07.11.2023
In seinem Buch „Der Schatz im Silbersee“ beweist Karl May (1842-1912),
der geniale Autor, einmal mehr seine humorig verpackte Welterfahrenheit,
im Hinblick auf die vielen Kurpfuscher, die ihr Unwesen treiben,
heute insbesondere im Weltnetz.
Karl May will uns sagen, dass alle die Wässerchen, Pillchen und Pülverchen
weniger bis nichts vermögen, im Vergleich mit etwas schweißtreibender Bewegung!
(Kap.8. Ein Drama auf der Prärie, Seite 270ff)
Ein kurpfuschender Yankee will einen biederen Deutschen, namens Haller,
als Helfer anheuern:
"Also Menschen- und Roßarzt?"
"Arzt für Menschen und Tiere," nickte der Yankee. "Habt Ihr Lust, so
sollt Ihr mein Famulus sein, und ich zahle Euch den erwähnten Gehalt."
"Aber ich verstehe nichts von der Sache," erklärte Haller
bescheiden."Ich auch nicht," gestand der Magister.
"Nicht?" fragte der andre erstaunt. "Ihr müsst doch Medizin studiert
haben?"
"Fällt mir gar nicht ein!"
"Aber, wenn Ihr Magister und auch Doktor seid - !"
"Das bin ich allerdings! Diese Titel und Würden besitze ich; das weiß
ich am allerbesten, denn ich selbst habe sie mir verliehen."
"Ihr - - Ihr selbst?"
"Freilich! Ich bin offen gegen Euch, weil ich denke, daß Ihr meinen
Antrag annehmen werdet. Eigentlich bin ich Schneider; dann wurde ich
Friseur, nachher Tanzlehrer; später gründete ich ein Erziehungsinsti-
tut für junge Ladies, als das aufhörte, griff ich zur Ziehharmonika und
wurde wandernder Musikant. Seitdem habe ich mich noch in zehn bis
zwanzig andern Branchen rühmlichst hervorgethan. Ich habe das
Leben und die Menschen kennen gelernt, und diese Kenntnis gipfelt in
der Erfahrung, daß ein gescheiter Kerl kein Dummkopf sein darf. Diese
Menschen wollen betrogen sein; ja, man tut ihnen den größten Gefall-
en, und sie sind außerordentlich erkenntlich dafür, wenn man ihnen ein
X für ein U vormacht. Besonders muss man ihren Fehlern schmeicheln,
ihren geistigen und leiblichen Fehlern und Gebrechen, und darum habe
ich mich auf diese letzteren gelegt und bin Arzt geworden. Hier seht
Euch einmal meine Apotheke an!"
Er schloss den Kasten auf und schlug den Deckel desselben zurück.
Das Innere hatte ein höchst elegantes Aussehen; es bestand aus fünfzig
Fächern, welche mit Sammet ausgeschlagen und mit goldenen Linien
und Arabesken verziert waren. Jedes Fach enthielt eine Phiole mit ein-
er schön gefärbten Flüssigkeit. Es gab da Farben in allen möglichen
Schattierungen und Abstufungen.
"Das also ist Eure Apotheke!" meinte Haller. "Woher bezieht Ihr die
Medikamente?"
"Die mache ich mir selbst."
"Ich denke, Ihr versteht nichts davon!"
"O, das verstehe ich schon! Es ist ja kinderleicht. Was Ihr da seht, ist
alles weiter nichts als ein klein wenig Farbe und ein bißchen viel Wasser,
Aqua genannt. In diesem Worte besteht mein ganzes Latein. Dazu habe
ich mir die übrigen Ausdrücke selbst fabriziert; sie müssen möglichst
schön klingen. und so seht Ihr hier Aufschriften wie: Aqua salamandra,
Aqua peloponnesia, Aqua chimborassolaria, Aqua invocabulataria und
andre. Ihr glaubt gar nicht, welche Kuren ich mit diesen Wassern schon
gemacht habe, und ich nehme Euch das gar nicht übel, denn ich glaube
es selbst auch nicht. Die Hauptsache ist, daß man die Wirkung nicht
abwartet, sondern das Honorar einzieht und sich aus dem Staube macht.
Die Vereinigten Staaten sind groß, und ehe ich da herumkomme, können
viele, viele Jahre vergehen, und ich bin inzwischen ein reicher Mann
geworden. Das Leben kostet nichts, denn überall, wohin ich komme,
setzt man mir mehr vor, als ich essen kann, und steckt mir, wenn ich
gehe, auch noch die Taschen voll. Vor den Indianern brauche ich mich
nicht zu fürchten, weil ich als Medizinmann bei ihnen für heilig und
unantastbar gelte. Schlagt ein!" Wollt Ihr mein Famulus sein?"
"Hm! brummte Haller, indem er sich hinter dem Ohre kratzte. Die
Sache kommt mir bedenklich vor. Es ist keine Ehrlichkeit dabei."
"Macht Euch nicht lächerlich. Der Glaube thut alles. Meine Patienten
glauben an die Wirkung meiner Medizin und werden gesund
davon. Ist das Betrug? Versucht es wenigstens zunächst einmal! Ihr habt
Euch jetzt gestärkt, und da die Farm, nach der ich will, auf Eurem Wege
liegt, so habt Ihr keinen Schaden davon."
"Nun, versuchen will ich es, schon aus Dankbarkeit; aber ich habe
kein Geschick, den Leuten etwas weiß zu machen."
"Ist gar nicht nötig; das besorge ich schon selbst. Ihr habt ehrfurchtsvoll
zu schweigen, und Eure ganze Arbeit besteht darin, diejenige Phiole aus
dem Kasten zu langen, welche ich Euch bezeichne. Freilich müßt Ihr
es Euch gefallen lassen, daß ich Euch dabei Du nenne. Also vorwärts!
Brechen wir auf!"
Er hing sich den Kasten wieder um, und dann schritten sie miteinan-
der der Farm entgegen. Nach kaum einer halben Stunde sahen sie dieselbe
von weitem liegen; sie schien nicht groß zu sein. Nun mußte Haller den
Kasten tragen, da sich das nicht für den Prinzipal, Doktor und Magister
schickte.
Das Hauptgebäude der Farm war aus Holz gebaut; neben und hin-
ter demselben lag ein wohlgeplegter Baum- und Gemüsegarten. Die
Wirtschaftsgebäude standen in einiger Entfernung von diesem Wohn-
hause. Vor demselben waren drei Pferde angebunden, ein sicheres Ze-
ichen, daß sich Fremde hier befanden. Diese saßen in der Wohnstube
und tranken Hausbier, welches der Farmer selbst gebraut hatte. Die
Fremden waren allein, da sich nur die Farmersfrau daheim befand und
jetzt in dem kleinen Stalle war. Sie sahen den Quacksalber mit seinem
Famulus kommen.
"Thunderstorm!" rief der eine von ihnen. "Sehe ich recht? Den muß
ich kennen. Wenn mich nicht alles trügt, so ist das Hartley, der Musikant
mit der Harmonika!"
"Ein Bekannter von dir?" fragte der zweite. "Hast du etwas mit ihm
gehabt?"
"Freilich. Der Kerl hatte gute Geschäfte gemacht und die Taschen
voller Dollars. Natürlich machte ich ebenso gute Geschäfte, indem ich
sie ihm des Nachts leerte."
"Weiß er, daß du es gewesen bist?"
"Hm, wahrscheinlich. Wie gut, daß ich meine roten Haare gestern
schwarz gefärbt habe! Nennt mich ja nicht Brinkley und auch nicht
Cornel! Der Kerl könnte uns einen Strich durch die Rechnung machen!"
Aus diesen Worten ging hervor, daß dieser Mann der rote Cornel war.
Die beiden Ankömmlinge hatten jetzt das Haus erreicht, gerade
als die Farmersfrau aus dem Stalle kam. Sie begrüßte dieselben freund-
lich und fragte nach ihrem Begehr. Als sie hörte, daß sie einen Arzt
und dessen Famulus vor sich habe, zeigte sie sich sehr erfreut und er-
suchte sie, in die Stube zu treten, die sie öffnete.
"Mesch'schurs," rief sie hinein, "da kommt ein hochgelehrter Arzt mit
seinem Apotheker. Ich denke, daß euch die Gesellschaft dieser Herren
nicht unangenehm sein wird."
"Hochgelehrter Arzt?" brummte der Cornel vor sich hin. "Unver-
schämter Kerl! Möchte ihm zeigen, was ich von ihm denke!"
Die Eintretenden grüßten, und nahmen ohne Umstände an dem Tis-
che Platz. Der Cornel bemerkte zu seiner Genugthuung, daß er von
Hartley nicht erkannt wurde. Er gab sich für einen Fallensteller aus und
sagte, daß er mit seinen beiden Gefährten hinauf in die Berge wolle.
Dann entspann sich ein Gespräch, währenddessen die Wirtin am Herd-
feuer beschäftigt war. Über demselben hing ein Kessel, in welchem das
Mittagessen kochte. Als dasselbe fertig war, trat sie vor das Haus und
stieß nach der Sitte jener Gegenden in das Horn, um die Ihrigen her-
beizurufen.
Diese kamen von den naheliegenden Feldern. Es war der Farmer, ein
Sohn, eine Tochter und ein Knecht. Sie reichten den Gästen, besonders
dem Arzte, mit aufrichtiger Freundlichkeit die Hand und setzten sich
dann zu ihnen, um das Mahl, vor und nach welchem gebetet wurde,
einzunehmen. Es waren einfache, unbefangene, fromme Leute, welche
gegen die Smartneß eines richtigen Yankee freilich nicht aufzukommen
vermochten.
Während des Essens verhielt sich der Farmer vollständig einsilbig,
nach demselben brannte er sich eine Pfeife an, legte die Ellbogen auf
den Tisch und sagte in erwartungsvollem Tone zu Hartley: "Nachher,
Doktor, müssen wir wieder auf das Feld; jetzt aber haben wir ein wenig
Zeit, mit Euch zu reden. Vielleicht kann ich Eure Kunst in Anspruch
nehmen. In welchen Krankheiten seid Ihr denn bewandert?"
"Welche Frage!" antwortete der Kurpfuscher. "Ich bin Physician und
Farrier und heile also die Krankheiten aller Menschen und aller Tiere."
"Well, so seid Ihr der Mann, den ich brauche. Hoffentlich gehört Ihr
nicht zu den Schwindlern, welche als Ärzte umherziehen und alles gewe-
sen sind und alles versprechen, aber nicht studiert haben?"
"Sehe ich etwa aus, wie so ein Halunke?" warf sich Hartley in die
Brust. "Hätte ich mein Doktor- und Magisterexamen bestanden, wenn
ich nicht ein studierter Mann wäre? Hier sitzt mein Famulus.
Fragt ihn, und er wird Euch sagen, daß Tausende und aber Tausende
von Menschen, die Tiere gar nicht mitgerechnet, mir Gesundheit und
Leben verdanken."
"Ich glaube es, ich glaube es, Sir! Ihr kommt gerade zur richtigen
Zeit. Ich habe eine Kuh im Stalle stehen. Was das heißen will, werdet
Ihr wissen. Hier zu Lande kommt eine Kuh nur dann in den Stall, wenn
sie schwer krank ist. Sie hat zwei Tage nichts gefressen und hängt den
Kopf bis zur Erde herab. Ich gebe sie verloren."
"Pshaw! Ich gebe einen Kranken erst dann verloren, wenn er gestorben
ist! Der Knecht mag sie mir mal zeigen; dann sage ich Euch Bescheid."
Er ließ sich nach dem Stalle führen, um die Kuh zu untersuchen.
Als er zurückkam, zeigte er eine sehr ernste Miene und sagte: "Es war
die höchste Zeit, denn die Kuh wäre bis heute abend gefallen. Sie hat
Bilsenkraut gefressen. Glücklicherweise habe ich ein untrügliches Gegen-
mittel; morgen früh wird sie so gesund sein wie zuvor. Bringt mir einen
Eimer Wasser, und du, Famulus, gib einmal das Aqua sylvestropolia
heraus!"
Haller suchte, nachdem er den Kasten geöffnet hatte, das betreffende
Fläschchen, aus welchem Hartley einige Tropfen in das Wasser goß, von
dem der Kuh dreistündlich je eine halbe Gallone gegeben werden sollte.
Dann kamen die menschlichen Patienten daran. Die Frau hatte einen
beginnenden Kropf und erhielt Aqua sumatralia. Der Farmer litt an
Rheumatismus und bekam Aqua sensationia. Die Tochter war kernge-
sund, doch wurde sie leicht veranlaßt, gegen einige Sommersprossen
Aqua furonia zu nehmen. Der Knecht hinkte ein wenig, schon seit seinen
Knabenjahren, ergriff aber die Gelegenheit, diesen Umstand durch Aqua
ministerialia zu beseitigen. Zuletzt fragte Hartley auch die drei Frem-
den, ob er ihnen dienen könne. Der Cornel schüttelte den Kopf und
antwortete: "Danke, Sir! Wir sind äußerst gesund. Und fühle ich mich
je einmal unwohl, so helfe ich mir auf schwedische Weise."
"Wieso?"
"Durch Heilgymnastik. Ich lasse mir nämlich auf der Ziehharmoni-
ka einen fotten Reel vorspielen und tanze so lange danach, bis ich in
Schweiß komme. Dieses Mittel ist probat. Verstanden?"
Er nickte ihm dabei bedeutungsvoll zu. Der Heilkünstler schwieg be-
troffen und wandte sich von ihm ab, um den Wirt nach den nächstliegen-
den Farmen zu fragen. Laut des Bescheides, den er bekam, lag
die nächste acht Meilen weit gegen Westen, dann eine fünfzehn Meilen
nach Norden. Als der Magister erklärte, daß er unverzüglich nach der
ersteren aufbrechen werde, fragte ihn der Farmer nach dem Honorare.
Hartley verlangte fünf Dollar und bekam sie auch sehr gern ausgezahlt.
Dann brach er mit seinem Famulus auf, welcher wieder den Kasten auf
sich lud. Als sie sich so weit entfernt hatten, daß sie von der Farm aus
nicht mehr gesehen werden konnten, sagte er: "Wir sind westlich gegan-
gen, biegen aber nun nach Norden ein, denn es kann mir nicht einfallen,
nach der ersten Farm zu gehen; wir suchen die zweite auf. Die Kuh
war so hinfällig, daß sie wohl schon in einer Stunde stirbt. Wenn es
da dem Farmer einfällt mir nachzureiten, kann es mir schlecht ergehen.
Aber ein Mittagessen und fünf Dollar für zehn Tropfen Anilinwasser, ist
daß nicht einladend? Ich hoffe, Ihr erkennt Euern Vorteil und tretet in
meinen Dienst!"
"Die Hoffnung trügt Euch, Sir," antwortete Haller. "Was Ihr mir bi-
etet, ist viel, sehr viel Geld; dafür aber hätte ich noch viel mehr Lügen
zu machen. Nehmt es mir nicht übel! Ich bin ein ehrlicher Mann und
will es auch bleiben. Mein Gewissen verbietet mir, auf Euern Vorschlag
einzugehen."
Er sagte das so ernst und fest, daß der Magister einsah, daß alles
fernere Zureden unnütz sei. Darum sagte der letztere, indem er mitleidig
mit dem Kopfe schüttelte: "Ich habe es gut mit Euch gemeint. Schade,
daß Euer Gewissen ein so zartes ist!"
"Ich danke Gott, daß er mir kein andres gegeben hat. Hier habt Ihr
Euern Kasten zurück. Ich möchte Euch gern erkenntlich für das sein,
was Ihr an mir gethan habt, aber ich kann nicht, es ist mir unmöglich."
"Well! Des Menschen Wille ist sein Himmelreich; darum will ich nicht
weiter in Euch dringen. Aber wir brauchen uns trotzdem nicht sogleich
zu trennen. Euer Weg ist fünfzehn Meilen weit bis zu der betre end-
en Farm, auch der meinige, und wir können also wenigstens bis dahin
beisammen bleiben."
Er nahm seinen Kasten wieder an sich. Die Schweigsamkeit in welche
er nun verfel, ließ vermuten, daß die Rechtlichkeit des Schreibers nicht
ganz ohne Eindruck auf ihn geblieben sei. So wanderten sie nebeneinan-
der weiter und richteten ihre Augen nur nach vorwärts, bis sie hinter
sich Pferdegetrappel vernahmen.