DAS DIOSKURISCHE JAHRES-SCHEMA
Um das Dioskurische Jahresschema zu verstehen, muss man zuvor in Kenntnis gesetzt sein über die bedeutende Rolle der Götterzwillinge, den Dioskuren - germ. Alken - in der indogerm. Altreligion. Nachweise über die Götterzwillinge sind aus allen indogerm. Zweigreligionen zu erbringen, aus dem germ. Bereich mittels etlicher bereits bronzezeitlicher Abbildungen im Bereich der skandinavischen Felsbilder (z.B.Ryland / Bohuslän / Schweden) und Gravuren auf Rasiermessern (). In Tacitus „Germania“ 43 berichte der Autor vom germ. Kult der Alken/Alki-Dioskuren bei den Wandalen am Zobtenberg in Schlesien.
Jahres-Schema-Felsbild von Ryland / Bohuslän
Die Alken, göttliche Zwillinge
Im altreligiös-polaren Denken muss dem guten der ungute Pol entgegenstehen. Der aisl. Runenreim nennt den vernichtenden Hagel und erwähnt gleichzeitig den Hildinger, den (schlagenden / stechenden) Kämpfer. Ein anderes Wort dafür wäre Höðr / Hödur / Höder („Haderer / Kämpfer / Krieger“), der Name des Gegenspielers von Baldr / Baldur / Balder. Die norw. Runenstrophe erwähnt Christus, der in altengl. Texten auch Bealdor („Fürst / Herrscher / Christus“) genannt wird. Im Hagel-Runstab geistern demnach die göttlichen Zwillinge Balder und Höder, in denen wir das vereinigte Gegensatzpaar die germ. Alki / Alken erkennen, von denen Tacitus berichtet hat (Germ. 43). Es ist das in den meisten Kulturen gut bekannte Götterpaar, die griech.-röm. Dioskuren. Sie werden im Folgenden noch ausführlich verständlich gemacht. Der eine (Pollux) galt als rauer Faustkämpfer / Schläger, der andere (Castor) als gutsinniger Läufer und Pferdefreund. Diesem traditionellen Denkschema folgt auch das altn. Sagengut: Im Balder sah man zweifellos in altn. Zeit den guten Helgi („Geweihter“) im Höder („Haderer“) aber den Hagel-Unhold. Dem Balder / Baldur muss ein Aber-Baldur die entgegengesetzte Waagschale bilden. Im Isländischen gibt es noch heute die Form: Skuggabaldur („Schwarz-, Schattenbaldur“), der als schädigender, böser Geist gilt. Warum im Hagel-Runenstab nur der eine, der Stößer / Schläger - der „Krieger“ (Hildinger-Höder) wie es im aisl. Runenlied heißt - benannt blieb, könnte auf einer kalendarisch-meteorologischen Bewandtnis beruhen: Der Stab steht auf Kornerntebeginn und gleichzeitig der Haupt-Hagelzeit des gesamten Jahres. Ein Hagelschlag in dieser Phase konnte alle Mühen und Hoffnungen auf Ertrag zunichtemachen. Die Gefahr war groß. Der unholde Alke-Höder als Hagelschläger schien jetzt zu dominieren, man flehte naheliegenderweise insbesondere ihn an, gnädig zu sein.
Der heidn. Vorzeitmythos um Balder und Höder schaut noch in historisierter vielfach mit weiteren Sagenkreisen vermischter Form aus dem mittelalterlichen Nibelungenepos hervor. Dort erscheint der glänzende blonde Schimmelreiter, der sonnenheldische Drachenbesieger Siegfried / Sigfrid / Seyfrid / Sigurd als verundeutlichter Gegenspieler des „grimmen Waffenmeisters“ Hagen / Hagene / Hagano, den Högni aus skandinavischen Behandlungen des Stoffes (z.B.: Atlakviða bzw. „Altes Atlilied“). Nach den Quellen der Thidrek-Saga ist Hagens Vater Albe, der sich nächtens der Mutter zugesellt; Hagen ist also nur halb Mensch, ist ein Schwarzalben-Abkömmling. Die Saga berichtet über sein Aussehen: Er hatte ein langes aschfahles Gesicht und nur ein einziges Auge, das scharf blitzte. Sein Antlitz war furchtbar und grauenerregend. Langes schwarzes Haar hatte er, überhaupt war er dunkelfarben, aber groß und wohlgewachsen. Dagegen wird Siegfried in Kriemhilds Traum als schöner Falke mit vergoldetem Gefieder gezeichnet. So ist das alte Motiv des Sonnen-Falken vorhanden und es fehlt auch nicht das des Sonnen-Ebers beim Tod des Sonnen-Helden: Er jagte hinter einem mächtigen Eber her, voller Wut stürzte sich dieser auf den Jäger, doch Siegfried erlegte ihn mit seinem Schwert. Dann dürstete es den Helden, er warf sich an eine Quelle um zu trinken. Da stach ihm Hagen meuchlings den Speer zwischen die Schulterblätter durch die einzig verwundbare Stelle ins Herz. Nach seinem Tod fiel der reiche Nibelungenhort in die Hände des Mörders Hagen-Hödur, und ebenso auch Balmung (altn. bál : „Feuer / Brand“) das unvergleichliche Schwert des Siegfried-Baldur.
Die dioskurische Hagel-Rune
Das zweite vorausgehende Verständnis für das Dioskurische Jahres-Schema ist die Erkenntnis der Hagel-Rune in ihrer disokurischen Dimension. Sie ist als Disokuren-Zeichen zu durchschauen, mit ihren beiden verbundenen Stäben. Genaueren Aufschluss dazu liefern die Aussagen der Runenlieder:
Die aisl. Runenreime wie auch das ags. Runenlied verharren scheinbar krampfhaft bei der sachlichen Naturerscheinung:„Hagall ist kaltes Korn und Schneegestöber und der Schlangen Vernichtung.“ Darunter steht lat. grando („Hagel“) sowie schon aufschlussreicher: hildingr (altn.: „Krieger / Kampfführer“). Dass mit diesem profan scheinenden Runenerklärungssatz aber doch auch etwas metaphorisch umschrieben wurde, nämlich die Winterzeit, geht aus den Lehrsätzen der altn.-eddischen Dichtersprache hervor. Dort wird der Winter ebenso als „Töter der Schlangen“ umschrieben (Skalds.29), oder „Natternangst“ (Hattatal 83: „naðrs gnapa“). Der ags. Runenspruch lautet: „Hægl ist das weißeste Korn; es wird herabgewirbelt aus Himmelsluft; des Windes Schauer treiben es fort; dann wird es zu Wasser.“ Allein das alte norw. Runengedicht lässt sich in aller Deutlichkeit auf tiefergehende Bezüge ein: „Hagall ist das kälteste Korn - Christus schuf die uralte Welt.“ Der ursprüngliche heidn. Text kann nicht auf Christus, jene neureligiöse Heilsgestalt, gelautet haben, sondern nannte dessen Vorläufer aus altheimisch-religiöser Zeit: Heliand /Helgi, den „Heiligen Heiler“ (germ. Adjektiv hailagas „heilig“), wie das auch immer im Altgermanischen geheißen haben mochte. So nur wäre der unverzichtbare Anlautgleichklang gegeben. „Hagel und Heil“ (altn. „Hildingr ok Helgi“), muss der echte heidn. Runenname gewesen sein. Hagel - „als ob ihn der Hagel jaget“ - ist noch in mhd. Zeit eine Bezeichnung für den Teufel.Der Anlaut ahd. hag- bedeutet ursprünglich: „hauen / stechen / stoßen". Noch in der altn. Dichtersprache heißt es (Skalds. 48, 206; Thule Bd. XX, S. 212): „Geschosse nennt man ganz gewöhnlich Hagel...“; im Reimwerk: „Hagel von Egils [berühmter Schütze] Eib [Eibenbogen] schlug auf...“; die Pfeile seines Bogens werden also Hagel genannt. Unter dem personifizierten Hagel konnte man den hauenden Unhold - und folglich auch den Winterriesen - verstehen. Noch Paracelsus (1493-1541), zum Beginn der Neuzeit, hielt den Hagel für reines Teufelswerk. In seiner Abhandlung „Von den Ungewittern“, wie man sich vor „dem Schauer und Hagel praeservieren soll“, empfiehlt er „Teufelsabbiss“ (Mosus diaboli) „und dergleichen Kräuter und Wurzeln mehr“, dies antidämonische Mittel von dem man meinte: „Welcher diss krut by ym dreyt oder die wurtzel dem mag der dufel keyn schaden zufugen.“ (Hortus Sanitatis deutsch, 1485).
Im ODING’schen Jahres-Kreis wurde vom Runen-Schöpfer die polare dioskurische „Hagel-und Heil“-Rune genau in die Mitte zwischen Sommeranfang und Winteranfang gestellt. Es handelt sich um die beiden uraltbekannten Kalenderpositionen des frühjährlichen heliakischen Plejaden-Aufganges (
-
) und des entsprechenden herbstlichen Plejaden-Unterganges (
). Auf Sommeranfang steht die Agiz-Rune, welche die Alken-Dioskuren - in Begriff und Zeichen - unmissverständlich vertritt. Die Alken-Algiz-Zwillinge, nebeneinanderstehend - nennen wir sie wie in den altnord. Edda-Texten Baldur und Hödur, wären so darzustellen:
. Zu Sommeranfang dominiert im Mai der positive Pol, nennen wir ihn Balder -, tatsächlich ist uns ein „Baldertag“ in diesem Zeitraum übermittelt. In exakter Gegenposition innerhalb des Jahreskreises, also zum Winteranfang im November, steht der Frost-Thurse, welcher als ein Aspekt des negativen Dioskuren-Pols angesehen werden darf - gewissermaßen als Auswirkung des unteren Anteiles der Algiz-Rune (
).


Die mythologische Jahres-Situation
Wie befinden uns mit 16. Rune in der Feierzeit des kelt. Lugnasad, dessen andere Bezeichnung „Zorn des Trograin“, vielleicht sogar auf die jahreszeitliche Hagel-Unbill hinweisen könnte, denn es ist anzunehmen, dass die Kelten ihren Festzyklus im altheimatlichen Mitteleuropa ausgebildet haben und nicht erst auf den westeuropäischen Inseln (England, Irland). Im Mittelpunkt des Festes stand die erdhafte Muttergöttin Tail-tiu /Macha (aind. talam: „Erdboden“), die der Legende nach Zwillinge gebar. Tatsächlich erscheinen erdmütterliche Kalendergöttinnen erstaunlich genau placiert im H-Runen-Zeitraum: die kelt. Ana (26. Juli), die germ. Gridha (20. Juli). Auch die der Rune angehörende Zahl 16 (Produkt aus 4x4 mit QS 7) weist auf die große B-Runen-Muttergöttin hin, sowie stofflich-mondige Bezüge. Verwunderlich ist das nicht, manifestieren sich doch Wesenheiten der Zeitabläufe primär in der materiellen Erscheinungswelt. Streng genommen, kann es jenseits von Welt und Zeit keine Alki-Dioskuren geben.
Diese Göttin, die durch Runenzahlenbefund und kelt. Sagen erkennbar wird, gebiert, nach einer Schwangerschaft von neun synodischen Mondläufen, vom H-Runenzeitraum-Lugnasad an gerechnet, erneut Zwillingsgötter, eben die Algiz-Alki (
). Die ungleichen Brüder, die „Schützer und Retter“, werden als Kalenderrune im Mai-Anfang, dem Sommerbeginn, wieder auferstehen:
Das heißt auch sehr folgerichtig: Der Hochsommer gebiert den nächstjährigen Sommer. Da die Alki-Dioskuren mythologisch-mathematisch nicht jeweils die Hälfte (also 2x4), sondern die Verdoppelung ihres Allvaters (Tius / Zeus) sein müssen (
8 +
8 =
16), so stehen sie als sinnbildliche Vertreter für des Jahresvaters Auf und Ab auch genau mittig zwischen Sommeranfang und -ende, Plejadenauf- und -untergang: (
-
-
(
). Für die Richtigkeit dieser Deutung vermittelt das ODING-System einen weiteren Anhaltspunkt: Beide Alken-Zeichen im ODING-Kreis stehen spiegelgleich in Vollmonden, eineinhalb Monate vor und eineinhalb Monate nach der SSW (
• o
o •
). Wobei im Zeitraum des Lichtanstieges der positive Sonnen-Fruchtbarkeits-Läufer, der Balder-Alke, durch das Aufstiegszeichen (
) markiert wird, während der negative Kämpfer-Hagelschläger, der Höder-Alke, in Lichtabstiegsphase durch Nennung seines Namens „Hagel“ (der Hager / Hacker / Schläger/ „Faustkämpfer“) Erwähnung findet. Die Christenkirche, um Ersatzfiguren nie verlegen, bot gleich zwei „Zwillingspärchen“ an: „Johannes und Paul“ (26. Juni) und „Peter und Paul“ (29. Juni). Die beiden wurden mit den gleichen Aufgaben betraut wie die wahren Dioskuren-Alki, sie galten als „Wetterherren“, die man um Schutz anrief, gegen jegliches Unheil, besonderes gegen Schauer und erntevernichtenden Hagelschlag.


