
DAS OPFER - das freiwillige und das erzwungene -
In der Vorstellung vom Opfer sind die beiden grundsätzlichen Kategorien der freiwilligen und der erzwungenen Hingabe zu unterscheiden. Seelenkundlich bedeutsam ist der Zusammenhang von Opfer und Gewalt sowie die innerseelischen und theologisch-philosophischen Aspekte der Opfersymbolik, wie sie dem Leidensmythos des germanischen Seelengottes Wodin am „Weltbaum“ innewohnt - oder auch dem christlicherseits vergeheimnisten Hinrichtungstod des vergötzten jüdisch-essenischen Zimmermannssohnes. Es gibt in der Kultur- und Religionsgeschichte der Völker einige Beweise dafür, dass mehr oder weniger freiwillige Opferhingaben vonstatten gingen, indem die Geopferten - wie im Bereich der Mayakulte - auf eine Verklärung bzw. Vergöttlichung im Jenseits hoffen durften.
Die Vorstellung des Opfergeschehens ruft Bilder von blutigen Gewalthandlungen hervor, die den Weg des Menschen von Anbeginn bis in die Jetztzeit unverändert begleitet haben. Immer wieder grenzen Gesellschaften Einzelne oder Gruppen aus, opfern sie gleichsam, um ihr eigenes Weiterleben zu ermöglichen - so wie ein kranker Zahn herausgebrochen oder ein Geschwür herausgeschnitten werden muss, damit der Gesamtorganismus keinen Schaden nehme. Dabei handelt es sich um völlig natürliche lebensgesetzliche Akte, über die kaum ein Wort zu verlieren wäre, wenn nicht jeweils zwei entgegengesetzte Betrachtungsweisen aufeinanderträfen, die einem „unbeteiligten“ neutralen Beobachter die Problematik der objektiven Wertung aufzwingen würde. Der Organismus vertritt die Meinung:„Der Zahn ist faul, er soll geopfert werden !“ Der „Zahn“ selbst hingegen begreift sich in der Regel als unbedenklich für die Gesamtheit und ist alles andere als selbstopferwillig. Ein Blick in die Historie erzeigt die kontroversen Bewertungen z.B. bezüglich der Vernichtung nordamerikanischer Ureinwohner durch die sich formierende USA-Gesellschaft - der Hinmordung der royalistischen Klasse durch die französischen Revolutionsträger - der Massentötung sogenannter Volksschädlinge durch die russischen Bolschewiken - der Ausschneidung des „fremdgeistigen Judentums“ aus dem deutschen Volkskörper durch die Bewegung des NSDAP - die konsequente Auslöschung des Deutschtums aus Osteuropa nach Ende des Weltkrieges II. sowie des palästinensischen Volkes aus seinen Heimatgebieten. Alle diese Opferhandlungen dienten dem Leben natürlich gewachsener oder künstlich hervorgerufener Gesellschaftsgebilde. Keine naturgesetzlich empfindende Gruppe fühlt über den an sich grausamen Tatablauf etwa spontanes Entsetzen oder anschließende Schuldgefühle, schien doch das Opfer unvermeidbar und notwendig, sonst wäre es nicht vollzogen worden. Im Gegenteil, bald entsteht ein Hochgefühl der Erleichterung, dass der „schwere Gang der belastenden Opfertat“ geleistet wurde. Entspannung und ein Mit-sich-Zufriedensein stellt sich ein. Dabei ist das Rechtsgefühl immer auf Seiten der Gemeinschaft - das Opfer „musste“ getötet werden, damit die Gruppe überleben und zu einem neuen Zustand der Gesundheit finden konnte. Ohne Gewaltbereitschaft der Gemeinschaft gegenüber tatsächlich oder nur anscheinend gemeinschaftsgefährdenden Untergruppen ist kein Organismus lebensfähig - auch der menschliche Körper bedarf der Killerzellen, welche Fremdeiweiße vernichten. Empörung über nachbarliche Opferhandlungen und Schulderwägungen gedeihen allein in Gesellschaften, die entweder den Opfergemeinden feindlich gegenüberstehen bzw. andersgearteten Lebensprinzipien folgen.
Die urmenschlich, entwicklungsgeschichtlich archaische jüdische Idee vom „Sündenbock“ stellt ein theologisches Konstrukt dar, welches die sachliche Opferbegrifflichkeit auf abwegige Gedankengeleise verschiebt. Mit Hilfe des daraus abgeleiteten sprachlichen Instrumentariums wird es zuweilen unternommen, der allgemeinmenschlichen Opferidee den Stempel der Blödsinnigkeit aufzutragen. Aber zu keiner Zeit wurden „wahllos Sündenböcke gesucht“ und „in die Wüste geschickt“ bzw. hingeopfert. Ebenso wie der religionsgeschichtliche Sündenbock ein sorgfältig ausgewähltes Tier war, so ist auch der von einer Gemeinschaft Geopferte nach deren spezifischer Opferlogik niemals rein zufälliger Natur. Aus dem Blickwinkel der Opfergemeinschaft werden ganz im therapeutischen Sinne ausschließlich sog. „Schädlinge“ geopfert, welche als solche entweder erkannt oder aufgrund menschlicher Irrtumsfähigkeit als solche verkannt werden.
Zu den von Gesellschaften geforderten Opfergruppen zählen neben verfemten - angeblich asozialen - Minderheiten auch solche die eine angeblich freie Gesellschaft als Tribut für ihre Liberalit einfordert, wie z.B. Kriminalitätsopfer, Drogenopfer, Opfer einer angeblich alternativlosen Energie- und Währungspolitik, Opfer militärischer Gewaltbereitschaft (z.B. dt. Afghanistan-Einsatz).
Foto: Opfer einer der modernen Atomenergie-Gesellschaften