Wilde-Mändle-Tanz in Oberstdorf
 
Mit dem Obersdorfer „Wilde-Mändle-Tanz“ scheint ein alter vorchristlicher gallo-germanischer Kulttanz der Alpenländer auf uns gekommen zu sein. Dass es Verbote gegen ihn gegeben hat und der Tanz mit der theatralischen Tötung der Tänzer enden konnte, weist auf einen altertümlichen kirchenfernen Brauch hin. Er beinhaltet 17 verschiedene Szenen, darunter ein Huldigungs-, ein Fruchtbarkeits-, ein Keulentanz und eine akrobatische Pyramide. In der Schlussszene wird vom 13. , dem König, Met eingeschenkt und alle Mitwirkenden singen im Chor das Wilde-Mändle-Lied. Einen ältesten Nachweis für den germanischen Kulttanz fand ich in der bronzezeitlichen Felsbilderwelt Skandinaviens, im südwestschwedischen Bohuslän, Region Kasen. Irrtümlich hat Herman Wirth dieses Felsbild als einen prärunischen Kalender gedeutet. Doch wer sich in die Bildstrukturen hineindenkt, erkennt sehr bald, dass es sich um tanzende Gestalten im rituellen Kreis handeln muss (siehe Abb.).
 
Mein Papierhandabrieb vom Original
 
Ich folge den offiziellen Informationstexten der Oberstdorfer Weltnetzseiten: Verbreitet waren die „Wilden Mändle“ früher über das ganze Alpengebiet, von Hoch-Savoien bis zur Tatra und von den Dolomiten bis hinauf in den Harz und den Thüringer Wald. Doch nur in Oberstdorf als einzigen Ort der ganzen Alpen hat sich der Tanz in seiner Urform erhalten. Es ist dies eines der letzten Kultgüter aus der heidnischen Zeit, welches sich im Schutze der entlegenen Oberstdorfer Gebirgstäler in unsere Zeit herüberretten konnte. Denn noch vor einigen hundert Jahren verbanden sich mit dem Begriff Oberstdorf noch die Schrecken des Urwaldes, der Wildnis und der unerforschten Bergwelt. Das ist wohl der Grund, warum sich in Oberstdorf dieses uralte Erbe gibt. Die einheimische Bevölkerung hat an der althergebrachten Gewohnheit des „Wilde-Mändle-Tanzes“ durch die Jahrhunderte unentwegt festgehalten. Und wenn auch heute manche Figuren nicht mehr so getanzt werden wie einst vor 2.000 Jahren und manche modische Geschmacksrichtung vergangener Zeit dem Tanz ein anderes Gepräge verliehen hat, so führt doch von dem Oberstdorfer „Wilde-Mändle-Tanz“ eine ununterbrochene Linie zurück in die Vorzeit, wo sich das Tun, Fühlen und Denken der Menschen im Dunkel verliert.
 
Viele Urkunden beweisen die Aufführungen des „Wilde-Mändle-Tanzes“ an den verschiedenen Königshäusern, z.B. 1515 vor Heinrich dem VIII. von England, 1393 am Hofe Karl VI. in Paris, Pastor Christian Lehmann beschreibt das Wilde-Mann-Spiel im Erzgebirgischen 1615, dieses endet mit der tödlichen Jagd auf die Wilden Männer. Auch aus Südtirol liegen Berichte vor aus dem 18. Jahrhundert von Wild-Mann-Spielen in Marling bei Meran, unter Kaiser Josef wurde das „Wilde-Mann-Spiel“, das im Burggrafenamt und im Vinschgau blühte, verboten. Zu Burgeis im Vinschgau wurde 1829 das letzte Wilde-Mann-Spiel geboten. Auf einem gewirkten Wandteppich aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts (Germanisches Nationalmuseum in Nürnberg) ist der Raub einer „Wilden Frau“ durch einen Ritter aus der Mitte ihres rauhbehaarten Volkes sehr lebendig dargestellt. Ein älterer Wandteppich auf der Wartburg, nach der Architektur wohl ins 13. Jahrhundert gehörig, schildert die Verteidigung einer wildmännischen Königsburg gegen feindliche Wildmänner. Auch aus der Schweiz und vielen anderen Orten liegen Frühberichte über Wilde Männer vor.
 
Der Oberstdorfer Wilde-Mändle-Tanz lässt sich rund 200 Jahre lang genau zurückverfolgen bis auf seine Darbietung vor Clemens Wenzeslaus anlässlich einer Jagdveranstaltung. Belegen lässt sich dies mit einem Eintrag im Tagebuch von Clemens Wenzeslaus, der vom Oberstdorfer Chronisten Ignaz Math folgendermaßen dokumentiert wurde: „Am 26. August 1793 hat man die Komedy von den 12 wilden Männern und ihrem König vor Bischof Clemens Wenzeslaus aufgeführt.“ Eine weitere Notiz findet sich in der Schöllanger-Chronik: „1793 den 26. August kam der Fürst von Dillingen, auch Bischof von Augsburg und Churfürst von Trier, Clemens Wenzeslaus, nach Oberstdorf. Man hat ihm eine große Ehre erwiesen und die Comedy von den 12 wilden Mannen und den Todentanz vorgestellt.“
 
Der Tanz selbst erfordert große Kraft und Gewandtheit und wird ausschließlich von Männern verkörpert. Hier mittun zu dürfen ist eine Ehre, es kommen im allgemeinen nur Angehörige alteingesessener Oberstdorfer Geschlechter dazu. Die Mitgliedschaft wird meistens vom Vater auf den Sohn übertragen. Die Verkleidung der Männer hat insgesamt ein Gewicht von rund sechs Kilogramm und setzt sich unter anderem zusammen aus einem Tannenbart (das ist eine Moosflechte die nur an Tannen oder Fichten in höheren Gebirgslagen, ca. 1.400 bis 1.900 m vorkommt), einem Gürtel aus geflochtenen jungen Tannenzweigen und Laub sowie einem Kopfkranz aus Stechpalmenblättern. In alter Zeit wurde der Tanz von Holzpfeifen, Bockhörnern und Trommeln begleitet. Die gesamten Aufführungen vollziehen sich unter den Klängen einer altertümlichen Musik mit einer altererbten, höchst einfachen Melodie, die in ihrem ersten Andantesatz höchst ausgeprägte Rhythmen, vorzugsweise für die Sprungbewegungen usw. aufweist, während der zweite, der Allegrosatz, für die rascher aufeinanderfolgenden Bewegungen eingerichtet erscheint.
 
Früher wurde mit verschiedenen Schlaginstrumenten und Schweglpfeifen gespielt. Im Jahr 1811 brachte der Oberstdorfer Schullehrer Josef Anton Bach die Musik zu Papier, wie sie bis heute überliefert ist. Der Wilde-Mändle-Tanz hat einen festen Ablauf. Er setzt sich aus kraftvollem, rhythmischem Stampfen und Springen zusammen, wobei im Laufe der Vorführung 17 unterschiedliche Tanzfiguren gezeigt werden. Zu Beginn tauchen die Wilden Mändle nur zaghaft aus der Waldkulisse auf. So sieht man zunächst nur einen einzelnen Fuß oder eine Hand, bevor die Gestalten in ihrer vollen hünenhaften Größe zu sehen sind. Danach erfolgt die gegenseitige Begrüßung der Tänzer, die in zwei Gruppen zu je sechs Männern erscheinen. Dies geschieht unter anderem durch Zusammenschlagen der Hände. Anschließend beginnt der erste Teil des Tanzes. Dazu gehören das Schwingen von Kränzen, Reigentänze, Kopfstände und das Bilden von kleinen und großen Pyramiden. Im zweiten Teil werden von den Wilden Mändle zwölf Holztafeln aufgestellt, auf denen immer der gleiche Wilde-Mändle-Kopf zu sehen ist. Davor verneigen sich die Gestalten immer wieder. Dann folgen das Anschleichen und der Keulentanz, der schließlich in einer doppelten Sitzreihe endet. Nun tritt ein dreizehntes Wildes Mändle aus dem Hintergrund hervor, bei welchem es sich um den König der Wilden Mändle handelt. Diesem strecken die übrigen zwölf Gestalten ihre Trinkbecher entgegen. Der König füllt sie dann aus seinem großen hölzernen Prunkbecher mit Bier. Das Schauspiel endet schließlich mit dem Wilden-Mändle-Lied.
 
Mitte des 19. Jahrhunderts war der Oberstdorfer Benefiziat Franz Josef Strohmeyer der Meinung, im König der Wilden Mändle den heidnischen Gott Thor zu erkennen. In der NS-Zeit wurde der Wilde-Mändle-Tanz als ältester deutscher Kulttanz zum geschützten Kulturgut ernannt. 1811 boten die Wilden Mändle ihr Schauspiel dem Erzbischof sowie seinen Schwestern Kunigunde und Amalia Augusta von Zweibrücken dar mit folgendem, für diesen Anlass komponierten Lied:

 
Wilkommensstrophe:

„Wenn wir auch wilde Männer sind
Ringsum mit Moos bedeckt
Wenn unser Blick ein jedes Kind
Von ferne schon erschreckt
So ehren wir den Fürsten doch
Der Menschen Gutes thut "
4. Strophe
„Wenn wir werden der Arbeit müd
Treten wir zusammen
Und fangen an ein Abendlied
In des Herren Namen
Auch machen wir zuweilen Spring
Beym schönen Musikschall
Und bilden einen spaß`gen Ring
Das gilt für Carnevall“
 
Bis heute hat sich das Lied über die Jahrhunderte hinweg immer wieder verändert und wurde jedesmal den Umständen im Land angepasst. Es folgt ein Auszug aus dem heutigen Wilde-
Mändle-Lied:
 
1. Strophe
„In unsrer Berge Gipfelwald
In grauer Nacht versteckt
Da ist der Wilden Aufenthalt
Bis sie der Berggeist weckt.
Bei seines Hornes erstem Schrei`n
Bei hellem Pfeifenklang
Enteilen wir dem Felsgestein
Zum frohen Rundgesang."
Refrain
 
„Der Eintracht singen wir
Ein frohes Lied allhier
Und immer tanzen wir
So wild durch das Revier (...)
Dem Alpenlande bringen wir
Den rauhen Kraftgesang
Und unser Lebensgang
Vereilt in Kling und Klang (...)“