Schuh-Ritus zur Julzeit
Der Bote des Julgottes Fro/Freyr (die Sonnen- und Fruchtbarkeitsmacht) war der Skirnir (der Strahlende). Er galt als Freyrs „Schuhknecht“ und war der Brautwerber seines Herrn bei der schönen Gerda, der Erdfrau, die er im Frühling gewinnen und lieben will, damit wieder Fruchtbarkeit über die Menschen kommen möge.
Wenn es in Schweden bezeugter, alter Brach der Landleute war, am Julabend alle Schuhe des Hauses die Nacht über dicht nebeneinander zu stellen, auf dass alle Hausleute das ganze Jahr in Einklang bleiben, so hatte der Schuhritus sicherlich eine weiterreichende Bedeutung.
Der Schuh ist gleich einem Gefäß, welches Geschenke aufnehmen kann, wie es im deutschen Kinderbrauch zu Nikolaus und Weihnachten noch üblich ist. Die höchste Gabe, die der demonstrativ hingestellte Schuh sinnbildhaft aufzunehmen fähig ist, wären der Gottheit Heil und Segen für das gesamte nun beginnende Sonnenjahr. Die altgläubige Gemeinde stellte ihre Schuhe zur Julzeit um göttliche Schenkungen bittend nebeneinander und bekundete gleichzeitig, dass sie diese Heilserwartung als ein geschlossener brüderlich-schwesterlicher Schicksalsverband erwartete - in der der Einzelne für sich keinerlei Sonderrechte verlangte.
Der Schuh ist auch Herrschafts- und Hoheitszeichen: Durch das Hinsetzen des Fußes oder des Herrenschuhs wird Besitzanspruch angemeldet. Diese Bedeutung soll der „Bundschuh“ in den Fahnen der aufständischen deutschen Bauern besessen haben; sie wollten die neuen Herren auf eigener Scholle sein. Die altgläubig-heidnische Gemeinde betonte deshalb in Gestalt des Schuhritus sicherlich auch ihren Willen, im kommenden Jahre diesen Platz, auf dem sie stand, zu behaupten, zu verteidigen gegen jegliche Herausforderung.
In vielen Kulturen ist es Sitte, im Angesicht der Gottheit bei rituellen Handlungen die Schuhe auszuziehen. Ein Heiligtum betritt man nicht mit Schuhen ! Da die Julzeit als die heiligste Phase des gesamten Festjahres galt, in der man die Gottheiten besonders nahe glaubte, wäre der germanische Jul-Schuhritus auch erklärbar durch die religiöse Ehrfurcht, die über der Julzeit lag.
Der Schuh ist jedoch am ursprünglichsten das Sinnbild des weiblichen Geschlechtes und dessen Geschlechtsteiles - während der Fuß, welcher in die Öffnung des Schuhes hineinfährt, ein Sinnbild der Männlichkeit darstellt. Wenn Freundeskreise und Geistbruderschaften einen Stiefel-Umtrunk zelebrieren, bedeutet das letztlich: Wir sind alle aus einem Guss, stammen aus einer einzigen (geistigen) Mutter, wir leben aus „einem Schuh“ - wir sind Brüder !
Da der Julgott Freyr auch als spezieller Liebes- und Wachstumsgott galt, gibt es weitere naheliegende Bezüge zum allgemeinen Fruchtbarkeitskult. Der Schuh als Frauensynonym ist vielfach belegt. Eine Frau, die rote Schuhe trägt, zeigt, dass ihr „Herz“ in Flammen steht. Nach einer hessischen Sage fasste ein von einem Nachtmahr geplagter Mann nachts in der Bettdecke einen Pantoffel und nagelte ihn an die Tür. Am Morgen sah er, dass dies seine Frau war. In Böhmen heißt es, dass der junge Mann, dessen Stiefel knistern, bald heiraten wird. Verbreitet ist der Brauch, Neuvermählten Schuhe nachzuwerfen, um die eheliche Fruchtbarkeit zu fördern. In manchen Gemeinden tauchen Bräute ihre Schuhe in bestimmte Quellen, um sicher Kinder zu bekommen. Mit von ihr hergestellten Zauberstiefeln bewirkte 1026 eine Nonne zu Pfalz bei Trier, dass der Erzbischof Poppo, den sie sehr liebte, jedesmal von heftigen Begierden nach der Umarmung eines Weibes ergriffen wurde, sobald er die Stiefel nur anzog. Auch anderen Männern erging es geradeso. Schließlich wurde die Nonne aus dem Kloster gestoßen und dieses aufgelöst.