IN BEARBEITUNG !

Die Buben Jörg Lobesam und Valentin Heß auf Wanderfahrt am 05.05.1518
 
VALENTIN HESS
 
Valentin Heß war ein Magisterlein,
Jörg Lobesam lud ihn zu sich ein,
die alte Freundschaft war ihm wert,
in Würzburg stieg er auf sein Pferd.
 
So ging’s gar bald im frohen Trab
zur Miltenburg hin, den Main hinab.
die Landschaft genoss er ohne Hast,
in Miltenberg machte er kurze Rast.
 
Bald waren die Freunde neu vereint,
so manches Tränlein wurde geweint.
Sie plauderten aus ihrer Jugendzeit,
und beider erworbenen Ehrsamkeit.
 
Tage vergingen gleich wie im Flug,
ist doch die Freude nur wie ein Spuk.
Aber Valentin nutzte den Aufenthalt,
bei Schriften hat er sich festgekrallt.
 
Auf Miltenburg saß er am Lesepult,
Geschichte studieren war sein Kult.
Er las alle Texte vom Bauernkrieg,
von Luthers Lehr’ und der Ritter Sieg.
 
Und als der Tag des Abschieds kam,
die Notizen er aus dem Ärmel nahm,
die waren für Jörgen sein Angedenk,
des Valentinus Abschiedsgeschenk.
 
Wer die eigne Geschichte nie kannt’,
der bleibt ein armer, einfältiger Fant.
Was aber einstens im Maintal passiert,
Lehrer Carl Blümlein hat es notiert.
 
VALENTIN HESS UND SEINE NACHFAHREN
 
Von einem meiner Vorfahren, dem hochgelehrten Magister Valentin Heß, heißt es, er sei das Kind einer armen Witwe zu Miltenberg am Main gewesen. Sein Jugendfreund war Jörg Lobesam, der Gerbersohn, der zu den schweren Reitern ging, es zum wackeren Obristen brachte und schließlich als Verwalter auf der Miltenburg saß. Beide hatten auf Kosten des Gerbermeisters im Kloster Miltenberg Unterricht erhalten, doch es hielt sie nicht, sie wollten in die Welt hinaus und am 5. Mai des Jahres 1518 wanderten sie gegen fünf Uhr des Morgens am verschlafenen Wächter vorbei aus dem Würzburger Tor hinaus. Von den abenteuerlichen Entwicklungen sei nur soviel berichtet, dass Jörg sich einem Fähnlein Reiter und Valentin wandernden Scholaren anschloss, die ihm zugerufen hatten: „Komm mit, Geselle, wir fahren gen Wittenberg, ein Doktor Lutherus hat dort dem Papst den Gehorsam gekündigt, die Mönche zittern vor ihm und er erklärt Gottes Geheimnisse wie ein Engel.“ Bei einem Seiler, nahe der Wittenberger Schlosskirche fand er Anstellung. Er war eine Leseratte und ein Bücherfex, bald wurde er der Schreiber seines Meisters, doch ein Doktor Valentin Schurf der Universität hatte ein Auge auf ihn geworfen, so dass er in dessen Dienste wechselte, wo er Traktätchen zu schreiben hatte und viel zulernte. Den Doktor Luther hörte er in manchen Sonntagspredigten und als er ihm eine Nachricht zu überbringen hatte, sah er ihm selbst unmittelbar in die hellen feurigen Augen. Nach dem dritten Jahr legte der Valentin Heß daselbst seine Magisterprüfung ab.
 
Unter Verwendung eines Oheims, dem bischöflichen Rat, erhoffte er Amt und Würden am Würzburger Gymnasium Stellung zu erlangen. Doch sein aufbegehrliches Wesen ließen ihn unvorsichtige Worte sagen als er in illustrer Runde beim Weinbecher saß. Der bischöfliche Sekretarius entsetzte sich gar sehr, wie beim allgemeinen Schimpfen über den Doktor Luther, den sie für den leibhaftigen Gottseibeiuns hielten, der Valentin meinte: „Das sind doch dummerhaftige Reden, man sagt so viel von ihm, so ist doch nicht alles wahr, lügt man schon von einem Dorf ins andere, warum sollte man nicht auch von Wittenberg bis Würzburg lügen !“ Er sagte es den Leuten des Bischofs gerade ins Gesicht, dass des Doktor Martinius Lehre nicht verkehrt sein könne, sie in vielen Punkte recht behalte und immer mehr Anhänger gewinne, so dass auch der Würzburger Bischof möglicherweise einmal um seinen Stuhl und seine Pfründe zittern müsse. Da erhoben sie ein fürchterlich Geschrei, sie schalten ihn einen Ketzer und drohten mit ihres Herrn Zorn und Strafe. Man sieht, es hat sich bis heute in Deutschland nicht viel geändert ! Die Flachköpfe wettern bis auf den Tag gegen jedermann dessen Geist in aller Unschuld den ihrigen überragt oder nur anderes und ungewohntes zu denken wagt.
 
Der Onkel nahm am nächsten Tag seinen Schützling ins Gebet und hielt ihm vor: „Weißt Du nicht, dass ein Edikt meines hohen Herrn befiehlt, alle, welche sich zur lutherischen Sekte bekennen, ins Gefängnis zu werfen und ihnen unverzüglich der Prozess zu machen sei ? Lege Dir zukünftig ein kräftig Schloss vor Deinen Mund ! “ Der Onkel war ihm aber doch nicht gar so gram wie es seine Reden glauben machen mochten, er vermittelte ihn als Lehrer an den Herren von Fechenbach, dessen Burg mainabwärts zwischen Miltenberg und Wertheim auf hohem Hang gebaut war. Vorbei ging es auf der Heerstraße den Main entlang, im Blick die breitbauchigen Schiffe, beladen mit dem roten Sandstein oder weingefüllten Fässern, große Floße aus langstämmigen Tannen zusammengezimmert. Wie hätte er ahnen können, dass einer seiner Nachfahren in Freudenberg selbst einmal Besitzer eines der Steinbrüche hat werden sollen, aus denen so viele wuchtige Bauten in der Mainmetropole Frankfurt errichtet wurden. Durch manches Städtchen ging die Fahrt, in Miltenberg im hochragenden Wirtshaus „Zum Riesen“ hielt er Rast und nahm Herberge, ehe er die Fähre über den Main nutzte, um die Weiterfahrt nach Klingenberg anzutreten. Schließlich erreichte er sein neues Zuhause, ein holdseliges Mägdelein und ein blondes Bürschlein erwarteten ihn an heruntergelassener Zugbrücke der Burg.  Schelmisch lachte die zwölfjährige Hilde: „Seid Ihr der Herr Magister Heß, der uns all die schönen Sachen lehren soll ? Der Vater hat schon viel von Euch erzählt, müssen wir denn auch die großen Bücher studieren, die Ihr da auf Eurem Wagen habt ? Huh, da wird mir angst und bange.“ Der Junge war des Hesselmüllers Söhnlein, mit dessen Vater der Herr zu Fechenbach in der Jugend gut Freund gewesen war, der aber nach dem vorzeitigen Tod seiner Frau, zu oft nach Würfelbecher und Weinkrug gegriffen, schließlich sogar zum Wilderer an des Herrn Jagdrecht sich erniedrigt hatte. Weit breiteten sich die Spessartberge vor den Blicken der Beschauer aus der Burg.  Ganz in westlicher Nähe lag Eschau, doch ferner in einem schmalen Tal, wo es nach Hobach und dem Höllhammer geht, lag die Hesselmühle. Seiner alten Freundschaft eingedenk hatte der Ritter von Fechenbach den Müllersohn, den Albertus, bei sich aufgenommen, auf dass etwas Gescheites aus ihm werde. Die beiden Kinder also weihte der Valentin Heß in alle Gelehrsamkeiten ein, deren er selbst kundig war.
 
Das Frühjahr Anno Domini 1525 ließ sich böse an. Die meisten Ortschaften am Mittelmain standen unter Wasser, die Schneeschmelzen in Fichtelgebirge und Spessart waren zu rasch erfolgt, dazu kamen dauernde Regenfälle. Die junge Saat war verdorben. Erst rafften Fluten, dann die Seuchen Menschen und Vieh dahin. Die Not machte die Bürger und Landsassen noch unzufriedener als sie ohnehin schon über die Privilegien der feisten Geistlichkeit und des stolzen Adels waren. Bei den Ärmsten drangen die Worte des Aufruhrs in empfängliche Ohren, das Ansehen der kirchlichen Behörden kam beträchtlich ins Wanken. Auch in Miltenberg war die Empörung so weit gediehen, dass der Kaplan offen von der Kanzel herab gegen Bischof und Papst zu wettern wagte. Da kam nach Miltenberg um Ostern herum der Hans Bermeter aus Schwabenland, das war ein gar trefflicher Musikant, war weit gereist und redete besser als eine Singdrossel zu pfeifen versteht. Gott wolle, dass alle Menschen gleich und Brüder seien und dass keiner ein Recht habe, den anderen zu unterdrücken oder gar auszusaugen. Auch von den Wucherern, zu denen der geldarme Mann getrieben wurde, wusste er ein mahnend’ Wort zu sagen. Aus dem beifälligen Gemurmel der Zuhörer wurden bald wild funkelnde Blicke, ein Fäusterecken und ein Geschrei: „Freiheit, Freiheit !“ Auf die Fenster des Gasthauses „Zum Riesen“, wo die feinen Herren abzusteigen pflegten, flogen Steine. Überall in deutschen Landen war es ähnlich, im Schwarzwald, in Oberschwaben, im Elsaß und Lothringen, im Neckartal und anderswo verlangte der gemeine Mann „christliche Gerechtigkeit“, wenn ihn die Obrigkeiten nicht ganz an den Bettelstab und ins Verderben bringen wolle. Der Bauer mochte die Regierung und Gesellschaft nicht zerstören, aber in sie eintreten ! Der unsäglichen weltlichen Herrschaft der Kirche sollte ein Ende gemacht und alle die drückenden Missstände im kirchlichen Wesen füglich ausgerottet werden. Der Ärger machte sich Luft gegen Pfründenwirtschaft, Leibeigenschaft, Fronwesen, hohe Bodenzinsen, Sonderrechte und Zölle. Kirchen und Klöster sammelten ungeheure Summen an, aber die Armen bekamen davon nichts. Als aber selbst die bürgermeisterlichen Klagen ohne echte Beachtung blieben, geriet die Welt in Flammen. Im Aschaffenburgischen, im Spessart und am ganzen unteren Main ward sie aufständisch geworden. Der große Haufen im Spessart stand unter Führung des Hesselmüllers, sie nannten sich „die rote Schar“ und ließen ein Dutzend Klöster und Schlösser in Rauch aufgehen. Auch die Burg Fechenbach gedachte ein davor lagernder Haufen „der Roten“ von um zweihundert Spießen mit stürmender Hand zu nehmen.
 
Es kam zunächst anders als gedacht, Graf von Fechenbachs Bauern hielten zu ihm, sein gerechtes Regiment zahlte sich aus. Als der Haupthaufe des Jakob Hock, des Hesselmüllers, heranwogte, glaubte er, leichtes Spiel wie bei den vorherigen Burgen zu haben, doch entschlossen wehrte sich die Burgbesatzung und Valentin Heß versah die Aufgabe des Arztes. Von des Hesselmüllers breitkrempigen runden Hut nickte eine brennend rote Hahnenfeder herab und auf dem Bauernbanner bleckte ein roter Bundschuh. Der hünenhafte Schmied Ulrich schwang ohne Achtung der um ihn prassenden Geschosse sein enormes Beil gegen ein Burgtor. Endlich war es aber doch einigen Bauern gelungen, an einer nichtbeachteten Stelle, Leitern anzulegen und ins Burginnere einzudringen. Sie schrien: „Wir haben lange genug hineingetragen, nun wollen wir auch wieder hinaustragen.“ Die Fechenbacher hatten sich mitsamt ihren Verwundeten in den Bergfried zurückgezogen und glaubten, dass sie bald in Rauch und Qualm ersticken müssten, doch die Reiter des Herrn Hans von Rieneck retteten schließlich die schon brennende Burg. Auch einige kurfürstliche Fähnlein ritten gegen die Bauern den Main hinauf. Der Herr von Fechenbach war darob nicht eitel glücklich, er meinte nachdenklich: „Wer Wind sät wird Sturm ernten. Erst straft ein Stand den anderen, und hinterdrein straft Gott das ganze Volk insgesamt, dass man all des Jammers kein Ende mehr finden wird.“ Und sein Nachsinnen erfüllte sich. Des Hesselmüllers Sohn, welcher auf der ritterlichen Seite focht, verschonte in den folgenden Geplänkel und Niederschlagungen einmal seinen Vater, der aber erstach ihn unbewusst während einem der späteren Nachtgefechte mit einer Räuberbande. Die Hilde traf ein gar arges Los, sie hatte sich in den Jugendgefährten verliebt, wurde nach seinem Tode verwirrten Geistes und starb früh im Nonnenkloster zu Miltenberg. Wie den Hesselbach’schen Spessartbauern erging es sämtlichen der zersplitterten Bauernvereinigungen im weiten deutschen Reich, vom Elsaß bis nach Thüringen. Unsäglich war der Jammer, der nach der schellen Niederwerfung über das Land kam. Über hunderttausend Männer besten deutschen Bauernblutes waren getötet oder geflüchtet und geächtet und führten erzwungenermaßen ein erbärmliches Leben als Bettler und Raubgesellen. Die Felder lagen zerstampft, die Höfe waren abgebrannt, schlimmer noch als vorher wurde der kleine Mann niedergedrückt. Aventin, der Reformator, mochte in einer Predigt des Jahres 1526 im Straßburger Münster offen ausrufen: „Die Bischöfe und weltlichen Herren sind die, welche den armen Mann bisher geschunden haben bis auf das Gebein, sie unterstehen sich jetzt, ihm auch noch das Mark aus den Knochen zu reißen.“
 
Magister Valentin Heß wurde aufgrund seiner großen Gelehrsamkeit später doch noch Sekretarius des Bischofs von Würzburg. Sein Freund Jörg Lobesam, der Reiterobrist und Verwalter der Burg Miltenberg, lud ihn auf eine längere Gastverweile zu sich, was der Valentin nur zu gern bestätigte. Bei manchem Schöppchen Würzburger Steinwein oder köstlichen Rheinweins erzählten sich die Freunde von den Erlebnissen seit ihrer Trennung. Aus dem schneidigen Reitersoldaten war mittlerweile ein gichtiger, leicht humpelnder Mann geworden, welcher sich auch zunehmend in die Geschichtsblätter der Heimat vertiefte. Und der Valentin blieb seiner Neigung zum immerwährenden Studium und seinen geliebten Büchern treu. Während des Aufenthaltes auf der Miltenburg stöberte er zu jeder freien Minute in den verstaubten Folianten und Pergamenten der dortigen bibliophilen Schätze, um sich Notizen zu machen. Beim Abschied zu seines Heimrittes nach Würzburg überreichte er dem Jörg einen Pack Blätter mit den Aufzeichnungen von denen Du - lieber Leser - eben einen Teil durchflogen hast.      
 
Bild und Inhalt: Aus des Historikers Carl Blümlein Buch „Fechenbach - Eine wahre Geschichte aus dem Bauernkrieg“, 1910, in dem er Lebensepisoden des Valentin Heß beschreibt.

 

Wappen der Familie Hess, nach dem Relief auf einem uralten Aschaffenburger Grabstein gezeichnet.