Abb. 1 - „ALUGOD “ = „Heil[trank]zauberschutz-God“ („Gott“ / „Gut“) - Runeninschrift der Pracht-Rosettenfibel von Værløse / Seeland, aus dem Frauengrab einer 20-35-Jährigen der Oberschicht aus dem 2./3. Jh. n.0. - Der sakrale Begriff „alu“ („Bier“) kommt aus dem Rauschtrank-Opfer-Kult für die Gottheit und hatte somit eine weitaus tiefere und umfassendere religiöse Bedeutung als unsere heutige Getränkbenennung. Elmar Seebold übersetzt die Værløse-Runen mit Opferfest“ und „Festopfer Heil, weil er den Formelbegriff „alu“ nicht - schon ohne Hakenkreuz - als „Heil“ wertet, ähnlich wie „salvs“ = Glück / Heil (aus lat. salus“), der sich als ein Formel-Begriff auf röm. Münzen findet. Wie weltfremd und bar jeden Realitätssinnes solchefachlich kompetenten Übersetzungen mitunter ausfallen, erweist sich auch hier. Wie hätte je eine junge Frau auf die skurrile Idee verfallen können, sich auf ihre ständig getragene Gewandtspange „Trankopferfest“ gravieren zu lassen ?! Es muss sich bei dem Begriff schon um etwas Bedeutenderes gehandelt haben ! E. Seebold bezeichnet das Wort „alugod“ als „endungsloses Maskulinum“; ich gehe davon aus, dass der Runenritzer den Begriff „GOD“ keinem Geschlecht zuordnen wollte, indem er es bewusst vermied, ein „a“ oder „o“ anzuhängen.
 
Die Frage erhebt sich, ob die runische Buchstabenfolge „GOD“ als „Gott“ oder als Odin-Synonym, im erweiterten Sinne zusammengehend mit dem Seelen-Geistbegriff „OD“ („Seelen-Gut / Seelen-Heil“), gedeutet werden darf ? Einer von Odins altnord. Bezeichnungen war „Hergautr“ (Heergott). „Gaut“ war ein hochmittelalterlicher Gottesbegriff in Skandinavien. Es ist einer der aus Edda und Skaldik überlieferten Odinsnamen. Aber die Værløse -Inschrift ist um 1.000 Jahre älter als die Edda-Niederschriften. Die begrifflichen Verwandtschaften und das Ineinsgehen von „Gott“ und „Güte / das Gute“, sowie die zu beobachtenden Lautsprünge von „u“ zu „o“ und umgekehrt, wie sie bei Städte- und Vornamen (Odo / Udo / Otto) leicht nachzuweisen sind, und die mittelalterlichen germ. Lautverschiebungen des Gottesbegriffes (Wôðananz - Wōden/Uuoden - Wuotan - Wotan - Godan/Guodan - Wodin - Óðinn/Odin und Oð) lassen vermuten, dass der Gottesnamen „Odin“ und die allgemeine Bezeichnung für „Gott“ weitgehend - sich so gut wie trennungslos - miteinander verwoben. Auch die Bedeutungen bzw. das Volksverständnis bezüglich der Ortsnamen auf der dänischen Insel Fünen, „Odense“ („Odin-Weihestätte“) und „Gudme“ (Götter-Heim“), war recht identisch, denn beide Plätze waren Odin-Kultorte. Eine Bestätigung meiner alten Vermutung fand ich nun erst bei Klaus Düwel der zu „alugod“ der Prunkfibel von Værløse schreibt: „Wegen der Endungslosigkeit muss es sich wohl um ein Wurzelnomen handeln, und zwar um ein Neutrum. Hierfür kommt nur das Wort Gott in Frage, das ein altes Neutrum mit der Bedeutung ‚Opfer‘ gewesen sein muss.“ (Klaus Düwel, „Runische Schriftkultur in kontinental-skandinavischer und angelsächsischer Wechselbeziehung“, S. 62f, in „Ergänzungsbd. z. Reallex. d. Germ. Altertumsk.“, Bd. 10, 1994)
 
   
 
Abb. 1 a - Brakteat „G 205“ von Djupbrunns/ Gemeinde Hogräns / Gotland / Schweden - Der Wodin-Kopf spricht das Heil-Formel-Wort „ALU“.
Gematrische ODING-Addition: 21 + 4 + 23 = 48 = QS 12 bzw.  3
 
 
Odal-Rune = 1. Runen-Buchstabe bei rechtsbeginnender Lesung
 
Beschauen wir die ältesten Runenfunde, um die Urform der „o“-Rune zu untersuchen. Im Illerup Ådal (Tal der Illerup Å, einem Fluss) bei Skanderborg, 20 km südwestlich von Aarhus, nahe der jütländischen Ostküste, lag der Zeit zwischen 200-450 n.0 einer von mehreren kleinen Seen mit einer Ausdehnung von 400 × 250 m und einer Tiefe von etwa vier Metern. Dort wurden Opferungen - u.a. Waffenopfer - vorgenommen. Es konnten etwa 1.200 Funde gesichert werden. Die meisten Menschenopfer werden in das 1. Jahrhundert v.0, die Waffen auf 200 n.0 datiert. Ein riefenverzierte Schildfesselbeschlag aus Silber hat eine Länge von 18,8 cm. Darauf findet sich eine linksläufige Runeninschrift von Höhe 5 bis 8 mm, die als „niþijo tawide“ („[die] Neidische machte“) zu lesen ist, da urgerm. „nīþa“ = „Neid“ bedeutet (ahd. m. Nithbald, Nidperht, f. Nitfalia, Nithildis). Vorgeschlagen wurde auch die Lesung: Die Nichte (weibliche Verwandte) machte [den Schildgriffbeschlag]. Der Personennamen „niþijo“ mit „o“-Endung ist im Nordwestgermanischen als Femininum zu verstehen. Die hier verwendete „o“-Rune wurde als fast kreisrundes Schlingenzeichen mit kurzen Beinchen geritzt. - Eine Lanzenspitze aus Illerup-Årdal lträgt die linksläufige Runeninschrift „wagnijo“ (erste Rune „w“ ist seltsame Spiegelrune). Aus urgerm. „u̯aǥna“ (ahd. Wagan) = „Bewegung / Wagen“, könnte möglicherweise „[die] Wagen[schnelle]“ gelesen werden. Doch es wird hier - auf einer Speerspitze (auf zwei weiteren gleicher Begriff !) - weniger angels. „wæg“, as. u. ahd. „wāg“ = „Bewegung / Woge / Wagen“ gemeint sein, als angels. „wægan“ = „beunruhigen / plagen / täuschen / fälschen / vereiteln“ -, wohl die Speerschärfe als „[die] Täuschende und Plagende“. Die späteren anglo-friesischen Runenritzer setzen für „æ“-Laut die „a“-Rune ein. Ebenfalls wurde bei der Inschrift die „o“-Rune als ovales Schlingenzeichen gepunzt (Abb. 1 b).
 
 
Abb. 1 b - Rechtsbeginnende Runenfolge: WAGNIJO - 2. Jh. n.0
 
Wenn wir die Entwicklungsgeschichte des germanischen Schlingenzeichens, der Odal-Rune bzw. der Od-Hieroglyphe erforschen wollen, müssen wir uns nach Vergleichsmustern umschauen. Diese liegen tatsächlich vor, mit - soweit überprüfbar - ähnlichen Sinnbildinhalten wie sie, meinem Erkenntnisstand entsprechend, der Odal-Rune eigen sind. - Die folgenden Angaben wurden angeregt durch mein Besuch der Hethiter-Ausstellung, Bonn, 2002 bzw. den Ausstellungskatalog „Die Hethiter und ihr Reich - Das Volk der 1000 Götter“. Schon die althethitischen Siegelbilder des 17. Jhs. v. 0 zeigen Schlaufen, Flecht- und Zopfbänder, wie sie später für die germanische Sakralkunst so typisch wurden. Sie führen ebenso bereits das Doppelaxt-Zeichen, das als 2. Runen-Zeichen in das germ- ODING-Heilszeichen-Systems einging. Die malteserkreuzförmigen Siegel der Großkönig-Mursili-Epoche (1604-1594 v.0) sind mit Hieroglyphen beschriftet und zeigen ebenfalls das Doppelaxt-Zeichen. Eine Landschenkungsurkunde (Katalog Nr. 91) aus althetitischer Zeit, Höhe 8 cm. Breite 5,7 cm, zeigt auf gewölbter Vorderseite der Abdruck eines anonymen Tabarna-Siegels [Königs-Siegel]: „Im Zentrum des Siegelabdrucks befindet sich, wiederum von einer Linie gerahmt, eine achtblättrige Rosette, daneben das Lebenssymbol und einem Dreieck.“ („Die Hethiter“, S. 339) Ein Rollsiegel aus dem mykenischen Palast vom griech. Theben aus dem 14./13. Jh. v.0 mit luwischer Hieroglypheninschrift, wohl ursprünglich aus dem Nordsyrischen Bereich stammend, zeigt mehrmals die Lebensschleife, über und unter dem Dreieck-Heilszeichen (S. 80, Abb. 3). Diese Lebensschlinge weist unterhalb der „Öse“ eine Art Querbalken auf, der die hetitische Doppelaxt meinen könnte. Eine Tonplomben mit dem Siegelabdrucke aus dem Tempel 1 von Sarissa/Kuşaklı des hethitischen Königs Mazitima (um 1250 v.0 ?) zeigen eine Flechtbandumrandung, die als Hinweis auf eine Datierung in die althethitische Zeit angesehen werden darf. Der Siegel zeigt ein Schlingenzeichen, der kursiven Odal-Rune gleich, so wie die Kreuzschleife als Lebenssymbol (S. 185,  Abb. 11). Zu der Lebenssymbol-Schleife schreibt Prof. Dr. Ali Dincol: „Die ältesten Abdrücke von hethitischen Königssiegeln werden in der ersten Phase des Althethitischen Reiches datiert. Auf der Stempelfläche der ausnahmslos kreisförmigen Siegel befindet sich im Mittelfeld die Kreuzschleife als Lebenssymbol, das Dreieck als Heilszeichen sowie eine Rosette, deren Bedeutung bislang ungeklärt ist.“ („Die Hethiter“, S. 89) Eduard Meyer „Reich und Kultur der Chetiter“, 1914, zeigt auf S. 46f , Fig. 37 + 38 hethitische Siegel mit Legende. Auf dem ersten erscheint auf der Siegelfläche das gleiche Schlingenzeichen wie ich es hier vorstellte, das zweite Kopfsiegel trägt ein Schlingenzeichen das der runden oðala-Schlinge völlig gleicht. Mayer schreibt zu Fig. 37 auf Seite 152: „Unser Petschaft gehört somit zu der nordchetitischen Petschaftgruppe aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends v. Chr., auf denen ja häufig nur Hieroglyphen stehen. Von den Hieroglyphen auf unserem Petschaft sind wichtig die beiden letzen, das Dreieck und die Schleife [die dem ägyptischen Lebenszeichen ähnelt, das auch nichts weiter als eine Schleife ist], die auch sonst in dieser Kombination häufiger vorkommen.“
 
Wenn also die hethitische Kreuzschleife die gleiche Bedeutung trug wie die ägyptische Anch-Hieroglyphe, welche ursprünglich in aller Klarheit das Bild einer Schlinge war, dann könnte eine Entlehnung stattgefunden haben. Dem Knoten oder der Schleife galt in Altägypten auch in weiteren Formen ähnliche Bedeutung und Beachtung. Beim Isis-Knoten oder Isisblut oder dem Tit-Amulett, wie es genannt wird, sind die Seitenärmchen nach unten hängend dargestellt. Die Bezeichnung Isisblut geht auf die Besprechungsformel im „Ägyptischen Totenbuch“ zurück: „dein Blut gehört dir, Isis“ und später in abgewandelter Form „O Blut der Isis“. Schon im „Alten Reich“ galt dieses Knotenamulett als heiliges Sinnbild. Göttin Isis trägt in der Spätzeit dieses Zeichen als Gewandknoten. Das Isis-Blut-Amulett trat etwa ab dem Neuen Reich (ca. 1550–1070 v.0) auf und wurde, wie gesagt, mit der Göttin Isis gleichgesetzt. Es besteht aus einer Kopfschlaufe mit Ösenaufsatz, die durch einen Knoten mit zwei Seitenschlaufen und einem Vertikalbendel verbunden ist. Die ursprüngliche Bedeutung des Amuletts ist nicht geklärt. Von Ägyptologen mit dem Blut der Isis in Verbindung gebracht, wurde es dementsprechend als Menstruationsbinde interpretiert. Mit der Zeit entwickelte sich die Tit-Schleife aber zu einem allgemeinen Symbol, das den Totenseelen Schutz durch Isis garantieren sollte.
 
Abb. 2 a 2 b
 
Abb. 2 a+b - Altkretisches Zeichen von Doppelaxt und Knoten / Kultschleife nach A. Evans, „The Palace of Minos at Knossos I”, 1921, S. 432, Abb. 310 d. Es gibt Embleme dieser Art auf Keramik bei denen die Schleifenenden weiter auseinander stehen. - Abb. 3 - Das bronzene „Bieberer Amulett“ (Krs. Offenbach) wurde 1979 auf der Gemarkung „Struthäcker“ im Bereich eines Gräberfeldes - welches seit etwas 1200 v. 0 bis ins 2. Jh. n.0 benutzt wurde - aus der Örtlichkeit des Steinkistengrabes der Urnenfelderzeit (1200-800 v.0) vom Bauern Rudolf Sitzmann beim Pflügen gefunden (Karl Keller, „Das Bieberer Amulett“, 1979). Das Biberer Schlingen-Amulett legt die Vermutung nahe, dass auch die bronzezeitlich-prägermanische Kultur Deutschlands der Schlinge eine kultische Bedeutung zumaß.
 
Auch Altkreta kannte den kultischen Knoten (Abb. 2 a+b) , der als Zusatz, nicht als Teil des Gewandes der Priesterin im Nacken geknüpft war und als Zeichen der Priesterwürde galt. Ebenso wurden auch die in Opferzügen überbrachten Stoffe und Gewandgaben in Form geknoteter Schlaufen getragen, überreicht oder niedergelegt. Die Knoten spielten eine Rolle bei der Hochzeitszeremonie. Der Kultknoten auf dem Fresko der sog. „Pariserin“ in Knossos wird mittels einer Nadel im Nackenteil ihres Gewandes befestigt gewesen sein. Es finden sich unter den „kultischen Knoten“ auf Keramiken, Siegeln und Fayencen mehrfach solche - wie es Abb. 2 a + b zeigen - mit der Doppelaxt verbunden sind. Da auch im bronzezeitlichen Altgermanien (Abb. 3) die Kultschleife zumindest nicht unbekannt war, darf eine breite Kultur- und Volksgrenzen überschreitende Tradition der Kultschleife angenommen werden. In Altägypten und Althatti galten sie als Sinnbilder einer körperlosen Belebungskraft. Der Entwicklungsgedanken, der zur Odal-Rune führte, muss aus diesem Vorstellungskreis herrührend angenommen werden.
 
Über die Lebensschlingen-Hieroglyphen und -Amulette der Altägypter und Althetiter gelangte das Schlingen-Symbol wohl zu den Eranern/Persern der Zoroaster-Religion als Faravahar-Symbol (Abb. 5). Dieses Schlingenzeichen weist rechts und links von der „Öse“ kleine „Öhrchen“ auf, ebenso wie die Form der ägyptischen Anch-Hieroglyphe wie sie ein Figürchen des Gottes Bes zeigt (Abb. 4). Das Faravahar-Zeichen meint die jenseitige Seelenwesen. Es gab also eine Kulturgrenzen überschreitende Gemeinsamkeit der Anschauungen bezüglich des Schlingen-Symbols bis in die röm. Kaiserzeit der persischen Sasaniden.
 
 Abb. 4   5
 
Abb. 4 - Die Darstellung zeigt Bes der als Schutzgottheit galt, die ab der 12. Dynastie im Alten Ägypten (etwa 2137 bis 1781 v. 0) verehrt wurde. Bes stützt sich auf das Schlingen-Zeichen der Schutz- und Lebens-Hieroglyphe (Col. de Tout-Ank-Amon) - Auch die Toëris, Hüterin des Schlafgemachs und der schwangeren Frauen - ein Mischwesen von Nilpferdkopf und Menschenarmen - führt das gleiche Schlingen-Amulett (z.B. dunkelgrüner Steinskulptur, um 600 v.0, Mus. Kairo). - Abb. 5 - Sasanidische Goldmünzen (241-272 n. 0) Sie zeigt links oben das verkürzte zoroastrische Faravahar-Symbol, das als eine Art Schlingenzeichen dargestellt werden konnte: Ein Kreischen mit beidseitig kleinen Nocken und schlingenartigen (Spiral-)Beinen.
 
Der Name Faravahar bedeutet etwa „oberster erhabener Gute Geist, der aus Reinheit fliegt“. Der Feueraltar auf Abb. 5 wird von zwei Assistenzfiguren flankiert. Das Faravahar-Zeichen über den Flammen des Feueraltars meint im altpersischen Glauben den aufsteigenden Geist oder die Seele (Fravaši), etwas das schon vor der Geburt und auch nach dem Tod eines Menschen weiter existiert. Die Fravašis galten als schützende Ahnengeister, auch als frei schwebende Seelen noch lebender frommer Menschen, gewissermaßen ihr „höheres Selbst“. Der Numismatiker Prof. Dr. Robert Göbl teilte mir mit Schreiben vom 16.09.1989 mit, dass das Frawahr-Symbol auf Münzen seit Sabuhr I. (241-272) auftaucht, vereinzelt noch unter Wahrām V. (420-438) als Beizeichen zu finden ist. Er erklärte es als „Investiturschleife“ und verweist auf eine Silbermünze (Obol) des Sābuhr III. (383-388) wo das Zeichen tatsächlich detaillierter als Schleife erkennbar würde. (siehe dazu: R., Göbl, „Sasanidische Numismatik“, 1968 / „Josef Bauer, „Symbolik des Parsismus“, 1973, S. 85) - Auch schon hethitische Siegel führen ähnliche Zeichen, beispielsweise die „Sogen. Ziti-Siegel“ / Siegel des „Tabarna von Hatti“ von um 14. Jh. v.0 aus der Zeit des Großkönigs Arnuwanda II. (J. Friedrich, „Entzifferung verschollener Schriften u. Sprachen“, S. 74, Abb. 40). Die ägyptischen Schutzgötter Bes und Toëris führen eine ähnliche Form der Anch-Hieroglyphe und aus altkretischer Religion ist das Symbol der Kultschleife mit Doppelaxt bekannt (Abb. 2). Auch hier also hatte die Schlinge einen religiösen Stellenwert.
 
Abb. 6
 
Schon eine Bildplatte des silbernen Kessels von Gundestrup, der im jüdländischen Himmerland (Land der Kimbern) gefunden wurde, zeigt eindrucksvoll die sakralgedankliche Verbindung von Gottheit, Schlange und Schlinge bzw. Knoten. Seine Herstellung wird dem 5.-1. Jh. v. 0 zugerechnet. Es handelt sich um Bilderfolgen aus der keltischen Mythologie, die von der germanischen Bevölkerung gleichermaßen geschätzt wurden, der Kessel fand Verwendung im germanischen Kultbrauch (Abb. 6). Auch im Germanischen geht die Schlingen-Rune ) mit einem Geist-Seelenbegriff einher. Zusätzlich erkannte ich, dass im gemeingermanischen ODING-Buchstabensystem der erste Vokal eben dieses Schlingenzeichen ist und der unmittelbar folgende erste Konsonant des Systems das „d“ ist, welche beide als Begriff zusammengezogen das germanische Wort für das höchste Gut bedeuten muss, nämlich für die Seele = „Od“ -, und sich als die erste Urstammsilbe der Ur-Runen-Reihung bzw. Sprachsystematik präsentiert.
 
 
    Abb. 7  8 8 a 
 
Gewisse Vögel und Schlangen galten als Seelen-Tiere - Abb. 7 + 8 - Seelenvögelköpfe mit angehängtem Schlingenzeichen der O-Rune () auf Goldbrakteat von Simmonsnes (Abb. 7), Norwegen (Detlev Ellmers, „Zur Ikonographie nord. Goldbrakteaten“, 1972) - Abb. 8 a+b - Goldbrakteat mit Ausschnittsvergrößerung der Odal-Schlange. Dieser Brakteat Dänemark-B zeigt das mythische Schießspiel mit Baldur in der Mitte, links Loki mit Mistelzweig, rechts Wodin mit Hugin über dem Haupt. Links oben eine Seelenschlange mit angehängter Odal-Rune - (siehe dazu Karl Hauck, „Goldbrakteaten aus Sievern“, 1970, S. 193 ff) - Auf dem dänischen Brakteaten  „DR BR18 – SKOVBORG“, der das kultische Schießspiel mit Baldur und Loki ins Bild setzt, ist sowohl die Od-Schlange (Od-Schlinge als Schlange fortgeführt) wie der Od-Vogel (Od-Schlinge mit aufgesetztem Vogelköpfchen) zu sehen.
 
Die Doppelschlange
 
Interessant im hier besprochenen Zusammenhang ist, dass Vokalzeichen für O oder Ö der ägyptischen Sprache zwar eigentlich fremd waren, man aber beim Schreiben ausländischer Namen für die Wiedergabe dieses Lautes ein Schlingenzeichen verwendete, das von den Fachleuten als Seil gedeutet wird. Die Buchstabenform des O-Lautes im Griechischen ist von einer Schlinge weit entfernt. Aber der germanische Runenschöpfer verwendete ein (Seelen-)Schlingen-Schlangen-Zeichen für seinen O-Laut. Trotzdem werden sicherlich griechische Mythologie und ihre Bildwerke auch ein Bindeglied zur germanischen Seelenschlinge, dem Odal-Knoten, geworden sein. Denn einer der 12 olympischen Götter, listenreicher Meister der Magie, der Götterbote Hermes, welcher die Beschlüsse des Zeus verkündet und die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits führt, trägt den Schlangenstab (Caduceus / Kerykeion), dessen Schlangensymbol auf den Bildwerken oft einer einfachen Odal-Schlinge gleicht. Die Römer setzten ihn ihrem Mercurius gleich und weihten ihm 495 v. 0 einen Tempel in Rom. In den keltischen und germanischen Provinzen wurde seine Verehrung intensiver Betrieben als in Rom selbst, worauf hunderte von Weihesteinfunde mit germ. Namenszusätze hinweisen. Tacitus erwähnt in seiner „Germania“ dass der Gott dem Wodin-Odin gleichgesetzt worden ist, was sich auch in der Benennung des vierten Wochentages niederschlug (angelsächs. Wednesday, schwed. onsdag). Um den geflügelten Hermes- oder Mercurstab winden sich in der Regel zwei Schlangen mit zugewendeten Köpfen. Aber auf Hermes-Darstellungen attischer Grabbeigabe-Vasen (Lekythos) des 5. Jh. v.0 zeigen die Stabspitzen eine einfache Schlinge. Eine der frühesten Nachweise, bei denen sich zwei Schlangenköpfe am Hermesstab finden, ist ein Bronze-Caduceus aus dem 5. Jh. v.0 (Abb. 9) im Nationalmuseum von Palermo. Seit dem Hellenismus wurde die Bedeutung des Hermes-Mercur zunehmend umfänglicher, indem er mit dem ägyptischen Gott Thot identifiziert wurde, welcher als Erfinder aller Weisheiten, wie Magie und Weissagung, Zeitrechnung, Schrift, Mathematik, Astronomie und Gesetze wurde. Die germ. Anschauung von Wodin als belebender Seelenhauch- und Heilgott findet sich auf Zeugnissen der mittelalterlichen germ. Amulettkunst (Braktaten) und wurde von dem Mediävisten Karl Hauck beschrieben („Goldbrakteaten aus Sievern“, 1970)
 
Der Symbolforscher Julius Schwabe (1892-1980) vermutet in „Archetyp und Tierkreis“, 1951, S. 217 ff „Vom Sinn des Schlangenstabes“ und S. 262 ff von „Doppelschlangenmythen“, dass am wahrscheinlichsten der Schlangenstab in Sumer aufgekommen sei und von dort noch vor dem Ende des 4. Jahrtausends „über alle Erdteile getragen wurde“. Schwabe zeigt ab S. 269 ff die Symbolik vom „Hermesstab“ auf und erklärt schlüssig den Sinne der „Lebensschlage“ und der Todesschlange“, bis hin zur S. 268 ff „Schlangenstab und Kundalini-Yoga“. Dem ist wenig hinzuzufügen, nur eben die Zeugnisse des germanischen Doppelschlangenkultes, von dem Schwabe nichts wusste.
 
Abb. 9  10 11  12 
 
Abb. 9 - Palermo, Bronze-Kerykeion, 5. Jh. v. 0 (Nationalmuseum von Palermo), Abb. 10 - Hellas, spätes 6./fühes 5. Jh. v.0 (Metropolitan Mus.) - Abb. 11 - Kerykeion mit Heraklesknoten, spätklassische Zeit (Boston Mus.), mit Dioskuren-Paar Kastor und Polydeukes. Da sie in der gleichen Nacht (durch Zeus u. dem Ehegatten der Leda) empfangen wurden, sind es Zwillinge und wurden unzertrennlich, allerdings war Polydeukes ein Halbgott, Kastor aber ein Sterblicher. Polydeukes wanderte seinem Zwillingsbruder zuliebe zwischen dem Olymp und dem Hades. Die Dioskuren waren mithin ein Symbol für die Verbundenheit von Himmel und Erde, wie die wandernden bzw. zwischen Himmel und Erde kreisenden Seelengeister. - Abb. 12 - Kerykeion mit Inschrift in dorischem Dialekt weist den Stab als Eigentum der sizilianischen Stadt Syrakus aus, 480-470 v. 0 (Stiftung Hamburger Kunstsammlungen) Aus dem antiken Merkur-Schlangenzeichen ist das astronomische Merkur-Symbol abgeleitet worden, nur dass an den unteren Kreisrand noch ein gleichschenkliges Kreuz angesetzt wurde. --
 
Bei den Griechen scheint die Schlange bereits als eine Verkörperung des Toten gegolten zu haben (Martin P. Nielsson, „Geschichte der griech. Religion“, 1967, S. 198 f). Im deutschen Volksglauben war das Seelenschlängelein eine weit verbreitete Vorstellung. Es vermochte sogar im Schlaf aus dem Körperhaus auszutreten und auf Erkundungsreise gehen, was der Schläfer als Traum wahrnahm. Wie der ägyptische Bar-Vogel, die eranische geflügelte Fravaši-Seele und der griech. Seelen-Schmetterling, sind auch für die germ. Wodan-Mythologie gefiederte Seelenwesen bezeugt.
 
Abb. 13 14 15  
 
Abb. 13 - Weiherelief des Merkur (germ. Wotan) und der einheimischen Göttin Rosmerta; beide mit dem Doppelschlangen-Heroldstab (röm. Kaiserzeit). Gefunden in der Wiesbaden-Bierstädter Feldflur „Hydenkopf“ („Sammlung Nassauische Altertümer“, Wiesb.). Die Reduzierung vom Schlangenstab des Paares Merkur und Rosmerta zur einfachen Schlinge scheint auf dem Relief von Devant-les-Ponts bei Metz vollzogen (abgebildet: Abb. 4, S. 218, im „Lexikon d. griech. u. röm. Mythologie“, Bd. 4, 1909-15), welcher die zwei Gestalten mit Füllhörnern zeigt, in denen Merkur und Rosmerta erkannt wurde, obwohl die Gewandung des Gottes ungewöhnlich ist. - Abb. 14 - Wodanische „Grabstele von Niederdollendorf“ (LVR-Landes-Mus. Bonn) des 6./7. Jhs. zeigt auf einer Seite Wodan mit Kopf-Aureole und Ring auf Brust auf Odal-Schicksalsgeflecht stehend. Auf hier gezeigter Seite ist der Verstorbene Krieger zu sehen, mit Schwert, Feldflasche und Doppelschlange der Wiedergeburt über seinem Haupt. - Abb. 15 - Der „Reiterstein von Hornhausen“ (Lkr. Börde)ist eine Steinplatte (Höhe 78 cm, Breite: 66 cm, Tiefe 11-15) mit der bildlichen Darstellung eines wodanischen Reiters, die auf das 6./8. Jh. zu datieren ist (Landesmus. für Vorgeschichte in Halle/Saale) stammt aus einem Gräberfeld. Ob der Reliefstein als Chorschranke diente, was eher unwahrscheinlich ist, oder als Grabstein eines heidnischen Sachsen, bleibt unwesentlich, denn bei der Darstellung handelt es sich um den germ. Geistgott mit seinem signifikanten Speer, dem Schild mit den 6 Strahlen (Runenzahl 6) und dem ornamentalen Doppelschlangenmotiv im Sockel. - Der Dom zu Bremen stammt mitsamt seiner Ostkrypta aus dem 11. Jh., in dem noch die aktuelle Auseinadersetzung der Christenkirche mit „unbelehrbarem“ heidnischem Volk tobte. In diesem Zusammenhang sind die heidnisch-germanischen Symbole der Säulenköpfe im Altarbereich zu beachten, wie der Fenriswolf, Midgardschlange und eben auch die von mir beschriebene Doppelschlange, die sich um eine achtblättrige Blüte windet. - Ein Pressblechrelief an den bronzenen Beschlägen des Holzeimers aus Loveden Hill / Lincolnshire setzt die Doppelschlage ins Bild -, K. Hauck bringt es in „Gold aus Sievern“, Fig. 27 + Abb. 61. Gleichartige Motive „Urvater-Doppelschlangen“ bringen weitere Zeugnisse die K. Hauck vorführt, u.a. vom runenlosen Horn aus Gallehus, dem Bildstein von Aspö u. auf einem Brakteaten der Abb. 63/64. Hauck geht in S. 282 darauf ein: „Der Hauptakzent liegt hier auf einer Doppel-Schlange, in der zwei kleinere ,monstra’ hängen. Das wurmartige Doppelwesen begegnet in dem Zeithorizont auch sonst … Es bleibt dahingestellt, wie weit hier mit der Doppelschlange eine Geschlechterfolge vom Zwitter-Urwesen zu seinen ersten Nachfahren mitgeteilt werden sollte oder inwiefern man doch besser, wozu ich neige, mit einer weiteren Formel der schlangenhaften Prae-Existenz von zwei Stammeltern-Paaren rechnet.“
 
Abb. 16 a  16 b
 
Der Doppelbrakteat „Lyngby“ (Dänemark, nördl. Kopenhagen) mit zwei unterschiedlichen Prägebildern auf Vor- und Rückseite, führt das Schlangen- und Doppelschlangen-Motiv in einmalig aufklärender Weise vor. Der junge Wodin- oder Baldurkopf, mit dem Seelenzopf, ist umrahmt von der Doppelschlange die sich an den Schwanzenden ineinander flechtet. Unmittelbar unter dem Haupt ist die ältere Odil-Rune abgebildet, der mittels eines Stegs verbundenen beiden Kreise. Vor dem Mund die göttliche Atemchiffre des linksdrehenden - also zur Wiedergeburt eilenden - solaren Hakenkreuzes. Auf der Rückseite wird die gleiche Bildaussage wiederholt. Zunächst windet sich rund herum unterhalb des Randes der Ouroboros (griech. Schwanzverzehrer), einer Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt und so mit ihrem Körper einen geschlossenen Kreis bildet. Es ist ein uraltes Symbol der Ewigen Widerkehr, schon aus dem alten Ägypten belegt, bis ins Hochmittelalter und der Neuzeit aus alchemistischen Traktaten bekannt. „Allem Zukünftigen beißt das Vergangene in den Schwanz.“ Die Viererschlinge in der Mitte meint möglicherweise die vier Sonnenjahreszeiten des durch die Sonnenwenden und -gleichen quadrierten Jahres oder/und  die vier Mondgestalten, alles Sinnbilder des ewigen gleichen Wandels der Zeit. Im Zentrum darf das Sonnenzeichen - als hl. Hauptzeitweisergestirn - nicht fehlen.
 
 
 Abb. 17 18
 
Abb. 17 - Doppelschlangen-Baumsärge der wodanischen Alemannengräber von Oberflacht. (Krs. Tuttlingen) aus dem 6. Jh.. - Abb. 18 - Alemannische Gürtelschließe mit Doppelschlangen-Motiv von Kaiseraugst. - Die o-Rune in kantigen wie kursiven Formen ist in einer überwältigenden Fülle auf Bildwerken der Sakral- und Alltagskunst (z.B. germ. Gewandspangen, Gürtelschnallen- u. Amulettbilder) auf uns gekommen. Der germanische Begriff des Heiles, des Gutes, des höchsten Gutes, nämlich des Ewigen Lebens in Seelengeistform steckt im Worte Od, das nicht allein die Zentralsilbenlautung des Wortes God / Gott darstellt, sondern in einer weiteren Vielzahl von germ.-altdeutschen Wortbildungen vorkommt. Am prägnantesten aber erscheint der OD-Begriff am Beginn des einzigen in sich geschlossenen literarischen Denkmals aus gemeingermanischer Urzeit, der 24-er Ur-Runenreihe.
 
            
 
In Nachahmung der kretisch-minoischen Symbolkombination von Doppelaxt und Kultschleife / Lebensschlinge stelle ich hier die Binderune der ersten beiden Zeichen der rechts-beginnenden ODING-Runen-Hieroglyphen-Reihe vor. Es handelt sich dabei um den ersten Vokal (O) und den ersten Konsonant (D) des germanischen Lautsystems, also deren Urstamm-Silbe. Diese Urstamm-Silbe heißt OD = Seelen-Gut.
 
Zahlenmythologisch besitzen bereits diese beiden ersten Runen „OD“ den gleichen Wert wie der gesamte Runenkosmos von 24 Hieroglyphen zusammen genommen, denn 1 + 2 = 3 und die Addition der 24 Runen ergibt 300 also ebenfalls 3 – Aller guten Dinge sind eben Drei !
 
 
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Abb. 23 - Germanischer Od-Haarknoten, Bild von Flemming Bau aus „Germanica“, 2006 - Abb. 24 - Im Kammergrab bei der südmährisch-deutschen Gemeinde Muschau der eines markomannischen Würdenträgers des 1./2. Jhs. fand sich ein Bronzekessel mit vier Ringgriffen die männliche Germanenbüsten mit den typischen seitlich am Kopf gebundenen sog. „Suebenknoten“ zeigen. Der signifikante Haarknoten des Geistgottes Wodin innerhalb der Brakteaten-Ikonographie hat seine Entsprechung bei Abbildungen der geistwesenhaften Walküren sowie der germ. Muttergöttin Freia-Freyja, wie es das altdänische Freyja-Figürchen von Tissø demonstriert (Abb. 25).
 
Seelengang und Schicksalsweisung sind nicht zu trennende Vorstellungskreise. Die Schicksalsfügungen erschienen dem Altgläubigen vorgeknüpft, vorgeknotet in seinem von den Schicksalsmächten zubestimmten vernetzten Schicksalsgefüge. Eng und unlösbar vernetzt wurden die Individualseelen mit der Sippenseele geglaubt. Auch darum das immer wiederkehrende Bild des Gefechtes ! Wie überraschend stimmig dieser „Glaube“ war (bzw. noch immer ist) beweist die heutige Gen-Wissenschaft aufs Nachdrücklichste („Zwillingsprojekt von Minnesota“, 1979). In engster, uns heutigen kaum noch nachvollziehbarer Bedeutung, standen Haupthaar und Seele. Das prachtvoll wachsende Haar scheint als ein Gradmesser der Seelenvitalität gegolten zu haben. Um diese zu erhöhen, indem er die magischen Kräfte des Seelenschlingen-Amuletts heranbeschwor, trugen germanische Menschen ihre Haarknoten, welche letztlich nichts anderes darstellte wie die Od-Rune auf Gürtelschnallen und Fibeln. Möglicherweise als Bekenntnis zum, oder als Beschwörung des seelisch Starken-Guten trug die germanische Frau den Od-Haarknotenzopf am Hinterhaupt und der germanische Mann an der rechten Stirnseite. Auf den mittelalterlichen Brakteaten-Bildern wird Geist-Seelengott Wodin oft mit dem Haarknoten am Hinterkopf dargestellt, oder sein Nackenhaar läuft in einem Seelenvogel bzw. Seelenschlangenkopf aus. Wobei diese Darstellungen jener Wesen oft gleichsam wie Vogel-Schlangen-Mischformen erscheinen.
 
Schlinge und Schlange
 
Die Zusammenschau bzw. Deutungsverwobenheit von Schlinge und Schlange erweist sich bereits aus dem Symbolfundes des antiken, kaiserzeitlichen und frühmittelalterlichen Hermes-Merkus-Wodin-Kultes. Der Seelenweiser- und Schlangenstab des Hermes-Merkur verband Schlinge, Schlange und Knoten. Daraus leitet sich fast zwanghaft die Vorstellung vom Geflecht des Schicksalsgewebes ab, welches von den Seelengeleitgöttern, die über Tod und Leben gebieten, gestaltet und gewaltet wird. Die Vorstellung der Seele als Schlangenwesen erfordert als Gebieter der Seelenschlangen zwangsläufig eine göttliche Schlangenwesenheit. Was in alten Bildern hinsichtlich Isis und Osiris ebenso hervortritt wie aus den Schlangennamen des germ. Seelenweisergottes Wodin -, sowie den Schlangen, Doppelschlangen der gezeigten Fundstücke und den wodanischen Haarschlingen des Gottes (auf Brakteaten) und seiner Gläubigen. Die Schlange ist bei den Griechen nicht nur den chtonischen Mächten beigegeben, auch allen Gottheiten die agrarische Funktion haben, wie Athena, Ceres, Kore und Demeter, die auf dem Schlangenwagen fährt. Und Erdmutter „Ge ist also die Mutter der Schlangen“ (S. 86, E. Küster). Und auch in nordischer Mythologie scheint, wie Hugo Gering ausführt, der Begriff der Schlange auf die Erdgöttin gemünzt gewesen zu sein („Kommentar zu den Liedern der Edda“, S. 331). Bei den Ägyptern hat man die 4 weiblichen Urpotenzen als Schlangen oder schlangenköpfig dargestellt. Kraft ihrer chthonischen Natur wurden der Schlange die Gabe der Weissagung zugeschrieben. Die Schlangengöttin vom Palast in Knossos ist sehr bekannt, aber schon sumerische Abbildungen zeigen die Göttin mit Schale und Schlage. Es darf nicht übersehen werden, dass der germanische Wodin, als Ahnengeist und hermisch-merkurischer Psychopompos - trotz seines Aufstieges zum himmlischen „Göttervater“ - ein entschieden chtonischer Gott war, dem jedenfalls Schlangenaspekte zuzurechnen sind. Vielleicht assoziierte schon der germanische Begriff der Schlange und des Wurmes „Orm“ mit dem „o“-Anlaut (  ), wie er sich noch im Schwedischen gehalten hat, die Gedankenverknüpfung von der oðala-Schlingen-Rune zum Seelenbegriff -, wie auch der die Seelen bewegende Odins-Trank „Óðrörir“ (Seelenaufrührer) und des Odins Schlangenamen „Ófnir“ (Anreger). Die Idee der Seelentiere - Schlange und Vogel - erscheinen auf etlichen der Darstellungen derart verwoben, dass man von einer Federschlange sprechen könnte. - Schlangengleich als Schlinge legt sich auch der Gürtel um den Leib eines jeden Trägers und verleiht ihm mystische Kraft, wie der Kraftgürtel des Gottes Donar-Thor. Mit sicherlich weitreichenden Glaubens- und Hoffnungsvorstellungen schob der Germane seine Gürtelzunge zur Gürtelschließe, deren Metallteile oft reichhaltig mit fantasiereichen oðal-Runen und  Schlingen-Schlangenmustern geschmückt sind. Schon das Schlingensymbol mit dem verkürzten Querband wird sich in Altägypten aus einer Gürtelschlaufe entwickelt haben, wie es eine Abbildung von ca. 1000 v.0 der Göttin Nut, welche die Sonnenscheibe über den Kopf hochhält, aus der Grabdeckel-Innenseitenbemalung, erweist. (Heinz Demisch, „Erhobene Hände“, S. 53, 1984) Der kraft- oder glückspendende Gürtel hatte im iranischen Glauben seinen Stellenwert, es kann im Germanischen nicht anders gewesen sein.
 
Abb. 22 23
 
Die germ. Seelenschlangen(-Wesen)-Darstellungen der Kleinkunst treten in großer Variationsbreite auf. In gegenläufiger S-Form (Abb. 22), U-Form, gekonterter U-Form (Abb. 23), Vierfoss-Form, 8-Form (dem Unendlichkeits-Sinnbild) usw.. Einige tauschierte germanische Gürtelschnallengarnituren mit Tierstielornamenten aus Gräberfeldern des 6./7. Jhs. zeigen das Detail der verkürzten Doppelschlange, deren beide Mäuler die Schleifen-Enden einer oðala-Schlinge halten. Beide schönsten archäologischen Thorshammer-Funde tragen das Seelenschlingenzeichen. Der Mjölnir von Bredsättra auf Öland / Schweden zeigt die Dreierschlinge und das von O. Montelius vorgestellte Stück („Kulturgeschichte Schwedens“, S. 90) zeigt die liegende 8, die sich durch den Kreis schlingt, flankiert von zwei S-Zeichen. Aus den bajuwarischen Reihengräbern des 5./7. Jh. n. 0 von Maisach, Lkr. Fürstenfeldbruck / Oberbayern hob man tauschierte Beigaben, wie Gürtelgarnituren mit Silbereinlagen. Auf der Rückseite der Riemenzunge mit den Seelen-Schlangenvögeln und Schicksalsgeflecht-Muster („Tierstil II.“) aus dem Frauengrab Nr. 50, wäre folgende Runeninschrift (ohne Inaugenscheinnahme des Originals) einer gotischen Sprachform zu lesen: XI-IGI-RA-GOTI = giba (gebe) igils (der Schlange) ragin (Rat) [für] Goti (Goten). Wir haben hier also die Erwähnung der Seelenschlange in Wort und Bild vor uns ! In einer Veröffentlichung über diese Riemenzunge von Maisach wird auf die von mir hingewiesene Selbstverständlichkeit eingegangen, dass zur Zeit der Nutzung, dem Gürtel eine magische Bedeutung zukam. Der Unverstand des Autors spricht indes von einem „Raubvogelmotiv“. Naiv stellt er die Frage in den Raum: „Die Riemenzunge könnte ihr [der Trägerin] demnach als Heilszeichen, Andenken oder Amulett gedient haben.“ Auch hinsichtlich der Inschriftdeutung tappten die Fachleute im Dunkeln. (Reimann / Düwel, „Recycling im Frühmittelalter: Maisach Grab 50“, „Das archäologische Jahr in Bayern 2001“ (2002), 109 f.)
 
 
Abb. 24 - Runeninschrift (XI-IGI-RA-GOTI) vom Frauengrab 50, Maisach / Lkr. Fürstenfeldbruck
 
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Zum Hof der Wartburg (bei Eisenach) hin öffnet sich der Palas mit Rundbogenfenstern und mehr als 200 spätromanischer Kapitelle, deren Motive - wie gewöhnlich - Gebilde aus der zu schmähenden altheidnischen Vorstellungswelt darstellen, wie Lebensbäume, mythische Tiere und ornamentales Beiwerk -; Datierung: 1170 bis 1200. Die heidnisch geglaubten Seelenschlangen, Doppelschlangen bzw. die Mischwesen der Seelen-Federschlangen schlugen sich in vielen Kapitell-Reliefs den romanischen Schmähkunst nieder, so auch auf Säulenköpfen der Wartburg. Einmal ranken die Schlangen aus dem Mund eines Heidenkopfes, mal flüstern sie ihm in die Ohren (Abb. 25). Auch Kapitell der Abb. 26 thematisiert das Schlangen-Vogel- Mischwesen.
 
Seelenhauch-Schlange
 
Germ. odma-/odmaz, as. õthom, ahd. õtum (õtumblõst = nhd. Atemhauch), mhd. õtem/õten = nhd. Atem/Odem, Hauch, Wehen, Geist, Seele - K. Hauck spricht von „Hauch-Schänglein bei der Wiederbelebung von Balders Fohlen“ (Brakteatenbild „Skonager-S“, Abb. 117 in „Gold aus Sievern“). Der göttliche Belebungs-Hauch, der Lebens-Odem konnte - wie es die wodinische „Brakteaten-Religion“ bildhaft darlegte - als schlangenhaftes Seelentier geschaut oder sinnbildhaft demonstriert werden. Wodin-Odin ist hier der Seelen-Hauch- also Lebens-Spender. Die Edda-Texte bestätigen das. In „Völuspa“ 18,4 werden dem ersten Menschenpaar die Gottesgaben zuteil: „önd gaf Oðinn, óð gaf Hœnir …“, also: „Atem gab Odin, Seele gab Hönir … “. Hönir kann demnach nur als eine Erscheinungsform des Odin verstanden werden. Atem und Seele sind kaum zu scheiden. Dazu schreibt der Isländer Sigurdur Nordal: „önd, óðr: Hier wird eine Unterschei­dung gemacht zwischen dem Lebens­odem und der Seele. önd bestimmt die Lebens­funktionen, ist Teil des Lebens und ist Mensch wie Tier gemeinsam. óðr ist der ,göttliche Funke‘ im Men­schen, der auf höhere Mächte zurückgeht.“ („Völuspa“, 1980, S. 48) Óðrörir, „Seelenerreger“, heißt der mythische Trank aus dem Speichel aller Götter, der höchste Gelehrsamkeit, Weisheit und Dichtkunst schenkt. Der mittelalterlich-germanische Belebungsgott Wodin-Odin-Óðinn ging ersichtlich aus einer älteren Geist-Seelen-Gottheit hervor, nämlich dem Gotte Óð-Óðr. Der Umstand, dass er mit Óðinn nicht gleichgesetzt werden kann und als Ehemann der allgerm. Muttergöttin Feija-Freyja galt (Vsp. 25), erweist seinen Ursprung aus einer voraltnordischen, viel älteren, wahrscheinlich schon gemeingermanischen Schicht. Dazu erklärt Jan de Vries: „Óðr ist eine alte Gottheit, aus ihm ist Óðinn hervorge­gangen“ („Altgerm. Religionsgeschichte“, Bd. II, 1957, S.87). Óð-Óðinn - so der wodinische Glaube - gibt altn. óðr, das Seelen­leben, Seelenerregung und damit auch Verstand, Gesang, Dichtung.
 
Schlinge und Valknut
 
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Abb. 27 - Rechte Seite „Franks Casket“ mit 2 Odalschlingenknoten bzw. „Valknuts“ unter dem Ross - Abb. 28 - Gotländischer „Tängelgårde-Stein“ mit 2 „Valknuts“ - der kantigen Form - unter Wodins Ross
 
Das seelenstammgutliche Schlingenzeichen der oðala-Rune ist in seiner erweiterten Knotenform auf den gotländischen Bildsteinen beispielsweise als „Wotansknoten“ oder „Valknut“ zu begreifen, der - ähnlich dem bekannten Dreihasenbild - aus drei ineinander verschlungenen Odal-Schlingen besteht. Der altnordische Begriff setzt sich zusammen aus „valr“ für Tod und „knut“ für Knoten, meint also „Totenknoten“ bzw. sinngemäß übersetzt „Seelenknoten“. Bestätigung erfahren wir aus der Bildersprache von Gotlandsteinen (z.B. Lärbro Stora Hammars I und Tängelgårde-Stein), die den „Valknut“ im Zusammenhang mit Opferszenen und dementsprechend mit Seelenauffahrten und Wodins Ritt nach Walhall (Abb. 28) bringen. Dazu bestätigend K. Hauck: „Auf den Steinen konnten die Chiffrenkombination … die Wiederkehr der Seelen sowie die ewige Wiederkehr des Lebens verheißen.“ (, „Frühmittelalterliche Studien, Texte und Bilder einer oralen Kultur“, Bd. 17, S. 557, 1983) Bein „Valknut“ vom „Stora Hammars I“ hat sich der Knotengedanken verselbstständigt, indem 3 Winkel so zusammengeschoben wurden, dass ein stark verschlungenes aber nur scheinbares Schlingengebilde entstand, was die Odinische Trinität (Har, Jafnhárr, Thriði - Wódin, Wili, Wé - gemeingerm. Wōdinaz, Wiljon, Wǣhaz) versinnbildlichen könnte, wobei zu berücksichtigen wäre, dass auch der einfache „Valknot“ in Grunde eine gleiche Dreischlingenbogensymbolik demonstriert. Ebenso kommen auf dem „Runenkästchen von Auzon“ (benannt nach seinem Fundort an der Loire) / „Franks Casket“, einem mit Abbildungen und Runenschrift versehenes Walknochen-Kästchen des ca. dem 8. Jhs. aus dem angelsächsischen Northumbria, diese Knoten mehrfach vor. Der Schnitzer von „Franks Casket“ beschreibt den Lebensablauf eines Kriegers von der Geburt bis zum Tod und Eingang ins jenseitige Walhall. Die rechte Seite beschwört den Tod auf dem Schlachtfeld und verspricht die Auferstehung des Gefallenen mit Hilfe seiner Seelenhelferin und Wotans Ross Sleipnir (Abb. 27). Der Deckel schließlich beschwört das Leben in Walhall, wo zwei dieser Knoten die geheiligte Region markieren zu sollen. Die Seelenwesen der „Fylgjen“ und die Seelenführerinnen „Walküren“ sind in der Symbolsprache untrennbar mit dem „Valknut“ verbunden. Auch die Oðala-Schlingenzeichen - zusammen mit Sonnenkreischen - auf altsächsischen Urnen von Wehden / Lkr. Cuxhaven (z.B. Kat. Nr. 8485) bestätigen des Weiteren meine Deutung als Seelen- bzw. germanisches Wiedergeburthoffnungs-Symbol (Abb. 30). Dieses Verständnis des Schlingenbezuges auf das Seelenleben erhielt sich in tradierten aber nicht mehr begriffenen Brauchtümern. Seeelengebäcke in Zopfform waren bis in die jüngste Vergangenheit im deutschen Volksbrauchtum üblich, wofür beispielsweise das „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“, 1927-42, reiche Belege bereithält. So auch Adam Wrede in „Deutsche Volkskunde auf germ. Grundlage“, S. 176, 1938: „Man stellte auch ein Zehrbrot (Teiggebäck, Seelenbrei) aufs Grab oder legte Zopfgebäcke sog. Seelenzelte, an geweihter Stätte, in der Kirche nieder (Oberbayern) und hängte früher am Allerseelentag allgemein die ,Seelenbrezel’ an die Friedhofskreuze.“
 
 
 
Abb. 29 a + b - Urne und Ausschnitt-Bild vom altsächs. Gräberfeld Wehden-Liebenau / Heidberg, Krs. Cuxhaven - (Niedersächs. Landesmus. Hannover)
 
Abb. 30
 
Der Dreipassknoten oder Valknut erscheint in der synkretistischen altgläubig-frühchristlichen Kunst Irlands sehr oft auf den Steinkreuzen. Und hier wird sein Sinngehalt unzweideutig herausgestellt, als Zeichen der Seeligkeit im Glauben und des Seelenlebens in Gott. Das Crosfort Kreuz (Abb. 30) ist ein ausreichendes Beispiel. Aus Platzersparnisgründen habe ich es hier waagerecht ins Bild gesetzt. Die Bildaussage ist leicht verständlich: Der Mensch am Kreuzfuß (hier links) versucht mit Maulsperre in der Hand sich möglichst lange dem tödlichen Zugriff der gefräßigen Schicksals-Doppelschlange zu entziehen. Hat er es recht gemacht, als gläubiger Frommer, so geht er am oberen Ende (hier rechts) in die ewige Seligkeit des Jenseits und der Vereinigung mit Gott ein, durch den Valknut und das Radkreuz dargestellt. Die christliche Kunst hat also diese altheidnischen Sinnzeichen aufgegriffen und für sich in ambivalenter Art und Weise verwendet. Die Motive Ring, Schlange und Doppelschlange finden wir vornehmlich in der kirchlichen antiheidnischen Schmähkunst (zwei Schlangen fahren aus dem Maul von Heidenköpfen) der Kapitelle ebenso auf Tympanireliefs, wie dem vom Westportal der Benediktiner-Abtei von Brauweiler.
 
Ein germanisches Weltmodell
 
So wie die einfache Oðal- Schlinge die Seele bzw. Seelenwesen meint, steht die in sich zurücklaufende Dreierschlinge die Reinkarnation oder die seelischen Ewigkeitskräfte und -mächte. Ist die Dreierschlinge vor dem aufgerissenen Maul eines Flügeldrachens placiert, will der Gestalter damit sagen, dass der „Teufel“ sich anschickt diese „Seeligkeit“ zu verschlingen. Sind Od-Schlingen-Hieroglyphen im Wurzelbereich des Lebensbaumes zu sehen, wie bei der Silberfibel von Illingen, die aus einem alemanischen Frauengrab gehoben wurde, müsste die seelische Regenationskraft gemeint sein, die sich aus den Erden der Gräber immer aufs Neue emporzuheben imstande ist. Ist die Dreierschlinge in den Wurzelbereich gelegt, werden ähnliche Bezüge damit verdeutlicht. Die Silberfibel von Illingen (ø 33 mm) zeigt zwei am 9 Früchte tragenden nordischen Lebensbaum (keine Palmette), und nach dem üblichen altmykenisch-orientalischen Topos zwei symmetrisch am Stamm stehenden löwenmähnige Wölfe, sowie als rein germanischen Zusatz im Wurzelbereich, die oðal-Schlingen (Abb. 31). Es ist vom Künstler als germanisches  Lebensbaum-Weltmodell angedacht worden, das zeigen die Wurzelschlingen und die 9-Zahl der Weltfrüchte. Dem gleichen Schema entspricht das Bildchen (Abb. 32) eines gotischen silbernen Sattelstücks aus Castell Trosino, Italien (Thermenmus. Rom). Von ihm sagt Josef Strzygowski, „es zeigt aber doch so viele Glaubensbilder nebeneinander: Lebensbaum mit den Vögeln, die Dreierschleife …“ im Wurzelbereich. („Spuren indogerm. Glaubens in der Bildenden Kunst“, S. 379 ff, 1936)
 
 
Abb. 31 32
 
Die altgläubigen Vorstellungskreise um die Gottesbilder und Symbolismen verloren sich im schleichenden oder abrupt gewaltsamen Prozess der Christianisierung nicht. Die Doppelschlange des Merkur-Wodan blieb in Germanien bis ins hohe Mittelalter und der beginnenden Neuzeit präsent und tritt uns in den alchemistischen und hermetischen Werken wieder entgegen. Die Schlangen-Bilder meinen das Gleiche, nämlich das ewige Auf und Ab, den Kreislauf der Dinge und der Seelen, ob nun das Kreisbild des Schwanzbeißers, des sog. „Uroboros" (griech. oura = Schweif, boros = verschlingend), oder die kreisende Doppelschlange. Die germ. Mythologie kennt die Midgardschlange als „jörmungard“ = Erdumgürterin, ob ihrem Bild weiterreichende Gedanken zugrunde lagen, muss offen bleiben. Bezüglich des Uroboros liest man Aussagen wie: „In der Grabkunst stellt der Uroboros Unsterblichkeit, Ewigkeit und Weisheit dar. In vielen Mythen umschließt er die ganze Welt und ist der Lauf der Wasser, die die Erde umkreisen. Er kann die Welt tragen und auch erhalten und kann Tod in das Leben bringen, aber auch Leben in den Tod.“ In hermetischen Werken wie dem von Anton Josef Kirchweger, „Aurea Catena Homeri - Eine Beschreibung von dem Ursprung der Natur und natürlichen Dingen“, Leipzig 1723, finden sich Abbildungen der sich im Weltkreislauf befindlichen Schlangen (Abb. 33), wozu Erklärungen gelten wie: „Der Inferior-Uroboros  hat satanische, der Superior-Uroboros trägt mit Flügeln und Krone himmlische oder göttliche Züge“ oder: „Versinnbildlicht durch zwei Drachen umschließt das ,Fließende’ des oberen Abgrundes zusammen mit dem ,Festen’ des unteren Abgrundes in einem Kreis(laufe) alles Irdische (Animalische - Vegetabilische - Mineralische) und Himmlische (Planeten).“ Das Verständnis des alten Doppelschlangen-Sinnbilds liegt mithin völlig ausgebreitet vor uns.
 
In diesem hermetisch-wodinischen Weltbild (Abb. 33) spiegelt sich recht genau das Weltverständnis des Runenschöpfers des ODING: Das Hexagramm als Kosmossymbol, so wie die 24 Runen zur Kernzahl 6 zusammenlaufen, mit dem Schlingenzeichen des Merkur-Wodin im Zentrum der Erscheinungen von den 6 Plantenkräften, welche addiert 21 (1+2+3+4+5+6) ergeben, die Zahl der wodinischen Asen-Rune, die sich damit als Hieroglyphe für den Geist des Alls zu erkennen gibt.
 
Abb. 33
 
ZUSAMMENFASSUNG
 
1.)    Die Odal-Rune ist Nummer 1 im von rechts startenden und nach links verlaufenden Ur-Runenverband. Es handelt sich um ein Schlingen-Sinnbild des germ. Begriffes ōðalan / ōðilan mit der Bedeutung „ererbter Besitz / Sippenbesitz / Heimat“. Ein überzeugendes Fundmaterial erweist den weiteren Sinn der oðalan-Schlinge als „Sippen-Seele“ / „Individual-Seele“ ? -, sowohl Seelen-Vögel wie Seelen-Schangen wurden durch angehängte oðala-Runen als solche gekennzeichnet. Die auf uns gekommenen Bildwerke weisen somit nach, dass die allgemein wissenschaftlich anerkannte Bedeutung bisher zu eng gefasst wurde. Die bessere Bezeichnung der Rune ist „Od-Schlinge“. Das Od umfasst den Sinn von „Gut“, das „Gute“, das „Geistig-Seelische“ bis hin zum „Gottesbegriff“.
 
2.)    Die runische Od-Hieroglyphe kommt aus der Symboltradition der Schlingenzeichen, die bei Altägyptern und Hethitern, auch Minoern, als Zeichen für das Leben und Seelenleben im Kultgebrauch waren. Wobei der Bedeutungsinhalt der minoischen Kultschleife bislang ungenau blieb, ebenso wie jener des bronzezeitlichen prägermanischen Bieberer Schlingen-Amuletts.
 
3.)    Der altgriechische Seelengeleitgott Hermes trug seinen Heroldstab dessen Spitze ein verschieden gestaltetes Schlingen-Knoten-Schlangen-Sinnzeichen trug. Da die Schlange auch bei Griechen als chthonisches (Hades) Tier galt und in enge Verbindung mit den Jenseits-Seelen gebracht wurde, ist es naheliegend, den Schlangen-Schlingen-Stab als Totenseelen-Weiser zu deuten. Auf gleicher Verständnisebene liegen die Formen am Hermesstab: „Ring mit Doppelschlange“. Der „Ring“ als mögliches Kreislaufsinnbild des Seelenlebens taucht schon beim altägyptischen Ba-Seelenvogel auf. Den „Ring“ bzw. den „Kreislauf der Wiedergeburten“ neuer Verkörperungen lehren auch die Altgriechenschulen der Orphiker, Pythagoreer, Platoniker. Und die „Doppelschlange“ mit ähnlichem Symbolismus gehören eng zusammen.  
    
 
4.)    In der persisch-zoroastrischen Religion spielte ein Schlingenzeichen für die Seelengeister eine Rolle, das auch als Kranz oder Ring mit Schleifenbeinchen gedeutet werden kann, aber Formen des altägyptischen Seelen-Lebens-Symbols (Anch-Amulett) gleicht. 
 
5.)    Die „Doppelschlange des Hermes (Mercurius)“, der dem germ. Geist-Seelen-Gott Wodan/Wodin/Odin gleichgesetzt wurde, ist der vielgestaltige und doch deutbare markanteste Leitfundtypus der germ. Mittelalter-Religion. Das einfache Schlingen- bis zum Doppelschlangen- und Schicksalsgeschlinge- und Geflecht-Motiv erscheint in überwältigender Variationsbreite auf germ. Schmuck- und Gebrauchsgegenständen. Aus diesem Bildmaterial ist herauszulesen, dass die ōðalan-Od-Rune das hieroglyphische Bildkürzel dieses Formgedankens darstellt. Dieses Symbol lebte weiter bis in die hermetische und alchymistische Bildersprache dieser Literaturgattung.
 
6.) Nach dem Befund galt die oðala-Rune primär als Zeichen des Geistes und der Seele, der göttlichen Welt- wie Sippenseele, daraus leitet sich ihr sekundärer Symbolwert für das Stammgut der Sippen ab. Mit diesem uns heutigen schwer nachvollziehbaren umfänglichen Seelenverständnis waren sinnbildhaft oder konkret verbunden: HAAR, HAARKNOTEN, GÜRTEL, SEELENVOGEL, SEELENSCHLANGE, WERDEN UND VERGEHEN, KREISLAUF-IDEE, WIEDERGEBURT, EWIGES LEBEN, SIPPENRECHT, RECHT AUF STAMMGUT, HEIMATBESITZ.
Wodins gefiederte Hilfsgeister
 
 
Raben-Fibel von Uppåkra (bei Lund / Schweden) mit Odal-Schlingen
 
 
C-Brakteat von Fünen (I) (IK 58)/ Dänemark - Der Wodin-Kopf mit Seelen-Zopf spricht mit seinen Odal-Raben, dessen Flügel zu einer Odal-Schlinge geformt sind (ebenso wie auf etlichen weiteren Brakteaten-Bildern).
 
Die Vogeldarstellungen auf den mittelalterlichen Goldbrakteaten (germ. Mittelalter-Amulette) meinen die gefiederten Hilfsgeister Wodin-Odins, die eins sind mit seiner Wesenheit, die Raben „Hugin“ (Denken) und „Munin“ (Erinnern). Sie gelten in der germanischen Gotteslehre als seine Attribut-Tiere. Einer von Odins Bezeichnungen im Norden war „Raben-Ase“. Auf etlichen Goldbrakteaten ist der Wodin-Kopf abgebildet mit seinem gefiederten Hilfsgeist oder den beiden Begleit-Raben. Die hier gezeigte Raben-Fibel mit den Odalschlingen-stammt aus Uppåkra, dem eisenzeitlichen altgläubigen Tempel- und Kultzentrum Altschwedens in Schonen, das vor dem nicht weit entfernten christlichen Lund liegt. Lund wurde bewusst als christliche Alternative gegründet. Der Dom zu Lund wurde ab 1080/1103 als Bischofskirche errichtet und ist damit der älteste Dom Skandinaviens. Uppåkra war der wichtige Kultplatz Skånes (Schonen), das damals nicht zu Svitjod (Schweden) gehörte, sondern Königssitz eines frühen schonischen Reiches war. Der Ort Uppåkra nahm eine Fläche von etwa 0,66 km² ein und bestand aus zirka 30 bis 40 Höfen mit einer Halle, Wohn- und Vorratsgebäuden, Werkstatthäusern und Ställen, was den Ort zu Reichtumszentrum macht. Bei dem Langhaus in Uppåkra (Größe: 13 m Länge / 6,5 m Breite), das etwa 200 n.0 gebaut wurde, handelt es sich um die ein­zieg er­hal­te­ne vor­christ­li­che Tem­pel­an­la­ge in Nord­eu­ro­pa. Hier fand man 120 Goldfigürchen, die zwischen 400- 800 n.0 hergestellt worden sind. Auch weitere wertvolle Funde zeugen von Reichtum und Macht der dortigen heidnischen Geschlechter. Bei Ausgrabungen im heidnischen Uppåkra sind mehrere tausend Gegenstände zutage gekommen. Es handelt sich um Beschläge, Münzen, ein Silberkelch, Schmuck, Fibeln, Goldgubber (Goldmännchen) usw.. Der Großteil des Materials gehört in die Epochen von der germ. Eisen- bis zur Wikingerzeit. Die kultischen Funde wie die Rabenfibel mit den Seelenschlingen und eine Figur Odins deuten auf die religiöse Funktion des Ortes hin.
 
Das Genie unter den Vögeln
 
Wie ist die Bedeutung der Raben als des Geist- und Seelengottes Odins gefiederte Hilfsgeister zu erklären ? Rabenvögel gelten als besonders intelligent: Sie lernen schnell, benutzen Werkzeuge zielgerichtet - und begreifen auch versteckte Zusammenhänge. Deutsche Forscher haben erkannt, dass sich im Gehirn von Raben ähnliche Muster wie bei Primaten abspielen, wenn sie schwierige Entscheidungen treffen. Wissenschaftler um Lena Veit und Andreas Nieder von der Universität Tübingen haben die Raben Bilderrätsel machen lassen: Den Tieren wurde auf einem Bildschirm ein Bild gezeigt. Anschließend wurden ihnen zwei verschiedene Bilder vorgehalten, eines davon hatten sie gerade eben schon gesehen. Je nach Aufgabe mussten sie mit dem Schnabel entweder auf das zuvor eingeprägte Bild zeigen - oder genau auf das andere. Trafen sie die richtige Entscheidung, gab es Futter zur Belohnung. Nach einer Trainingsphase lag die Trefferquote bei annähernd hundert Prozent. „Das erfordert höchste Konzentration und eine geistige Flexibilität, die bei Weitem nicht alle Tierarten aufbringen können und die selbst für Menschen eine Herausforderung ist“. Außerdem stellten die Wissenschaftler fest, dass je nach Aufgabe andere Nervenzellen im Vogelgehirn aktiv waren, je nachdem, ob die Raben das zuvor eingeprägte Bild oder das andere auswählen sollten. Dies sei eine verblüffende Ähnlichkeit zu Primaten. Raben können Gesichter erkennen und identifizieren so zum Beispiel noch fünf Jahre nach einer Fangaktion „böse“ Menschen. Auch Raben, die das Ganze nur beobachtet hatten, hatten später Angst vor diesen Gesichtern. Sie geben sogar ihr Wissen weiter. Unbeteiligten Raben berichten sie, vor wem die sich in Acht nehmen müssen. Raben leben lebenslang mit dem gleichen Partner zusammen. Jedes Jahr zieht das Paar zwei bis fünf Junge heran, um die sie sich fürsorglich kümmern. Die Eltern sind stets in der Nähe, füttern und verteidigen ihren Nachwuchs. Raben scheinen sogar einen sechsten Sinn für schwache und kranke Tiere zu haben. Landwirte haben beobachtet: Tage bevor bei einem Nutztier eine Lungenentzündung oder eine Durchfallerkrankung diagnostiziert wird, wird es schon von Raben gepiesackt. So gesehen, könnte der Vogel auch eine Hilfe bei der Nutztierhaltung sein, betont der Zoologe und Raben-Experte Hans-Dieter Wallschläger von der Universität Potsdam. Unter den gefiederten Genies sind die Rabenvögel Spitzenreiter. Kolkraben können sogar sprechen, wenn ihnen einzelne Sätze lange genug vorgesprochen werden. Auch der Dialekt ihres Lehrmeisters ist dann noch zu erkennen.