OTTO WEININGER

Hohes und Gutes kommt aus dem Kampf,
erwächst aus urgründigem Bösen im Streit.
Wer’s Ringen nicht kennt mit Rossegestampf,
dessen Seele ist noch vom Gipfel weit.

Der Mensch neigt zu Lüge und Tyrannei,
die Mordlust lauert aus grausigem Grund,
durch Selbstbeobachtung windet sich frei,
des heiligen Ethos glücklicher Fund.

Doch wenn der Wille die Triebe nicht staut,
ein zermarterndes Chaos die Brust zerreißt,
des Unholdes Hydra aus Winkeln schaut,
Ratschlag in Richtung des Irrsinns weist.

Bewusstsein und Sitte sie sind sich gleich,
das Unbewusste zur Macht hin drängt,
es steigt, es steigt und stößt den Deich,
bis dass es jedwede Hemmnis sprengt.

Wer solcher Suchtmächte Herr nicht wird,
für den empfiehlt sich einziger Schluss,
bevor sich der Mensch zur Untat verirrt,
befrei’ ihn heroisch im Todes-Schuss !

Der Otto Weininger verlor seinen Kampf,
als ein tragischer Edler erlitt er Verlust,
ohne Verwirrung und panischem Krampf,
zerschoss er sein Herz in zerquälter Brust.


Otto Weininger (1880-1903) war ein edler, hoch sensibler jüdisch-deutscher Philosoph, der seiner Dämonen nicht Herr werden konnte und sich zerquälten Herzens bewusst im Sterbehaus des von ihm verehrten Komponisten Ludwig van Beethoven in die Brust schoss. Er litt an seinem seelischen und körperlichen Judentum, das er mit zunehmendem Alter psychotisch zu hassen begann, verirrte sich zum Christianismus hin, der ihm aber ersichtlich auch keinen Trost schenken konnte. Seine juden-, frauen- und körperfeindliche Philosophie schlug sich im Werk „Geschlecht und Charakter“ nieder. Er war der Auffassung, je weiblicher das Weib sei, desto mehr verkörpere es eine geistlose Körperbezogenheit bzw. Geilheit. Der Jude, so beschrieb er, sei auf Grund seines „weiblichen“ Wesenskerns „stets lüstern und geil“ und „der geborene Kommunist“, von Natur aus „ein Kuppler“ und nicht eigentlich fromm, da er „gar nicht glauben“ könne. Dennoch bestünde eine Art Hoffnung, denn die jüdische Nicht-Existenz wäre ein „Zustand vor dem Sein“, weshalb die Juden „gegen sich kämpfen, innerlich das Judentum in sich besiegen“ müssten, um Menschen, also Männer, zu werden. Auch Jeshua/Jesus Christus „war ein Jude, aber nur, um das Judentum in sich am vollständigsten zu überwinden“. Daher „ist er der größte Mensch“, wie der welcher seine „besondere Erbsünde“, jene nämlich des Judeseins, durch die möglichst „vollkommene Negation“ seines unholden Wesens besiegen würde. In solcher Konsequenz blieb Weininger allein der Ausweg des Suizid. Weiningers Satz: „Die Frau ist nur sexuell, der Mann ist auch sexuell“ offenbart die ganze Problematik seiner Deutungsversuche, denen man sich nicht völlig verschließen, aber kaum in Gänze folgen kann. „Geschlecht und Charakter“ ist der Versuch einer Auslöschung und eine Erlösungsgeschichte. Die Konsequenz, die Weininger aus seinen Thesen zieht, ist logisch: Stop making sex. „Der Mann muss vom Geschlechte sich erlösen und so, nur so erlöst er die Frau. Hiermit ist die Forderung der Enthaltsamkeit für beide Geschlechter gänzlich begründet.“ Und wenn die ganze Gattung ausstirbt ? Besser so. Es „kann nicht sittliche Pflicht sein, für die Fortdauer der Gattung zu sorgen“, dozierte der junge Philosoph. So zeigt sich die Weininger-Lehre als eine Todesdroge. Otto Weiningers Bestseller wurde im Dritten-Reich verantwortungsvoller Weise verboten, das schon sehr ambivalente Gefühle und Gedanken auslösende Erfolgsbuch erlebte erst nach Kriegsende Neuauflagen.