DER FRAUEN HERZEN
 
Männer haben es schmerzlich bedacht:
Sind denn auf rollendem Rade gemacht,
der Frauen Herzen, der Frauen Sinn ?
Sie treiben wie Blätter im Winde hin !
 
Wie Vogel-Gezwitscher ist Frauen-Wort,
leichtester Lufthauch trägt’s schon fort -;
ein Singsang, ohne Bedacht und Gehalt,
vergessen hat ihn das Weib gar bald.
 
Dem Röhricht im Winde gleicht ihr Gefühl,
es schwankt auf morastigem Seelengewühl,
nichts ist da sicher, von festem Bestand;
Weibern bleibt eigener Grund unbekannt.
 
Was immer sie reden, was sie auch tun -
wie milder Zephyr, oder wilder Taifun -
es kommt über sie wie des Wetters Zug,
es geistert aus ihnen wie fremder Spuk.
 
Aus unkontrollierbaren Tiefen gebiert,
das Weib den Impuls der es weiterführt;
und immer erhofft es von seiner Welt,
auf Rücksichtnahme, dass Einer sie hält.
 
Leben gilt Weibern wie Spiel und Tanz,
ihr Herz hängt an flittrigem Firlefanz -,
modischen Tüchlein, glitzernden Dingen;
wie sollte ein Weiblein in Tiefen dringen ?!
 
Nach Stofflichem giert der Weiber-Gelüst,
selten wird ein’s von den Musen geküsst -;
die dinglichen Welten sind ihr Revier,
sie schwelgen mit Anmut im Jetzt und Hier.
 
Voll mystischem Wahne ist Weibes Hirn,
es glaubt an Karten und Himmelsgestirn,
an Wahrsagerei, an Omen und Engel,
besessen dient es dem Kirchensprengel.
 
Maßlosigkeit peitscht der Weiber Gemüt,
Wille zur Macht wirkt in ihrem Geblüt -;
Wehe dem Mann den das Weib besiegt,
der der Zauberkraft ihres Leibes erliegt.
 
Wachsen Kriege nicht aus der Weiber Sein,
ziehet nicht Weib-Sein ins Unglück hinein ?
Gier nach dem Weib und Weibes Kabale,
füllen der Menschheit die giftigste Schale.
 
Doch dankbar erkennet ein jeder Mann,
nicht jegliches Weib gleicht Weibes Stamm -;
die Mutter, Schwester, Geliebte, das Kind,
liebreizend-holdselige Frauen doch sind.
 
Bild: Hans Baldung Grien (1484-1545) Aristoteles und Phyllis
 
ARISTOTELES UND PHYLLIS
Der griechische König Philipp ließ seinen Sohn Alexander durch den weisesten Meister Aristoteles erziehen und gab beiden mit ihrem Gesinde ein besonderes Haus mit einem schönen Garten. Die hoffnungsvolle Zucht und Lehre wurde aber durch die Minne unterbrochen, in welcher der junge, feurige Alexander gegen die schöne Phyllis, ein Fräulein seiner Mutter, entbrannte; die Schöne erwiderte seine Liebe, und bald vereinigte beide der heimliche Garten. Als Aristoteles dies entdeckte, klagte er es dem Könige, der dem Fräulein mit Strafe drohte. Diese beteuerte ihre Unschuld, welche die Königin bezeugte. Die beiden Geliebten wurden aber scharf beobachtet und auseinandergehalten. Alexander saß brummend in der Schule; und die leidvolle Phyllis sann auf Rache. Sie schmückte sich aufs reizendste und ging frühmorgens mit nackten, schneeweißen Füßen im Garten durch den Tau zum rieselnden Brunnen, Blumen und Blüten sammelnd und dabei ihr lüftiges Gewand bis übers Knie aufhebend. Der weise Greis erblickte sie durch das Fenster und ließ sich durch die Liebreizende betören, die ihm eine Handvoll Blumen ins Fenster warf und ihn minniglich grüßte: Er lud sie zu sich herein und bot ihr, die sich kosend zu ihm setzte, zwanzig Mark für eine Nacht. Sie versagte ihr Magdtum für Geld, wollte jedoch seinen Willen tun, wenn er sich einen Sattel, der dort hing, auflegen, mit ihrem Gürtel sich aufzäumen und so von ihr durch den Garten reiten ließe. Der weltweise Aristoteles war nicht stärker als Adam, Samson, David und Salomon; er ließ sich von der Minne reiten: Die Reizende saß auf ihm, mit einem Rosenzweig in der Hand, und sang ein Minnelied, während der alte Graue auf allen vieren durch den Garten trabte. Als sie am Ziele war, sprang sie fröhlich ab, schalt den alten Gauch, daß er ihr Ehre und Liebe genommen, verhöhnte ihn, daß seine hundert Jahre nun wieder zu sieben geworden, und wünschte ihn zum Teufel. Die Königin hatte mit ihren Fräulein von der Zinne des Palastes alles gesehen, so ward die große Schmach bald dem Könige und dem ganzen Hofe kund und erscholl überall, so daß der weise Meister, dem Schimpf und Spotte zu entfliehen, nach einer Woche mit seinen Büchern und aller Habe heimlich zu Schiffe ging und nach einer Insel Galicia fuhr. Dort schrieb er ein großes Buch von den Listen der schönen, falschen Weiber. Nichts vermag dagegen zu helfen, als ferne von ihnen bleiben.
 
Quelle: F. H. von der Hagen, Gesamtabenteuer I, 1850 (Neudruck Darmstadt 1961), S. 17f. aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 8, S. 8