen, um etwas mehr als 11 Tage kürzer ist als das Sonnenjahr von ca. 365 Tagen.
Diese Schaltregel unserer Vorfahren erfuhren wir von dem angelsächsischen Geschichtsschreiber Beda Venerabilis („Beda der Ehrwürdige“), der um 672 bis 735 lebte. Er schrieb die Historia ecclesiastica gentis Anglorum („Kirchengeschichte des englischen Volkes“, Kap. 15), in der er die vorchristliche germanische Kalenderordnung beschrieb: „In einem Gemeinjahr gaben sie jeder Jahreszeit drei Monate. In einem Schaltjahr fügten sie den Schaltmonat dem Sommer hinzu, so dass man damals diese drei Monate zusammen Lida nannte und dieses Jahr deshalb Thri-lidi hieß. Da hatte der Sommer vier Monate, die anderen Jahreszeiten wie immer drei.“ Wird wie oben angegeben geschaltet, bleiben die Festzeiten recht gut an ihrem gewünschten Kalenderplatz und wandern nicht einmal durchs gesamte Jahr wie das bei reinen Mondkalendern, z.B. des Islams, der Fall ist. Somit bleiben Frühlingsfeste im Frühjahr und Herbstfeste im Herbst.
Die Runen-Kalender
Holzschnitt aus „Historia de gentibus septentrionalibus” von Olaus Magnus (1555) -
Eine schwedische Mutter unterrichtet ihre Tochter und ein Vater seinen Sohn im Gebrauch der Runen-Kalenderstäbe.
Dass das Phänomen Runen etwas mit dem Kalenderdenken der Menschen zu hat ist zumindest seit Jahrhunderten bekannt. In Skandinavien - Norwegen und Schweden - wo die älteste Runentradition anzunehmen ist, sind seit dem Mittelalter Runen-Stäbe im Gebrauch, mittels derer die exakte Zeit abgelesen werden kann. Dass diese Techniken nicht erst in christlicher Zeit entwickelt sein können kann nicht diskutiert werden, sie müssen aus der vorchristlichen Zeit herrühren, in der den Runen der Status von Heiligkeit und umfassender Aussagefähigkeit zugesprochen worden ist.
Der Kalender-Stäbe sind Ewige Kalender, die auf dem 19-jährigen Meton-Zyklus des Mondes beruhen. Der älteste bekannte ist der Nyköping-Stab, etwa aus dem 13. Jahrhundert. Die meisten der einigen hundert erhaltenen sind hölzerne Kalender aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Runen-Kalender wurden auf Pergament geschrieben und in Stäbe aus Holz, Knochen oder Horn geschnitten. In einer Reihe wurden 52 Wochen zu je sieben Tage durch 52 Wiederholungen der ersten sieben Runen des Jüngeren Futhark angezeigt. Die Runen, die zum jeweiligen Wochentag gehörten, variierten von Jahr zu Jahr. Die Jahres-Tage sind markiert durch sich wiederholende Sequenzen der ersten 7 Zeichen des Futhark: f, u, Þ, a, r, k und h. Die signifikanten Tage z. B. des Krakau-Kalenders (siehe Abb.) sind markiert durch halbe Kreuze oder zusätzliche Symbole. In den frühen Kalendern wurde jedes der 19 Jahre des Zyklus durch eine Rune repräsentiert; die ersten 16 waren die 16 Runen des Jüngeren Futhark plus spezieller Runen für die übrigen drei Jahre: Arlaug (goldene Zahl 17), Tvimadur (goldene Zahl 18), und Belgthor (goldene Zahl 19). Auf diesen Tag wird in dem entsprechenden Jahr des Zyklus’ der Neumond fallen. Beispielsweise werden im 18. Jahr des Zyklus die Neumonde auf alle mit dem Tvimadur markierten Daten fallen. Besondere Tage wie Sonnenwenden, Sonnengleichen und Feiertage waren in einer zusätzlichen Reihe mit Symbolen markiert.
Diese Kalender wurden zum Jahresanfang durch die Beobachtung des ersten Vollmonds nach der Wintersonnenwende gesetzt. Der erste Vollmond markierte auch das Datum des „Disting“, dem frühjährlichen Frauenfest mit einem Markttag (im ODING-Kalender: 4. Rune bzw. l-Rune zum 2. Vollmond). Håkon I. (920-961) verlegte die Jul-Feier, zu Ehren des Sonnengottes Frō-Freyr, von „Mittwinternacht“ (je nach Mondstand, von Dezember/Mitte Januar bis Anfang Februar) auf die Wintersonnenwende (kirchenchristliches Geburtsfest von Jesu-Christi). Es heißt in Snorri Sturlusons „Heimskringla“: „Er [Hákon] setzte in Gesetzen fest, das Julfest zu der Zeit abzuhalten wie die Christen, und ein jeder Mann war dazu, unter Androhung einer Geldstrafe, angehalten Bier zu brauen, um Jul zu heiligen; aber zuvor wurde das Julfest in der Hacknacht begonnen, das war die Mittwinternacht und es wurde drei Tage lang Jul gehalten.“ Wenn die Jul-Feier (Hakennacht) - wie in heidnischer Zeit - auf ca. Mitte Januar fiel, war der 1. Vollmond nach Jul der „Disting“-Mond. Nachdem Hakon I. Jul auf die Wintersonnenwende (Julianischer Kalender: 24./25.12.) zurückverlegte, behielt man die „Disthing-Datierungsregel“ bei und feierte folglich - je nach Mondstand - das Disthing/Disthing-Markt einen vollen Mondlauf früher.
Ein skandinavischer Runenstab-Kalender („MUJ 4018,16/V”),
im Besitz des Jagiellonen-Museums in Krakau / Polen.
Er wird von rechts nach links gelesen. (Foto: G. Zygier)
JANUAR: 1. (New Year - drinking horn), 6. (Trettondagen, Epiphany - drinking horn), 13. (end of Christmas season – drinking horn upside down), 19. (St. Henry, bishop of Uppsala – mitre), 24. (translatio Erici), 25. (Conversion of St. Paul).
FEBRUAR: 2. (Kyndelsmässa, Candlemas – Marian sign – candlestick?), 3. (St. Blaise), 5. (St. Agatha), 15. (St. Sigfrid, bishop of Växjö– axe), 22. (Petter Katt, Peter the Apostle), 24. (St. Matthias the Apostle – fish).
MÄRZ: 12. (St. Gregory the Great), 17. (St. Gertrude), 21. (St. Benedict – plough), 25. (Annunciation – Marian sign)
APRIL: 4. (St. Ambrose), 14. (Sommardag, St. Tiburtius – tree), 23. (St. George), 25. (St. Mark the Evangelist – bird)
MAI: 1. (St. Walpurga), 3. (St. Cross), 12. (St. Pancras), 18. (“St.” Eric – sword), 25. (St. Urban – spear?)
JUNI: 3. (St. Erasmus – windlass), 12. (Eskil, archbishop of Lund – mitre), 17. (St. Botolph), 22. (St. Flavius?), 24. (Midsommardagen, St. John – twig?), 29. (St. Peter and Paul – ?)
JULI: 2. (Visitation of Mary – Marian sign), 10. (St. Canute), 15. (Divisio apostolorum), 20. (St. Margaret), 22. (St. Mary Magdalene – halo), 25. (St. James the Apostle – book), 29. (St. Olav– axe)
AUGUST: 10. (St. Lawrence – gridiron), 15. (Assumption of Mary – Marian sign), 19. (St. Agapius?), 21. (St. Maximilian?), 24. (St. Bartholomew – knife), 29. (St. John the Baptist)
SEPTEMBER: 1. (St. Egidius), 8. (Birth of the Virgin Mary – Marian sign), 14. (Triumph of the Cross), 21. (St. Matthew, Apostle and Evangelist), 29. (St. Michael the Archangel – trumpet)
OKTOBER: 4. (St. Francis), 7. (St. Bridget – book), 14. (Vinternatt, St. Callixtus – dry twig?), 18. (St. Luke the Evangelist), 21. (St. Ursula and the Martyrs – double Marian sign), 28. (St. Simon the Apostle – spear)
NOVEMBER: 1. (All Saints – 3 double crosses), 11. (St. Martin – goose), 22. (St. Cecilia?), 23. (St. Clement – anchor), 25. (St. Catherine – wheel), 30. (St. Andrew – X-cross)
DEZEMBER: 4. (St. Barbara), 6. (St. Nicholas – mitre), 8. (Immaculate Conception – Marian sign), 9. (St. Anne – halo), 13. (St. Lucia), 21. (St. Thomas the Apostle? – horn), 25. (Christmas – drinking horn), 26. (St. Stephen? – ?), 27. (St. John, Apostle and Evangelist? – ?)
Der Kalender-Ring vom Distrikt Halden / Norwegen zeigt, dass es kreisrunde sog. „Evighetskalender“ gab. Er stammt aus dem 17. Jh., hat einen Durchmesser von um die 30 cm und wird aufbewahrt im „Norsk Folkemuseum“ (Katalognr. 939-15). Die Stadt Halden liegt im Südosten Norwegens, rund zehn Kilometer von der Nordseeküste entfernt.
Kerbscheibenkalender aus dem Østfold, nördli. Bohuslän, von 1550 (Vorderseite) Mus. Oslo.
Unterstes großes Symbol = 25. Dezember, Fortsetzung nach links, fast Mitte links = 3. Februar
Der weitläufig gebildete Preuße Johann Wilhelm von Archenholz (1741-1812), Offizier, Schriftsteller und Herausgeber, Weltbürger und Freigeist, schrieb ein Werk „Geschichte Gustav Wasas König von Schweden“, Bd. 1, 1801, worin er darlegt: „Zu der Anwendung der Runen gehörten auch die sinnreich ausgedachten und wohlausgeführten Runstäbe, die viereckig, mit Charakteren und Bildern bedeckt, und zu mancherlei Gebrauche waren; vorzüglich aber, vermittelst einer sinnreichen Einrichtung den alten Schweden zu Kalendern dienten. So bedeutete der Pflug über den 21sten März, den Anfang der Ackerbauarbeiten; der Kuckuck über den 25sten April, die Zeit, wo dieser Vogel gewöhnlich anfängt sich hören zu lassen; der kahle Baum über den 14ten Oktober den Anfang des Winters u. s. w. Man sah ferner auf diesen Runstäben den Sonnenzirkel, die goldne Zahl, und andre auf die Veränderung der Jahreszeiten Bezug habende Dinge. In der Folge waren auch die heiligen Tage und andre mit dem Christlichen Gottesdienste verbundenen Gegenstände auf diesen Stäben bemerkt.“
Über einen Runen-Kalender des Großherzoglichen Museums zu Oldenburg (siehe Abb.) schrieb Emil Schnippel, „Über einen merkwürdigen Runen-Kalender (sog. R̂imstock oder Primstab) des Großherzoglichen Museums zu Oldenburg“, 1883, S. 5: „Ganz abgesehen davon, dass in der St. Gallischen Benediktineregel aus dem Ende des 8. Jahrhunderts (der sog. Keronischen) rûnstaba und puah = schriftliche Mitteilungen als geläufige Begriffe vorkommen, stimmt damit auch durchaus die Nachricht des Venantius Fortunatus aus dem Anfange des 6. Jahrhunderts überein, (VII. 18) auf die barbara runa der Deutschen anspielt, die aufgezeichnet werde auf fraxineis tabellis (eschenen Täfelchen), sowie eine bisher wenige beachtete Stelle des ums Jahr 700 aufgezeichneten Beowulf, wohl die älteste innerhalb der germanischen Litteratur, wonach auf einem Schwerte mit ‘Runenstäben‘ der Name des ursprünglichen Besitzers verzeichnet stand.“
Auch den Oldenburger-Stab - wie auf den meisten anderen Runen-Stäben - stehen kleine Kreuze und zwar ganze oder halbe, teils rechts, teil links gewandt. Die ganzen Kreuze stehen beim 1. u. 6. Januar, 2. Februar, 25. März, 24. Juni, wahrscheinlich auch am 29. September, wo eine Bruchstelle die genaue Feststellung hindert, und dann wieder sicher 1. November, 25., 26. und 28, Dezember. Dabei handelt es sich um die Daten der großen Kirchenfeste. Die Halbkreuze bezeichnen die anderen Heilige-Tage bzw. Feste niederen Grades. Die Bildchen stellen zumeist die Attribute der Heiligen dar. Wie klar etliche „Heilige“ als Ersatz für die altgläubigen Götter, Heroen und guten Geister fungieren, ist beispielsweise bei „St. Alban“ („dem Weißen“) auf dem 25. Juni, als Baldur-Ersatz, zu erkennen. Die „hl. Scholastika“, am 10. Februar, fällt in die altnordische Zeit des Frauenfestes Dísablót. Ein Herz ist ihr Sinnzeichen. Auf Zeiten des Dísablóts liegen das Marienfest des 2. Februar, die „hl. Agatha“ des 4. Februar, die „hl. Dorothea“ des 6. Februar, die „hl. Apollonia“ des 9. Februar und der „Schutzpatron der Verlobten“ am 14. Februar. Auch die immer wiederkehrenden Trinkhörner (25., 26., 28. Dezember, sowie 1., 6., 13. Januar) sind Relikte aus germ. Urfestzeiten der Jul-Bier-Riten. Nicht selten auch an anderen zwischen 25. Dez und 6. Jan. liegenden Tagen, die auf die germanische Art, das alte Sonnwendfest im Winter und das Jul-Fest zu feiern, zurückgehen. Das Bild der Peitsche steht für das Ausknallen des Jul am 13. Januar, dem „Knuth-Tag“. Dann sehen wir die dreifüßigen Sessel, auf Mitte Jan., Mitte Mai und Mitte September, zu denen die drei regelmäßigen Thinge bzw. Gerichtszeiten - wie die deutschen „Dreidinge“ des Mittelalters d.h. die „stehenden-“ oder „ungebotenen Landgerichte“ - welche ursprünglich mit den drei heidnischen Hauptopfern des Jahres verbunden waren.