HIRSCH UND SCHLANGE
 
 
Hirschlein ist der Schlange feind,
so wie der Tag die Nacht verneint.
Schlange flieht der Sonne Stich,
wird es Licht, verkriecht sie sich.
 
So wurden beide zum Symbol
für der Welten Gegen-Pol.
Schlange gilt als Tier der Grüfte,
Hirsch als Herr der Sonnen-Lüfte.
 
Hirsch-Geweih gedieh zur Krone,
Nattern-Maul zur Teufels-Zone.
Erhaben klingt des Hirsches Ruf,
Schlangen-Zischen Ängste schuf.
 
Stolz ragt Hirsches Prunk-Geweih
hoch über niederer Spöttelei -;
Schlangen-Windung gleichet echt,
Kriecherei von Sklav‘ und Knecht.
 
Weistum ist ein dickes Buch -,
das Wissen-Wollen, wie ein Fluch.
Nicht sei nur der Aspekt bedacht:
Hoch und Nieder, Tag und Nacht.
 
Hirsch und Schlange, im Ergänzen,
gleichen Jahres-Herbst und Lenzen,
sind wie Minus und wie Plus -;
scheint Dir das als Rätsel-Nuss ?
 
Schlange ist das Tier der Tiefen,
wo des Goldes Listen schliefen,
Lug und Trug und Raffinessen,
sind der Klugheit beigemessen.
 
Stünd‘ der Hirsch für klaren Willen -
über irdisch schrägen Grillen -,
und die Schlang‘ für Freien Geist,
wär‘s Symbolik die man preist.
 
Der Römer Älian (Claudius Aelianus; ± 170-222) schrieb auf Griechisch ein Tierbuch, in dem er auf Tierfeindschaften und auf Kämpfe zwischen Tierarten hinwies. Er schrieb: „Ein Hirsch besiegt eine Schlange durch eine außerordentliche Gabe der Natur. Auch die gemeinste Schlange in ihrer Höhle entwischt ihm nicht: Der Hirsch setzt seine Nasenlöcher an den Eingang [der Höhle] der gefährlichen Bestie und bläst darin aus aller Macht, bis er sie mit dem Zauber seines Atems herauszieht; sobald sie ihren Kopf herausstreckt, fängt er an sie zu fressen. Vor allem im Winter machen Hirsche das. Es ist sogar vorgekommen, dass jemand das Horn eines Hirschs zu Pulver vermahlen und dann ins Feuer geworfen hat und dass der aufsteigende Rauch die Schlangen aus der ganzen Umgebung vertrieben hat; sogar der Geruch ist ihnen unerträglich.“