Copyright Ⓒ Gerhard Hess / Oktober 2020
 
Das Steinkistengrab wurde vor etwa 3.400 Jahren in der älteren Bronzezeit angelegt.
 
DER DREIGÖTTERSTEIN
von Thunderlinge-Anderlingen
 
Im Nordgau an der Wümme,
lebte ein Fürstensohn,
gar fromm und götterglücklich,
in Bronzezeiten schon.
 
Dass er die Götter sehe,
schlug er sich einen Stein
er meißelte die drei Götter
in seinen Stein hinein.
 
Der mittlere war der Thunder,
der Donnergott mit Beil,
mit Hammer oder seiner Axt
schuf er des Himmels Heil.
 
Es kam der Fürst zum Sterben,
man baute ihm sein Grab,
man stellte den Dreigötterstein
zu seiner letzten Hab.
 
Dort harrt er noch bis heute,
auf des Besuchers Blick,
zur Ehr‘ der Heimat Götter
und alten Glaubens Glück.
 
Das Dorf hieß Thunderlinge,
wo dieses Steingrab liegt.
Die Wümme ihr Gewässer
durch Hardt und Heide wiegt.
 
Hier wohnten Thors-Anhänger,
dem Gott der Ahnen treu,
Dann kamen Umerzieher,
machten die Menschen scheu.
 
Der Christenkirche Mönche
sprachen vom neuen Gott,
drohten mit Höllenstrafen
und trieben Hohn und Spott.
 
Doch blieben stur und anders
die Sachsen hier zuland‘,
drum hieß man Anderlingen
das Dorf zu ihrer Schand‘.
 
Doch ist es niemals Schande,
zum alten Heil zu steh'n
und nicht sein Wappen-Fähnlein
nach neuem Wind zu dreh'n !
 
 
Anderlingen wurde erstmals urkundlich im 12. Jh. erwähnt (genaue Zeitangabe fehlt), und zwar im Zusammenhang mit den Zehntschenkungen des Bischofes Hermann von Verden  (?- 1167) an das Verdener Domkapitel. Die Schenkung ist überliefert in einer – leider verloren gegangenen – Totenliste des 13. Jhs., aus der die wohl 1332 abgefasste und bis ins 15. Jh. fortgeführte Verdener Bischofschronik geschöpft hat. Diese Chronik nennt das Dorf in seiner offenbar ursprünglichen Form „Thunderlinge (Rainer Brandt: „Anderlingen – ein Dorf mit langer Geschichte“, 1995). Thunder (angelsächsisch, englisch = Donner) meint den paganen Donnergott Thor-Donar. Es ist daraus zu schließen, dass die ortsansässigen Sachsen ursprünglich Thors-Anhänger waren. Die spätere Dorfbezeichnung „Anderlinge“ ist eine abfällige Bezeichnung für alle Angehörige von Gruppen, die als Untermenschen/Nichtmenschen tituliert wurden, wie es gegenüber Heiden/Hexern/Ketzern über Jahrhunderte christlicher Eiferer Brauch gewesen ist. Die Verdener Bischöfe müssen für diesen bösartigen Schmähnamen der Anderlinger Gemeinde verantwortlich zeichnen. Thor oder Donar galt bei den germanischen Völkern als „der Donnerer“ (altsächs. Thunaer, altengl. þunor, altdeutsch Donar, altniederländ. Donre, altnordisch Þórr von urnordisch þunraʀ „donnern“). Thor/Donar fungierte für die zur See fahrenden Völker als Gewitter- und Wettergott und war in weiterer Funktion innerhalb der bäuerlichen germanischen Gesellschaft Vegetationsgottheit. In den mythologischen Edda-Schriften hatte er die Aufgabe, mit Hilfe seiner Hiebwaffe, der Beschützers von Midgard, der Menschenwelt, zu sein. Die germanische Nachsilbe „ing“ bezeichnet Nachkommen oder Anhänger, also: „Thunderlinge“ = Donner[gott]-Anhänger und „Anderlinge“ = andersgeartete, unchristliche Nichtmenschen.
 
Der 115 cm hohe, 75 cm breite und 50 cm dicke Bildstein von Anderlingen stammt aus der älteren Bronzezeit (etwa 1.800 bis 1.200 Jahre v.0). Er wird in der Urgeschichtsabteilung des Niedersächsischen Landesmuseum Hannover aufbewahrt. Zum Zeitpunkt der Entdeckung (1907) markierte der nach Norden schauende Bildstein die südliche Schmalseite eines Steinkistengrabes. Der Hügel von zwei Metern Höhe und 25 m Durchmesser barg eine Grabkammer, die innen zwei Meter lang, 70 cm breit und einen Meter hoch war. Die Grabkammer bestand aus zwölf Wandsteinen und drei Decksteinen. Darin hatte man einen Menschen, von dem nur noch einige Skelettreste erhalten geblieben waren, in einem längst verrotteten Baumsarg zur letzten Ruhe gebettet.Nach fast genau 100 Jahren hat der „Kulturverein Anderlingen“ es geschafft, die Rekonstruktion des Grabes an dem ursprünglichen Ort wieder herzustellen. Auf ca. 5.000 qm wurde ein offenes und ein geschlossenes Grab, Bäume, Heideflächen und Parkplätze erstellt, ein Projekt welches im Jahre 2006 abgeschlossen wurde.