ÜBERWINDUNG DER CHRISTLICHEN SEXUALFEINDLICHKEIT
 
Zaubern -, geht das ?
 
Da fragte mich während einem meiner Vorträge eine recht hübsche junge Dame: „Sagen Sie, Sie wissen doch so viel über Runenmagie, ich unterhielt mich mit meinen Freundinnen darüber, wie ist das mit der Magie, ist das alles Unsinn oder gibt es zauberische Kräfte und Menschen die damit umgehen können; konnten beispielsweise die Lappen-Schamanen mit Hilfe ihrer Zauber- und Runen-Trommeln wirklich Wunder vollbringen ?“
  
„Ach“, entgegnete ich, „Sie wollen etwas über Magie erfahren ?! Da kann ich eigentlich nur schmunzeln. Euer, unser ganzes Leben ist doch voller Magie, Ihr sitzt mitten in einem Puddingtopf und schaut über den Rand hinweg ob es irgendwo was zu naschen gibt. Wir sind umgeben von Magie und Seidhr-Kunst, Frauen wie Männer. Guckt Euch doch mal selbst an, strotzt Ihr nicht vor Magie ?!
 
Wir Männer schauen Euren aufregenden Hintern nach, wenn Ihr vor uns hergeht, und verstehen bis zum Lebensende nicht wirklich, wieso uns diese Bewegung wahnsinnig macht bzw. bezaubert --, uns läuft das Wasser im Mund zusammen und wir beginnen nur noch auf- und abwärts wippende rote Punkte zu sehen und, und, und wenn wir dann wieder auf den Boden der nüchternen Wirklichkeiten zurückgefunden haben, dann können wir von uns selbst sagen: ,Was bin ich doch für’n Zauberer, ich bin wieder mal nicht ganz übergeschnappt !’
 
Dreht so ein bezauberndes Weib sich aber rum und blinzelt einem Kerl zu und sagt: ,Ich würde gen ’nen Kaffee trinken gehen !’, dann, ja dann ist der Betreffende ein noch größerer Zauberer; den Rest macht er dann mit seinem Zauberstäbchen und sie mit ihrem Zauberdöschen und das alles ohne Zauberlehrbücher -, guckt mal an, was Ihr und wir so alles von Natur aus drauf haben !“ --- Die bewusste Dame und manche anderen Zuhörer auch, kugelten sich fast, lagen nach meinen Worten fast auf dem Bauch und lachten aus vollem Halse.
 
Ich fuhr also fort: „Ihr wisst schon wie ich’s meine, das Leben ist der eigent­liche Zauberer und jede Sekunde ist Zauberei und - Ihr lieben Anwesenden - Ihr seid zauberhaft ! --- Nun ernsthaft, was wollt Ihr denn bezaubern, wofür wollt Ihr eigentlich zaubern lernen ? Ich will Euch ein offenes Geheimnis verraten, die größte Zauberei ist nüchterner, eiserner Fleiß; wer meint, er könne so per Hokuspokus etwas hinzaubern wofür er nicht vorher Muskel- oder Gedanken-Schweiß vergossen hat, der ist kein potentieller Zauberer, sondern ein ausge­machter Narr ! Wir können fast jeden Traum verwirklichen, wenn wir nur wirklich wollen, aber nicht durch ein Zauberwörtlein oder ein Zaubertränklein, sondern durch Fleiß und Stetigkeit, durch die Fäuste der Tat und durch Geist und Willenszucht ! Die Zauberei der Natur und der Geisteskraft ist eine heilige hohe Sache, doch die Zauberei mit Medien, mit Mittelchen, mit Pülverchen, also mit materiellen Zauberhilfsmitteln ist ein reiner Gaukelkram für die Naiven, die sich betören lassen von schnellen Fingern der unsauberen Jahrmarkts­buden­-Salbadereien.

Wenn es so etwas wie Zauber geben sollte, dann nur den, die Sprache und die Gesetze der Natur zu belauschen um sie sich dienstbar zu machen. Wer mit der Natur mitschwingt, der wie sie zu empfinden beginnt, der mag hinter manches Geheimnis gelangen, der mag manch zauberische Dinge erspähen. Doch, wie gesagt, vorher muss man hinein, hinein in die Wesenheit die man erforschen, die man begreifen will. Wahre Zauberei ist die Fähigkeit Geist vom fremden Geist zu werden, seine Ich-Struktur verändern zu können, sie schmiegsam zu machen, sie aufzulösen um sie neu und in andersgearteter Form zu gestalten. Du kannst den Baum nur erforschen, wenn Du vorher zum Baum werden willst.
 
Du kannst auch die Runen nur ergründen, wenn Du erst mal zur Rune wirst. Und das alles geht ganz ohne Hilfsmittel die man von einem Lehrer lernen könnte. Einer, der anderen Zauber beibringen will, ja, selbst der der anderen Menschen Wissen beibringen will, dem gebricht es daran. Zumindest fühlt er, meint er, dass es ihm fehlen würde; hätte er genug davon, er würde sich damit zurückziehen und es still genießen. Wir reden nur über Dinge, die wir (noch) nicht (völlig) ver­stan­den haben. Wenn unser Hunger ganz gestillt ist, wenn wir alles wissen was wir wissen wollten, dann schweigen wir; so ist das! Wer also Zauber beibringen möchte, wer sich als Lehrmeister vorstellt, habet acht, es ist zumeist ein Nochsuchender oder sogar ein nichtswis­sen­der Scharlatan.

Wenn Ihr aber einfach nur mal wissen wollt, was die Alten so an Magie glaub­ten, drauf zu haben, dann wird es nicht leichter, denn das meiste was dazu gesagt wurde ist so schäbig, so geistesarm und hundsgemein, dass Ihr Euch entsetzt davon wieder abwendet. Schaut mal in das Seidhr-Beutelchen einer alten Hexe hinein. Wisst Ihr was da drin liegt ? Da liegt ein Krähenbein, ein Klümpchen Bernstein, ein Katzenknöchelchen, ein Alraunwürzelchen, ein Streifen Otternhaut und ein Lochsteinchen, draufgekritzelt ist ne Rune, wie könnt’ es anders sein ! --- So, und nun stellt Euch lebhaft vor, wie die gute Frau damit versuchte, Dukaten zu zaubern oder ihre alte verschrumpelte Haut zu glätten oder nen jungen geilen Junker Voland aufs Strohlager zu zwingen. Nichts ist ihr gelungen -; durch Tränklein und Sälbchen, einige Halluzinationen hatte sie -, sonst nix --; sie hat es immer wieder versucht, darüber ist sie krank geworden, trotz aller Magie und starb eines jämmerlichen Todes –, nicht anders als ihre Schwester, die ganz ohne Krähenbein und Natternzahn auskam.

Auch dem lappischen Zauberer erging es so, er wollte immer ein heiliges weißes Rentier herbeilocken um darauf eine Himmelsreise zu unternehmen, deshalb schlug er in Trance seine lappische Zaubertrommel, doch was kam ? Der christ­liche Missionar kam und gab ihm eine Ohrfeige, nahm ihm seine Zaubertrommel ab und lieferte sie nach Oslo ins Heimatmuseum ab, wo ihr sie heute noch be­staunen könnt. --- Und was die Zauberei der Christen anbelangt, so ist sie nicht weniger abge­schmackt. Sie nennen sie ,Eucharistie’, was ein griechische Wort ist und für das unwissende Volk schon deshalb so schön geheimnisvoll klingt. In dieser als heilig, also heilsam sein-wollenden ,Herrenleibverspeisung’ passiert kein bisschen Zauberei; der Wein bleibt natürlich Wein, so gut oder schlecht wie er vorher war und will kein ,erlösendes Blut’ werden ! Das runde Stück gebacke­nen Weizenkornes, die Oblate bzw. Hostie geheißen, bleibt ein dünnes Stück­chen Brot und sonst nichts -, trotz der vom Priester darüber hergesagten latei­nischen angeblichen Umwandlungs-Zaubersprüchlein. Diese Leute versuchen es hartnäckig seit fast 2.000 Jahren, und es will und will nicht klappen; sie sind keinen Deut weiter gekommen als das alte Heidentum – alles nur Sprüche und leere Versprechungen !“
 
Doch das Heidentum war näher dran, es akzeptierte die gebotenen Zauber der Natur, es lauschte ihnen nach, es verachtete die Natur nicht, wie die lebensfernen und naturvergewaltigenden Christen, welche immer nur von ihrem eingebildeten Hosianna-Jenseits schwärmten. Das Heidentum lachte, tanzte und liebte ohne Scheu und ohne ein schlechtes Gewisssen dabei haben zu müssen --, das machte die Seelengesundheit unserer altgläubigen Vorfahren aus ! Sie schauten der Natur ihr Offenkundiges und ihr Geheimnis ab. Und weil es in der Natur nichts Gewaltigeres als die Liebe gibt, gehörte die Liebe, die Minne (liebevolles Gedenken) wie auch die reine schöne Sexualität zu ihrem heiligen Kredo. Die ganze fürchterliche Entsetzlichkeit christlicher Naturangst und des senilen Naturekels zeigt sich allein in dem Satz des Bischofs und großen Kirchenlehrers „Hl. Augustinus“: Inter fæcem et urinam nascimur („Zwischen Kot und Urin werden wir geboren“), womit er - der Leib- und Liebeshasser - bewusst den gebärenden Körper der Frau ins Widerwärtige ziehen wollte.  Wer zurückfinden möchte, ins eigene geistige Elternhaus, muss zuerst den unechten christlichen Spuk aus dem Haus zu treiben trachten, sich frei machen von der uns aufgepredigten unnatürlichen Prüderie, der Leib- und Liebesverachtung. Und weil die runische Naturreligion des ODING aus diesem urgesunden Denken kommt, trägt sie auch den Aspekt der Sexual-Religion in sich, das heißt, der natürlichen Verankerung in der bedingungslosen Bejahung einer ehrenvollen von gegenseitiger Verantwortung getragenen Sexualität.
 
Ich las vor einiger Zeit eines der tiefsinnigsten Büchlein über das Thema LIEBE. Es stammt von Plutarch, einem Weisen des 2. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung. Der Titel: „Über die Liebe“. Er schreibt: „O ! Siehst du nicht, wie groß und mächtig Venus ist ? Sie ist's, die überall den Amor hin verteilt, von dem wir Menschen all auf diesem Erdenrund entsprossen sind. Auch nennt sie [die Venus] Empedokles die Allbelebende, und Sophokles die Fruchtreiche, Namen, die für sie allerdings schicklich und passend sind. Ungeachtet aber dieser so wichtigen und bewundernswürdigen Sache das eigentliche Werk der Venus ist, so erfordert sie doch nebenbei auch die Hilfe und Gegenwart des Amors, ohne welche sie nichts wünschenswürdiges, nichts von Freundschaft, und also auch keinen großen Wert hat. Denn Genuss ohne Liebe zweckt, so wie Hunger und Durst, nur auf Befriedigung der Begierden ab, und erreicht nie etwas Edles und Großes; aber mit Hilfe des Amors entfernt Venus von dem Genusse allen Überdruss, und bringt so die innigste Liebe und Vereinigung hervor. Daher erklärt auch Parmenides den Amor für das erste und älteste Geschöpf der Venus, wenn er in seiner Kosmogonie sagt: Unter allen unsterblichen Göttern ist Amor der erste, den sie erschuf - Hesiodus macht den Amor, wie mich dünkt, der Natur noch gemäßer, zum ältesten unter den Göttern, damit durch ihn alles in der Welt sein Dasein erhalten kann. Wollte man nun dem Amor die ihm einmal verwilligte Ehre entziehen, so würde gewiss auch die Ehre der Venus nicht lange mehr bestehen. ...“
 
In diesem Zusammenhang ist das herrliche Buch von Ludwig Klages „Vom kosmogonischen Eros“ bemerkens- und lesenswert. Es ist ja wahrhaft die Liebe in all ihren Formen - eben nicht nur die geschlechtliche Liebe der Venus, sondern die differenzierten Formen der Zuneigung, also die Kraft des Gottes Amor, welche die Welt erbaut hat. Wir hören und sehen heute, wie der Hass, die Zwietracht, das Böse triumphiert, wie wir überall auf das Entzweiende hingewiesen werden, und wir ahnen, ja wir fühlen, dass Sigmund Freud in gewisser Weise recht hatte, wenn er von einem tief im Menschen verwurzelten Destruktionstrieb sprach -, aber auch der andere uns tief eingegebene Impuls vorhanden ist: die Libido, die Sendungen des Gottes Amor.
 
KOSMOGONISCHER EROS
 
Aus des Weltbaums Zauber-Zweigen
klingen auch die Galster-Geigen,
die vom Runen-Reigen singen,
in des Ur-Raums Mächte-Ringen.
 
Dort im trostlosen Geschiebe,
siegte die Gewalt der Liebe -;
aus dem Gären der Kontraste,
fand sich was zusammen passte.
 
Aus dem Ineinandergehen,
mochte unsere Welt entstehen.
Liebe ward zum Weltensteuer,
Wasser mischte sich mit Feuer.
 
Äther mischt’ sich mit der Erde,
in des Kosmos Ur-Gebärde.
Aus dem Tanz der Gegensätze,
wuchsen wahre Lebensschätze.
 
Huldreich freies Freia-Minnen,
beherrschte alles Weltbeginnnen,
die Liebe wählte Od zum Gatten,
im Werdespiel, dem nimmersatten.
 
Frau Venus ließ den Eros fliegen,
um Hass und Hader zu besiegen.
Drum raunen aus dem Runen-Raten,
Urgründe aller Liebes-Taten.
 
Wenn die Maid den Mann entzündet,
Freias Geist die zwei verbündet,
dann erklingen immer wieder,
zauberhafte Schöpfungslieder.
 
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Bild: Von Fidus eigentl. Hugo Reinhold Karl Johann Höppener (1868-1948), freigeistiger, kirchenferner deutscher Maler, Illustrator und bedeutender Vertreter der Lebensreform im Sinne sogenannter „lichtdeutscher Gedanken“ einer Bodenreform, des vegetarischen Pazifismus, der Freikörperkultur und des Wandervogels. Er war der Meisterschüler des malenden Symbolisten und Sozialreformers Karl Wilhelm Diefenbach (1851-1913). Fidus war in seiner persönlichen Haltung und in seinen künstlerischen Aussage Verfechter einer mystischen Naturreligion, vernünftigen Leibeszucht und Sexualreform. Im Dritten Reich fand seine Kunst bei den zuständigen Persönlichkeiten keinen Anklang. Sein Bild „Lichtgebet“ von 1908, zeigt einen schlanken Jüngling auf einem Bergvorsprung, die Arme in Form der seit 7.100 Jahren in Deutschland nachweisbaren (Kumpf von Altscherbitz / Sachsen), immer-jungen Lebensrune spreizend (  ), die Sonne anbetend, wurde zur Ikone der deutschen Jugendbewegung. 1912 gründete Fidus den Sankt-Georgs-Bund, der den „Drachen des Materialismus“ bekriegen wollte. Zu seinen frühen Bewunderern zählte auch Hermann Hesse.