INGWAR - IGOR
Strudel umschäumen das Klippengestein,
in den Böen krächzt es wie Rabenschrei’n.
Die eichenen Kiele knirschen im Sand,
hellhaarige Riesen stampfen ans Land.
Auf Wassern des Dnepr im Morgenglanz,
nur Drachenboote im weiten Kranz.
Sie wippen heran -, und mehr und mehr,
am Steven steht Ingwar, die Faust am Speer.
Um das Ufer brodelt’s wie dunkle Wut,
schmaläugiges Volk von Kirgisenblut.
Sie spannen die Bögen mit starkem Arm,
Geschosse schnellen vom Sehnendarm.
Der Askold reißt sein Waräger-Schwert,
als ihm beißend der Pfeil in die Kehle fährt.
Blutgurgelnd zieht er den Todesdorn -,
drängt noch im Fallen nach vorn, nach vorn.
Jetzt sind die Gesellen der Rus heran,
von Relingen springt es wer springen kann.
Wie Sturzfluten brandet der Eisenschwall,
Geheule mischt sich mit Klingenschall.
Der Dnepr-Strand von Leichen bedeckt,
als Ingwar sein Schwert in die Höhe reckt,
und kaum einer hörte was er da rief:
„Hier bauen wir unser Reich von Kiew !
Wir Herren der Flüsse, wir sind die Rus,
wo unser Speer fasst, folgt unser Fuß.
Das nordische Meer gebar unsre Kraft -,
Wodan gib Weihe der Wanderschaft !“
wo unser Speer fasst, folgt unser Fuß.
Das nordische Meer gebar unsre Kraft -,
Wodan gib Weihe der Wanderschaft !“
(Die Ukrainer sprechen dt. „Kiew“ bzw. ukr. Kyiv/Kyijw ohne die deutsche Betonung des „e“.)
Der Warägerfürst Ingwar / Igor (879-945) war ein Sohn Ruriks, der die Herrschaft über die Kiewer Rus innehatte. Der Name Igor ist eine Variante vom germ. Ingwar mit der Bedeutung „Ingi“, dem Beinamens des Sonnengottes Frō-Freyr und zweitem Wortstamm „Harjaz / Warjaz“ = Krieger / Verteidiger. Rus ist eine Bezeichnung sowohl für Normannen wie für ihr Gebiet in Osteuropa (Ukraine, Weißrussland), das sie „Gardariki“ nannten. Der Rus-Name leitet sich ab aus „roðr“ für „Rudern, Rudermannschaft“. Die Rus, vornehmlich aus schwedischen Stammgebieten herkommend, nannte man auch Waräger. Die nordische Saga-Literatur verwendet der Begriff „Garðr“ (Gehöft / Burgstadt), Kiew hieß „Kænugarðr“, Nowgorod „Hólmgarðr“, Konstantinopel „Miklagarðr”. Der Stadtnamen Kiew entstand demzufolge aus Kahn-Stadt (altnord. kæna / köna = Kahn, Boot, Schiff) - Igor unterwarf einheimische Stämme am Dnepr, festigte seine Herrschaft im Raum von Kiew, der heutigen Hauptstadt der Ukraine. Die Warägerfürsten Askold und Dir hatten sich hier bereits vor Rurik und Igor eingerichtet. Wer die erste Ansiedlung gegründet hat ist ungewiss. Die Stadt war von enorm wichtiger strategischer Bedeutung am Handelsweg der skandinavischen Waräger bzw. Rus zu den griechischen Zentren wie Konstantinopel. 941 erschien Igor mit einer großen Flotte vor Konstantinopel, verwüstete das Umfeld, musste sich aber, ohne die Stadt selbst erobert zu haben, wieder zurückziehen. Während der Vorbereitungen zu einem neuen Kriegszug kam er 945 ums Leben. Seine Frau Helga (slawisiert zu Olga) regierte zunächst für seinen minderjährigen Sohn Swendoslev I. (slawisiert zu Swjatoslaw I). Swendoslev I. regierte als Großfürst (945-972) die Kiewer Rus. Auf erfolgreichen Eroberungszügen gegen die Wjatitschen und Chasaren dehnte er seine Herrschaft bis zum Don und der Ostküste des Asowschen Meeres aus. Im Westen eroberte er Preslaw, die Hauptstadt der Donaubulgaren. Erst sein jüngster und unehelicher Sohn, der Rurikide (Nachfahren des Rurik) Wladimir I. (aus Waldemar: „großer, berühmter Herrscher“) - der von 960 bis 1015 lebte - veranlasste in Form von Massentaufen den Übertritt der bis dahin heidnischen Kiewer Rus zum orthodoxen Christianismus byzantinischer Prägung.
Gemälde von Boris Olshansky, „Schlacht am Dnepr“