Geheime Goldhorn-Logizität
 
 
Die bedeutendsten germanischen Kulturzeugnisse der frühen Völkerwanderungszeit sind die beiden zusammengehörenden Goldhörner von Rosengaard, dem späteren Gallehus/Galgenhaus, einer kleinen Ansiedlung im deutsch-dänischen Grenzbereich.
 
Das Mädchen Kirsten Svendsdatter (s. Abbildung) fand ein goldenes Horn i.J. 1639, fast an gleicher Stelle wo i.J. 1734 ein weiteres, das „Runenhorn“, im Bereich des Landweges von Ribe nach Tondern, entdeckt wurde. Beide Goldhörner gelangten in die königl. Kunstkammer zu Kopenhagen, aus der sie 1802 von einem gewöhnlichen Dieb - dem Sohn des Kirchendieners - gestohlen und zu kleinen Buddhafigürchen eingeschmolzen wurden. Ihr Aussehen blieb nur deshalb sehr genau überliefert, weil vier zeitgenössische Kupferstiche vorhanden sind. Der reiche figürliche Bilderschmuck der Kunstwerke (Sösdala-Stil) lässt eine zeitliche Einordnung etwa um das Jahr 400 zu. Das unbeschädigte Goldhorn wog 6 Pfund, war 67,6 cm lang und an der Spitze offen.
 
Das runenlose Kultgerät war so gebaut, dass über den eigentlichen Goldhornkern 13 reich verzierte Goldreifen gestreift waren. Auch für das unvollkommene Runenhorn sind im ursprünglichen Zustand 13 Reifen anzunehmen. Der zu untersuchende Runenschriftzug lautet: ek hlewagastiz holtijaz horna tawido, d.h. ek hlewagastiR holtijaR horna tawido, zumeist übersetzt: „Ich Ruhmesgast Holtijar [Sohn des Holt] Horn anfertigte“; meine eigene exakt erklärte Übersetzung lautet etwas abweichend: „Ich [der] Ruhmesgast Holstensohn [das] Horn [namens] Waldvater anfertigte“.
 
Es scheint sich, oberflächlich betrachtet, um eine schlichte Herstellerinschrift bzw. um das Signum eines Werkmeisters zu handeln - allerdings in stabgereimter Form; dreimal erscheint der h-Anlaut. Wer Runen deuten will, darf aber nie vergessen, dass er einen Verrätselungswillen vor sich hat, dass in der Regel ein mehrschichtiges Geheimnis gelöst werden will. Auf dem zweiten Ring des runenlosen Hornes hat sich der Meister selbst - sein herrliches Werkstück, das gottesdienstliche Weihehorn tragend - abgebildet: mit vollem Kinnbart, der hohen Stirn des alternden Mannes, mit weit über den Rücken wallendem Haar und sehr kurzen Beinen; er war das, was man einen Zwerg von, ca. 1.30 m Körperkürze, nennen würde. Aber er war ein Genie, wohl einer der größten Denker die je gelebt haben.
 
Er schuf mit seinem rundum eingravierten Runensatz ein geistiges, ein mathematisches Weltwunder. Der Satz ist ein einziges fast überirdisch anmutendes Loblied auf die Zahl 13; die 13. Rune ist, je nachdem ob man unsere Runen-Buchstabenreihe von links oder von rechts zu lesen beginnt, entweder die Weltenbaum- oder die Jahres- bzw. Zeit-Chiffre. Warum die 13 ? Gott ist Raum und Zeit, das Lob der 13 war das höchste abstakte Gottesverehrungsgebet welches sich denken lässt ! Der Werkmeister verwendete Worte so und ordnete seinen Schriftzug dergestalt, dass immer wieder und wieder Vielfache der 13 entstehen. Man nennt so etwas einen durchmathematisierten Schriftzug. Mein verstorbener Freund Prof. Werner Koch (Uni. Mü.) versuche so etwas Ähnliches nachzuahmen, es gelang ihm nicht, obwohl er über Monate immer wieder darüber grübelte.
 
Der Skandinavist Prof. Heinz Klingenberg schrieb über diesen Geniestreich sein Buch „Runenschrift, Schriftdenken, Runeninschriften“, 1973; mit ihm besuchten wir die im heutigen Dänemark liegende Fundstelle, wo Steintafeln daran erinnern. Was uns der kongeniale Klingenberg erklärte war ungeheuerlich, faszinierend, erschütternd in seiner geistigen Komplexität, wir durften in Gestalt tiefer uns vermittelter Einblicke am germanischen Runendenken teilhaben.
 
Was der priesterliche Runenkünstler Holtijar auf dem Horn nebenbei vorführte - bzw. der kongeniale Klingenberg -, ist die Zahlenfolge des „Golden Schnitts“, der im Altertum bekannt war, in Vergessenheit geriet und erst von dem Italiener Fibonacci (1180-1250) wiederentdeckt wurde. Die Fibonacci-Reihe - man müsste sie von nun an eigentlich Hlewagast- oder Holtijar-Reihe nennen - hat die Eigenschaft, dass sich die folgende Zahl aus der Addition der zwei vorangegangenen Zahlen dieser Reihe ergibt. Über (oder unter) den nach Goldenem Schnitt gegliederten Buchstabengruppen lassen sich nun Sterne - Pentagramme - konstruieren, indem das geistige Auge mit den gegebenen Zahlenwerten Kreise schlägt und die Schnittpunkte verbindet (S. 336ff). Es entsteht eine Folge von Pentagrammen (Weltallsymbolen), die ins Endlose führt - sowohl ins menschlich und untermenschlich Geringe, wie anderseits ins kosmisch Weite und Göttliche. Nicht umsonst nannte man den „Goldenen Schnitt“ auch divina proportio, „göttliche Teilung“ einer Strecke. Ein Hauch der Unendlichkeit weht uns an, denn in der Holtijar-Reihe weisen die jeweiligen beiden Endwerte immer auf den nächst größeren Wert - es gibt immer noch ein Größeres, niemals ein Größtes. Solche sinnvolle Wortreihung zu erklügeln, welche diesen Buchstaben-Zahlendom entstehen lässt, muss - ohne Einschränkung - als ein geistiges Weltwunder bezeichnet werden.
 
Das Vorhaben des genialen Schöpfers der beiden Rosengaad-Goldhörner aus der beginnenden germanischen Völkerwanderungszeit, war es, so oft es nur immer gelang, die Zahl 13 einzubauen, also dergestalt zu loben. Immer wieder erscheinen gematrisch verschlüsselte Zahlen, welche keine andere Bedeutung besitzen, als dass es Vielfache der 13 sind, sich also durch 13 restlos teilen lassen.
 
Die vordergründige Satzaussage seiner den Hornrand umlaufenden (Buchstaben-Zahlen-)Inschrift besagte nur, dass der Hainpriester (Parawari) „Hlewagast“ das berühmte Horn „Waldvater“ geschaffen habe. Bekanntlich war es in alter Zeit gern geübter Brauch, den Gerätschaften und Waffen, z.B. Schwertern, Individualnamen zu geben. In dem isländ. Märchen von „Thorstein Hofkraft“, lautet eine Stelle: „Da wurden zwei Hörner in den Saal gebracht, kostbare Kleinode, dem Jarl Agde gehörig, die hießen Hwitingar, sie waren zwei Ellen hoch und mit Gold beschlagen.“ Es ist recht beachtlich, dass es sich im nordischen Märchen ebenso um ein Paar Goldhörner handelt, wie bei den echten Fundstücken.
 
Der profane Beschauer vermochte nichts weiter an der Inschrift entdecken; ihr Kredo richtet sich auch nicht an menschliche Betrachter ! Die Überirdischen lieben das Geheime; das runisch Verschlüsselte; der runische Hymnus war allein an die Gottheit gerichtet. Um diese Götter-Botschaft uns Heutigen zugänglich zu machen, musste zuerst einer kommen, der ein göttlich funktionierendes Gehirn im Schädel hat bzw. der einen ähnlich hohen Intelligenzquotienten besitzt wie jener Schöpfer der verschlüsselten Botschaft vor ca. anderthalb Jahrtausenden.
 
Die von Prof. Heinz Klingenberg geoffenbarte Mathematizität der Runeninschrift von Rosengaard zeigt sich in ihrer ganzen Kompliziertheit eigentlich darin, dass die Multiplikatoren der 13 in den Inschriftteilen (mit Zuzählung der Trennungspunkte) immer gleich der Runenanzahl in diesen vier Buchstabengruppen sind. Oder anders ausgedrückt: So oft die 13 in einer Wortgruppe enthalten ist, so viele Runen besitzt diese Wortgruppe auch. Das ist so unglaublich, dass entweder ein fast unwahrscheinlicher Zufall seine Hand im Spiel gehabt haben müsste oder aber der Schöpfer dieses planvoll durchmathematisierten Runenwerkes einen schier übermenschlich anmutenden Intellekt einbrachte.
 
Es kommt noch besser: Der gesamte Langvers ist durch Punkte in vier Abschnitte geteilt. Der erste Abschnitt zählt 13, der zweite 8, der dritte 5 und der letzte, „tawido“, 6 Runen. Im Gegensatz zu den doppelstrichigen Runen der ersten drei Abschnitte ist „tawido“ einfach geritzt, weshalb wir seine Runenzahl halbieren und auf den Wert 3 gelangen. Die Inschrift stellt ja einen geschlossenen Kreis dar - nach „tawido“ folgt wieder das zweibuchtabige „ek“ und dann das Anlaut-„h“ von „hlewagastiR“. Dieses Anfangs-„h“ hob der Werkmeister heraus, indem er bei ihm, im Gegensatz zu den beiden folgenden „h“-Anfängen, den Querbalken nach rechts abfallen ließ. Damit ergibt sich eine Zahlenreihe: 13 - 8 - 5 - 3 - 2 - 1. Was Holtijar hier vorführt - bzw. der kluge Klingenberg -, ist die Zahlenfolge des „Golden Schnitts“, wie ich es schon ausführte.
 
Wie unser Ohr gewisse durch Zahlen ausdrückbare Schwingungsverhältnisse der Töne als besonders angenehm empfindet, so erscheinen auch dem Auge bestimmbare Raumaufteilungen als besonders gefällig. Seit den Pythagoreern versuchte man deren Gesetze durch die Regel des „Goldenen Schnitts“ zu erklären: In seinem Sinne heißt eine Strecke dann geteilt, wenn ihre kleinere Teilstrecke zur größeren in demselben Verhältnis steht wie die größere Teilstrecke zur ganzen Strecke. Der Grund für seine Bevorzugung liegt aber nicht so sehr auf mathematischem als auf philosophischem Gebiet. Aus pythagoreischer Schule stammt die Lehre, dass die Schönheit und Vollkommenheit der Schöpfung durch mathematische Formen erklärbar sei. Diejenigen Dinge, an denen Figuren von mathematisch höchster Vollkommenheit zu finden sind, spiegeln danach am reinsten die durch Gott gesetzte Ordnung und Schönheit im Weltall. Da nun das Verhältnis des „Goldenen Schnitts“ an das regelmäßige Fünfeck gebunden ist, so verknüpften die alten Weisen mit ihm den Begriff der Vollkommenheit und Schönheit und projizierten diese Maßverhältnisse in die himmlische, jenseitige Welt ihrer religiösen Vorstellungen. Das Pentagramm war nach spätpythagoreischer Lehre (Lukian, De laps. 5) Symbol des Heiles und der Rettung !
 
Deshalb wölbt sich um die Rosengaard’sche Runenzeile ein ins unendlich Große wachsendes und ins unendlich Kleine weisendes Sternenzelt - bestehend aus Pentagrammen -, das nur vom mathematischen Verstande geschaut und begriffen werden kann. Ein Gotteslob, wie es irrationaler und abstrakter nicht auszudenken ist. Der Fünfstern war das Geheimzeichen der Pythagoreer und, wie wir erkennen, ebenso der germanischen Runenmeister vom Schlage des Hlewagast.
 
Nur spekulativ aber nicht uninteressant ist es, darüber nachzusinnen, dass im letzten Weltkrieg dem deutschen Hakenkreuz-Sinnzeichen die Pentagrammas der USA und der UdSSR gegenüber standen. Das Hakenkreuz als offenes, solares, implusives Lichtkraftzeichen unterlag dem Symbol der getarnten, strategischen Vernetzungen von Geheimgesellschaften.