21.09.2014
               
 
Zum 33. Treffen der Schriftsteller und des Freundeskreises des „Dichtersteines von Offenhausen“ in Österreich, vom 30.04.-05.05.1996, wurde Georg Herrmann geehrt-; die Würdigungsrede am 1. Mai hielt Gerhard Hess. Nach der Würdigungsrede erfolgte der Gang zum Dichterstein zur Enthüllung der Ehrentafel. -- Schöpfer des „Dichtersteines Offenhausen“ - mit über 500 Ehrentafeln - war Joseph Hieß, Dichter, Schriftsteller und Journalist, Gründer des Oberösterreichischen Künstlerbundes, Volkserzieher und tiefinniger Freund der Jugend. -- Ich selbst hatte nie Verbindung zu dem Dichterstein-Verein, mich bat Frau Maria Köhnlein, die hoch betagte Lebensgefährtin des Lebenskünstlers und -reformers Georg Herrmann, mich für seine Ehrung am Dichterstein zu verwenden und den Nachruf zu halten, eine Bitte die ich der beeindruckenden liebenswerten Dame gern erfüllte. Im Jahre 1999 scheint der Dichtersteinbund verboten und die Stätte behördlich zerstört worden zu sein.
 
 
GE0RG  HERRMANN  
 
Meine Ansprache am Dichterstein zu Georg Hermann: Der Künstlerphilosoph, prophetische Rufer, Warner, der unermüdliche Schaffer, der Dichter, der deutsche Volksbruder, das Mitglied des Freundeskreises Dichterstein Offenhausen, wird heute selbst die verdiente Ehrung erfahren, Aufnahme zu finden im Kreis derer, die nicht vergessen sein sollen. Anerkennungen und Ehrung erfuhr Georg Herrmann schon zu Lebzeiten in mancher Form. In der Urkunde zur Verleihung der Ehrenmitgliedschaft des „Schillerbundes“ heißt es, dass er sich vorbildlich und selbstlos für unsere deutsche Muttersprache und für die Erhaltung unseres deutschen Volkes durch eine gesunde Lebensführung einsetzte.
 
Kürzer und treffender ist sein Wirken kaum zu umreißen.
 
Er war keiner von den ganz Großen, Begnadeten, die auf ihren Kometenbahnen den Nachthimmel ihrer Zeit erleuchten, keiner von den hehren, Herausgestellten aus unser aller biederen Alltäglichkeit, er war keiner, dem solch strahlende Talente in die Wiege gelegt waren, dass wir vor Ehrfurcht erschauern müssten, dass er vor uns stünde gleich einer der marmornen griechischen Heroenstatuen, die für den Beschauer unerreichbar vollkommen göttlich schön erscheinen wie Traumgesichte, wie Sterne am Firmament - wie ein Maß, welches so weit über dem wirklichen Menschen steht, daaa er nicht wagen kann, es an sich selbst zu erproben.
 
Georg Herrmann war kein Übermensch. Seine Bedeutung für uns alle liegt in seiner Bemessbarkeit, seinem Nicht-heraus-und Darüber-gestellt-Sein. Er war der Mensch wie ein jeglicher von uns, und gerade deshalb kann er, wie wenige nur, uns nacheifernswürdiges, erreichbares Vorbild sein in seinen Leistungsmotiven und Zielrichtungen. Was Georg Herrmann am Herzen lag, was ihn zu einem ruhelosen Arbeitsleben antrieb, das war die Erkenntnis des Wesentlichsten - so möchte ich es nennen. Freilich ringen seit Jahrtausenden die großen Geister der Philosophie, Religion, Wissenschaft und Politik um nichts anderes als um die Auffindung des Wesentlichen. Und doch sind die Bewertungen, was das Wesentlichste, gewissermaßen der Kern der Dinge, der letzte Inhalt, das höchste Ziel nun sei, so verschieden, wie die Rassen, Kulturen, Interessengruppen dieser Erde verschieden sind. Wer die Geistesgeschichte der Menschheit, so gut er es vermag, nachvollzogen hat, wer sich umschaute im Bereich der Religionsphänomenologie, wer die Ideengeschichte unserer europäischen Heimat ein wenig kennt, weiß, dass unzählige Tausende, ja Millionen Menschen vorzeitig starben, sich opferten oder geopfert wurden für Ideengebilde, welche in unserer heutigen Zeit, wie man so sagt, keinen Schuss Pulver mehr wert erscheinen. Welch närrisches Treiben bewegt die Menschenwelt. Wie viel falscher Pathos, wie viel aufgeblasene Nichtigkeit, wie viel gestelzte Erhabenheit und auch wie viel Hass und Blutarbeit - und alles um Ideen, Gedanken, Ideologien, Konstruktionen, Vermutungen, Traumgebilde, Irrtümer, Wahnvorstellungen, wie viel Parteienhader um wahrlich und wahrhaftig ein Nichts von unterschiedlichstem Farbenschein. Schält man all diese menschlichen ldeenhütlen ab vom Kern dessen, was letztlich zählt und Bedeutung besitzt, dann bleibt am Ende nur der reine, nackte „Wille zum Sein‘, das „Lebenwollen“ - ein Tanz um den Baum des Lebens unter vielfältigsten Maskeraden - das ist unser aller irdisches Sein. Wofür also könnte es wert sein zu wirken und zu streben - welchem Wert lohnt es wahrhaft zu dienen ?
 
Dienst am Leben, so kann sie nur lauten, die heiligste Aufgabe des höheren Menschen, der das Maskentreiben des Marktes durchschaut. Aber Leben ist unabdingbar ein individueller, ein relativer, ein selektierender Wert. Niemals geht es um das Leben schlechthin. Die Existenz des lebensbedrohenden Virus und Bakteriums beispielsweise, ist aus der Sicht des gefährdeten Seins keinesfalls schützenswert. Die bösartige Krebszelle will auch leben - und doch trachten wir mit Stahl und Strahl nach ihrer Vernichtung. Lebenswille entzweit - das ist richtig und naturgesetzlich vorgegeben. Nicht Dienst am Leben - sondern, genauer und unmissverständlicher gefasst, müsste es heißen: Dienst am eigenen und am wertigen Leben.
 
Und diesem Zentralwert verschrieb sich Georg Herrmann mit sicherem Instinkt, sein gesamtes Leben lang. Er war ein Besessener für den Dienst am hohen Leben in allen seinen Facetten. Wie sehr unser deutsches Volksleben gefährdet war und noch immer ist - seit der Eröffnung des heißen Kampfes eines 3o-jährigen Ringens mit den Waffen von 1914 bis 1945 - das hat unser Freund zutiefst verinnerlicht. Auch als die Waffen schwiegen, ist diese immerwährende Bedrohung unseres Volkes keinen Augenblick geringer geworden. Georg Herrmann setzte sich ein für die körperliche Volkserhaltung. Er thematisierte Freikörperkultur, fleischlose Kost, sinnvoll-mäßige Ernährung. Darüber hielt er Vorträge, schrieb Aufsätze und Reimwerke. All sein Engagement wollte ja nur eines: Lebenshilfen vermitteln.
 
Er setzte sich ein für das deutsche Wort, die deutsche Schrift, prangerte an, dass die schöne Franktur per Dekret der Siegermächte von 1945 für Druckerzeugnisse verboten wurde. Spruchkarten und die Titel seiner Schriften sind in herrlich erhebenden gotischen Schriftformen gedruckt. Er fühlte als Künstler, schuf Werte, seine individuellen Scherenschnitte erfreuten die Herzen Tausender; seine scherengeschnittenen Städteansichten, Pflanzenbildnisse, Portraits bedeutender Männer, auch seine Karikaturen - wie treffsicher, wie feinempfunden sind sie gestaltet. Er versuchte sich als Aquarellist, als Maler - und er schrieb und schrieb; und was er schuf, atmet Wille zum gesunden Leben, Frische, es sind Mahnungen ohne Muff,  Lehren ohne erhobenen Zeigefinger, Schlichtheit, Geradlinigkeit, Offenheit, Heimatliebe ohne Enge, Volksbewusstsein ohne Starre. Wohltuend herzliche, ungekünstelte Frische, Freiheit und Spontanität vermitteln alle seine Werke der Schere, des Pinsels und der Feder.
 
Seine innere Freiheit, die völlig vorurteilsfrei nur dem eigenen Gerechtigkeitsempfinden unterworfen war, ließen ihn selbst Wahrheiten aussprechen und niederschreiben, die ein gutdressierter „Nach-45er“ im allgemeinen nicht mehr zu denken wagt. Die Schrift „Adolf Hitler als Vegetarier“ war solch ein Zeugnis seiner Unangepasstheit. Zeit seines Lebens hat er sich gegen erstickende, entwürdigende „political correctness“ gewehrt. Schon in seinen allerersten schriftstellerischen Versuchen, in den Feldpostbriefen - geschrieben zwischen 1915 und 17‚ erschienen 1918 - erfuhr der Leser seine mitfühlende menschliche Betrachtungsweise der Kriegsschrecken, sein echtes Mitempfinden auch für fremdes Leid und gegnerische Kultur. Wie bemühte er sich beispielsweise um die polnische Sprache, die ihm so klangvoll erschien. Diese seinem innersten Wesen entsprechende umfassende Verständnisinnigkeit für die Gestalten der Schöpfung, für die Vielfalt kultureller Strukturen, eigenvölkischer und andersartiger, charakterisierten Georg Herrmann über sein gesamtes erfahrungsreiches, langes Leben. Wie sehr respektierte er selbst im Kriege den gegenpoligen Standort bei gleichzeitiger Pflichttreue, ja Hingabe an die Pflicht, in die er schicksalhaft gestellt war.
 
Im weitesten, umfassendsten Sinne dürfen wir Georg Herrmann als einen Gesundheitslehrer und Lebensreformer bezeichnen - so nannte ihn treffsicher die Dresdner „Vegetarische Presse“ 1938. Schon sechs Jahre zuvor hatte er geschrieben: „Der gesunde Mensch lebt glücklich und zufrieden mit seinem Geschick, er lebt in Harmonie mit sich selbst und seiner Umgebung, mit der Natur und ihrem Schöpfer, er ist ein nützliches Glied der Gesellschaft, indem er sich als gesunder tätiger Mensch dem Volksganzen einordnet und somit ein wichtiges Werkzeug beim Aufbau des Volkes darstellt.“
 
Ja, so einfach erscheint die Formel der letzten Glückseligkeit - das ist es - das Wesentliche !
 
In der Publikation „Illustrierte Blättern für praktische Menschenkenntnis“, 1962, beschrieb unser Freund sein Leitmotiv: „Des Kulturmenschen Aufgabe ist nicht, Menschen zu plagen, Tiere zu quälen, die Welt zu zerstören, sondern Leid zu mildern, Freude zu spenden und die Welt zu verschönern !“ Mittels einer Fülle von Aufsätzen und Büchlein hat er seine starke Menschen-, Tier- und Pflanzenliebe dargelegt, um sie der Nachahmung zu empfehlen. - Nach jahrzehntelanger schriftstellerischer Tätigkeit, im Dienste der weltweit verzweigten Vegetarier- und Lebenserneuerungsbewegung, gründete er 1956 – schon 64-jährig - den „Kulturverlag Konstanz“. Seit 1962 lebte er in Obersontheim bei Schwäbisch-Hall mit seiner Lebensgefährtin Maria Könlein, die ihm ein Heim und sich selbst als unermüdliche, liebevolle Helferin schenkte.
 
Sein Tod am 14. Januar 1985 krönte seine Art, zu leben - keine Krankheit, kein quälendes Siechtum, keine Depressionen, kein Verflachen seines Geistes waren vorausgegangen, vielmehr ein Sturz von der steilen Holzstiege, die ohne vorsorglich sicherndes Geländer geblieben war. Aus der frischen, sicheren, freien Art, aus der er lebte, sich verwirklichte und seinen Dienst am Wesentlichen geleistet hatte, aus dieser herrlichen, ja majestätischen Unbekümmertheit heraus fand er sein Ende, als seine Zeit erfüllt war. Ein weltenwanderndes, gottsuchendes, verständnisschweres und doch fröhliches Herz hatte nach fast 93 Jahren Ruhe gefunden. Sein Geist soll weiterleben !
 
Georg Herrmann war zutiefst verstanden Dichter - nicht eigentlich in diesem oberflächlichen Verständnis von einem, welcher klangvolle Endreime in seine Aussagen zu setzen wusste, sondern im Sinne der Alten, da der Dichter noch mit dem Sänger und Seher eins war. Georg Herrmann sang uns ein deutsches Lebenslied! Er schuf auch Reime, war Künstler, ein Virtuose mit Schere und Papier, ein sprachbegabter, ein Krieger, Gottsucher, Liebender, Gärtner, Schullehrer, Seher, Reformer, Autor, Verleger, Philosoph, Kosmopolit, ein Fernwehkranker und Heimwehempfindender – und all dies in glücklich gemischter, verdichteter Weise, - und immer Fackelträger - kurzum: ein rechter Deutscher. Ebenso, wie er niemals aufgab, selbst nicht in allerschwersten Niederlagen und Erniedrigungen, sollten auch wir uns keinem verzagten Moment des Schwachwerdens hingeben !
 
Ich schließe meine Würdigung für Georg Herrmann mit dem Endvers seines 1948 geschriebenen Gedichtes „Wintersonnenwende“:
 
Sonnenwende, Hoffnung Spende !
 
Frisch, zu neuer Tat bereit,
lasst uns wirken ohne Ende
für die neue, bess‘re Zeit !
 
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Meine Freundin, die ehrenwerte Bücher-Spenderin für die GOD, Maria Köhnlein
 
Georg Herrmann (14.04.1892 in Zwickau – 14.01.1995 in Schwäbisch Hall) - 1906-1914 = Lehr- und Wanderjahre im In- und Ausland – 1915-1918 = Kriegsdienst und franz. u. russ. Gefangenschaft – 1921 = Auswanderung nach Brasilien, wo er als Lehrer u. Kolonist wirkt – 1931 = Rückkehr nach Deutschland – 1934 = Fahrt mit dem Fahrrad von Berlin nach Barcelona, wo er Vorträge über Vegetarismus hielt. Bei Ausbruch des Bürgerkrieges wurde er als „Spion“ nach Frankreich abgeschoben. Sein spanischer Freund bringt ihm den Scherenschnitt bei, der von nun an sein Auskommen sein wird  – 1939-1960 = Leben in Italien als Scherenschnittkünstler und Freikörperenthusiast mit Maria Köhnlein – 1956 = Gründung des Kulturvereins in Konstanz – seit 1962 wohnhaft in Obersontheim, wo er seine gesamte Wohnungseinrichtung (Betten, Schränke, Standuhr, Tische) handgeschnitzt mit wundervollen Ornamenten versieht. Er war erfüllt von edlen Gedanken der Humanität, der Bürgerloyalität, der Freiheit und des schöpferischen Wirkens. Er war ein Glücklicher, ein Neidloser, ein guter Deutscher und ein Weltbürger.