SONNENSÄULEN

Zu Beginn meiner Forschungen in den 80er Jahren habe ich es nicht für möglich gehalten, so viele bisher von der Wissenschaft unberücksichtigte Bildzeugnisse des vorchristlichen Volksglaubens finden zu können. Fünf hauptsächliche Quellen-Kategorien kamen dabei in Frage und wurden von mir ausgewertet:

  1. die skandinavischen Felsritzbilder der Bronzezeit
  2. die Brakteaten-Prägebilder (mittelalterliche, germanisch religiöse Amulette)
  3. die Reliefs der Außentürstürze romanischer Kirchen (mit angeprangerten heidnischen Themen)
  4. die Steinbilder der Kapitelle romanischer Kirchen (welche heidnische Verächtlichmachungen ins Bild setzen)
  5. die romanischen Taufstein-Bilder (welche aufzeigen was der Täufling abschwören soll)
Es schlummern sicher noch viele ungehobene Bildschätze beispielsweise im Fundus der Kapitell-Steinarbeiten in Kirchen und Klosterkapellen. Nicht selten tauchen in diesem Bereich schmähende Darstellungen heidnischer Gestalten, Brauchtümer und Sinnzeichen auf, die es auszuwerten gilt. Auch die altheidnische Sonnenehrung in Form von Sonnen-Standarten, Sonnen-Säulen usw. sind auffindbar, woran unschwer zu erkennen ist, dass sie noch in den intensiven Missionszeiten des 12. Jahrhunderts, aus dem viele der infrage kommenden Kirchen herrühren, eine bedeutende Rolle im Volksglauben gespielt haben. Derartige Sonnen-Standbilder sind bis zu einem gewissen Grade nichts anderes als Irmin-Säulen, also Himmelssäulen. Doch ist mit der germ. Irminsul speziell die Großsäule gemeint, also die Himmelstragesäule (germ. irmin = groß / erhaben / mächtig). Hätte es sich um eine reine Sonnen-Stütze gehandelt, hätte man sie Sol-Säule (solsul) geheißen. Ganz dicht beisammen sind selbstverständlich die Vorstellungen von einer die Sonne zeitweise tragenden oder das Himmelsdach stützenden Kraftsäule. Sicher gab es im Kultbrauchtum dergestalte Nachbildungen des im Geiste und scheinbar in der Natur Geschauten. Aus der skandinavischen Felsbilderwelt der Bronzezeit kennen wir mehrere solcher Nachweise. Einer davon ist die Sonnenstandarte von Backa-Brastad im Kreis Tanum im schwedischen Bohuslän (Abb. 1). Ein weiteres solches Bild findet sich in Disåsen Brastad. Wie die Felsbilderzeugnisse aufzeigen, wurden derartige Sonnen-Symbole im Kultwagen bei Prozessionen herumgefahren und von Standartenträgern mitgeführt.
 
Abb. 1
 
Die Abtei Saint-Génis-des-Fontaines, etwa 15 Kilometer südlich von Perpignan, am Golf von Lion ist ein ergiebiger Fundplatz derartiger Bildzeugnisse. Die Abtei erhielt von „Ludwig dem Frommen“ (778-840), Sohn und Nachfolger „Karls des Großen“, das Immunitätsprivileg und das Recht, ihren Abt frei zu wählen. Aus einem Dokument des 10. Jhs. geht hervor, dass das von „Heiden“ zerstörte Benediktiner-Kloster wieder aufgebaut worden sei. Nach umfangreichen Umbauarbeiten erfolgte die Einweihung i.J. 1153. Die Skulpturen der Kreuzgang-Kapitelle und Basen befinden sich an 23 auf der Brüstung frei stehenden Einzelsäulen, an 16 Halbsäulen vor Pfeilern, ebenso auf der Brüstung, und 4 Säulen vor Pfeilerkanten bis zum Boden reichend, insgesamt sind es 43 Stück auf Säulen und Halbsäulen. Ob Kapitelle eines älteren Vorgängerbauwerks, etwa aus dem 10. Jh., also der Ursprungszeit der Abtei, hier wiederverwendet worden sind, lässt sich zwar vermuten aber bislang nicht belegen. Ganz allgemein sind auf den Kirchen-Säulenköpfen die heidnischen Sinnbilder deshalb angebracht worden, um sie dadurch symbolisch gewissermaßen zu versklavten Trägern des Kirchenbaues hinabzuwürdigen. Die Region gehörte zum Tolosanisches Westgotenreich, das der Westgotenkönig Wallia begründet hatte. Später gehörte sie zum Languedoc, einer südfranzösischen Provinz, die seit Mitte des 12. Jhs. das Zentrum der religiösen Bewegung der Katharer (die Reinen“) wurde, deren Gemeinschaften auf Geheiß des Papstes als „Ketzer“ erbarmungslos verfolgt und vernichtet worden sind.
 

Abb. 2  3

Abb. 4 5

Abb. 6 7
 
Das Säulen-Kapitell Nr. 11 zeigt die altgläubige Sonnen-Kultsäule (Abb. 2). Was diese kirchenchristlich angeheuerten Steinkünstler grundsätzlich geflissentlich weglassen bei der Darstellung heidnischer Sinnbilder, ist das altgläubige Sonnenkreuz-Zeichen, um möglichst nie die Wahrheit ans Licht kommen zu lassen, dass das Kreuzzeichen aus dem uralten Sonnenkult stammt und von der Christenkirche usurpiert worden ist. Das Kapitell  Nr. 17 bringt auch schon den orientalischen Dattelpalm-Lebensbaum mit den beiden kleinen Röllchen am Stamm, unterhalb der Blattranken (Abb. 3). Diese Röllchen sind beim Externstein-Lebensbaum als kleine, nach unten weisende Kringelchen zu sehen. Neben dem Dattelbaum-Lebensbäumchen, und bezogen darauf, wurde ein Symbol der fleischlichen Lebensgier, der Wollust angebracht: Eine Frau die ihre Beine extrem spreizt. Kapitell Nr. 14 führt nun den normalen nordischen Lebensbaum mit 6 Wurzeln 9 Sprossen und in der Spitze den fast Algiz-runischen Dreispross vor (Abb. 4). Daneben steht der Bullenkopf, welcher wohl verächtlich an die heidnischen Stieropfer erinnern soll. Kapitell Nr. 18 zeigt einmal den Dreispross in Blattform, desweiteren die oft verwendete Kombination Dreispross mit Sonnen-Spiralen. Ein Kapitell aus dem Innenraum der Kirche bringt die bekannte Irminsul-Doppelspiral-Symbolik (Abb. 6). Ein weiteres Kapitell aus dem Kreuzgang zeigt ein Sonnen-Standarten-Motiv in Verbindung mit Pflanzen- bzw. Fruchtbarkeits-Elementen (Abb. 7).
 
Abb. 8
 
Es könnte die Frage auftauchen, wie es kommt, dass so viele nordeuropäisch wirkende Motive in dieser Benediktiner-Abtei anzutreffen sind. Davon abgesehen, dass die Benediktiner ihre Missions-Niederlassungen auch im Norden Deutschlands besaßen (z.B. Corvey / Höxter) und sicherlich eine gleichgeschaltete internationale Missions-Propagandasprache benutzen, muss in Rechnung gestellt werden, dass die Region in der die Abtei Saint-Génis-des-Fontaines liegt, seit dem Frühmittelalter überwiegend von germanischen Menschen besiedelt war, die zunächst ihren heidnischen Heimatglauben, mitsamt dessen Sinnbildsprache, mitbrachten. Das Land gehörte zum Tolosanisches Westgotenreich, das der Westgotenkönig Wallia begründet hatte. Später gehörte sie zum Languedoc, einer südfranzösischen Provinz, die seit Mitte des 12. Jhs. das Zentrum der religiösen Bewegung der Katharer (die „Reinen“) wurde, deren Gemeinschaften auf Geheiß des Papstes als „Ketzer“ erbarmungslos verfolgt und vernichtet worden sind. Durch den Albigenser-Kreuzzug  (1209–1229) und dem grausamen Vorgehen der Inquisition vernichtete die römische Kirche zwischen 1209 und 1310 die katharische Glaubensbewegung. Eine Buchmalerei schildert die Vertreibung i.J. 1209 der Katharer aus Carcassonne (Abb. 8), der blonden Menschenart nordeuropäischer Herkunft. Carcassonne liegt nur ca. 80 km von der Abtei entfernt.
 
SONNENGLAUBE
 
Uralt ist der Sonnenglaube,
Licht und Nässe nähren Leben,
und der Mensch im Erdenstaube
will die Hoffnung aufwärts heben.
 
Das Prinzip des Guten Lichtes,
hat die Religion beflügelt
zur Idee des Welt-Gerichtes,
das die Dunkelheiten zügelt.
 
Wer das Leuchten liebt im Hellen,
sieht die Gottheit in der Sonne,
fühlt in Himmelsstrahlen-Wellen,
gleichsam Gottes Liebes-Wonne.
 
Alles Helle liebt das Heile,
Gottes Sonne schenkt das Gute,
Licht schreibt jede feine Zeile,
für des Menschen Trost und Mute.
 
Um das Gute Licht zu binden,
es als Zeichen zu gestalten,
daraus Sonnen-Heil zu finden,
wurd’s im Sinnbild festgehalten.
 
Sonnen-Kreuze, -Kreis, -Spiralen,
wurden Sonnenglaubens Zeichen,
die des Lichtes Heil bemalen,
dass die Dunkelmächte weichen.
 
Dann geschah ein böses Trügen,
Sonnenkreuz ward umgedeutet,
muss als Todes-Kreuz sich fügen,
wenn der Christen Glocke läutet.
 
Für die Kurzeinsteiger: Das Bild zeigt eine meiner Naturfarben-Papierhandabriebe (Fingerkraut und Mooshumus) der bronzezeitlichen Felsritzbilder Skandinaviens, die ca. 3.000 Jahre alt sind. Es handelt sich um eine Sonnenstandarte aus dem damaligen Sonnenkult. Das Kreuz, Radkreuz, Schweifkreuz, Spiralkreuz sind ursprünglich Sonnenzeichen, die von der jungen Christenkirche aus propagandistischen Motivationen aufgegriffen und als Todeskreuz (römischer Galgenbaum) kläglich verfälscht worden ist.