Modernes Lebensbaum-Emblem, kombiniert mit Irminsul-Spiralsäule
(Idee und Ausführung Elke Hess)
Seit dem christianischen Einbruch in die Vorstellungs- und Empfindungswelt der Germanen, mit seinen gewaltsam und schleichend vorangetragenen Versuchen, das gewachsene, eigenvölkische Geisteserbe auszulöschen, entstand jener heillose Riss, der deutsches Volk fürderhin in zwei gegensätzliche Lager spaltete: Während die eine Partei die durch christliche Lehre empfangene Selbstverleugnung und Selbstverachtung eifrig betrieb und betreibt, ist eine andere Seite quälend bemüht, in unterschiedlichen - bewussten oder unbewussten - Ansätzen die verlorengegangenen, arteigenen Heiltümer wiederzufinden und ihren ursprünglichen Sinn zu erforschen.
In die erste Reihe der geschändeten und verschütteten religiösen Bildwerke gehört das als Ermensul / Irminsul (germ. irmin = allgemein, großmächtig) oder Allsäule bezeichnete Weltstützensymbol, von dem die karolingischen Reichsannalen berichten, dass es der christophile papsthörige Frankenkönig Karl, als Auftakt seines Sachsenkrieges, im Jahre 772 zerstört habe (Annales Laurissenses).
Aus einer großen Menge des zusammengeschauten ikonographischen Fundmaterials (bronzezeitliche Felsritzungen, Keramikdekore, Schmuckgegenstände, Amulette, Fibeln, synkretistische Reliefs diverser Sakralbauten u.a.m.) sind die beiden Grundelemente der Allsäule/Irminsul unschwer abzulesen:
1. Stützpfeiler (des Himmelsdaches) als Inbild statischer Welterhaltung bzw. der Raum-Erhaltung und
2. Doppelwendel/-Spirale als Inbild der monatlich-/jährlichen Mond-/Sonnenbewegungen bzw. der Zeit-Erhaltung. Die Irminsul ist also ein religiöses Symbol für das kosmische Raum-Zeit-Kontinuum.
Sie muss sehr säuberlich getrennt werden von einem anderen alten Sinnbild, dem Weltenbaum (in germ. Mythologie u.a. Yggdrasil genannt), wenn auch die Bildsprache der Kunstschaffenden eine Vielzahl von Mischformen beider Archetypen hervorbrachte.
Was dem Lebensbaum zugrunde liegt, ist die Idee der pflanzlich-tierisch-menschlichen Seinserhaltung - des grünenden Lebens - also auch des Nährenden, Ernährenden. So wurden beispielsweise in orientalischen Stadtstaaten die nahrhafte Dattelpalme und im winterkalten germanischen Norden die immergrüne Eibe zu Lebensbaum-Sinnbildern.
Das viel umrätselte geknickte Baumgebilde mit seinen beiden Palmblatt-Voluten im Großrelief am altheiligen Egesterenstein/Externstein des Teutoburger Waldes (vom Beginn 12. Jh.) stammt eindeutig aus der heidnischen Lebensbaum-Bildtradition des Orients (vgl. babylonisch-assyrische Funde).
Die germanische Allsäule / Irminsul darf zur besseren Kenntlichmachung als Sonnenspiral-Pfeiler bezeichnet werden. Bereits aus der skandinavischen Bronzezeit findet sich ihr Felsritzbild - sogar mit Darstellung des Stieropfers, wie es der Atlantis-Bericht erwähnt, (Kasen/Bohuslän/Schweden; Abb. 1, Ausschnitt). Ein Zierblatt (Vennebo/ Västergötland, 5.Jh.) zeigt die Verschmelzung von Himmelsstütze und Sonnenbahn (Abb. 3). In heidnisch-christlicher Übergangszeit gab es Versuche, den christlichen Kreuzesbaum (Todes-/Galgenbaum) mit altgläubigen Sonnenspiralen zu kombinieren (Stein bei St. Brigids-Quelle/Irland, Abb. 2).
DIE IRMINSUL ÜBERLEBTE !
Es scheint mir aber recht sicher, dass sogar eine echte Irminsul aus alter Zeit erhalten blieb, weil sie vom Abt Sturmi(us) als Siegestrophäe nach Fulda, dem damals bedeutendsten Kloster Ostfrankens, verschleppt wurde. Dies geschah wahrscheinlich bereits während des Terrorzuges im Jahre 772, als Karl den Sachsenkrieg begann und das heidnische Externsteinheiligtum zerstörte. Abt Sturmius, der in besonderer Gunst des Königs stand, nahm am Geschehen teil und wurde mit weitreichenden Vollmachten im besetzten Gebiet ausgestattet. 778 suchte eine rachefrohe sächsische Heeresgruppe mit gutem Grund die Abtei Fulda heim, fand aber sicher nicht, was sie suchte; die Mönche waren geflohen. Sturmius verschied im Jahre darauf. 785 endete der Sachsenkrieg, der legendäre Herzog Widukind wurde zur Taufe gezwungen und verstarb nach vierzigjährigem Martyrium 825 in Reichenauer Inselklosterzellenhaft. Drei Jahre zuvor, also genau 50 Jahre nach Beginn der Ausrottungskriege gegen das Altheidentum, entstand in Fulda der Bau jener Michaels-Friedhofskapelle, die auf einem einzigen Kryptapfeiler thront, der unterhalb der Bodenlinie den „das All tragenden Christus“ symbolisieren soll. So lautet die Deutung von Bruun-Candidus, dem Dichter und Maler des Klosters in karolingischer Ära. Wer hörte da nicht die krampfhaft verchristlichende Umdeutung einer ursprünglich altgläubigen Anschauung heraus?! Das Säulenhaupt dieses gedrungenen, wahrscheinlich erst von den Mönchen verkürzten Pfeilers ist kein symmetrisch geschaffenes ionisches Kapitell, sondern zeigt die auf Vor- und Rückseite unterschiedlich gearbeiteten Sonnenlaufbahnen der wahren Irminsul (Abb. 4).
Ein eigenartig tiefsinnig-bösartiger Symbolismus tritt hier zutage: Die heidnische Sinnbildsäule ist zwar „beerdigt“, und doch muss sie als Gefangene die christliche Glorie tragen, wobei ihr obendrein durch „entdämonisierende“ verchristlichende Umbenennung die „Entseelung“ widerfahren sollte.