24.11.2022

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Eine Auswahl von skandinavischen Goldbrakteaten des 5./6. Jahrhunderts mit der Geste des Daumens am oder im Mund der Zentralgestalt: a IK 105 Lellinge Kohave-B – b IK 345 Store Salte-A – c IK 141 Penzlin-B – d IK 197 unbekannter Fundort in Dänemark-B. M. 2:1 (Nummern und Abb. nach Ikonographischer Katalog 1985-1989 (= IK)

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In Peschs Aufsatz: Abb. 3 A und B-Brakteaten des 5./6. Jahrhunderst mit dem Daumen der Zentralgestalt am Kinn: a IK 187  Tossene-A; b IK 149, I Schonen-B; s IK 129, I Nebenstadt (Gem. Dannenberg)-B; d IK Skydstrup-B; e IK 308 Nebenstadt (Gem. Dannenberg)-B; f IK 168 Sletner-B. M. 2:1 (Nummern und Abb. nach Ikonograohischger Katalog 1985-1898).

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Bei Pesch Abb. 4 Frühe Versionen mit erhobener Hand vor dem Kopf, die noch die Kaiserdarstellungen römischer Vorbilder erahnen lassen: a Goldbrakteat IM 338 Skovlund-A; b Medaillon-Imitation IK 124 Mauland (Avers). Auf die hohe Bedeutung von Händen im Bildfeld weist auch c IK 88 Jonsryd-C hin, bei dem die Arme keinen organischen Anschluss zum Körper haben. M. 2:1 (Nummern und Abb. nach Ikonographischem Katalog 1985-1980).

DER SEHER-DAUMEN

„Der Seherdaumen“, eine hervorragende wichtige Arbeit von Alexandra Pesch (Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie ZBSA Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, DE-Schleswig), hier in den wesentlichen Auszügen: „Die Chiffre der anthropomorphen Gestalt mit abgespreiztem Daumen am oder im Mund begegnet in der völker- wanderungszeitlichen Bildkunst (etwa 5. – 6. Jahrhundert n. Chr.) besonders häufig auf einigen kleinen Amulettanhängern, den Goldbrakteaten, und zwar vor allem unter den A - und B-Typen (allgemein dazu Mungsgaard u.a. 1978; IK 1985-1989; Heizmann/Axboe 2011). Als Beispiel kann IK 105 Lellinge Kohave-B aus Dänemark genannt werden (Abb. 1 a), zu dem sich der norwegische IK 345 Store Salte-A (Abb. 1 b) stellen lässt sowie auch der schwerer lesbare IK 141 Penzlin-B (Abb. 1 c), welcher eine kleinere Figur mit dieser Geste über einer zweiten, größeren Figur zeigt. Zwei Gestalten, von denen die Größere den Daumen im Mund hält, hat auch der dänische Brakteat IK 197 von unbekanntem Fundort (Abb. 1 d). Die wohl grundsätzlich etwas jüngeren Goldblechfiguren oder guldgubber geben ebenfalls vielfach diese Chiffre wieder; allgemein dazu Watt 1992; 2004), teilweise mit ähnlichen Körperhaltungen wie die Brakteaten. Viele andere Brakteaten bilden den abgespreizten Daumen der erhobenen Hand jedoch etwas tiefer ab, nämlich am oder unter dem Kinn ihrer Zentralgestalten. Zu solchen Modelbildern gehört IK 149,I aus Schonen (Abb. 3 b), der durch seine insgesamt eng mit IK 105 (Abb. 1a) verwandten Darstellungen in dieselbe Formularfamilie B2 gehört (zu den Formularfamilien als motivisch und grafisch eng verwandte Bildgruppen der Brakteaten siehe Pesch 2007). Den Daumen unter dem Kinn zeigen auch alle Angehörigen der Formularfamilie B 3 wie etwa IK 308 aus Nebenstedt (3 e Abb. e). Auch die Formularfamilien B 4 mit IK 129,I (Abb. 3 c), B 5, B 9, B 10 und B 11 haben regelhaft den Daumen zum Kinn gerichtet, sowie auch A 2 mit IK 187 (Abb. 3 e). Unter den Einzelstücken zeigen etwa IK 168 (Abb. 3 f) und IK 166 (Abb. 3 d) den abgespreizten Daumen am Kinn. […]

In mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Bildkunst wird die Hand am Kinn als eine Gebärde des Schmerzes verwendet (Settis 1982, 135), aber auch als Geste der Kontemplation (Robunson 2004, 44f.). Eine generell abweichende Bedeutung darf sicherlich dort angenommen werden, wo diese Hand bei einem bzw. in einem Tiermaul liegt (siehe Abb. 3 d, hintere Hand). Dort, wo beide Hände erhoben sind, ist vermutlich ebenfalls ein anderer Inhalt ausgedrückt, auch wenn deren Daumen jeweils am Kopf liegen (Wamers 2003, 913; allgemein zu dieser Geste siehe Pesch 2015, 429-447). 1989 trat Hilda Ellis Davidson mit einer Interpretation für den Daumen im Mund hervor, die seitdem vielfach rezipiert worden ist (z. B. Hauck 199 2a, 470; 1992 b, 246-250; Watt 2004, 206 ff.; 170ff: Laursen 2006). Die Autorin brachte die völkerwanderungszeitlichen Bilder mit wikingerzeitlichen bzw. hochmittelalterlichen Darstellungen in Verbindung, auf denen ebenfalls menschliche Figuren ihren Daumen im Mund halten: Es handelt sich um Steinritzungen, Steinkreuze und norwegische Stabkirchenportale, darunter die berühmte Türrahmung der Stabkirche aus Hylestad aus dem 12. Jahrhundert. Diese Gruppe von inhaltlich zusammengehörigen Denkmälern kann in der Tat mit Hilfe ihrer ausführlichen Bilddetails, ihren oft szenischen Anordnungen und ihren insgesamt reicheren Bildkontexten mit der nordischen Sigurdsage gedeutet werden (Blindheim 1972/73; Düwel 1986; 2005; Ellis Davidson 1989), einer frühmittelalterlichen Adaption der kontinentalen Siegfriedsage (Ploss 1966). Als „wohl vollständigste Darstellung des Sigurdthemas“ (Roth 2003, 663) gilt eine Felsritzung von Ramsund, Schweden, aus dem 11. Jahrhundert. Ohne diesen Sagenkreis hier ausführlich wiedergeben zu wollen, ist entscheidend, dass der Titelheld Sigurd sich das Herz des von ihm getöteten Drachen brät, sich dabei den Daumen verbrennt, diesen im Schmerz zum Mund führt und dadurch in plötzlicher Erkenntnis die Sprache der Vögel versteht. Die Vögel erzählten dann vom Betrug des Schmiedes Regin und versetzten Sigurd so in die Lage, sein Schicksal klar zu erkennen und zu seinem Vorteil in die eigene Hand zu nehmen. Offenbar wurde im frühen und hohen Mittelalter das Verbrennen und zum Mund führen des Daumens als Schlüsselszene begriffen und daher oftmals dargestellt. Auch Großsteinkreuze der Britischen Inseln zeigen mehrfach dieses Moment (Lang 1974; 1976; Kopár 2015). Die Vögel, durch welche Sigurd die Wahrheit erfährt, werden dabei gewöhnlich ebenfalls abgebildet. Dies ist aufschlussreich, weil es eine weitere Verbindung zwischen den mittelalterlichen und völkerwanderungszeitlichen Darstellungen bildet, denn auffällig oft sind auf den Brakteaten auch Vögel im unmittelbaren Bildzusammenhang erkennbar (Abb. 1a.c; 3b.d); dies hat sogar in der Frühzeit der Brakteatenforschung zu einer heute allerdings zurückzuweisenden Deutung dieser Stücke als Sigurddarstellungen geführt (Worsaale 1870, 401-411; allgemein zur Forschungsgeschichte und der Bewertung älterer Thesen Behr 2011). Doch es ist gut möglich, dass die jüngeren Sigurddarstellungen auf älteren Bildkonventionen beruhen bzw. diese weiternutzen. Denn für eine Übernahme bzw. Weiternutzung älterer Bildchiffren gibt es in der Germania wie auch in anderen Kulturen gute Beispiele. Die Ikonografie hat ihre eigenen Gesetze: Langlebige Traditionen setzen sich oft über die Brüche hinweg, die mit der Einführung einer neuen semantischen bzw. religiösen Umgebung einhergehen. So mögen die jüngeren Darstellungen der Sigurdsage tatsächlich helfen, einer Deutung auch der völkerwanderungszeitlichen Bilder mit ähnlichen Bildchiffren näher zu kommen. Denn Hilda Ellis Davidson gelang es weiter, mit Hilfe von irischen Überlieferungen auf eine wiederkehrende Verbindung in germanischen und keltischen Traditionen zwischen dem Einführen des Daumens in den Mund und der Erlangung von Erkenntnis hinzuweisen. Oft spielt diese Geste im Zusammenhang mit dem zauberischen Erlangen von Wissen eine Rolle, auch mit zukunftskundigen Sehern. Ellis Davidson bezeichnete den Daumen folglich als »Seherdaumen«. Sie übertrug die Deutung auch auf diejenigen Bilder, bei denen der signifikant abgespreizte Daumen nicht direkt im Mund der Gestalt liegt, sondern davor oder darunter. Dem haben sich auch andere Forscher angeschlossen (vgl. etwa Düwel 1986, 231; Roth 2003, 664). […] Dabei erreicht ein Mensch, sei es ein Seher, Heiler oder Krieger, mit Hilfe bestimmter Rituale (z. B. Speisen, Geräusche/Musik, Schmerz, Trance, Drogen, Schlaf) und oft mit der Unterstützung bestimmter Hilfsgeister (Tiere oder andere Wesen) eine überirdische Sphäre, aus der er später mit vermehrtem Wissen zurückkehrt. Tatsächlich scheinen Vorstellungen von Jenseitsreisen den Germanen nicht fremd gewesen zu sein (vgl. Doht 1974, 90-116). In der Forschung werden solche Elemente zumeist als schamanistische Züge bezeichnet (Buchholz 1968; siehe zur Forschungsgeschichte Behr 2011, mit weiterer Lit.), und gerade in Skandinavien ist die Debatte um schamanistische Elemente in der germanischen Religion nach wie vor aktuell (siehe z. B. Solli 2002; Laursen 2006). Problematisch daran ist allerdings, dass es sich bei den Konzepten und ihren Begrifflichkeiten generell um wenig oder gar nicht für dieses Umfeld definierte Elemente handelt; außerdem werden einzelne Termini oder Vorstellungen aus größeren religiös-kulturellen Zusammenhängen herausgenommen, etwa aus denen der subarktischen, nomadischen Tungusen, und relativ unbekümmert auf die germanische Gesellschaft und ihre Glaubensvorstellungen übertragen, oft ohne den Gesamtzusammenhang beider Kulturen und ihre völlig unterschiedlichen Hintergründe zu beachten (so Schjødt 2004; vgl. Polomé 1992 ; Pesch 2015, 335 f.). Doch gibt es auch in der germanischen Welt für die Kenntnis und die Erforschung jenseitiger Welten Belege: Beginnend mit den berühmten Seherinnen, welche römische Geschichtsschreiber schon für die Kaiserzeit überliefern (dazu Volkmann 1964; Hultgård 2005, 114 ff.), bis zu den weissagenden und zauberkundigen Frauen der nordischen Sagawelten, den Völven (Sundquist 2003, 433; 2007, 66-71; Huldgård 2005, 116ff.), gibt es immer wieder Hinweise auf Menschen mit besonderen Fähigkeiten der Vorhersage, die ihr Wissen aus körperlichen oder geistigen Reisen in Anderwelten erlangen. Allerdings ist in den Textquellen hauptsächlich die Rede von Frauen. Die Bilddarstellungen mit dem abgespreizten Daumen zeigen hingegen Männer. Doch ist es interessant, dass gerade von Odin, dem höchsten und vielschichtigen Gott (allgemein dazu Huldgård 2007), Geschichten und Vorstellungen überliefert sind, die ihn als Reisenden zwischen verschiedenen Welten ausweisen. Odin vermag es beispielsweise, die Toten heraufzuholen und zu befragen, seine Gestalt zu wandeln und sich in Tierform zwischen verschiedenen Sphären zu bewegen. Er versteht sich auf seiðr, eine spezielle Art des Zaubers (Solli 1999; Dillmann 2007). Solche Elemente lassen sich in der Tat grundsätzlich mit schamanischen Ideen und Praktiken vergleichen (Buchholz 1984; Hedeager 1997). Es ist aufschlussreich, dass die altnordischen Textquellen die Ausübung von seiðr insbesondere den Sami-Nomaden des Nordens zuschreiben, also einem subarktischen Nomadenvolk mit echten schamanischen Traditionen. Allerdings werden die Sami in diesen Texten gewöhnlich als fremdartig, unheimlich und auch bedrohlich beschrieben, nicht aber als positiv und vorbildlich; warum ein ihnen eigener, ja charakteristischer Zug als nachahmenswert angesehen worden sein könnte und sogar in die höhere Mythologie eingedrungen wäre als ein typisches Merkmal Odins, ist daher rätselhaft.

In den Ideen von Jenseitsreisen mögen interessante Ansätze für das Verständnis von Odin vorliegen und somit auch für die Deutung völkerwanderungszeitlicher Darstellungen. Doch zumindest mit der Terminologie ist wie gesagt Vorsicht geboten. Begriffe liefern immer bestimmte Vorstellungen mit, die in einem neuen Zusammenhang zu fehlerhaften Schlüssen oder sogar ganz in die Irre führen können. Wieder einmal macht sich schmerzlich bemerkbar, dass aufgrund des Fehlens von erläuternder Schriftüberlieferung insgesamt zu viele Fragen bezüglich der germanischen Religion, ihren Überlieferungen, Traditionen und Riten sowie ihrer Wurzeln und Fremdeinflüsse, offen sind, und dass letztlich zu viele Interpretationen im Bereich der Spekulation verbleiben müssen. Doch wenn sich die figürlichen Bilder auf den völkerwanderungszeitlichen Goldbrakteaten, wie in der Forschung generell akzeptiert, als Darstellungen von Odin lesen lassen (Hauck 2011und passim), dann wäre auch die Idee nicht unmöglich, die Bilder mit Hilfe der in altnordischen Texten genannten Vorstellungen von Jenseits- bzw. Anderweltreisen und der Durchdringung verschiedener Sphären n Verbindung zu bringen. Dies allerdings darf nur im Rahmen einer breiteren Methodik geschehen (dazu Hauck 1975; Pesch 2009, 367-370). Vor allem ist es wichtig, sich nicht einseitig auf Ursprünge und Einflüsse schamanischer Kulturen des Nordens zu konzentrieren, sondern die Wurzeln dieser Vorstellungen auch und vor allem bei den kaiserzeitlichen Germanen und allgemein den Kulturen des antiken Abendlandes, darunter den Kelten, zu suchen. Wenn es bereits in der Frühzeit germanische Vorstellungen von Gestaltwandlungen, Zauberreisen und Zukunftsschau gegeben hätte, wäre eine Verschmelzung mit schamanischen Ideen und Praktiken des Nordens grundsätzlich leichter erklärlich. Auf der Basis existierender Gemeinsamkeiten wären dann Einflüsse und Überschneidungen möglich – in beide Richtungen. Dann mag auch in der Bildersprache für zauberische Kräfte Odins bzw. für seine Fähigkeit, in die Zukunft oder in andere Realitäten zu blicken, ein »Seherdaumen« durchaus als verständliches Sinnbild funktioniert haben. [...]

 Germanische Bildersprache

Selbst ohne unmittelbar zu erkennen, welche Sujets in solchen Bildern verarbeitet sind und welchen Zweck, welche konkreten Aussagen bestimmte germanische Darstellungen besitzen, lassen sich bereits aus ihrem bloßen Auftreten Schlussfolgerungen ziehen. Denn es fällt auf, dass es sich um sehr ausgefeilte und über weite Zeiträume und Regionen vereinheitlichte Chiffren handelt. Ihre Charakteristika sind überregional verbreitet, die Motive und die stilistischen Konkretisierungen erscheinen regelhaft, ja genormt auf unterschiedlichen Bildträgern (vgl. Pesch 2015, 334). Es handelt sich sämtlich um Gebrauchsobjekte wie Kleidungsbestandteile, Schmuck, Waffen oder sogar Teile von Gebäuden und Schiffen. So waren die typischen Bilder in ihrer Zeit für die Menschen praktisch allgegenwärtig. Gleichzeitig wurden keine anderen Arten von Bildern und Stilen verwendet, die nördliche Germania hatte sich in der Mitte des ersten Jahrtausends auf die »Tierornamentik« (allgemein dazu Salin 1904; Haseloff 1981; Rpth 1998) geeinigt. Die Verbreitung neuer Chiffren und neuer Stilstufen geschah jeweils explosionsartig rasch (von Carnap-Bornheim 1998, 469; 472). Dies setzt eine erstaunliche Infrastruktur der Vermittlung voraus. Doch nicht nur als Schmuck und für die kulturelle Identität sowie den gesellschaftlichen Status der damaligen Menschen waren die speziellen Bilder von Bedeutung. Gerade weil sie so genormt auftreten, lässt sich sagen, dass sie für alle Menschen und überregional verständliche Inhalte, also konkrete Aussagen getragen haben werden. Mit ihr ließen sich kulturelle, religiöse und politische Inhalte sichtbar vergegenwärtigen und vermitteln. Zweifellos war diese Bildkunst gedacht, um inhaltlich gelesen und verstanden zu werden. Dabei besitzen Bilder generell Vorteile gegenüber von Texten (vgl. Pesch 2007, 370): Vorausgesetzt, dass der Betrachter mit den Grundsätzen der Kunst bzw. mit den Sujets vertraut ist, vermitteln Bilder ihre Inhalte augenblicklich. Durch Selektion wichtiger Kernelemente von Geschichten, durch Größenverhältnisse und Positionen, durch Zusammenschau zeitlich oder räumlich entfernter Elemente sowie andere bildnerische, den germanischen Darstellungen allerdings zumeist fehlenden Mitteln wie Perspektive und Farbe, sind Bilder in der Lage, die Essenz von zugrundeliegenden Geschichten oder Ideen auf einen einzigen Blick hin, also spontan und unaufhaltsam, zu vermitteln. Darüber hinaus garantieren sie die Präsenz der dargestellten Wesen. Gerade in der Spätantike und auf dem Hintergrund des Bilderstreits waren sich viele Theologen dieser Vorteile von Bildern bewusst und argumentierten dementsprechend für deren Einsatz (dazu Dresken-Weiland 2015, II). Ein schriftlicher Text, der denselben Inhalt fassen könnte wie ein Bild, wäre nur in wesentlich längerer Zeit zur Kenntnis zu nehmen, und er verlangt auch vom Leser mehr: neben dem Zeitaufwand und der bewussten Zuwendung auch die Fähigkeit, überhaupt Schrift lesen zu können. Der Vorteil von Texten liegt aber in der Möglichkeit, zeitliche Abläufe der aufgeschriebenen Geschichten und alle ihre einzelnen Elemente ausführlich und im Gesamtzusammenhang zu vermitteln. Damit werden sie auch für jemanden verständlich, der vorher nie von ihren Inhalten gehört hat; etwas, das bei Bildern nicht funktioniert. Doch die Germanen haben eben keine ausführlichen Schriften hinterlassen. Sie verwendeten stattdessen ihre Bildersprache, kodierten ihre Vorstellungen in Bildchiffren und setzten damit klar auf die Vorteile des Bildes vor der Schrift.“

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