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Starken Herzen gehört der Sieg
 
(Siegfest = April)
 
In der milden Abendsonne vor dem Haus saß die alte Runhilde und lauschte dem Ge­sang einer Amsel, die sich auf den hölzernen Pferdeköpfen des Dachgiebels niederge­lassen hatte. Lerchen sangen über Felder und Auen. Um die verschwiegenen Kie­fern­wälder legte sich der Schein der untergehenden Sonne und erfüllte das Tal mit blutro­tem Licht.
 
Alle gesunden Männer und Jünglinge waren vor Wochen zur ersten schmalen Neu­mond­sichel mit gestriegelten Rössern und blank geputzten Waffen ausgezogen. Über zwei Monde schon flog der Wehrruf von Gau zu Gau, eine schwere Schlacht sollte ausgetragen werden. Der fürchterliche Attila wälzte seine Heeresmacht durch südgermanische Lande nach We­sten. Die Ahne blickte hinüber zum Fluss, der sich in engen Windungen durch die Wiesen schlang. Am Ufer standen zwei Mädchen. Sie hatten Leinentücher von der Bleiche ge­nommen und legten sie in einen Korb. Die blonde Awarun, welche vorher fröhlich ein Bad an der seichten Sandbank ge­nommen hatte, löste nun ihre hellen Flechten, um sie in der Abend­sonne trocknen zu lassen. Bera, die kleine Magd, trug ein blaues Linnenkleid, ihre dic­ken braunen Zöpfe hatte sie um den Kopf gewunden. Eifrig war sie dabei, die weißen Laken in den Weiden­korb zu schlichten, während Awarun nachdenklich die Finger durch ihr Haar gleiten ließ.
 
Plötzlich fuhren die Mädchen erschrocken zusammen und blickten entsetzt zum Walde hin­über, rasch schürzten sie ihre langen Kleider und rannten hilferufend den Hügel hin­auf. Runhildes Augen hatten sich vor Schreck geweitet, was sie jetzt sah, erfüllte ihr Herz mit ohnmächtigem Jammer. Eine Schar Berittener war aus dem hohen Uferge­büsch her­vorge­brochen. Sie mussten dort auf der Lauer gelegen und die Mädchen beob­achtet haben. Jetzt spren­gten sie - ohne jeden Laut und Zuruf von sich zu geben - auf klei­nen struppigen Gäu­len den flüch­ten­den Frauen nach. Schon hatte ein Reiter mit der vielschwänzigen, steinge­füllten Leder­peitsche die kindliche Bera niedergeschlagen und ein anderer Awarun er­griffen, um sie auf sein Pferd zu reißen.
 
„Hunnen, Hunnen über uns !“, gellte die heisere Stimme der Alten durch das Gehöft. Sie reckte sich, stand hochaufgerichtet, breitete die Arme aus und rief in dump­fem Tonfall: „Wuod, Wuod mit dem Breithuot, fälle das Pferd, schlag‘ sie das Schwert, treff‘ sie der Tod, weiche nicht, Wod !“ Sie zog aus dem Kleid eine Handvoll weißer und schwarzer Ru­nenstäbe, breitete ein reines Linnentuch auf die Dielen und warf die Hölz­chen dar­auf. Sorg­fältig prüfte sie deren Fall, dann schüttelte sie unwillig den greisen Kopf, als könne sie sich keinen Reim auf die Orakelantwort machen. Sie goss aber das Herdfeuer nicht aus, wie sie es zumeist getan, wenn Unheil oder Urfehde das Haus heimge­sucht hat­ten. Trotzig warf sie neue Scheite in die wabernde Glut. Das heilige Feuer sollte lodern wie der unbeugsame, trotzige Wille in ihrem alten Herzen.
 
Die unglückliche Awarun wurde, mit rauem Hanfseil gefesselt, von den hunnischen Räu­bern in einem endlos scheinenden erbarmungslosen Ritt mitgeführt. Es waren drei dunkle schief­äugige Gesellen, die sie zuweilen mit undurchdringlich kalten Blicken mu­sterten, so wie man eine Ware auf ihren Verkaufswert einschätzen mochte. Ihre fahlgel­ben Eulengesichter waren von entstellenden Narbenwülsten überzogen. Angewidert wen­dete Awarun den Kopf zur Seite und schlug die dunkelblauen Augen nieder. Schau­dernd dachte sie daran, dass viele hun­nische Anführer schöne germanische Frauen zu ihren Sklavinnen gemacht hatten. Sie erinnerte sich an die Erzählung von einem liebli­chen Kinde aus edlem sächsischem Ge­schlecht. Jene Jungfrau war zum hunnischen La­ger ver­schleppt worden, um zum ehrlosen Spielzeug entmenschter Horden herabgewürdigt zu werden. Aber das stolze, kühne Sach­senmädchen hatte sich über Nacht mit seinen eige­nen goldenen Haa­ren erwürgt. Awarun Hände ballten sich, mit heißem Herzen erwog sie Fluchtmöglichkei­ten. Trotzig hauchte sie einen Beschwörungsspruch, den ihr die Ahne gesagt hatte: „Keine Haft soll heften mich, feige Fesseln lösen sich, so die böse Bande, so die schwere Schande...“ Nach langem quä­lenden Ritt dehnte sich am Mittag des dritten Tages vor ihnen der unübersehbare Ring der Wagen­burg. Unzählbar standen darinnen die großen und kleinen Filzhütten der Tataren. Awarun wurde in eine dieser Behausungen hineinge­stoßen und einer alten schmutzstarrenden Hunnin anver­traut. Die drei Späher gingen, um ihrem Anfüh­rer Bericht zu erstatten. Bald geriet das La­ger in eine hektische Unruhe, ein Rumoren und Treiben hub an wie in einem gestörten Bie­nenkorb. Hornsignale tön­ten von allen Enden - etwas Gewaltiges, Beängstigen­des nahm seinen Lauf.
 
Die hunnische Heeresmacht war tief ins Frankenland eingedrungen. Alle Ernten, alles Vieh gehörte der riesigen Menschenmasse, die jeden Widerstand vor sich her zermalmte. Viele Ger­ma­nen­dörfer waren ausgelöscht, als hätten sie nie be­standen. Wohin der Hunne sei­nen Leder­stiefel und der Hunnengaul seine Hufe setzte, dort ließen sie graslose, verbrannte Bö­den zurück. Das Grauen und die Todesangst flogen vor ihnen her wie der Sturm vor dem Gewit­terdonner. Einige Städte trotzten noch der hunnischen Bela­gerung. Schon zog der Hunger würgend in ihre Mauern ein. Da ließ At­tila von den Be­drängten ab, denn im Rüc­ken seines nördlichen Heerflügels zogen west­gotische Kampfver­bände auf. Der Hun­nenkö­nig ent­sandte seine starke Reiterei auf die Felder am Matrona-Fluss. Das ebene katalauni­sche Ge­fild erschien ihm ein günstiger Kampfplatz für sein Kriegsvolk.
 
Mit ungeheurer Gewalt prallten die Heere zusammen. Gleichklingende Schlachtrufe er­schallten hüben wie drüben. Attila hatte auch nordische Völkerschaften bezwungen und mit schweren Eiden an den hunnischen Thron gefesselt, ihm auf Gedeih und Ver­derb zu dienen. Zwar waren sie alle Brüder eines Blutes, doch nun standen sie gegenein­ander und würgten und schlugen sich. Nie hätten die Rosse der asiatischen Horden aus germanischen Seen und Flüssen trinken dürfen, wenn sie alle zusammengestanden hätten als vereinigte un­über­windliche Abwehrmauer. So aber färbten sich die Fluten der Matrona rot vom Blut der erschlagenen Blondschöpfe. Nach heldenhaftem Kampfe fiel der West­gotenkönig Theo­derich, doch sein Sohn Thorismut trat ohne Besinnen an die Stelle seines Vaters und rief die gotischen Langschwertträger zum bedingungslosen Ansturm. Burgunder rit­ten uner­müd­liche Angriffs­keile in die Hunnenlinien. Die Franken warfen auf Hornsignale gleichzeitig ihre Franziska, die gefürchteten Schlachtbeile, so dass sich für einen Moment die Sonne verdunkelte, wenn sich die Flugbeilwolken wie ein Schwarm blutgieriger Raub­vögel auf das hunnische Heer niedersenkten. Chatten, Thüringer, selbst Friesen von fernen Nordsee­stränden waren zur großen Entscheidung herangeeilt. Und mancher Ostgote, Gepide und Rugier, der ne­ben den ungeliebten artfremden Reiternomaden im Felde stand, besann sich noch zur rech­ten Stunde. Als sie gewahrten, dass es keine Rö­mer mehr waren, die ihnen hier im Westen ent­gegenstanden, sondern freie Männer mit den gleichen blitzenden Blau­augen, die sie selbst ihr eigen nannten, da wende­ten sie ihre Schwerter und reihten sich ein in die germanische Front. Die Macht der Steppe, die Wirrsal und Not über Europa brin­gen wollte, sollte ge­bändigt werden.
 
Attila, der gewaltige Chan, erkannte zum ersten Male die Grenzen seiner Willkürmacht, dü­ster starrte er vor sich hin. So lange hatte er ungehindert plündern, brennen, foltern und morden lassen, nun sah er die Blüte seines Heeres dahinsinken wie gesicheltes Gras auf dem Felde. Kein Sieg konnte errungen werden, seine Kämpfer zogen sich in die Wa­gen­burg zu­rück. Würden ihm jetzt die germanischen Verbände nachsetzen, so war er mit Heer und Reich für immer verloren. Aber die Sieger holten nicht aus zum letzten Vernichtungs­schlag. Lauter Jubel der Goten schallte weit über die Walstatt, sie huldigten ihrem jungen sieghaften König. Der blonden Awarun war in der allgemeinen Verwirrung, zusammen mit vielen Schicksals­genossen, die Flucht aus dem Hunnenlager geglückt. Nun stand sie mit fliegen­dem Atem und im Wechsel wei­nenden, lachenden Augen dabei und stimmte aus erlöstem Herzen in die Heilrufe mit ein.