DER GOLEM
 
Rabbi Löw hockt im tiefen Gewölbe allein,
kein Taglicht fällt je durch den Quaderstein,
die Ölfunzel schwelt zu den Balken hinauf -
auf der Wand eine Schneck’ ihre Schleimspur zieht -
Schriftrollen liegen mit Büchern zuhauf,
draußen murmelt die Moldau ihr düsteres Lied.
Der Rabbi fingert mit Lehm und Werg,
er formt auf der Bank einen menschlichen Zwerg.
 
Wird der Erzväter heimlich-sehnlichster Traum
sich doch endlich erfüllen in Zeit und Raum:
Einen Golem, zum gütlichen Dienen gemacht,
ein Wesen von kraftvollem, hirnlosem Leib,
das gefahrlos schläft, nur zum Fronen erwacht,
solch ein Sklave zur Hilf’ und zum Zeitvertreib,
ein Ding ohne Gottesseele und Schatten,
das die Glieder dehnt, ohne je zu ermatten ?
 
„Rabbi Löw, welchen Zauber willst du erfinden,
wie kannst du dem Lehmbündel Leben einbinden ?“
Der Rabbi kennt wohl seines Volkes Hort,
er las in des Moses und Aarons Magie,
er weiß jede Schrift, jedes jüdische Wort,
er plant ein Geschöpf zwischen Mensch und Vieh.
Er schreibt mit teuer erschachertem Sud,
den Gänsekiel taucht er in magisches Blut.
 
Einen Zettel mit Zions verborgenem Grund
drückt er seinem Wurm in den offenen Schlund.
Der Golem schlägt zitternd die Augen auf,
er merkt sich des Meisters Stimmenklang,
er probt einen ersten täppischen Lauf
und folgt seines Schöpfers befehlendem Drang.
Es streckt sich sein Wuchs, es hebt sich die Lende,
schon eilt er mit Besen und Eimer behende.
 
„Was schrieb Rabbi Löw auf das Zauberpapier,
welche Silben erwuchsen zum Sklavenpanier,
welche zwingende Kraft ist in Zeichen geballt,
wo sind sie in Texten des Talmud versteckt,
wie wirkt Gott Jahwe mit Löwen-Gewalt,
die aus trostloser Masse sich Diener erweckt ?
Für den Herrn schafft der Golem ohn’ Rast und Ruh’ -;
sind dienende Golems nicht ich und du ?!
 
Der deutsche Kaiser Rudolf II. (1552-1612) ermöglichte den Prager Juden viele Privilegien und die Judenstadt blühte unter seiner Herrschaft mehr als je zuvor. In dieser Zeit wurden mehrere Synagogen erbaut: Die Maisel-Synagoge, die Pinkassynagoge, die hohe Synagoge und auch das jüdische Rathaus und viele weitere private und öffentliche Häuser. In Prag hatten mehrere bedeutende Talmud-Schulen ihren Sitz. Hier entstanden viele bedeutende literarische und wissenschaftliche Werke. Auch hebräische Druckereien waren in stattlicher Zahl tätig. Eine legendäre Persönlichkeit des damaligen jüdischen Prags war Jehuda Liva ben Becalel, der auch als Rabbi Löw bekannt wurde. Er ist auf dem jüdischen Friedhof mit aufwendiger Reliefplatte begraben und gilt als Schöpfer des mythischen Golems („der Unfertige“). Die Vorstellung der Schaffung einer menschenartiger Gestalt aus Leim reicht bis ins alte Ägypten. Schriftlich erhaltene Erzählungen aus dem 6. Jh. v.0. bezeugen das. Der Prager Golem gehört zu den bekanntesten Berichten darüber. Es heißt, dass Ende des 16. Jahrhunderts Rabbi Löw sein Schöpfer gewesen sei, der damit die Judenstadt vor christlichen Angriffen schützen wollte. Er gab dem Golem Leben ein, indem er ihm eine magische Silbe („Schem“) in den Mund legte. Der Golem gehorchte nur der Person, die ihm diesen „Schem“ beibrachte. Über die Zerstörung des Golems existiert ebenfalls eine Legende. Eines Tages soll der Rabbi vergessen haben dem Golem beim Verlassen der Synagoge den „Schem“ zu entnehmen. Da der Golem jedoch keine Aufgabe bekommen hatte, fing er an, sinnlose Aktivitäten zu entwickeln, wertvolle Möbelstücke, wertvolle Statuen und die gesamte Ausstattung im Haus des Rabbis zu zerstören. Das verschreckte Dienstmädchen lief in die Synagoge und bat den Rabbiner etwas zu tun, um den Golem zu stoppen. Der schrie den Golem an aufzuhören und entfernte den Zettel aus seinem Mund. Da das ganze an einem jüdischen Feiertag passierte, löste sich der Golem in Staub auf. Legenden zufolge wurde der Golem auf dem Dachboden der Altneusynagoge beigesetzt, dessen Zutritt seitdem verboten ist. Die bekannteste Verarbeitung dieser Prager Legende ist der Roman aus der Feder des jüdischen Schriftstellers Gustav Meyrink.
 
Bild: Der sagenhafte Prager Golem und sein Schöpfer, Rabbi Löw.