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Fälscher und Betrüger Cornelis Over de Linden
 
Christliche Propagandaschrift und antideutsches Pamphlet
 
Das „Oera Linda Boek“ - kurz „OLB“ bezeichnet - oder die „Ura-Linda-Chronik“ ist ein holländischer Roman aus dem 19. Jahrhundert, der sich als Fälschung offenbart, so dass ein redlicher Mensch höchst verwundert ist, wie ein einziger vernünftiger Mensch - nach Detailkenntnisnahme - darauf hereinfallen könnte. Das Buch, nach seinem eigenen angeblichen Text vom Jahr 1256, erzählt von einer großen friesischen Vergangenheit und von einer friesischen Kultur als Wiege anderer europäischer Kulturen, insbesondere der griechischen und lateinischen. Cornelis Over de Linden (1811-1874) war der Hauptautor. Welche friesisch-patriotischen Helfer, in welcher Art und Weise ihm zur Seite standen, ist umstritten. Möglicherweise war der im Jahre 1880 verstorbene Theologe, Schulinspektor und Archivar der Provinzial-Bibliothek namens Dr. Eelco Verwijs (1830-1880) mit im Fälscherbunde, ebenso wie der Theologe und Dichter François HaverSchmidt (1835-1894). Verwijs hatte schon einmal in einem von ihm veröffentlichten Bändchen mittel-niederländischer Gedichte ein eigenes Gedicht eingeschoben und sich köstlich darüber amüsiert, dass es nicht einmal den Sprachgelehrten als Fälschung aufgefallen war. Das „OLB“ könnte ein Gemeinschaftswerk von Over de Linden und den beiden befreundeten Theologen Verwijs und HaverSchmidt sein. Die beiden letzteren haben es mitangeregt oder mitausgearbeitet und Over de Linden als Namensgeber gewonnen. François HaverSchmidt, in Leeuwarden geboren, hatte eine Mutter die aus einer Pastorenfamilie stammte. Großvater François Bekius war ein altmodischer Landprediger in Dantumawoude und das große Vorbild für den kleinen HaverSchmidt, der schon als Kind auf dem Herd predigte. Die Bewunderung für seinen Großvater war entscheidend für seine Entscheidung, selbst Pastor zu werden. HaverSchmidt begann früh - schon als 14-jähriger - zu schreiben. Aus 1849 stammt sein Gedicht „Barend Krul, groteske komische Dichtung“. 1850 schrieb der Frühvollendete eine Geschichte mit dem Titel „Leben und Tod von Jelle Gal“. Er ging zum Gymnasium in Leeuwarden und machte 1851 sein Staatsexamen für die Universität in Delft. Er verschlang viele Werke, vor allem Goethe, Heine, Schiller, Hugo und Dickens. Er hielt sogar schon Vorträge in Leeuwarden beim Gymnasium. Im Jahr 1852, als Francois HaverSchmidt 17 Jahre alt war, begann er sein Theologiestudium in Leiden, wo er 1858 den Abschluss machte. Unter der neuen liberalen Theologie in Holland, deren Zentrum damals Leiden war, litt der zunächst konservative Theologiestudent, er hatte anderes erhofft und erwartet. Es waren Vorlesungen, die der Student anhören musste, welche seine Seele bis zum Kern schockierten. Was wurde da gelehrt ? „Der Vater im Himmel existierte nicht wirklich ... Jesus war nur ein Mann gewesen. Und die Bibel war nicht unfehlbar und war sogar offen für Kritik.“ Nach sieben Jahren schloss HaverSchmidt 1858 mit einer größeren finanziellen Schuld, weil die Studenten ihre Schulden erst am Ende des Studiums bezahlen mussten. Er wollte immer noch Prediger werden, erkannte aber, dass es eine harte, einsame Lebensaufgabe war. Bekam er möglicherweise Geld von Cornelis OL für die Mithilfe an dem „OLB“ ? Die westfriesischen Regionen der Beteiligten liegen alle nicht weit auseinander: Amsterdam, Den Helder, Leeuwarden, Leiden, Deventer und über die patriotische „Friesische Gesellschaft“ knüpfte und pflegte man innige Kontakte unter Gleichgesinnten.
 
Jan Gerhardus Ottema (1804-1879) war ein niederländischer Lehrer in den klassischen Sprachen und Gymnasiumdirektor in Leeuwarden, mit romantischem Interesse an der friesischen Vergangenheit, Autor von Chroniken und begeistertes Mitglied der „Friesischen Gesellschaft“. In dieser Gesellschaft laufen die Fäden der Fälscher zusammen. Falsch verstandener Friesenstolz und Bestrebungen der Niederländisch-Reformierten-Kirche vereinigten sich zur Triebfeder für die Fälschung. J. G. Ottema gab vor, von der Echtheit des „OLB“ überzeugt zu sein und veröffentlichte im Jahr 1872 eine niederländische Übersetzung des Buches. Als Cornelis over de Linden gestorben war, kam bei der Versteigerung seiner umfangreichen Bibliothek im September 1874 das zum Vorschein, was er zur Abfassung seines Elaborates benötigt hatte. Neben den Wörterbüchern des Altfriesischen, das „Altfriesische Gesetzbuch der Rüstinger“, „Emsiger Landrecht“ und das berühmte Buch des Constantin Francois Chasseboeuf de Volney über Naturrecht und eine Menge anderer Werke die er benutzte, um die sog. Chronik schreiben zu können.
 
Die Chronik will Glauben machen, sie sei uralt und immer wieder neu abgeschrieben worden. Doch Sprachkundige erkannten sehr bald, dass neuholländische Sprachformen darin vorkommen, die bei einer echt alten Abschrift keinen Platz hätten finden dürfen. Beschönigend zu erklären, dabei zeige sich die Hand der Abschreiber, ist absolut nicht stichhaltig, denn derart uralte, würdige, als heilig gehaltene Texte werden Wort für Wort erhalten, kein verantwortungsvoller Abschreiber würde es wagen, seine zeitgemäßen Änderungen vorzunehmen. Sinn und der Zweck von Quellenwerken wären damit zunichte gemacht. Im „OLB“ wird von fremdvölkischen, nichtnordischen Heilbringern geschwärmt, den Jes-us (Jesus), Kris-en (Krishna), Bûda (Buddha) -, aber kein Wort gesagt von den germanisch-religiösen Heilskräften wie Ase (Ahnengott) Wodan, Ziu, Tiu, Ingo-Fro und Baldur. Schon daraus ergibt sich die erkenntnistheoretische Konsequenz, dass wir es hier mit einer neuzeitlichen Konstruktion zu tun haben, welche ohne alles Wissen um die wahren altgermanisch-friesischen Gottesvorstellungen bleibt.
 
Scheinargumente für die Echtheit der Schrift
 
Mit welchen Scheinargumenten für die Echtheit des „OLB“ gearbeitet wurde, erkennen wir beispielsweise anhand eines Beispiels von Frans J. Los („Die Ura Linda Handschriften als Geschichtsquelle“, 1972, S. 25). Er gibt an, Cornelis ODL  hätte von den Pfahlbauten z.B. am Bodensee noch nichts wissen können, somit bewiesen seine diesbezüglichen Erwähnungen die Echtheit des „OLB“. Bei genauer Prüfung fällt das Argument in sich zusammen, wie wir sehen: 1860 legte Over de Linden Schuldirektor Sipkens in Den Helder Probeblätter der „OLB“ vor und verschickte im gleichen Jahr Textmuster an Dr. E. Verwijs. Am 20./21. Nov. 1867 besuchte Verwijs Over de Linden in Den Helder; bei diese Gelegenheit wurde erstmal - laut Over de Linden - der ganze Text vorgezeigt. 1871 teilte Verwijs schriftlich mit, er käme nicht zur Übersetzung wegen Arbeitsüberlastung und er hätte damit den Friesologen Johan Winkler beauftragt. Dieser meinte nach Durchsicht der Blätter, die Mühe würde sich nicht lohnen. Jetzt erst erhielt J.G. Ottemar von Over de Linden die volle Sammlung der „OLB“-Blätter. Im darauffolgenden Jahr übergab Ottemar den Text mit seiner Übersetzung der Öffentlichkeit. Soweit die Angaben von Herman Wirth in „Die Ura Linda Chronik“, 1933, S. 131-135. Festzuhalten ist mithin, dass der volle Text offensichtlich bis 1871 allein in der Hand von Cornelis Over de Linden verblieb. Im deutschen Unteruhldingen - am Bodensee - hat die Forschung an den Unterwassersiedlungen seit dem Winter 1863/64 Tradition. Die ersten Pfahlbauten am Zürichsee aber entdeckte man bereits im Winter 1853/54, als ein ungewöhnlich niedriger Wasserstand verzeichnet wurde. Deshalb wollte man dem Gewässer eine größere Landfläche abgewinnen und zog Mauern und Dämme. Als die Arbeiter den Seegrund zum Füllen der neu gewonnenen Flächen abtrugen, stießen sie auf eine dunkle Schicht mit regelmäßigen Pfahlreihen und Überresten einer menschlichen Kultur. Der Schweizer Altertumsforscher Ferdinand Keller interpretierte sie als Reste von Siedlungen und prägte den Begriff Pfahlbauten. Diese Entdeckungen lösten europaweit ein großes Interesse an den Pfahlbauten sowie ihren Bewohnern aus, die in der Folge, romantisch verklärt, Eingang in die Kunst und Populärwissenschaft fanden. Der an Altertumsfunden höchst interessierte Cornelis Over de Linden musste also davon gewusst haben und hatte Zeit genug sie in sein Machwerk einfließen zu lassen. (Helmut Schlichtherle, „Pfahlbauromantik“ in „Archäologie in Seen und Mooren“, 1986)
 
Vom calvinistisch-nationalfriesischen Milieu aus dem das „OLB“ entstand
 
Der Aufstand der Niederländer gegen ihre katholischen bzw. spanischen Zwingherren des „Hauses Habsburg“ brachte die protestantische Dominanz der niederländischen Bevölkerung mit sich. Der lange Kampf zwischen den protestantischen Niederlanden und dem katholischen Landesfürsten, der gleichzeitig König Spaniens war, prägte die geistige Haltung der Holländer bis heute. In den Religionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts entwickelte und verfestigte sich der niederländische Protestantismus in Form des strengen Calvinismus. Katholiken wurden als die „Fünfte Kolonne“ des Papstes angesehen. Die Verkündung der Religionsfreiheit und der Menschenrechte erfolgte 1795. Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichstellung mit anderen Kirchen behielt die „Nederlandse Hervormde Kerk“, so der Name seit 1816, gewisse Sonderrechte. Insbesondere in Form der Beziehung von Kirche und Königshaus. In diesem Jahrhundert wurde der Mythos einer Einheit „Gott, die Niederlande und Oranien“ beschworen, die Vorstellung, dass die Niederlande unter Führung des Hauses Oranien eine besondere Mission oder Rolle in seinem Heilsplan zu erfüllen hätten. Doch im 19. Jahrhundert entstanden auch die zahlreichen Glaubensverschiedenheiten, in denen sich Revivalisten und Liberale einander gegenüberstellten. Sozialistische, antikirchliche, antichristliche Strömungen griffen um sich. In den Jahren 1834, 1840 und 1886 spalteten sich von der niederländisch-calvinistischen Hauptkirche mehrere reformierte Gruppen ab. Die reformierte „Gereformeerde Kerken“ schied sich von der reformierten „Nederlands-Hervormde Kerk“. Strenggläubige Gruppen wie die „Oud-Gereformeerden“ lehnten jede Reformgesinnung ab. Und der „Gereformeerde Bond“ gab sich noch strenger als die „Gereformeerde Kerken“. Die enge Verbundenheit zwischen dem Staat und der „Nederlandse Hervormde Kerk“ stieß zunehmend auf Widerstand. Weite Kreise wollten sich nicht mehr damit abfinden, dass der Staat in Machtvollkommenheit, durch das hierarchische Kirchenreglement, Theologieprofessoren und Pastoren ernannte, und zwar in einer vermeintlich progressiv-liberalen Richtung. Die erste Abtrennung („afscheiding“) begann 1834 und entwickelte sich allmählich zur Massenbewegung. 1869 gehörten ihr dann über 100.000 Menschen an. In diese unruhige Phase wurde der niederländische Theologe, Politiker und Staatsmann Abraham Kuyper (1837-1920) geboren, der Sohn eines Pastors und Gründer der ersten politischen Partei in den Niederlanden war, einer Partei die er „antirevolutionär“ („Anti-Revolutionäre Partij") nannte. Er trennte sich von der Amts-Kirche und versuchte die Gegner des religiösen und politischen Liberalismus zu vereinen. Er gab der neuen Kirche eine ideologische Grundlage mit dem Begriff der „Souveränität im eigenen Kreis“. Seine Politik vertrat das Recht, sich im eigenen Kreis gegen die liberalen und freidenkerischen Einflüsse des niederländischen Staates, gerade auch in den kirchlichen Bereich hinein, abzuschotten. Genau in dieser Zeit des stark aufkommenden Liberalismus und antireligiösen Sozialismus geschah die Fälschung des „OLB“ von nationalniederländischen und strenggläubigen Calvinisten, um den vom christlichen Gedankengut abdriftenden modernistischen Schäflein eine Predigt über die angeblich „uralte friesische“ Tradition der Jesus-Lehre an die Hand zu geben und sie damit auf den „rechten jesuischen Weg“ zurückzuführen. Im Zentrum der calvinistischen Glaubenslehre - in der Cornelis Over de Linden erzogen worden ist - steht die Überzeugung „Jesus Christus ist nur für die Erwählten gestorben“, eben für die welche an ihn glauben und ihn ehren. Das ist die Erklärung für die Jesus-Predigt  in der Ura-Linda Chronik des Cornelis OL.
 
Das Oera-Linda-Buch, ein nationalfriesischer Theologen-Streich
 
 
Cornelis über de Linden war ein Autodidakt, ein Vielleser aus dem niederländischen Den Helder. Seine Mutter war ultra-calvinistisch. Wohl wegen dem erzwungenen Kirchgang, hasste der Junge Kirche und Klerus, aber eben nicht die jesuische Herzensangelegenheit der Mutter. Von seinem Vater und Großvater übernahm er die Ideale hinsichtlich der alten friesischen Herkunft. Ein flüchtiger sächsischer Buchbinder namens Ernst Stadermann, der revolutionäre Gefühle hegte und viele Sprachen kannte, beeinflusste den jungen Cornelis. Er wurde Schiffsbauer, der auch Abhandlungen über den Schiffsbau schrieb. Er unternahm einige größere Reisen, sogar bis nach Hong Kong. Angetrieben von friesischem Stolz und einem feurigen Chauvinismus studierte er die alten friesischen Gesetzen und nordischen Sprachen. Während seiner Tätigkeit im „Rijksmuseum“, von 1833 bis 1873, mit den vielen Eindrücken von Zeugnissen aus der Vergangenheit, muss ihm die Idee gereift sein, seinen Niederländern ein nationales Geschenk zu machen, indem er das „Oera-Linda“-Buch („OLB“) verfasste, das er als Abschrift aus sehr alten Zeiten bezeichnete. Er wollte seine Träume in einem Dokument aufschreiben, das man eine friesische Bibel nennen könnte. So wurde er der Verfasser des Oera-Linda-Buches. Er formte 32 pseudorunische Buchstaben aus dem 6-Speichen-Rad oder Sonnenrad und stellte das Buch in Form eines Tagebuchs zusammen. Cornelis OL versuchte seine Niederschrift in einem verbutzten scheinbar altfriesischen Schreibstil zu formulieren. Das Manuskript war 1854 zumindest im Hauptstück fertiggestellt. Wie lange noch an ihm ergänzt und lektoriert wurde, lässt sich nicht sicher bestimmen. Es beschäftigt sich mit der Geschichte der Friesen ab 2.200 v.0. und erzählt von einer alten friesischen, freiheitsliebenden, nordwesteuropäische Zivilisation. Im Laufe der Jahrhunderte wurde dieses ausgedachte friesische Reich von Phöniziern, Galliern und anderen Stämmen, Völkern und Nationen erobert und korrumpiert, von denen einige aus klassischen historischen Quellen bekannt sind. Um seine Textblätter altertümlich erscheinen zu lassen, betrieb er einen arbeitsintensiven kriminellen Aufwand. Damit seine modernen Maschinenpapiere optisch einen antiken Eindruck machen sollten, hängte er sie in den Rauchfang. Untersuchungen ergaben, dass die Papiere in den 1850er Jahren in Maastricht maschinell hergestellt worden sind und zwar von der Fabrik Tielens und Schrammen. In den Texten ist die Rede vom „Lande der Fryas“, womit die germanischen Ingwäonen gemeint sind. Es stellt sich die Frage, warum „Frya“, „Flyland“ usw. immer mit dem griechischen Buchstaben „y“ geschrieben wurde und nicht mit dem germanischen „i“ ? In der urgermanischen Schrift und Sprache aber gab es kein „y“, es kam erst mit der Christianisierung und dem Aufkommen der mönchischen Lateinschifften nach dem Norden. Angeblich sei diese Urschrift „aus dem Rad herausgeschnitten“ worden, also alle Buchstaben entsprechen linearen Konstruktionen aus den Radspeichen. Over de Lindens Behauptung, er würde einen Übersetzer für die Schriften suchen, sollte zusätzlich seine Urheberschaft vernebeln. Er behauptete, dass ihm die künstlich im Rauchfang alt gemachten Blätter von seinen Vorfahren vererbt worden seien, was sich als Unwahrheit schon deshalb erweist, weil - wie gesagt - die Papiere Produkte des 19. Jahrhunderts sind. Hätte es sich um wahrhaft alte Schriften gehandelt, hätte sie der Autor nicht künstlich auf alt trimmen müssen und wollen ! Nachdem Cornelis over de Linden und seine Mittäter ihre „OLB“ fertiggestellt und lektoriert hatten, mussten sie natürlich zunächst vorsichtig prüfen, ob ihr Machwerk als echt angenommen werden würde. 1860 zeigte Over de Linden einige Blätter seiner angeblichen „Familienchronik“ einem Lehrer. 1870 meldete der Fachwissenschaftler für die friesische Sprache Johan Winkler (1840-1916) starke Zweifel an der Echtheit. Er war sicher, dass diese Texte keinesfalls aus dem Altniederländisch herrühren könnten. Der wahrscheinliche pastorale Mitautor oder junge Berater HaverSchmidt blieb lange Zeit unbeachtet. Erst kurz vor seinem Tod enthüllte Johan Winkler die Konturen einer klerikal-friesischen Verschwörung zur „OLB“-Verbreitung. Winkler war einer der Pioniere in den Niederlanden im Bereich der Namensforschung. 1885 veröffentlichte er seine 2. Studie „De Nederlandsche Geschlechtsnamen in Herkunft, Geschichte und Bedeutung“. Sein Misstrauen richtete sich gegen die „Friesische Bewegung“. Dies liegt daran, dass er das Manuskript als einfache Fälschung bewertete. Goffe Jensma (geb. 1956), Historiker und Prof. für Friesische Sprache und Literatur an der Uni. Groningen, führte in unserer Zeit umfangreiche literaturgeschichtliche Recherchen zum „OLB“ durch. Seiner Erkenntnis zufolge ist das Buch als eine humoristische Parodie anzusehen, für die nicht nur die nationalfriesische Bewegung seiner Zeit verantwortlich zeichnete, sondern auch die propagandistischen Bestrebungen der damaligen niederländisch-reformierten Kirche. Genau das vermutete ich selbst seit meinem ersten Studium der Schrift im Jahre 1980, noch zu Lebezeiten meines väterlichen Freudes Herman Wirth. 
 
Cornelius Over de Linden, als nationalfriesisch-ultra-calvinistisch erzogener Patriot, wie auch seine Helfer, Berater, Lektoren oder „Mitverschworenen“ am Werk der Fälschung haben Bezüge zur niederländisch-christlichen Reformtheologie -, sie waren Theologen ! Dr. Eelco Verwijs (1830-1880) aus Deventer war Lexikograf, hauptsächlich auf dem Gebiet Middle-Dutch, Archivar von Friesland, ab 1868 Mitherausgeber des Wörterbuchs. Sein Vater war Pfarrer und Eelco war für den gleichen Beruf bestimmt. Er setzte seine Ausbildung am Deventer Gymnasium am Athenäum in der gleichen Stadt fort, wo er Theologie studierte und Vorlesungen bei WJA Jonckbloet besuchte. An der Universität von Groningen studierte er zunächst weiter Theologie, wurde aber von Matthias de Vries, dem niederländischer Historiker, Sprach- und Literaturwissenschaftler, in Bann gezogen, und als der 1853 nach Leiden abreiste, folgte ihm Verwijs. 1857 promovierte er bei De Vries über die erste niederländische These zu einem niederländischen literarischen Thema. M. de Vries war Sohn des Pfarrers Abraham de Vries. 1858 wurde Verwijs Lehrer in den neuen Sprachen am Gymnasium in Franeker; 1862 wurde er zum Archivarbibliothekar von Friesland ernannt. 1868 kehrte er nach Leiden zurück, um als Redakteur für den von De Vries gegründeten „Nederlandsch Woordenboek“ (Niederländisches Wörterbuch) zu arbeiten. Verwijs ist eine der lebhaftesten Figuren, die in der niederländischen Literatur- und Literaturwissenschaft bekannt sind. Seine Biographen weisen auf seine Lebendigkeit und seinen Sinn für Humor hin. Er war zwar eindeutig kein profunder Sprachwissenschaftler, was ihm sehrwohl bewusst war. In letzter Zeit wurde plausibel gemacht, dass er auch eine wichtige Rolle bei der Erschaffung und Steuerung des berühmten „Oera Linda Bok“ spielte, einem angeblich alten friesischen Dokument, in dem die Friesen als Vorfahren der Prähistorie prächtig wurden zum Beispiel das versunkene Atlantis, das aber fast unbestritten als Fälschung gilt. Jensma hat gemeint, aufzeigen zu können, dass Verwijs den Originaltext von François HaverSchmidt ergänzt und bearbeitet hat und dass er das Manuskript von Cornelis Over de Linden dem friesischen Publikum zur Kenntnis gebracht hat. Seine Komplizenschaft in diesem „Witz“, der außer Kontrolle geraten ist, ist typisch für Verwijs Persönlichkeit, meinte er. Die Eigenleistung des Cornelis OL bleibt bei dieser Verständnisweise diffus, sie muss meiner Meinung nach bedeutender gewesen sein. Fest scheint aber zu stehen, dass diese drei calvinistisch und nationalfriesisch geprägten Männer mit der Ura-Linda-Fälschung verstrickt waren. (Siehe: „Bio- und bibliographisches Lexikon der niederländischen Studien“ - Karina van Dalen-Oskam, 2003/2005)
 
Die Tendenzen der Schrift
 
Die Schrift zeichnet sich durch zwei tendenziöse Merkmale aus, durch die sie die Einstellung und die Absichten des Verfassers offenlegen. Seine Texte bedienen die antipreußische bzw. antideutsche Haltung der niederländischen Zeitgenossen ebenso wie die Predigt für ein niederländisches Ur-Christentum. Was in dem „OLB“ hinsichtlich einer breitausgewalzten Jesus-Propaganda unverkennbar zutage tritt, ist der Konflikt des Autors mit der niederländischen Amtskirche und seiner Hinneigung, zu einer urchristlich-visionären Sektiererei also christreligiöser Schwärmerei. Der Autor wuchs in einer christfrommen Sippe auf. Schon in der ersten fassbaren Generation seiner Familie, mit Jan Andries-Sohn Über de Linden (ca. 1718-1794), der ein Kleriker war, trat der Missionsgedanken hervor. In Leeuwarden hatte er Anfang der 1740er Jahre ein Kirchenamt inne. Nach seiner Heirat 1745 mit Jantje vd Woud aus Harlingen zog er nach Enkhuizen, das im 18. und 19. Jahrhundert wie eine Geisterstadt von verblasstem Glanze erschien. Im 17. Jahrhundert war es eine der Städte Ost-Indien-Comany, aber ab 1650 begann dort der Niedergang. Als Jan OL ankam, gab es nur wenig Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und Material aus zerfallenen Häusern. Warum ging jemand aus vermögender Familie mit einer guten Ausbildung in eine westfriesische Geisterstadt wie Enkhuizen ? Es kann nur aus christlich-missionarischem Idealismus geschehen sein. Sein Sohn Andries (1759-1820) wurde Zimmermann, sein anderer Sohn hieß Johannes (1752-?). Dieser heiratete 1776 eine Frau aus einer „Ärzte- und Theologenfamilie“. Die Eltern müssen vor 1810 gestorben sein, denn ihre jüngste Tochter verblieb von 1810 bis 1814 in einem Waisenhaus. Bemerkenswert ist, dass sie nicht von ihrem Onkel und ihrer Tante oder von ihrem älteren Bruder Jan adoptiert wurde. Andries tat 1811 in den „pooderseed“ (ein Bürgerbund), was bedeutet, dass er als angesehener Bürger galt. In der 3. Generation ist Jan Johannes-Sohn Over de Linden (1776-1858) fassbar. Der einzige bekannte Sohn von Pieter Andries-Sohn Over de Linden (1782-?) war Andries (geboren 1810); er starb wahrscheinlich in jungen Jahren. Aus der Ehe Jan Andries-Sohn Over de Linden (1785- um1835) und Antje Goedmaat blieb wenig bekannt. Wenn Cornelis ihr einziger Sohn war, ist es bemerkenswert, dass er nicht Andries genannt wurde, nach dem Großvater, wie das üblich war. Auf einen Konflikt zwischen Jan Over de Linden und seinem Vater Andries deutet der Umstand hin, dass Jan OL „keine Religion praktizierte“, offenbar hatte er einen Konflikt mit der Amtskirche, wie das bei strenggläubig-religiösen Eiferern öfters der Fall ist. Seine Frau Antje Goedmaat war zunächst „orthodoxe Calvinistin“, änderte aber später ihre religiöse Ausrichtung. Unbekannt blieb, nach welcher sektiererischen Richtung sie tendierte. Andries Tochter Aafje hatte bereits zwei Kinder (Cornelia und Andries), als sie 1821 Hendrik Reuvers heiratete. Bemerkenswert ist, dass einer ihrer Enkel, Jacob Kofman (1843-1911), ein „getriebener“ Apostel wurde, der glaubte, dass das zweite Kommen von Christ nahe sei, während sein Bruder Hendrik (1853-1933) ein Vorkämpfer der sozialistischen Bewegung wurde. Nach den Aussagen von Cornelis OL - dem Verfasser des „OLB“ - sind die angeblich alten Texte an Hendrik und Aafje Reuvers-Over de Linden von den Vorfahren weitergegeben worden. Cornelis gab an, er hätte die Schrift im Jahre 1848 von dieser Tante Aafje in Enkhuizen erhalten. Da die Papiere aus der Fabrik Tielens & Schrammen in Maastrich aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrühren, aufgrund einiger Zeugenaussagen, um 1848-1853 erstmals auftauchten, müssen sie entweder von den Fälschern in dieser Zeit der frommen Tante Aafje, geb. Over de Linden, zugespielt worden, oder im Einverständnis des Cornelis OL erschaffen worden sein. Jedenfalls hebt sich der Schleier über einem nationalfriesisch-kirchentheologischen Komplott ! In der 4. Generation erscheinen mindestens zwei Söhne von Jan Johannes-Sohn. Zuletzt wurden in der sechsten Generation die beiden Zweige des Familienstammbaums Over de Linden wiedervereinigt, mit der Ehe von Keetje, der Tochter von Jakob (Rijkents Sohn) Kofman, dem „Apostel“, und ihrer Cousine bis zum vierten Grad Gerard Over de Linden. Wir sehen, dass es in der Sippschaft derer Over de Linden von Beginn an, bis ins 19. und 20. Jahrhundert hinein, christenkirchlich besonders engagierte Personen gab, so dass der Verfasser des „OLB“ - mit seiner Ur-Jesus-Schwärmerei - ohnehin keine Besonderheit in den bigotten Niederlanden war.
 
Die irre Jesus-Predigt der Ura-Linda-Chronik
 
Die Chronik beginnt mit einer Ermahnung für die Erhaltung der Schrift. Mehrere Mandränken bzw. Sturmfluten hätten die Niederschriften nass werden lassen, so musste der Inhalt neu abgeschrieben werden, heißt es. Nicht erklärt sich daraus, warum die Texte auf modernem Maschinenpapier des 19. Jahrhunderts geschrieben wurden, welches künstlich in Rauchfang auf alt geräuchert wurden. Am Ende der Mahnung steht wörtlich: „Geschrieben zu Ljuwert, nachdem Atland versunken ist, das dreitausendvierhundertneunundvierzigste Jahr, das ist nach der Christen Rechnung das zwölfhundertsechsundfünfzigste Jahr. Hidde zugenannt Ura Linda. Wache.“Um unserer lieben Ahnen willen und um unserer Freiheit willen tausendmal so bitte ich Euch - ach Lieben, lasset doch nie die Augen einer Pfaffenkappe über diese Schriften weiden. Sie sprechen süße Worte, aber sie reißen unmerklich an allem was uns Friesen betrifft. Um reiche Pfründen zu gewinnen, halten sie zu den fremden Königen. Diese wissen, dass wir ihre größten Feinde sind, weil wir zu ihren Leuten zu sprechen wagen von Freiheit, Recht und Fürstenpflicht. Darum lassen sie alles austilgen, was von unseren Ahnen kommt und was da noch verbleibt von unseren alten Sitten......“ Nach diesem scheinheiligen Hieb auf die Pfaffen wird dann aber keineswegs die alte pure heidnische Volksreligion dargelegt, ganz im Gegenteil, fast unmerklich wird dem Leser eine süßliche, scheinbar ur-christliche Oblate in den Mund geschoben. „Der einzige wirkliche Gott Wralda erschuf die Erde, Himmel und alles Andere erschaffen haben. Vieles hört sich wie die Erzählungen in der Bibel an. Der Sündenfall, die große alles verschlingende Flut und die Zuflucht durch eine hoch gebaute Burg statt der Arche. Dann folgen zwölf Ratschläge, ähnlich den zehn Geboten der Bibel, welche die Freiheit, Liebe und Achtung anderen Menschen gegenüber gebieten. Es folgen siebenundsechzig Gesetze zur Wahrung der Ordnung und des Allgemeinwohls aus einer völlig modernen Schau, die in alten Zeiten aber sehr viel anders ausgesehen hat. Das Gleiche gilt für die folgenden Gesetze für lokale Belange und die Seefahrt. Dann folgen Schriften von Adelbrost und Apollonia. Anschließend wird die „älteste Lehre, den Gutes minnenden Fryaskindern“ dargelegt.
 
Gott Wralda beschreibt die Chronik als Schöpfergott, ganz wie es die Bibel lehrt. Sätze wie „Wralda ist das Allerälteste; er schuf alle Dinge, ist in Allem, ist ewig und unendlich“, klingen wie aus der Bibel abgeschrieben. Oder: „Wralda ist überall einwärtig [wohl „gegenwärtig / inwendig“], aber nirgends zu besehen; darum wird dieses Wesen Geist geheißen. Alles was wir von Ihm sehen können, sind die Geschöpfe, die durch sein Leben kommen und wieder hingehen; denn aus Wralda kommen alle Dinge und kehren alle Dinge wieder. Aus Wralda kommt der Anfang und das Ende, alle Dinge gehen in Ihm auf....darum ist er allein das schaffende Wesen, und da ist nichts geschaffen außer Ihm....Aber obschon alles in Wralda ist, die Bosheit der Menschen ist nicht in Ihm. Bosheit kommt durch Trägheit, Unachtsamkeit und Dummheit....Die Menschen können viele Dinge sehen, aber Wralda sieht alle Dinge...“ Hier wird hinlänglich bekannter Bibel-Glauben als europäische Urreligion verkauft. Freilich könnten dergestalte Vorstellungen auch an eine vorchristlich-germanische Religion gebunden gewesen sein, doch dann müssten die gemeingermanischen Geist- und Seelengottbegriffe wie Wodin, Odin in den Texten auftauchen, wie ich es ab 1993 mit meinem Buch „ODING-Wizzod“ erwiesen habe. Diese sind dem „OLB“-Autor aber entweder unbekannt, oder unangenehm. 
 
Es kommt noch deutlicher, allzu propagandistisch wie es einem echten alten Heidenbuch niemals hätte einfallen können, wird eine Lanze für das „gute Jesulein“ gebrochen und das allzu bekannte christliche Evangelium - nur ein bisschen neu erzählend - gepredigt. Unter der Überschrift: „Dies sind die Schriften von Hellenia. Ich habe sie zuvorderst  gestellt, weil sie die allerältesten sind“, folgt dieser Text: „In dem Herzen des Findaslandes auf den Bergen liegt eine Fläche, welche Kasamyr [Kaschmir ?], geheißen ist. Da ward ein Kind geboren, seine Mutter war die Tochter eines Königs und sein Vater ein Hauptpriester. Um der Scham zu entkommen, mussten sie ihr eigenes Blut verleugnen. Darum wurde es außerhalb der Stadt zu armen Leuten gebracht. Inzwischen war ihm nichts verhehlt worden; darum tat er alles, um Weisheit zu erlangen und zu sammeln. Sein Verstand war so groß, dass er alles verstand, was er sah und hörte. Das Volk schaute mit Ehrerbietung auf ihn, und die Priester wurden von seinen Fragen in die Enge getrieben. Als er jährig wurde, ging er zu seinen Eltern. Diese mussten harte Dinge hören. Um seiner quitt zu werden, gaben sie ihm Überfluss von köstlichen Steinen ; aber sie trauten sich nicht, ihn offenbar als ihr Blut zu bekennen. Von Betrübnis überwältigt über die falsche Scham seiner Eltern, begann er herumzuirren. Immerfort fahrend begegnete er einem Fryas-Steurer [Seefahrer ?], der als Sklave diente; von diesem lernte er unsere Sitten und Gepflogenheiten. Er kaufte ihn frei, und bis zu ihrem Tode sind sie Freunde geblieben. Allerwärts, wo er fürderhin zog, lehrte er die Leute, dass sie weder Reiche noch Priester zulassen sollten; dass sie sich hüten sollten vor der falschen Scham, die allerwege übel der Liebe tut. Die Erde, sagte er, schenkt ihre Gaben nach dem Maße, in der man ihre Haut klaubt ; dass man darin soll schürfen, ackern und säen, so man derob mähen wolle. Doch, sagte er, niemand braucht etwas für einen anderen zu tun, es sei denn, dass es bei gemeinem Willen oder aus Liebe geschehe. Er lehrte, dass niemand in ihren Eingeweiden um Gold oder Silber oder kostbare Steine wühlen sollte, denen Neid anklebt und Liebe fliehet. Um eure Maiden und Weiber zu zieren, gibt der Fluss [Gold ?] genug. Niemand, sagte er, hat dessen Gewalt, alle Menschen maßreich zu machen und gleiches Glück zu geben. Denn es ist aller Menschen Pflicht, die Menschen so maßreich zu machen und so viel Genießen zu geben, als erlangt werden kann. Keine Wissenschaft, sagte er, darf man geringschätzen, doch gleichteilen ist die größte Wissenschaft, welche die Zeit uns lehren mag. Darum, dass sie Ärgernis von der Erde wehret und die Liebe nährt.
 
Sein erster Name war Jes-us. (hebrä. Jehoschua, griech. Jesus bedeutet „[Juden]Gott ist Hilfe“) Doch die Priester, die ihn sehr hassten, hießen ihn Fo, das ist „falsch“; das Volk hieß ihn Kris-en [Krishna ?], das ist »Hirte« [in Wahrheit der Blaue], und sein friesischer Freund nannte ihn Bûda [Buddha ?], weil er in seinem Haupt einen Schatz an Weisheit hatte und in seinem Herzen einen Schatz an Liebe. Zuletzt musste er vor der Rache der Priester fliehen, aber überall, wohin er kam, war seine Lehre ihm vorhergegangen, und überall, wohin er ging, folgten ihm seine Feinde wie fein Schatten. Was meinst du nun, dass die Priester taten ? Das muss ich dir melden. Auch musst du sehr darauf achten, fürder musst du wachen über ihr Betreiben und Ränke, mit allen Kräften, welche Wralda in dich gelegt hat.
 
Derweilen die Lehre Jes-us’ über die Erde fuhr, gingen die falschen Priester nach dem Land seiner Geburt, seinen Tod offenkundlich zu machen. Sie sagen, dass sie von seinen Freunden wären; sie trugen große Trauer zur Schau, indem sie ihre Kleider in Fetzen rissen und ihre Köpfe kahlschoren. Sie gingen in die Höhlen der Berge wohnen; doch dahin hatten sie ihre Schätze gebracht; da drinnen machten sie Bildwerke des Jesus. Diese Bildwerke gaben sie den Unarges denkenden Leuten. Zu langer Letzt sagten sie, dass Jesus ein Herr-Gott wäre; dass er dies selber ihnen bekannt hatte und dass alle, die an ihn und seine Lehre glauben wollten, nachmals in sein Königreich kommen würden, wo Freude und genießen seien. Sintemal sie wussten, dass Jesus wider die Reichen zu Felde gezogen war, kündeten sie allerwege, dass Armuthaben und Einfältigsein die Türen wären, um in sein Reich zu kommen ; dass diejenigen, die auf Erden das meiste gelitten hätten, nochmals die meiste Freude haben würden. Obgleich sie wussten, dass Jesus gelehrt hatte, dass man über seine Triebe Gewalt haben und sie lenken sollte, lehrten sie, dass man alle seine Triebe töten sollte, und dass die Vollkommenheit der Menschen darin bestände, dass er eben unverstörbar wäre wie der kalte Stein.
 
Um dem Volk nun glauben zu machen, dass sie selber also taten, gebärdeten sie Armut auf den Straßen, und um fürder zu beweisen, dass sie alle ihre Leidenschaften getötet hätten, nahmen sie kein Weib. Doch, so irgendwo eine junge Tochter einen Fehltritt begangen hatte, so wurde ihr dies schnell vergeben. Den Schwachen, sagten sie, sollte man helfen, und um seine eigene Seele zu behalten, sollte man der Kirche viel geben. Dermaßen hatten sie Weib und Kinder ohne Haushalt, und sie wurden reich, ohne zu werken. Aber das Volk ward viel ärmer und mehr elend als bevor. Diese Lehre, bei der die Priester keiner anderen Wissenschaft bedurften, als betrügerisch zu reden, frommen Scheines und Unrechtes zu pflegen, breitete sich von Osten nach Westen aus und wird auch über unser Land kommen.
 
Aber wenn die Priester wähnen werden, dass sie alles Licht von Fryas und von Jesus’ Lehre ausgelöscht haben werden, dann werden an allen Orten Menschen aufstehen, die Wahrheit in Stille unter sich wahrten und für die Priester verborgen haben. Diese werden sein aus fürstlichem Blute, aus priesterlichem Blute, aus slawonischem Blute und aus Fryas Blute. Diese werden ihre Lampen [das Originalwort ist „Foddikum", dessen Bedeutung dem Übersetzer fremd war] und das Licht hinaustragen, so dass allmänniglich Wahrheit sehen mag. Sie werden Wehe rufen über die Taten der Priester und Fürsten. Die Fürsten, die Wahrheit minnen und Recht, die werden vor den Priestern weichen. Das Blut wird strömen; aber daraus wird das Volk neue Kräfte sammeln. Findas Volk wird seine Findigkeit zu gemeinem Nutzen anwenden und Lydas Volk seine Kräfte und wir unsere Weisheit. Dann werden die falschen Priester von der Erde weggefegt werden. Wraldas Geist [Allvater ?] wird allum und allerwege geehrt und angerufen werden. Die Gesetze [êwa], welche Wralda am Anfang in unser Gemüt legte, werden allein gehört werden; da werden keine anderen Meister, noch Fürsten, noch Obmänner sein, als diejenigen, die bei gemeinem Willen geküret sein werden. Dann wird Frya jauchzen und Irtha [Erde ?] wird ihre Gaben allein schenken dem werkenden Menschen. - Dies alles wird anfangen viertausend Jahre nachdem Atland versunken ist [Herman Wirth gibt das Jahr 1800 n.0 an], und tausend Jahre später wird da länger kein Priester noch Zwang auf Erden sein."
 
Keinem alten heidnischen Wissenden wäre es in den Sinn gekommen, den ihnen fernliegenden hebräischen [aber antisadduzäischen] Jesus-Kult dergestalt über den grünen Klee zu loben. Er hätte von den Großen seines Friesenlandes gesprochen und von den Götterkulten Germaniens. Auch die Idee der Eschatologie bzw. die apokalyptische Vorstellung einer großen Endschlacht, mit dem sich anschließenden ewigen Friedensreich, entspricht altjüdisch-biblischen Mustern, ist aber völlig untypisch für das Heidentum, welches in immer wiederkehrenden Weltwerderhythmen dachte.
 
Die angeblichen „Ura-Linda-Runen“
 
Als der auffälligste Humbug darf die dargelegte Runenschrift-Entwicklung aus dem Speichenrad bezeichnet werden. Wir wissen wie sich die Runenzeichen als Bilderschriften / Schriftbildchen, also Hieroglyphen, entwickelt haben, oder als Schriftbilderzyklus von einem Schriftsystemerfinder zur ganz bestimmten, sinnvollen (!) Reihenfolge entwickelt wurden. Dass die Runenzeichenschrift rein graphisch, ohne jeden geistigen Sinn und Gehalt der einzelnen Buchstaben, von einem Erfinder gezeichnet sein sollen, rechne ich als einen der stärksten Beweise dafür, dass wir es mit einem neuzeitlichen Elaborat zu tun haben. Auffällig an der angeblich alten „Rad-Runenschrift ist das Fehlen des Schlingenzeichens des Runen-Buchstabens „o“. Dieses Schlingenzeichen taucht schon auf nordischen Scherben aus der Steinzeit auf und ist für die echte Runenschrift, sowie für die ihr zugrundeliegende Mythologie, derart bedeutsam, so dass sein Nichtvorhandensein schon aus sich allein die Ura-Linda-Runen als Neuzeitfälschung beweisen muss. Das „o“-Zeichen im „OLB“ ist der lateinische Buchstabe in Kreisform. Das was manche Urteilsunfähigen „die Ura-Linda-Runen“ heißen hat mit den germanischen Runen rein nichts zu tun, es handelt sich dabei um primitiv aus dem Sechsspeichenrad herausmanipulierten lateinischen Buchstaben. Diese neuzeitlich erfundenen linearen Buchstabengebilde „Runen“ zu nennen stellt eine gerade unglaubliche Täuschung der Informationssuchenden dar. Auch, dass Herman Wirth daran nicht lauthals Anstoß nahm und sich als Runenfachmann davon nicht deutlich distanzierte und als eines der unabweisbaren Argumente gegen die vorgebliche Echtheit der Texte begriff, muss gerügt werden. Neben dem typisch klerikalen Aufhetzen der germanischen Völker gegeneinander (Friesen gegen Sachsen/Deutsche), wie es in der Ura-Linda-Chronik geschieht, wird auch noch eine falsche Fährte hinsichtlich der germanischen Runen-Schriftzeichen gelegt. Ein typisches Pfaffenwerk also ! - Die „Ura-Linda-Chronik“ lässt sich streckenweise argumentativ in die Tendenz einer unseligen deutschen Tradition einfügen, das Christentum und seinen vermeintlichen Begründer, „Jesus-Christus“, als Arier hinzustellen, um die schmerzhaft empfundene Widernatürlichkeit dieser Religionsform für Europa schmackhafter zu machen. Auch Hermann Wirth gehörte zu denen, die - mit mutterkultischem Schwerpunkt zwar - das Christentum im völkischen Sinne umzudeuten versuchten und einen „nordischen Ursprung“ des jüdisch-biblischen Monotheismus propagierten. Das ist ein Irrweg, der, weil keine echten Quellen für ihn sprechen - auf die Hilfe durch Manipulation und Fehldeutungen aller Schattierungen angewiesen ist.
 
Der irre Deutschenhass der Ura-Linda-Cronik
 
Das „OLB“ konstruiert einen Unterschied und sogar einen kriegerischen Gegensatz zwischen Niederländern bzw. Friesen und ihren östlichen Nachbarn, dem sächsisch-deutschem Volkstum, einen Widerstreit den es historisch nie gegeben hat, der aber typisch für das niederländische Empfinden des 19. Jahrhunderts war, in dem die „OLB“-Fälschung verfasst worden ist. Das Friesentum ist politisch viel eher vom Süden aus, nämlich den imperialen, auf christenkirchliche Gewaltmission setzenden, fränkischen Karolingern, bis hin zu den allerkatholischsten Königen Frankreichs bedroht worden. Wie erwähnt, setze sich ab 1922 der mutterkultisch ausgerichtete Enthusiast Herman Wirth für die Echtheit des „OLB“ ein. Um es zu wagen, die Texte seinem deutschen Publikum anbieten zu können, musste er alle antideutschen Passagen fein säuberlich wegschneiden. Was ihm „unpassend“ schien, verfiel der Zensur. Als Fälscher blieb H. Wirth - leider muss man es sagen - auch auf anderen Gebieten der Vergangenheitsforschung nicht unschuldig. Kaum eine weitere Veröffentlichung Herman Wirths provozierte so viel Protest der Fachkundigen wie diese selektive Übersetzung und Kommentierung, die sehr bald korrekt als Fälschung bezeichnet worden ist. H. Wirth schrieb dazu: „Diese Chronik hatten wir Utrechter Studenten von unserem Professor J.W. Muller in einem Kolleg 1904 als eine amüsante Fälschung kurz erwähnen hören und autoritäts-pflichtmäßig mit belächelt. Die Runenschrift sollte aus einem Rad entstanden und mit der Sonne herumgeschrieben worden sein. Und dieses Rad wäre das älteste Sinnbild eines monotheistischen Gottesbegriffes gewesen usw. Nun hatte ich 1923 / 24 schon auf Grund früh- und vorgeschichtlicher Denkmäler, die in diesem Zusammenhang nicht erkannt bzw. unbeachtet geblieben waren, die Überzeugung gewonnen, daß die germanische Runenschrift ursprünglich eine kalendarische Kultsymbolik gewesen sein müßte, eine Jahressymbolreihe eines achtfach geteilten Kalender-‚Rades‘, einer Kalenderscheibe. So horchte ich hell auf, als mir auch damit Mullers Kolleggeschichte wieder in Erinnerung zurückgerufen wurde. Denn die Chronik erzählte mir da, was ich mein ureigenstes Arbeitsergebnis wähnte.“ Aber der unvereinbare Widerspruchzwischen dem einen und dem anderen hätte H. Wirth eigentlich sofort klar sein müssen. Entweder ist die Runenschrift aus einem starren Radmodell konzipiert, oder sie ist aus treffsicheren Bildkürzeln ersonnen worden, um die kalendarisch-jahresszeitlichen Unterschiede schon in Gestalt ihrer Zeichen auzudrücken, wie es H. Wirth später ausführte, nämlich in Form von angehobenen (Frühlingszeichen) und gesenkten Armpaaren (Herbstzeichen). Wäre H. Wirths Runentheorie richtig, könnten die Buchstaben niemals aus dem Rad erdacht worden sein, denn mehrere Runenzeichen, wie das A, das F, die Ing-Raute oder -Kreis sind aus der Radkreisspeichen nicht ableitbar.
 
Zudem spricht aus den bösartigen Textstellen, die krass antideutsch sind, die typische antipreußische Haltung der Niederländer des 19. Jahrhunderts. Die Deutschen werden als ein hässliches, räuberisches Bastardvolk gekennzeichnet. Das heißt es z.B., nahe den Südwestdeutschen, die „wüst aussehen“, wohnten Menschen in „Häusern auf Pfählen“, aber das sei kein „Fryasvolk“, „es waren schwarze und braune Menschen“. Herman Wirth hat bei seiner Übersetzung all diese anstößigen Passagen einfach weggelassen, sie salopp und kurzerhand als „späte Einschübe“ deklariert. Sie sind aber ein weiteres klares Merkmal für das neuzeitliche Machwerk, denn die alten Friesen fühlten sich nicht im Gegensatz stehend, zu den übrigen Germanen östlich der Schelde und des Rheins. Am 4. Mai 1934 wurde Herman Wirth in einer öffentlichen Debatte im Auditorium der Universität Berlin in Anwesenheit von Tausenden von Zuhörern von vier Germanisten und Historikern wegen des negativen Tones der Chronik in Bezug auf das deutsche Volk als leichtfertiger Fälscher vorgeführt. H. Wirth vermochte keine überzeugenden Argumente dagegensetzen; sein Bild blieb geradezu kläglich. Umso beschämender ist es, wenn auch heute noch in sog. patriotischen Kreisen deutscher Menschen die Ura-Linda-Chronik im Sinne der niederländischen Fälscher und des Herman Wirth verteidigt wird. Da Heinrich Himmler bedingungslos auf faktenbasierenden Aussagen seiner Forschungseinrichtung „Ahnenerbe“ bemüht war, um ihre wissenschaftliche Reputation nicht zu gefährden, beauftragte er den Germanisten Otto Maußer (1880-1942) die Arbeit von H. Wirth zu begutachten und eine kritische Ausgabe der Ura-Linda-Chronik herauszugeben, die durch den frühen Tod nicht zu Ende gebracht werden konnte.
 
Der hanebüchene Unsinn über die Deutschen lautet in dem Machwerk „Ura-Linda-Chronik“ so: „Die Twiskländer [die Deutschen], das sind verbannte und entlaufene Fryaskinder [Friesen], aber ihre Frauen haben sie von den Tataren geraubt. Die Tataren sind ein braunes Findavolk [Finnen], so genannt, weil sie alle Völker zum Streite herausfordern. Sie sind alle Reiter und Räuber. Dadurch sind die Twiskländer [die Deutschen] ebenso blutrünstig geworden (und kommen) heutzutage dreist über den Rhein, um zu morden und zu rauben. Unter ihnen sind rote, braune und blonde. Diejenigen, welche rot oder braun waren, beizen ihre Haare mit Kalkwasser blond. Da ihr Antlitz aber dabei braun blieb, so wurden sie dadurch desto hässlicher.“
 
Vom hellen hohen Erscheinungsbild der Germanen
 
Welch einen Unsinn der Ura-Linda-Verfasser da zusammenschrieb erfahren wir im Vergleich mit echten Autoren-Aussagen der Antike und des Mittelalters: Die ersten Germanen, deren sich römische Heere zu erwehren hatten, die Kimbern und Teutonen, wurden bei Plutarch in dessen „Marius“ (XI) beschrieben, als Menschen von hohem Wuchses mit blondem Haar und blauen Augen. Der hohe Wuchs der Kimbern ist auch von Plutarch erwähnt worden. Die Völkerwanderung verbreitete dann diesen Menschenschlag des Germanentums über ganz Mittel-, West- und Südeuropa bis nach Nordwestafrika. Die bedeutende Körpergröße der Sweben erwähnt schon Caesar. Den hohen Wuchs aller Germanen erwähnt Tacitus 90 n.0 und später, im 6. Jahrhundert, der byzantinische Geschichtsschreiber Prokop im „Goten- und Wandalenkrieg“ I, 2, 2), Livius erwähnt den der Bastarnen, Ammianus Marcellinus den der Alemannen. Sidonius Apollinaris berichtet von den 7 Fuß hohen („septipes“) Burgunder. Den hohen Wuchs schon der Knaben und Jünglinge führt Tacitus bezüglich der Bataver an. Die Einleitung zu dem „Salischen Gesetz“ („Lex Salica“) der Franken, ca. im 6. Jahrhundert verfasst, nennt die Franken hochgewachsen. Die Einleitung zum „Salischen Gesetz“ hebt auch ihre Hellhäutigkeit („candor“) hervor.
 
Der hohe Wuchs wird auch noch von den mittelalterlichen deutschen Nachkommen der Germanen aus der Zeit der „Schlacht von Tours und Poitiers“, im Jahre 732, berichtet. Den Ostfranken („gens Austriae“) schreibt Rodericus in seiner „Geschichte der Araber“ (XIV) kraftvollen Körperbau zu, die Deutschen ragten hervor durch Herzhaftigkeit und Gestalt („corde et corpore praestantissima“). Die hohe Gestalt der Deutschen und der niederfränkischen Flamen erwähnt auch noch der aus dem 14. Jahrhundert stammende provenzalische „Elucidari de las proprietatz de totas res naturals“.
 
Die hellen Augen der Germanen, meist als blaue Augen beschrieben, erwähnen mehrere lateinische Schriftsteller. Die lateinischen Eigenschaftswörter zu ihrer Kennzeichnung sind meistens „caesius“ und „caeruleus“; das griech. Wort ist „glaukós“. Sidonius Apollinaris vergleicht die Augen der germanischen Heruler in seinem Briefe aus Burdigala (VIII, 9, 5) mit der Farbe tief wurzelnden Seegrases („algoso prope concolor profundo“). Diese hellen Augen der Germanen waren gefürchtet wegen ihrer Schärfe („acies oculorum“ bei Caesar, „Gallischer Krieg“ I, 39): die römischen Soldaten mussten an diese scharfblickenden Augen erst gewöhnt werden. Auch Tacitus, „Germania“ 4, spricht von den drohenden Augen der Germanen („truces oculi“). Hiermit ist der „schreckliche Blick“ gemeint, der innerhalb der nordischen Rasse manchen Menschen eigen ist. Bei dunklen Rassen wirkt die Augenmitte, Sehöffnung und Regenbogenhaut, die Iris, als eine dunkle Kreisfläche und hat darum weniger Ausdruckskraft.
 
Die hellen Haare der Germanen werden als „flavus“ oder „rutilus“ bezeichnet, wobei „flavus“ eine helleres, „rutilus“ ein mehr rötliches Blond anzudeuten bestrebt sind. Die hellenischen Schriftsteller gebrauchen die Wörter „xanthós“ und „pyrrhós“, deren Farbwerte verhalten sich zueinander etwa wie „flavus“ zu „rutilus“. Dunkle, ja schon bräunliche Haarfarbe muss unter den Freien aufgefallen sein, denn sie wird öfters besonders erwähnt und gilt ja auch bis etwa um 1600 bei allen Völkern germanischer Sprache als häßlich. Bezeichnend ist die nach verschiedenen Seiten des germanischen Wesens zielende Bedeutung des englischen Wortes „fair“, das sowohl „blond“ wie „schön“ wie „ehrenhaft“ bedeutet, und bezeichnend, dass der sehr hochgewachsene dunkelhaarige deutsche Kaiser Heinrich III., zubenannt „der Schwarze“, von dem Geschichtsschreiber Lampert von Hersfeld als „zwar dunkel, aber doch schön“ geschildert wird. Die Blondheit der Germanen wird auch durch Funde von Moorleichen wieder erwiesen, die meist blonde und rötliche Haarfarbe zeigen. Zum Kampfe färbten anscheinend gerne einige keltische und germanische Stämme das Haar rot, wahrscheinlich um die schreckenerregende Fremdartigkeit für dunkle südeuropäische Gegner zu verstärken. Ammianus Marcellinus (27, 2, 3) schildert badende Germanen, Alemannen, die ihr Haar vor einem Kampfe rot färben.
 
Die helle Haut der Germanen gehört zum Merkmalbilde eines blonden, helläugigen Menschenschlags. Sie wird aber besonders erwähnt von dem römischen Naturforscher Plinius dem Jüngeren, der die Nordeuropäer in der „Historia naturalis“ II, 80) blond und hellhäutig („candida cute“) nennt, ferner von dem Kirchenvater Hieronymos (etwa 340-420) in dessen „Vita Hilarionis“ (22): dort wird die Hellhäutigkeit („candor corporis“) der Germanen betont. Die Germanen selbst schätzten ihre helle Haut hoch, besonders beim weiblichen Geschlecht. In der Edda wird die Riesentochter Gerda - ein Synonym für die Erdmutter - beschrieben, deren „weiße Arme See und Land erleuchten“. Die „schneeweißen“ Arme germanischer Frauen werden in Dichtungen öfters gepriesen, ein Zug, der auch in der Frühzeit, ja noch in späteren Zeitabschnitten anderer Völker indogermanischer Sprache wiederkehrt, so auch bei Persern, Hellenen und Italikern. Den Südländern fiel besonders die leuchtende Rosigkeit der Haut auf, der Zug, der mit „Milch und Blut“ gekennzeichnet wird, ferner das Durchschimmern des Blutes und der Adern der bläulichen Venen durch die Haut, ein Zug, der auch die Bezeichnung vom „blauen Blut“ des Adels bewirkt hat: der gotische Adel des mittelalterlichen Spaniens fiel den dunklen Spaniern durch sein „blaues Blut“ („sangre azul“) auf. Der spätlateinische Dichter Venantius Fortunatus, schilderte bei einem Germanenmädchen den Reiz, der im Gegensatz des hellen Halses zu den rosig leuchtenden Wangen beruhe. Er hat ein Gedicht verfasst über den zu seinen Lebzeiten erfolgten Fall des Thüringerreiches, das 531 der fränkischen Herrschaft unterworfen wurde, das Gedicht „Ad Amalafridum“ („De excidio Thoringiae“). Darin findet sich die Schilderung von Frauen des thüringischen Stammes, die bei einer Belagerung umgekommen waren: „Ihr goldiger Schimmer des Haars übertraf das Gold selbst, Frauen, so weiß wie Milch, lagen zu Boden gestreckt.“ Dichtungen des 9. Jahrhunderts in frühmittelalterlichem Latein beschreiben Züge der Gemahlin Karls des Großen, Liutgardis, und seiner Töchter. Hier wird wieder, und zwar bei Liutgardis, der reizvolle Gegensatz des hellen Nackens gegenüber der rosigen Gesichtshaut betont, die „schneeweiße“ Schläfe und über ihr das rötlich-blonde schimmernde Haar. Die Haare der Töchter werden weißblond genannt („niveis capillis“), ihr Glanz sei stärker als der des Goldes. (Textentnahmen aus Prof. Dr. Hans F. K. Günther, „Herkunft und Rassengeschichte der Germanen“, München: J. F. Lehmanns Verlag, 1935)