AUSTAUSCHBARKEIT
von 5 und 6
Es ist nur folgerichtig wenn in den altertümlichsten Tarotspielen (ca. Mitte 15.Jh.), dem „Venezian.-T.“, „Visconti-Sforza-T.“ sowie „Bologna-T.“, die 6. Karte „Die Liebenden“ oder „Die Liebe“ heißt, während die Karte dieses Namens im „Minchiate v. Florenz“ die 5. ist. Da sehen wir wieder jene Ambivalenz und die Austauschbarkeit zwischen dem Sinn von 5 und 6.
Auch aus dem gezeigten Holzschnitt des „Rosarium Philosophorum“, ein zahlenmystisches Schlüsselbild ersten Ranges, ist sie herauslesbar: Drei Grundkräfte vereinigen sich in den Gestalten von Männlichem, Weiblichem, dazu dem Geistvogel der göttlichen Belebungskraft. Er und Sie reichen einander den Blütenstengel mit jeweils zwei Blüten (4 Elemente: zwei männliche, zwei weibliche) zur Kreuzung/Mischung entgegen. Der Geistvogel, der aus dem göttlich-vollkommenen Sechsstern herab fliegt, gibt die segnende 5. Blüte (Quinta Essentia) hinzu, damit sich das hexagonale Stengelgebilde der Allvereinigung bilden kann. (C.G. Jung, „Die Psychologie der Übertragung“, 1946, S. 78ff)
Dieses sich kreuzende Urpaar entspricht dem Bildkürzel der 5. Mannaz-Rune () ebenso wie beispielsweise dem 6. Blatt des „Visconti-Sforza-Tarot“, auf dem sich Mann und Frau die Hände reichen während der Vereinigungsgeist (Cupido) über ihnen seinen Pfeil nach dem Liebespaar abschießt. Unmissverständliche Aufklärung über den Symbolismus um die Gegensatzvereinigung, Mensch und Hexagramm bietet auch eine Darstellung in dem alchemistischen Werk von Michael Majer „Scrutinium Chymicum“ (geschrieben 1619, Erstdruck Frankfurt, 1678), das zur Bibliothek der Leopoldina Halle/Saale gehörte, doch (neben 8.000 anderen dort von den Russen geklauten Werken) zu den kriegbedingten Verlusten zählt. Es handelt sich um das „Emblema XXI“, das die Quadratur des Zirkels, die zwei Geschlechter zur Ganzheit zusammenfassend, zeigt. Das Menschenpaar steht inmitten des Quadrats (Sinnbild der 4 Elemente) und des Dreiecks (Vergeistigung), rundherum wird ein Zirkelschlag der Allvereinigung geführt; dessen Plangedanke sich im linken Bildvordergrund als „Hexagramm im Kreis“ verdeutlicht findet.
Das „Rosarium Philosophorum“ verspricht: „Mache aus Mann und Frau einen runden Kreis und ziehe aus diesem das Viereck und das Dreieck aus. Mache einen runden Kreis, und du wirst den Stein der Philosophen haben.“ (C.G. Jung, Psychologie und Alchemie, 1944, S.182f) Wer diese Gedankengänge durchschaut, hat auch die Grundlage der Runenzahlenordnung begriffen, denn die Alchemie benutzte nichts anderes als die Sprachbilder spätantiker Religion. Ihre Verständniskontinuitäten bezog sie direkt und bruchlos aus der antiken Alchemie, die sich vom 1.-7, Jh. n.0 datieren lässt. Praktiziert wurde sie in Tempeln und deren Werkstätten, aber auch von profanen Männern und Frauen. Bereits hier gab es ein gegenseitiges Durchdringen von Theorie und Praxis: man verband den chemisch-technischen Bereich mit einem religiösen Weltbild. Das praktische Ziel war die Transmutation („Umwandlung“) unedler Metalle in Gold oder zumindest Silber -, spirituell wurde gleichzeitig die Vervollkommnung des Geistes und die Läuterung und der Seele des Alchemisten angestrebt.
Abb.: Bild einer mystischen Hochzeit aus dem Buch Rosarium Philosophorum (Rosengarten der Weisen) ist ein lateinisches Werk aus dem 13. Jahrhundert über die Stufen der spirituellen Alchemie, die auch von den Rosenkreuzern betrieben wurde. Es wird Arnaldus de Villanova (1235-1315) zugeschrieben. Das Buch wurde 1550 in Frankfurt auch als Teil II der De Alchimia Opuscula complura veterum philosophorum mit 20 Holzschnitten aufgelegt.