K.W. Diefenbach - Selbstbildnis
KARL WILHELM DIEFENBACH
DER RUFER ZUR UMKEHR
Rufer -, zurück zum Segen der Erde,
Mahner und Maler mit großer Gebärde,
Ankläger des städtischen Weh und Ach,
das war der Karl Wilhelm Diefenbach.
Heillos führen hinein ins Verderben,
die Wege kirchen-christlicher Erben.
Ihr Kinder der Erde, befreit euch doch
von törichten Zwängen im Sklaven-Joch.
Mutter Natur kann helfen und heilen,
lernt ihre heiligen Zeichen und Zeilen.
Sie kennt die Erbsünd‘ und Hölle nicht,
stellt keine Sünder vors Pfaffengericht.
Erkenne dich, Mensch, in deiner Seele,
werfe hinaus, was immer dich quäle,
die Freiheit des Kosmos winkt dir zu,
in dir nur findest du Recht und Ruh‘.
Weg mit dem Wahne christlicher Büßung,
klettert auf Gipfel zur Sonnenbegrüßung,
hin nach Ascona zum „Wahrheitsberg“,
geht für die bessere Zukunft ans Werk !
Diefenbach sammelte Schüler wie Jünger,
der Meister schuf die Ideen-Dünger:
Befreiung der Liebe, Frieden und Tanz,
Nahrung und Nacktheit im Blütenkranz.
Ein frühes Formen neuheiliger Normen,
auch Gustav Gräser bedachte Reformen
und „Fidus“, der treue Meister-Gesell‘,
trank aus „Himmelhofs“ Sonnen-Quell.
Peinlich war‘s wie Spießer schimpften,
wie sie schmähten, verunglimpften,
kurz vor des Weltkriegs Hass-Gesang,
und deutscher Ordnung Untergang.
Ein Prophet gilt nichts im eignen Lande,
sie trieben ihn mit Schmach und Schande;
im fernen Capri erst fand er sein Glück,
von seinen Träumen ein kleines Stück.
Karl Wilhelm Diefenbach (1851-1913) war Sohn eines Kunstlehrers aus dem hessischen Hadamar. Auch er wurde Maler und schließlich Lebens- und Gesellschaftsreformer. Er gilt als Urvater neuzeitlicher Naturverehrer, der Nacktbewegung bzw. Freikörperkultur, der naturgemäßen Lebensweise - zu der er den Vegetarismus rechnete - und einer gesellschaftskritischen Friedensbewegung. Diefenbach studierte von (1872-1879) an der Akademie der Bildenden Künste in München, ehe ihn eine schwere Infektion dazu brachte, sich von sämtlichen Nahrungsgiften abzuwenden. Um 1881 trat er aus der Kirche aus. Auf dem Hohenpeißenberg soll er die Vision und Wandlung seines Lebens erfahren haben. Am 10. 02.1882 trat er nach durchwachter Nacht, schweißgebadet ins Freie und erblickte vor sich am Horizont die endlose Kette der Alpenhöhen. In der kühlen Glut der aufgehenden Sonne erstrahlen die schneebedeckten Eisriesen. In diesem Anblick und Augenblick fand Diefenbach seine bleibende Verkündigungslehre, die er von nun an als Botschafter der Natur weiterreichte. Sein Kredo lautete: „In Dir ist Gott ! Der Himmel und das Paradies, die Heimat Deines Geistes, Deiner Seele, der Erde wonnerfüllte Herrlichkeit, des Weltalls ewige Unermesslichkeit als Keim verborgen liegt in jedes Menschen Brust ! - Erkenn Dich selbst ! - Nur die Erkenntnis Deiner Göttlichkeit befreit Dich von den Banden und dem Fluch des Irrtums, des Verbrechens, des namenlosen Elends, der Schändung Deiner selbst und Deiner Mutter Erde ! - Erkenne, Menschheit, deine Mutter, die Natur, die rein und frei als höchstes Wesen dich geboren und nicht befleckt mit Erbsünd, Fluch und Schande dich in ihr blühend Eden setzte. Dass alle Herrlichkeit des Erdballs, des Weltalls Unermesslichkeit als Keim verborgen liegt in jedes Menschen Brust ! Erkenne dich, Mensch.“ Sein Schüler „Fidus“ formulierte: „Diefenbach kann als Kulturschöpfer gelten, dessen Anschauungen Grundsinn der modernen Kultur geworden sind.“ Sein Leben war ein Kampf für die Erreichung seiner Ideale mit dem Ziel einer besseren Welt.
K.W. Diefenbach - „Elfenreigen“
Diefenbach, der Kulturrebell, wurde zum Rufer einer Umkehr auf dem heillosen Weg in die industrielle und kapitalistische Selbstverfremdung des Menschen. In einer Art altertümlichen Kapuzenmantel, barfuß oder mit Sandalen, verkündete er in München seine Lehren. Dazu gehörten: Ablehnung der bekannten Religionen und der Monogamie. Sein Lob galt der Freikörperkultur und fleischlosen Kost. Diefenbach drückte es krass aus: Wer „mit Salz und Pfeffer einbalsamirten Thierleichnam“ verzehre, betreibe seiner Meinung nach „schändlichen Bestialismus“. Nicht wenige seiner Zeitgenossen verspotteten ihn dementsprechend als „Kohlrabi-Apostel“. Bald unterdrückte die Polizei seine Versammlungen. Man zog ihn vors Gericht, weil er seine Kinder nackt baden ließ. Als Maler gilt Diefenbach als eigenständiger Vertreter des Symbolismus. Auch mit seinen monumentalen Gemälden warb er für seine Reformideen. Als Maler des Visionären suchte Diefenbach immer aufs Neue die starken Natureindrücke. Ich las: „Auf seinem dreirädrigen Krankenfahrstuhle ließ er sich, begleitet und unterstützt von jüngeren Freunden, durch einen vorgespannten starken Ochsen und einen das Tier führenden Bauernknecht von Aschau am Chiemsee in abenteuerlicher, oft lebens-gefährlicher Fahrt während der Nacht vor Pfingsten 1889 den schmalen Zickzackweg bis zu den zerklüfteten Felsschroffen der hohen Kampenwand bringen, um von jener Höhe aus, auf welcher er zehn Jahre früher einen ganzen Sommer in weltentrückter Einsamkeit zugebracht hatte, wieder einmal das majestätische Schauspiel der aufgehenden Sonne zu genießen.“ 1889 verlief seine erste große Gemäldeausstellung in München erfolgreich, und eine zweite in Wien lockte 80.000 Besucher an; das war sein Durchbruch als Maler. Lebenslang war er von einem unermüdlichen Schaffensrausch durchpulst. 1891 auf dem ersten Friedenskongress in Wien war dieser bedingungslose wehr- und streithafte Friedensapostel der vorsitzenden Bertha von Suttner zu extrem und also suspekt. Er hoffte in Österreich positivere Aufnahme zu finden und gründete die Landgemeinschaft „Humanitas“, deren weiße Friedensfahne er auf dem „Himmelhof“ in „Ober Sankt Veit“ bei Wien hisste. Dort sammelte er Schüler und Mitstreiter um sich, wie Gustav Gräser und Hugo Höppener, den er „Fidus“ (Getreuer) nannte (1897-1899). Mit ihm zusammen schuf er den 2 m hohen, 68 m langen Schatten-Fries „Per aspera ad astra“ („Auf rauer Bahn zu den Sternen“, 1892), welcher heute im Hadamarer Schloss-Museum beschaut werden kann. In Wien fand Diefenbachs revolutionäres Unternehmen zuerst freudige Zustimmung, dann aber wurde es boykottiert und sogar durch kriminelle Machenschaften in den Bankrott getrieben. Der Reformer und Künstler verlor alle seine Werke, wurde entmündigt und aus dem Lande gejagt. Aus Wien vertrieben, um sein Vermögen begaunert, völlig mittellos, obdachlos, entschloss sich der Meister mit seinen Kindern und einigen Jüngern zu Fuß durch die Alpen zu wandern, von der Sehnsucht getrieben, in Ägypten oder Indien eine neue Heimstatt zu finden. Er malte wochenlang in Almhütten des Karwendel Berggeister, Elfenreigen und Nixentänze. Wie duch ein Wunder gelang die Überfahrt nach Ägypten, wo er riesige Tempelbauten entwarf und als „Derwisch des Westens“ hoch angesehen wurde. Wie alle die großen Reformer war er vom Unverständnis und vom Hass einer gefahrenblinden mitmenschlichen Umwelt umlauert, wurde verfolgt, gepeinigt und vertrieben. Er zog sich auf die von Künstlern und Bohemiens bevölkerte Sonneninsel Capri zurück, wo er Erfolg, Ansehen und Vermögen gewann, während er in seiner Heimat - durch Krieg und Nachkriegsnot - vergessen wurde. An schwerer Lungenentzündung darniederliegend, ließ er sich nicht abhalten, einen wütenden Meeressturm an der Küste von Capri aus nächster Nähe zu beobachten. Wenige Tage später war Diefenbach, der „Vater der Reformer“, verschieden. Nach Diefenbachs frühem Tod 1913 versank sein Nachlass und blieb ein halbes Jahrhundert lang verborgen und dem Verfall ausgesetzt. Hunderte seiner Gemälde schliefen versteckt in neapolitanischen Kellern und in den Abstellräumen eines Klosters. Seit den 1960er Jahren sammelte und erforschte sein Enkel Fridolin von Spaun den Nachlass des Großvaters und erkannte dessen kulturhistorische Bedeutung. Er förderte die Entstehung der öffentlichen Museen für Diefenbachs Werke auf Capri und in seiner Heimatstadt Hadamar.
Mit welcher Verachtung und Hass der Reformer Diefenbach von Christentum und Pfaffen spricht, hier einige Kostproben. In einem Lebensbericht an seine Schwester: „Mir ekelt zum Erbrechen vor solchem ,Christentum‘, und ich kämpfe auf Leben und Tod um meine Befreiung aus dieser mich würgenden Schlinge.“ - „Mina hat durch vorheriges vierjähriges Zusammenleben mit mir gewußt, daß jeder Atemzug und jeder Schritt meines Lebens von der Unnatur der ,Moral‘ des pfäffischen ,Christentums‘ weg nach der entgegengesetzten Richtung geht und daß ich diese entgegengesetzte Richtung nicht nur zur Auslebung meiner Individualität sondern als öffentlicher Prediger eines höheren Menschheitsideals verfolge.“ - „Die Frömmigkeit meiner ,christlichen Ehefrau‘ zeigte sich zunächst darin, daß sie jeden Morgen nicht etwa bloß zur Kirche sondern zur Kommunionbank ging, um das allerheiligste ,Altarsakrament‘ zu empfangen, was selbst in diesem von einer unglaublichen Unzahl von schmarotzenden Pfaffen beherrschten Lande unerhört war und, da sie stets als einzige zur Kommunionbank ging, in ganz Capri besprochen wurde und sie in den Geruch der Heiligkeit, dagegen ihre Schwester und mich, die wir nie die Kirche betraten, in den Verruf ,gottloser‘ d.h. schlechter, unsittlicher Menschen brachte, welcher Verruf durch die direkten und indirekten Klagen Minas über ihre ,entsetzlich unglückliche Ehe‘ bei Besuchern meiner Ausstellung (!), dem Pfarrer von Capri und Anacapri echt ,christlich‘ genährt wurde.“ - „Die gleiche widerliche Komödie am andern Tag, als der Erzbischof, offiziell angemeldet, mit seinem Galawagen am Municipio vorfuhr, um mir unter offizieller Begleitung eines Staatssekretärs (natürlich auch Pfaffe) seinen Gegenbesuch zu machen, wozu der ganze Palazzo eigens gereinigt worden war, und auf dessen Gängen und Treppen von der neunköpfigen Hausmeisterfamilie und jedem ihm begegnenden Mann (!) ihm die - hingehaltene (!) - Hand geküßt wurde. Meine, die Wände von sieben großen Sälen (darunter einer von 14 Metern Länge) bedeckenden, von jedem angestaunten Gemälde (darunter Christus-Darstellungen) wurden wegwerfend als ,heidnische Kunst‘ bezeichnet und mir anempfohlen, Bilder aus dem Leben und Sterben der ,Heiligen‘ zu malen, z. B. wie die Engel die Seele des sterbenden heiligen Josef (seines Namenspatrons!) aus dessen Mund wie eine Fischblase herausziehen und zum Himmel tragen, oder wie die allerheiligste ,Jungfrau‘ Maria in rotem Kleid und blauem Mantel durch die Luft in den Himmel ,fährt‘, und dergleichen Blödsinn mehr.“ - „…zur Betätigung meines seit vierunddreißig Jahren durch die ,christliche‘ Unterdrückung meiner Eigenart untergrabenen und lahmgelegten und jetzt in meinem ruhe- und pflegebedürftigen Alter durch die roheste Selbstsucht dieses Wurmweibes noch weiter untergrabenen und lahmgelegten Kunstschaffensdranges !“ - „Wie der dümmste katholische Mistbauer den absurdesten Blödsinn des ihm eingetrichterten Katechismus gegen die weltbewegenden Ideen eines Darwin, Schiller, Goethe als ,unfehlbare, von Gott geoffenbarte, allein wahre und allein seligmachende Wahrheit und Religion‘ behauptet und verficht, …“
Diefenbachs Schüler, der weniger ernsthafte Deutschsiebenbürger Maler und Dichter Gustav Arthur Gräser (1879-1958), hatte auf dem „Himmelhof“ der Lehrgemeinschaft „Humanitas“ angehört, trennte sich aber davon, weil ihm die Regentschaft des Meisters zu unbequem erschien. Zusammen mit seinem Bruder Karl Gräser (1875-1920), dem Geldgeber Henri Oedenkoven, dessen Lebensgefährtin Ida Hofmann, deren Schwester Jenny und Lotte Hattemer (1875–1906) gründete er im Herbst 1900 die Reformsiedlungen „Monte Verità“, dem „Wahrheitsberg“, der heute mitunter als „Gral der Moderne“ oder „Wiege der Alternativbewegung“ besprochen wird. Die Utopie von der großen „Neuen Gemeinschaft“, die ohne Geld, ohne Technik, ohne Trennung in Herren und Knechte auskommen wollte, ist kaum gestartet, bald darauf kläglich gescheitert. Genau besehen, versuchten diese Alternativen die Visionen Diefenbachs zu realisieren, wobei einige Personen - gemessen an des Altmeisters pädagogischen Grundsätzen - in mancher Lockerheit über das Ziel hinausschossen. Der „Berg der Wahrheit“ liegt westlich von Ascona im Schweizer Kanton Tessin. Interessant ist, dass ein alter deutscher bzw. langobardischer, lombardischer Name Asconas „Aschgunen / Aschgonen“ lautet. Es handelt sich um den gleichen Begriff wie „Aschau am Chiemsee“. Nach dem Historiker Gotthard Wielich stammt das Wort vom langobardischen „skugina“ ab, was „Stall“ bedeutet. Andere Deutungen gehen vom keltischen Ursprung aus, indem sie „asc-ona“ als „große Weise“ erklären. Es wäre aber denkbar, dass Ascona eine langobardische Kultstätte der Asen-Religion war. Dort schuf Gräser in ganz kurzer Zeit das programmatische Ideengemälde „Der Liebe Macht“, welches den Umbruch von einer in Selbstzerstörung endenden Industriewelt zu einem künftigen Leben im Einklang mit der Natur in symbolischen Bildern vor Augen führt. Nach Tanzauftritten und Rezitationen im Münchener Schwabing zog Gräser 1911 mit Frau und sechs Kindern im selbstgebauten Wohnwagen, auf dem Dach eine hölzerne Schlange, von München nach Berlin. „Raus ! Raus ! Raus !“ stand in Großbuchstaben auf seinem grünen Wagen geschrieben. Der „Monte Verità“ wurde zum Anziehungspunkt für Suchende und Reformer aus ganz Europa, mehrere bedeutende Frauen und Männer fanden ihren Weg dorthin. Vor und während des Weltkrieg I. sammelten sich dort etliche bekannte Pazifisten, Verweigerer aller Arten und Flüchtlinge aus den kriegführenden Staaten. Der Tanzdichter Rudolf von Laban brachte Gräsers ekstatischen Ausdruckstanz in eine perfekte Form, die als „German dance“ oder „Ausdruckstanz“ sich vor allem durch Gräsers Freundin Mary Wigman die Welt erobert hat. Gräsers Mondscheintänze im Wald von Arcegno beeinflussten auch die Amerikanerin Angela Isadora Duncan, die zur „Barfußtänzerin“ und ebenfall zur Wegbereiterin des modernen sinfonischen Ausdruckstanzes wurde, der das altgriechische Schönheitsempfinden versuchte wiederzubeleben. Dem Tanztheoretiker Rudolf von Laban ging es darum, die in der modernen Alltagsarbeit verlorene Körperbewusstheit wieder zu erwecken und zum künstlerischen Ausdrucksmittel zu steigern, auch als Teil einer „gemeinschaftstiftende Festkultur“ zu etablieren. In der Abgeschiedenheit der Waldungen über Ascona studierte er mit seiner Schülertruppe ausdrucksstarke Nackttänze ein. Ein grandioser Höhepunkt auf dem „Monte Verità“ war im August 1917 die Freilichtaufführung „Sang an die Sonne“ im Rahmen einer Veranstaltung des „OTO“. Die chorische Tanzdarbietung besaß drei Teilen: „Die sinkende Sonne“, „Die Dämonen der Nacht“ und „Die siegende Sonne“. In Gustav Gräsers abenteuerlichem Lebenslauf gab es herbe Bedrückungen. Im Kriegsjahr 1915 wurde er nach Österreich abgeschoben, dort als Kriegsdienstverweigerer „mit verwirrten Ideen behaftet“ vorrübergehend in eine Irrenanstalt eingewiesen. 1919 hat man ihn aus der Schweiz, dann aus Bayern und aus Baden ausgewiesen. 1920 zog er mit einer „Neuen Schar“ aus jungen Leuten, singend, tanzend und spielend durch Nordbayern und Thüringen gleich einem „Kinderkreuzzug“ oder „Kreuzzug der Liebe“. Nach manchen leidvollen Schicksalsschlägen starb Gräser 1958 vereinsamt und unbemerkt in München. Sein dichterisches Werk, das leider ungedruckt geblieben war, wurde im letzten Moment vor der Vernichtung aus dem Müll gerettet. Es befindet sich heute in der Stadtbibliothek München und im „Monte Verità Archiv“ Freudenstein.
Der vermögende, spirituell interessierte Niederländer Henri Oedenkoven (1875-1935) kaufte im Herbst 1900 den „Monte Monescia“ bei Ascona und taufte ihn in „Monte Verità“. Er war der finanzgebende Mitbegründer der Künstlerkolonie „Wahrheitsberg“. Der Name Oedenkoven ist zu erklären aus „Oden-Hof“, also möglichweise einer einstigen Kultstätte der Odin-Religion. In Henri Oedenkoven könnte man mithin den Nachfahren eines altgläubigen Odin- / Oding-Priesters sehen. So änderte sich auch der heutige Ortsnamen „Grippekoven“, einem Dorf im Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen, aus „Grippingahova“, urkundlich erstmals erwähnt wird „Haus Gripekoven“ 1240 im Besitz von „Goswin de Gripinghoven“. Während die Brüder Gräser so eine Art Liebeskommune auf dem „Wahrheitsberg“ anstrebten, also eine lustbetonte Freistatt für Aussteiger, setzte Oedenkoven auf eine wirtschaftlich rentable Naturheilanstalt und begann ein vegetarisches Zentrum bzw. Sanatorium auszubauen. Hier zog er einen Kreis interessierter Menschen an sich, veranstaltete Hauskonzerte, Elly Ney war eine der bevorzugten Künstlerinnen, die sich hier hören liessen. Ab 1914 nahm er an den Sitzungen teil, die Theodor Reuss, der Leiter des „Ordo Templi Orientis“ („Orden des östlichen Tempels“ - OTO), veranstaltete. Das erklärte Ziel des Ordens war die Vervollkommnung des Menschen durch Ritualmagie. Während des Weltkriegs kamen zum „Monte Verità“ nur wenige Gäste, erst ab 1917 gab es einen gewissen Aufschwung. Die linksrevolutionäre „Internationale“, die sich bis dahin in Zürich zusammenbraute, streckte ihre Fühler bis nach Ascona aus. 1920 musste die Naturheilanstalt wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit aufgegeben werden. Oedenkoven verließ mit seiner Frau und Mitarbeiterin Ida Hofmann die Stätte und versuchte in Spanien, später in Brasilien eine weitere vegetarische Kolonie aufzubauen, was aber wegen der für Europäer unguten klimatischen Bedingungen nach kurzer Zeit scheiterte.