Die 9. Rune:   = Vervielfachtes Geistfeuer
 
Da die Zahl 3 als erste rein männliche Ziffer galt, musste die 9 - als dreifache Triade - die „Erfüllung des Mann-Prinzips“ repräsentieren. Die Erfüllung des Mann-Prinzips heißt „Sieg“. „Sol invictus“ (lat. „unbesiegter Sonnengott“) war die Bezeichnung der personifizierten Sonne in ihrer seit dem 2. Jh. n.0 gebräuchlichen Erscheinungsform. Unsere germ. Ahnen feierten zum Kalenderstand der Sonnen-Rune ihr frühjährliches Licht-Siegefest („Sigrblot“). Die Zahl verdankt also ihre Hochschätzung zu allererst dem arithmeti­schen Umstand, dass der männliche Gottes- und Lichtwert 3 durch Multiplikation mit sich selbst 9 ergibt - so gelangte sie zur Bedeutung der „göt­tlichen Vollen­dung“ - und Gott ist Licht ! Als eine Art Vollkommenheits-Zahl existieren in ihr alle anderen und kehren in ihr wieder. Beispiele für die Hochschätzung der 9 bei Hesiod, Homer und allen nordischen Sagen ist überwältigend. Auffällig ist das völlige Fehlen der 9 in der „Jüdischen Bibel“ (Tanach), dem sog. „Alten Testament“.
 
Odins Zauberring Draupnir (anord. „Tröpfler‘) ist in der Edda-Mythologie der Ring von dem in jeder neunten Nacht acht gleich schwere Ringe abtropfen. Da 8 Ringe aus einem entstehen, sind also stets 9 Ringe real vorhanden, was als ein Gleichnis für die in 9-er Schritten abtropfende Zeit zu deuten wäre und möglicherweise auf jene alte Zeit hinweist, in der mit einer 9-Tage Woche gerechnet wurde, was einem Monat von 3x9 = 27 Tagen entspräche. Solche Zeiteinteilung ist auch noch in der keltisch-kymrischen Sprache des Wortes für Woche wythnos (acht Nächte) zu erkennen. Der siderische Monat, d.h. die Zeitspanne während der Mond seine Umdrehung gegenüber dem Fixsternhimmel vollendet, beträgt 27 Tage, 7 Stunden und 43 Minuten. Die Mondphasen wechseln jedoch nach dem synodischen Monat von 29 Tagen, 12 Stunden und 44 Minuten. Doch da der dritte Teil eines Monats von 29,5 Tagen viel näher an 10 als an 9 liegt und die Mondviertel leicht zu beobachtende Abschnitte sind - von Neumond zu Halbmond und Vollmond und zurück - während eine neuntägige Periode zwischen die sichtbaren Phasen fallen würde, wurde die 9-er Woche abgelegt oder ist vom einfachen Volk nie verstanden bzw. angenommen worden. Die 7-Tage-Woche ergibt eine einfachere Rechnung. Diese Unklarheiten, Widersprüche und Differenzen in der Monatstage-Rechnung bewogen wohl den griech. Dichter Aristophanes (um 450-380 v.0) den Göttern, in seinem Stück „Die Wolken“, Worte in den Mund zu legen, mit denen sie den Mond beschuldigen, in Kalender und Götterkult Unordnung gebracht zu haben. (Immanuel Velikovsky, „Welten im Zusammenstoss“, 1950/2005, S. 364) Egal wie man auch rechnet, es handelt sich dabei immer um Zeitgliederungen des Sonnenjahres !
 
Der Fries des um 520 auf Anweisung Theoderich I. errichteten Grabmales, dessen runde Dachkuppel von ca. 11 m Ø, 2,5 m Höhe, ca. 1 m Dicke und rund 230 t Gewicht, aus der nordischen Tradition der Hünengräber zu verstehen ist.
 
Die Ostgoten in Italien tradierten, als heidnisch-arianisch geprägte Gesellschaft, die ursprünglichen Sinnzeichen und Glaubensformen bis zu ihrem Untergang Mitte des 6. Jhs.. Der außen angebrachte horizontale Zierfries vom Grabmal Theoderich I. (451-526) in Ravenna macht für den Symbolkenner eine eindeutige Aussage. Jedes seiner Einzelsegmente umfasst 9 Sonnenzeichen in Gestalt von zentrischen Kreisen die auf der Spitze von Kegeln platziert sind, eine eindeutige Kombination, welche auch aus der völkerwanderungszeitlichen germ. Goldschmiedekleinkunst her bekannt und deutbar ist: Sonne auf Weltberg bzw. Sonnenstütze. Auch die Eindeutigkeit der Zahl 9 als Sonnen-Metapher spricht aus der Neuner-Anordnung: Gleichmäßig, von rechts und links, streben aus der Basis der Sonnenkegel jeweils 4 Sonnenwirbel zur Mitte hin, nämlich zur 9. zentral herausgehobenen Position in Gestalt eines Kreuzes, dem uralten nordischen Sonnenzeichen. Dass das Radkreuz und Kreuz die Sonne meint, ist durch ein überzeugendes Denkmälermaterial abgesichert. Allein aus dieser Motivation heraus wurde es vom Christianismus als Heilszeichen aufgegriffen und, Jahrhunderte später im Zuge der Sakralisierung der kunstgöttlich-jesuischen Passion, zum Zeichen für den röm. Galgenbaum umgedeutet. Die Autoren der zumeist üblich gewordenen Interpretationen, welche diese Form des sog. Tatzenkreuzes unbedenklich als frühchristlich bezeichnen, sind über das vorhandene Denkmälermaterial ungenügend informiert. Dazu gehören auch die banausenhaften Erklärungen bezüglich der bestenfalls synkretistischen langobardisch-allamannischen „Goldblattkreuze“ des 5-8 Jhs., die zum Teil noch den schnauzbärtigen, schlingenzopfigen Wodankopf aufgemodelt tragen. Von der Idee des von uns Heutigen assoziierten christlichen Galgenkreuzes sind alle diese Kreuzformen weit entfernt. Der Ravenna-Fries hebt durch seine belehrende Anordnung markant das 9. Zeichen als Sonnenkreuzsymbol hervor.
 
Stierkopf aus Grab von Frankenkönig Childerich I. (gestorben 482 n.0) zeigt die 9-strahlige Sonnenrosette
 
Alamannische Zierscheibe des 6./7. Jhs. mit Sonnen-Kreuz und 9 Sonnen-Runen
 
Zeiteinteilungen in 9-er Peri­oden zeigen die Feste für Apollo, die alle 9 Jahre in Delphi durchgeführt wurden. Ebenso feierte man nach 9-jährigen Fristen die großen heidni­schen dänischen und schwedischen Opfer­feste in Ledra und Uppsala, von denen Thietmar von Merseburg und Adam von Bremen berichteten. 9-tägige Andachten und 9-fache Opfer wurden dort darge­bracht. 9 Nächte hing Odin verwundet im Weltenbaum, bevor er die Runen fand (Edda, Havamál 138). 9 Nächte muss der sonnige Freyr auf die Vereinigung mit sei­ner ge­liebten Gerda warten (Edda, Skirnirsmál 42). 9 Räume im Welten­baum kennt die eddische Seherin (Völuspa 2). 9 Mütter gebären den göttlichen Lichtgeist Heim­dall (Weltleuchte), so berichtet die Edda.
 
9 Götter brachte das göttliche Ur­prin­zip der Altinder hervor (Atharvaveda XI. 4,10). 9 Göt­ter, „die Neunheit“ als Bes­tandteil des Son­­nenkörpers, schufen nach ägyptischer, heliopolitanischer The­ologie das weltliche Leben. Nach hin­duistischer Anschauung umkreist der Sonnen­gott auf seinem 9.000 Yojana breiten Wagen die Erde. Wir sehen schon, dass sich die 9 zur Sonnenzahl verdichtet, ist doch die Sonne das sichtbar­ste, komprimierteste Gottesgleichnis überhaupt. In den griechisch-ägypti­sch­en Zauberpapyri vom Beginn unserer Zeitrechnung zeigt es sich schließlich ganz unmissverständlich, da wird bei Quersummenziehungen die 9 als griech. Buchstabe Th für Theos (Gott) gedeutet und verstanden. Im Papyrus II, 125 aus Anfang 4. Jh. heißt es: „Du, größter und mächtiger Gott, [...] du hast mir als Geschenk verliehen die Kenntnis deines höchsten Namens, dessen Zahlwert 9999 ist. [...] Dich rufe ich Klarischer Apollon.“  Die QS von 9999 ist 36, die (Himmels-)Kreiszahl, wiederum mit QS 9. In anderem Papyros besteht der Geheimname des Sonnengottes aus 36 Buch­staben, die seine heilige Zahl 3663 (QS 9) ergeben und, von vorn wie von hinten gelesen, als sog. Palindrom die 36 Dekane der Ekliptik (12x3) enthalten. Der germ. Sonnengott war Frô; sein Wort bildet sich aus den Runenbuchstaben f=24 + r=20 + 0=1; die Addition ergibt: Fro=45 (QS 9). Sonnenheil liegt bei mythischer Betrach­tungsweise in der 9. Deshalb hel­fen 9 Knoten in ei­nem Band gegen Verren­kungen. Ein Neun­malkluger be­sitzt die geistige Sonnen­helle. Die Grün­donners­tag­sspeise, aus 9 Kräu­tern bereitet, ergibt „Negenstärke“, d.h. 9-fache Kraft.
 
Neun und Neu
 
Ein weiterer Verständnisbezug der 9-Zahl klingt schon in ihrem Namen an; in indo­germ. Sprachen ist eine Übereinstimmung der Wortstämme für „neun“ und „neu“ zu erken­nen. Ebenso besteht nach den Schreibungen der alten Pyramidentexte zwisch­en dem Zahlwort „neun“ und dem Wort­stamm „p´sd“  der vom Neuerscheinen der Son­­ne im Osten gebraucht wird und auch der Benen­nung des Neumondfestes zu­grunde liegt, ein Zusam­menhang. Im sehr alten Tarockspiel, „Minchiate von Flo­renz“, ist die 9. Karte „das Glücksrad“. Die 9 als Symbol der glücklichen Veränderung und Erneuerung könnte aus der Dauer menschlicher Schwangerschaft mitverursacht sein. Tatsächlich spricht die Volksmeinung von 9 Monaten bis zur Neuwerdung des Lebens. Auch in eddischer Rigsðula 6, 20 u. 33 heißt es von menschlicher Schwan­gerschaftsfrist: „liðo meirr at Þat mánuðr nío...“ „allmählich vergingen der Monde neun. Darauf brachte Amma ein Bübchen zur Welt...“. Die von gynäkologi­scher Seite errech­nete biologische Mutterschaft von ca. 265 Tagen und 9 Stunden stimmt recht gut überein mit 9 synodischen Lichtmond­monaten von jeweils 29 Tagen und 13 Stunden. Die menschliche Entwicklung im Mutter­schoße dauert den Mittelwert von 9 Lichtmonden. Solches Wissen demonstriert der Ru­nenschöpfer in sei­nem Kalenderkreis. Nach 9 Monden „gebiert“ die Große Mutter  die urmütter­liche Grundpotenz (7  > 1 ), der Himmelsvater die uranische Urkraft (8 > 2 ), der solare Siegeheros das Feuerkind (9 > 3 ). Die drei Anfangs-Runen „o, d, ing“ ge­bären wiederum nach 9 Monden dies: Die Urmutter der Mütternacht gebiert die Göt­tin der Herbst-Tagnachtgleiche (1 > 19 ), der Doppelaxt-Jahresan­fangs-Weihe­gott gebiert den Oktober-Wagenherrn (2 > 20 ) und das Januar-Sonnen­feuer-Kind gebiert den Winteranfangs-Asen-Wodin (3 > 21 ). Nicht allein mytho­logisch stimmen diese Metamorphosen, sie harmonieren auch nach arithmetisch-gema­tri­scher Logik : Die 1 entspricht jungfräulicher 7, die 8 ist Kubikzahl der 2, die 9 ist potenzierte 3 -; die 1 hat gleiche QS wie 19, die 2 hat gleiche QS wie 20, die 3 hat gleiche QS wie 21. So wie in mittwinterlicher Kalen­derspanne der Sonnensohn () dem Ur­vater () folgt, so muss auch in frühjähr­licher Werdezeit die erblühte Sonne () aus dem hoch­gereckten Früh­lingshimmel () hervorgehen, der antiken Vorstel­lung ge­mäß, dass die Luft ( > ) das Feuer (  > ) gebiert. Ein religiöser Le­gen­denkanon in Zahlen und Buchstaben !
 
Gegenstimmen
 
Es wurde behauptet, dass die 9 eine Mondzahl sei, was aber zu eng gegriffen ist. Nie hatte der launische Mond auch nur annähernd eine solche zentrale Bedeutung als Gottesmetapher wie das Tagesgestirn. Der auf weiten Strecken überholte Otto Siegfried Reuter (1856-1945) meinte mit Wilhelm Heinrich Roscher (1845-1923), die 9 sei eine Mondzahl und wurde „als solche im Altertum bezeichnet. Sie [gehört] nicht der Sonne an". Reuter ließ sich bei dieser irrigen Annahme davon leiten, dass die 9 sehr wohl eine Periodenzahl / Zeitzahl gewesen ist. Man rechnete in synodischen Mond-Etappen, deshalb von einer „Mondzahl“ zu sprechen entbehrt jeder zahlenmythologischen Systematik. Auch Wilhelm Heinrich Roscher, ein klassischer Philologe und damaliger Experte der griech. und röm. Mythologie, irrte diesbezüglich. Der ebenfalls überalterte Mythologiedeuter Ernst Siecke meinte: „Die Zahl Neun kommt bedeutsam in so vielen Sagen vor, welche sich mir […] als Mondsagen erschlossen haben […]". Nun muss man wissen, dass Siecke eine Manie entwickelte, im Kern möglichst aller Mythologien den Mond auszumachen. So schrieb er eine  Entgegnungsschrift „Hermes der Mondgott“ (1908) auf H.W. Roschers, „Hermes der Windgott“ (1878). Er gehörte der einseitigen natur-mythologischen Schule jener Leute an, die in den vorchristlich-antiken Religionen lediglich eine Naturvergötzung zustanden und in sämtlichen Kulten und Mythen Naturphänomene zu erkennen glaubten: Blitz, Donner, Regen, Wolken, Gewitterwolken, Mond, Sonne. Den Götterboten allein als Mondgott begreifen zu wollen, hieße an der komplizierten Wesenheit des Psychopompos Hermes-Mercurius vorbeizuzielen, da er primär kein „Mondgott“ war, aber sekundär auch lunarische Züge aufweist.  Schon der frühgriech. Apollonkult sprach davon, dass Apollon der Geist hinter dem sichtbaren Helios sei. In einer Schrift des spätantiken Schriftstellers Johannes Lydos (490-560) heißt es, dass „[…] die Neunzahl in besonders innigen Beziehungen zum Monde steht, bedingt sie ihn doch nach des [Pythagoreers] Xenokrates Auffassung […]". Irrtümer, fasche Ausdeutungen gab es natürlich zuhauf bereits in der Antike. Wer die Grundprinzipien der Zahlendeutung verstanden hat, besitzt ein festes Erkenntnisgerüst: Der Mond wurde schwankend doch im Schwerpunkt als weiblich aufgefasst (bzw. dem gebärenden Prinzip nahestehend), er gehört zum Vorstellungskreis der diversen Mutterkulte, aus einer Vielzahl von innigen Bezogenheiten zum weiblichen Geschlecht. Die 3 und die 9 galten immer – auch bei den Pythagoreern - als männliche Zahlen.
 
Der Mond und seine Zahlen
 
Die 4 ist eine Mondzahl, denn er hat 4 Wadel (Phasen). 7 gilt als die wichtigste Zahl des Mondes, denn alle sieben Tage ändert sich seine Gestalt erkennbar. 13 ist keine Mondzahl, obwohl 13 Monate im „Dreizehnmonatsjahr“ zur luni-solaren Jahresstabilisierung nötig sind. Die 14 Tage verhelfen dem werdenden Mond zu seiner Herrschaft. Von Neumond zu Vollmond sind es 14 Tage, 18 Stunden und 22 Minuten.15 nannte man auch „die kleine Mondzahl”, da sie der Höhepunkt der Mondmacht bedeutet. Die 27 gilt als magische Mondzahl; im Idealfall des klaren Himmels, ist der Mond 27 Tage lang sichtbar. Die 28 gehört zu den markanten Mondzahlen, sind doch die 4 Phasen des Mondes nach 28 Tagen vollkommen; der Mond ist danach - wenn  man es so sehen will - durch 28 Sterngruppen gewandert.
 
 
In der schwed. bronzezeitlichen Felsbildlage Aspebergert / Tanum / Bohuslän gibt es den sog. „Storhandgud“ der mit 4 „Wochenfingern“ die 4x7 = 28 Monatstage in Form von Näpfchen aufzuzeigen scheint. Die rote Farbausmalung ist von wissenschaftlich-touristischer Seite aus erfolgt.