Das Wort „Naturreligion“ geistert durchs Neuheidentum wie ein gewichtiger Wertbegriff, der in sich schon eine Konzeption beinhalten würde. Bei genauerem Hinsehen verlieren sich jedoch rasch die Konturen, Unschärfen werden sichtbar und eine Fülle unbeantworteter Fragen eröffnen sich. Unter Naturreligion wäre, dem Wortsinne nach, die religiös-gründliche Rückbindung oder Verankerung in der Natur als Sinngeber eines höchsten Wertes gemeint. Oberflächliche Verständler drücken damit ihr bei Naturbetrachtung aufwallendes Wohlgefühl aus, andere erkennen die Natur als ihre Lebensbasis und meinen im religiös überhöhten Engagement des Selbstschutzes Naturerhaltung betreiben zu sollen. Dass der Mensch als pflanzengleiches Naturprodukt, seinen Mutterboden erhalten muss, um in einer ihm bisher vertrauten Art weitergedeihen zu können, ist sicher unstrittig. Ob aber diese „Feldbestellung“, diese „Reinhaltung seiner Wohnung“, mit den herkömmlichen Verständnisformen von Religion etwas gemein hat, sollte sorgsam geprüft werden.
 
Die Natur ist das Da-Sein welches das Menschentum in seiner ganzen Fülle mit umfasst. Der Mensch ist nicht nur der Naturbetrachtende, sondern auch ganzheitlich der Naturseiende. Zwischen Mensch und Natur gibt es keinen Widerspruch und somit nichts Trennendes. Der Sinn der Natur scheint vordergründig nichts als Dauer zu sein. Die Wissenschaften der Entwicklungsgeschichten von Erde und Erdbewohnern lehren es uns. Danach wäre des Menschen Hauptantrieb ebenfalls nichts als Dauer ! Um zu überdauern ändert sich Da-Sein, es passt sich an, findet immer neue Wege vom Gestern zum Morgen. Eine weitergehende Antwort ist die Natur nicht fähig uns zu geben !
 
Auf die großen Menschheitsfragen: „WOHER, WARUM, WOHIN“ - oder zusammengefasst: „WO LIEGT DER SINN ?“, wurde uns durch Naturbetrachtung bisher keine Auskunft zuteil, und wird, nach Lage der Dinge, auch niemals zuteil werden können. Dabei handelt es sich um jene Urfragen des vernunftbegabten Menschen, die von Beginn an den Weg zur Religion gewiesen haben. Wollte man Religionsentwicklung allein aus der Psychologie und Psychotherapie begreifen, fände sich schon hier genügend Legitimation. Religion war allezeit Sinnstiftung, Seelentrost, Mutmachung sowie Zuchtregel zum Leben ! Religionen boten und bieten unverändert und unerschütterlich durch ihre Lehren von Gott (Göttern) und Mythus (Heilspläne) Lebenshilfen, Überdauerungshilfen für jeden Einzelnen und für Gesellschaften an. Es geht dabei im Eigentlichen nie um das was wir im mathematischen Sinne beweisbare Wahrheit nennen würden, sondern um den Pegel der daraus resultierenden Hilfe für die Menschheit. Es wäre kindhaft naiv in diesem Zusammenhang die Wahrheitsfrage zu stellen. Was dürfte denn überhaupt als „wahrhaftig“ gelten, in der großen Relativität des Lebendigen, wenn nicht die Hilfen zum Leben ?! So ganz allein lautet die strenge, die unerbittliche Frage nach Wert oder Unwert einer Religion: Nützt sie dem Leben - einem bestimmbaren Leben - oder beschädigt sie es ?
 
Die Natur um uns, wie auch unsere eigene irdisch-elementige Menschennatur, vermochten aus ihrem gegebenen So-Sein heraus, keine Befriedungsangebote auf  die Ungewissheiten des Menschen, auf die Fragen nach seinem Sinn und Zweck, zu liefern. Diese Antworten erwuchsen aus anderen Bereichen, und zwar aus jenen, die man dem stofflichen Wesen der Erdnatur und ihrer Gebilde, geradezu konträr gegenüberstellte: aus dem Seelisch-Geistigen. Der Mensch erkannte den oft schmerzhaft empfundenen Gegensatz zwischen seiner der Erde verfallenen Leibnatur, mit den Bedürfnissen des Leibgemütes, und seiner ebenmächtigen „Gottesseele“, die ihn zum körperfernen Sinnen auf die Sternenbahnen hinaufzuziehen scheint. Es muss etwas sein in uns, so fühlt es der grübelnde Geist, das erweist sich oft und oft stärker als aller Wille zur Leiblichkeit und Stoffnatur. Dieses unbekannte Etwas, die Wirkkraft hinter, oder tief drinnen in der Materiehülle,  nannte er „Seele“. Der naheliegende Schluss bot sich an: Hat der Mensch eine Seele als unsichtbar-verborgene „Kernenergie“, wird auch die übrige Natur beseelt sein und die Seele des Alls, die Weltseele, wäre dann als Gott zu definieren. Dort, so bot es sich an, zu glauben und zu hoffen, wäre der uns ungeoffenbarte Sinn von Mensch, Mitgart und Kosmos zu vermuten. Jedem äußerlich sichtbaren und erfahrbaren Ding, so lautete die Lehre, läge ein innerer Wesenskern zugrunde, eine geistige Ursache derselben, deren Qualitätsmerkmale verantwortlich sind für die Art der Erscheinung in der sinnlich erlebbaren Welt. Aus solchen seelisch-geistig-transzendenten Bereichen erwartete der Mensch - der religiöse Mensch - die Erklärungen der Welträtsel. Die großen Religionsverkünder bedienten nur diese immer vorhandenen Nachfragen mit ihren verschiedenen Verkündigungen. Nicht aus der sinnlich erfahrbaren weltlichen Stoffnatur erwuchsen die Impulse zu Religionsgründungen, sondern aus der Geistnatur, also dem inneren Kosmos des Menschenhirns. Der Mensch schuf sich, oder spiegelt im Geiste, die Götter als Wesenheiten seiner zutiefst innewohnenden Wahrheiten. Nicht also das Außermenschliche die oft genug grausam-chaotische Mitnatur, war und wird sein die Quelle von Religion und Ethos, vielmehr immer nur die gefügte sittliche Ordnung jener höchsten innermenschlichen Welten.
 
Eine neoheidnische „Naturreligion“, welche ohne das auszukommen gedenkt, was Menschenverstand allezeit hinter der Natur vermutet hat, nämlich Urkraft, Beseelung, Gott, verdiente die Bezeichnung Religion nicht. Es liefe auf eine Materieanbetung hinaus, es würde sich um eine Naturvergötzung handeln. Mit dieser Auffassung finden wir uns deckungsgleich mit den großen vorbildgebenden Köpfen unserer Völker: Die „natürliche Religion“, von der Goethe ganz im Sinne von Rousseau sprach, bedürfe eigentlich keines Glaubens, denn die Überzeugung, dass ein großes, hervorbringendes, ordnendes und leitendes Wesen sich gleichsam hinter der Natur verberge, dringe sich einem jeden auf. Und wieder Goethe: „Der Mensch, wie sehr ihn auch die Erde anzieht..., hebt doch den Blick forschend und sehnend zum Himmel auf... In dieser Ahnung liegt das Geheimnis des ewigen Fortstrebens nach einem unbekannten Ziele..“  Oder: „Wir können bei Betrachtung des Weltgebäudes in seiner weitesten Ausdehnung, in seiner letzten Teilbarkeit uns der Vorstellung nicht erwehren, daß dem Ganzen eine Idee zum Grunde liege, wonach Gott in der Natur, die Natur in Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit schaffen und wirken möge.“
 
Dass auch unsere germanischen Vorfahren keine wesentlich andere Natur- und Gottesschau besaßen, geht aus Tacitus Germania 9, hervor: „Die Götter in vier Wände einzuschließen oder in Menschengestalt darzustellen, entspricht nicht den germanischen Anschauungen von der Hoheit der Himmlischen. Wälder und Haine sind ihre Heiligtümer, und mit göttlichen Namen belegen sie jenes Geheimnis, das sie in gläubiger Verehrung erahnen.“ Nicht die Natur an sich hielten unsere Ahnen demnach für heilig, sondern die Gottheiten im Heiligtum der Natur. Ein neukeltisch-germanischer Heide, sollte diesen Satz gut verinnerlicht haben, wenn er sich für eine naturreligiöse Glaubens - und Hoffnungsrichtung entscheiden möchte.
 
 
„Natur“ heißt Zügellosigkeit !
 
Wer die Natur an sich verehrt, verehrt die Zügellosigkeit, die Hemmungslosigkeit, die Unbeherrschtheit (!), das Tötenwollen, das Vergewaltigenwollen, das Zerschlagenwollen dessen, was unsere stammhirngesteuerte Natur stört und beeinträchtigt. Die menschliche Naturseele will nichts andres, als den Leib, dem sie dient, erhalten, koste es was es wolle. Die Natur kennt keinen Ethos, in dem die Begriffe „gut“ und „böse“ vorkommen, sie kennt nur „nützlich“ und „schädlich“. Die Natur kennt kein „Mitleid“, kein „Erbarmen“, keine „Dankbarkeit“, keine „Würde“, keine „Ehre“ -- sie kennt rein gar nichts von dem, was wir wahres, hohes Menschentum nennen. Die Natur kennt nur den Trieb und den Willen zur Triebbefriedigung. Wer Naturglorifizierung betreibt, sollte die Konsequenzen begreifen lernen. Der Triebtäter, der Vergewaltiger und Mörder folgt dem ungesteuerten, enthemmten - von geistig-seelisch-moralischen Rücksichtnahmen enthemmten - Naturtrieb ! Aber die barbarische Menschennatur, des Menschen Tiernatur zu überwinden, das war zu allen Zeiten die vornehmste Aufgabe aller Hoch-Religionen der unterschiedlichsten menschlichen Gesellschaften.
 
Nicht Naturheiligung und Naturvergötzung, sondern Naturreinigung und Naturveredelung muss die religiöse Großaufgabe für uns lauten. Mit Schlagworten ist es nicht getan ! Die Dinge liegen eben niemals so einfach, dass man mit einem „Stein der Weisen“ oder so einer Art Lebensformel den richtigen Menschenweg finden könnte. Der Mensch kommt aus der Vollnatur, er strebt hin zu etwas anderem. Hätte sich der Mensch in der reinen Wildnatur so wohl gefühlt, wie es gedankenlose, kurzdenkende oder sprungdenkende Enthusiasten sich selbst und anderen vorzugaukeln belieben, dann hätte er nicht diese Anstrengungen unternommen, aus dem Urwald hinaus- und von der Steppe hinfortzufinden, dann wäre er insgesamt nicht diesen Weg gegangen, an dessen vorläufigem Etappenziel er sich momentan befindet. Es kann ja keiner ernstzunehmend behaupten, der Mensch sei aus dem Savannen- oder Urwald-Paradies von einer bösen Macht hinweggeprügelt worden.
 
Wer nur einen Ahnungsschimmer von menschlicher Geistes- und Kulturgeschichte besitzt, weiß doch, dass der Mensch sich konsequent aus seinen ursprünglichen natürlichen Urzuständen hinauswindet, um etwas zu erreichen, das wir noch nicht kennen. Wir wissen nicht, wohin die Reise geht, wir wissen aber sehr genau, woher wir kommen - aus welchen primitiven, fürchterlichen Verhältnissen wir aufgebrochen sind, um uns einem Ziel zu näheren, das nicht die Natur, aber unser Geist und unsere immanente Gottesseele uns eingegeben haben. Zu allen Zeiten wurde von den Philosophen der Menschheit der eklatante Gegensatz zwischen Natur und Kultur bzw. Geist begriffen. Auch in heutigen Zeiten, in denen wir uns zu recht nach einem Stück heiler Natur zurücksehnen, sollten wir nie vergessen, woher wir kommen - unsere Leibnatur kommt - und dass wir auf einem Weg sind, der uns in eine immer vergeistigtere Menschennatur hinlenkt. Unsere runische Urelternbotschaft, das ODiNG, das germanische „Seelenkind“ („Innere Kind“), kann uns dabei beste Dienste leisten.