PRESSEMORD AN HARMSTORF ?
 
Die Presse heult, die Presse hetzt,
und wenn sie ihre Lügen schwätzt,
dann hat sie ganz alleine,
trotz Lügen, lange Beine.
 
Wer Lügen sagt, dem glaubt man nicht,
wie manche deutsche Mutter spricht,
doch stört das nicht die Presse,
nicht Staat und nicht Mätresse.
 
Denn Huren ist das einerlei,
die sind mit Lügen leicht dabei,
gleich so wie Presse-Huren,
die falsche Eide schwuren.
 
Der Presse ist das freigestellt,
auch wenn sie dickste Lügen bellt,
und keiner wird sie rügen,
der Bürger muss sich fügen.
 
Der Staat hält seine „Vaterhand“,
über der Presse Lügen-Schand‘;
er braucht sie zum Regieren,
muss drum die Presse schmieren.
 
Auch wenn die Press‘ die Ehre raubt,
sich quasi einen Mord erlaubt,
wird mancher mal so eben,
zum Abschuss freigegeben.
 
Dem Raimund Harmstorf ging es so,
Bild-Zeitung blies zum Horrido,
sie hat den Mann erledigt,
und Lügen nur gepredigt.
 
Rufmord gehört zum Presserecht,
in dieses Staates Rechtsgeflecht;
und Gras wächst über Leichen,
den armen wie den reichen.
 
Raimund Harmstorf (1939-1998), der typische Hamburger Junge war Sohn eines Arztes, er wurde Zehnkampfmeister in Schleswig-Holstein, studierte Medizin und Musik und darstellende Kunst. Im Jahre 1971 spielte er in dem Mehrteiler „Der Seewolf“, als raubeiniger Robbenfängerkapitän „Wolf Larsen“, die Rolle seines Lebens. Harmstorf erlitt im Laufe seines Lebens bei mehreren Motorrad- und Auto-Unfällen schwere Verletzungen. In seinen letzten Lebensjahren litt der Schauspieler an der Parkinson-Krankheit und hatte auch seelische Probleme, nachdem neue Rollenangebote ausblieben. Am 2. Mai 1998 berichtete das Schmierenblatt „Bild-Zeitung“ unter der Schlagzeile „Seewolf Raimund Harmstorf in der Psychiatrie“ eine von Anfang bis Ende frei erlogene Storry, worauf sich der gesundheitlich angeschlagene, sensible Harmstorf in der darauffolgenden Nacht erhängte.
 
TÄTER: BILD-ZEITUNG - OPFER: REIMUND HARMSTORF
 
Am Sonnabend, den 2. Mai, standen zwei Illustrierten-Reporter mit einer Bild-Zeitung vor der Haustür von Raimund Harmstorfs Bauernhaus im Allgäu. „Seewolf Raimund Harmstorf in der Psychiatrie“ stand in großen Lettern auf der Titelseite und weiter: „Mit aufgeschnittenem Handgelenk von der Polizei aufgegriffen“. In der dazugehörigen Geschichte schmolz sein Leben auf eine Ansammlung von Schicksalsschlägen und Unfällen zusammen: Harmstorf mit Gipsbein im Krankenhaus, Harmstorfs verunglückter Porsche, Harmstorf mit leerem Blick in einer Drehpause. „Das ist ja verrückt, was da steht“, hat der Schauspieler laut Aussage seiner Lebensgefährtin Gudrun Staeb gesagt. Und immer wieder: „Das ist mein Todesurteil.“ Nur wenige Stunden später vollzog er es. „Der Selbstmord von Harmstorf ist für die Bild der Super-Gau“, sagt ein leitender Bild-Redakteur im Rückblick und räumt ein: „Das ist so unglücklich gelaufen, wie es unglücklicher nicht mehr geht.“ Die beiden Reporter, die den Artikel geschrieben haben, dürfen sich auch einen Monat nach dem Vorfall nicht dazu äußern Anweisung der Chefredaktion. Die Sache mit dem „zerschnittenen Handgelenk“, aus dem „das Blut tropfte“, nahm Bild wenige Tage nach Harmstorfs Freitod eher beiläufig zurück.
 
In Wahrheit war der Zwischenfall wesentlich unblutiger verlaufen: Der Schauspieler litt seit 1994 an der Parkinson‘schen Krankheit, weshalb er mit einem Medikament behandelt wurde, zu dessen Nebenwirkungen Alpträume, Angstzustände und Halluzinationen zählen. Um die Symptome vor der Öffentlichkeit zu verbergen und weiterhin Theater spielen zu können, nahm Harmstorf ziemlich viele Tabletten am Abend des 5. April zu viele. Als er bereits kurz vor einer Ohnmacht stand, rief er den Notarzt. Von der Intensivstation verlegte man ihn später auf die psychiatrische Station des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren nicht unbedingt das, was man gemeinhin unter einem Selbstmordversuch versteht. Auch lag Raimund Harmstorf nie „in der geschlossenen Abteilung“, wie Bild zu berichten wusste, sondern wurde in einer offenen Therapie behandelt was bei über neunzig Prozent aller Suizidgefährdeten in Deutschland der Fall ist. „Seit Jahren werden die wenigsten Patienten in geschlossenen Abteilungen behandelt, vielmehr ist es üblich, sie mit Medikamenten und begleitender Psycho- oder Gesprächstherapie zu heilen“, sagt Dr. Bernd Ahrens, Oberarzt der Psychiatrischen Klinik der Freien Universität Berlin. Der Großteil der Patienten werde bereits nach vierzehn Tagen im Rahmen einer sogenannten „sozialen Belastungstherapie“ nach Hause geschickt, um sich in seinem alltäglichen Umfeld zurechtzufinden auch, wenn es an diesem Verfahren verschiedentlich Kritik gibt, weil es Risiken birgt. Denn, so Suizid-Experte Ahrens: „Wer zu Hause ist, ist deshalb noch lange nicht psychisch gesund.“ Raimund Harmstorf kam rund vier Wochen nach seiner Tablettenvergiftung nach Hause. „Die psychiatrischen Symptome waren abgeklungen“, sagt der Leiter des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren, Michael von Cranach, der den Schauspieler behandelte. Am Morgen des 1. Mai wurde er von seiner Freundin Gudrun Staeb aus der Klinik abgeholt, zu einem Zeitpunkt, als ihn die Bild-Reporter noch „völlig abgeschottet von der Außenwelt“ wähnten, wie sie am Tag darauf rund elf Millionen Lesern mitteilten.
 
Darunter auch Raimund Harmstorf, der für das Wochenende einen Ausflug geplant hatte. Doch dazu kam es nicht mehr. Nach dem ersten Schock telefonierte der Schauspieler mit Freunden, am späten Nachmittag mit seinem Arzt. Gemeinsam verabredete man einen früheren Beginn der Reha-Behandlung eine sofortige Rückkehr ins Krankenhaus lehnte Harmstorf ab, aus Angst, dass ihn vor der Klinik bereits Reporter erwarten würden. Wie groß die Macht von Bild wirklich ist, zeigte sich wenig später, als das RTL-Magazin „Explosiv“ den Bild-Artikel aufgriff und zweieinhalb Millionen Zuschauer wissen ließ, dass sich Harmstorf nach einem blutigen Selbstmordversuch in der Psychiatrie befindet. Doch der war zu Hause, ging nach dem Bericht ins verdunkelte Schlafzimmer und beobachtete die Straße vor dem Haus. Als ihn seine Lebensgefährtin am nächsten Morgen erhängt auf dem Dachboden fand, erlitt sie einen Nervenzusammenbruch.
 
Auf die Vorwürfe von Polizei und Staatsanwaltschaft, die Bild-Berichterstattung trage Mitschuld am Selbstmord des Schauspielers, teilte die Chefredaktion mit, dass man sich auf Auskünfte der Polizeidirektion Kempten und der Polizeidienststelle Markt Oberndorf verlassen habe. Doch dort will niemand mit den Reportern der Bild gesprochen haben. „Wir haben wochenlang recherchiert, aber niemanden gefunden, der mit Bild Kontakt gehabt hätte“, sagt ein Sprecher der Polizeidirektion Kempten, der sich immer noch nicht erklären kann, wie die Legende vom aufgeschnittenen Handgelenk in die Welt gekommen ist. „So einen Vorfall hat es hier nie gegeben.“ Man habe die Geschichte „nach besten Wissen und Gewissen publiziert“, sagt Bild-Chef Udo Röbel. „Der Stand unserer Recherche war der, dass Herr Harmstorf noch am Freitag in der Klinik war.“ Eine Recherche, bei der weder der behandelnde Arzt kontaktiert wurde, noch Harmstorf selbst. „Zu keinem Zeitpunkt haben Reporter der Bild- Zeitung Raimund Harmstorf in seinem Haus bei Kempten aufgesucht“, steht in einer Mitteilung der Chefredaktion, in der man sich über den Selbstmord des Schauspielers „sehr erschüttert“ zeigte. Wenngleich man wohl mit gewissen Risiken und Nebenwirkungen des Artikels gerechnet hatte. „Hätte ich gewusst, dass sich Harmstorf an dem Wochenende nicht unter ärztlicher Aufsicht befindet, wäre die Schlagzeile nicht erschienen“, so Chefredakteur Röbel. Um das zu erfahren, hätte ein Anruf ausgereicht, schließlich war Harmstorf bereits am Tag vor der Veröffentlichung aus der Klinik abgeholt worden, und nicht wie Bild später schrieb, am selben Tag. Aber vielleicht hatten die Reporter Angst, die Geschichte könnte im letzten Moment kippen, wenn sie den Schauspieler mit der Bild-Version seines Lebens konfrontieren. „Wir wussten seit mehreren Wochen von Harmstorfs Zustand“, sagt ein Redakteur, „So eine Story kann nicht ewig liegen.“
 
Es wäre also reichlich Zeit gewesen, sich über die Behandlung von Suizidgefährdeten zu erkundigen. „Dass Selbstmordgefährdete weggesperrt gehören, ist eine Auffassung aus dem tiefsten Mittelalter“, sagt Suizid-Forscher Ahrens von der FU-Berlin im übrigen spreche, „das zynische Kalkül der Bild jeder medizinischen Erkenntnis Hohn: Für einen nach wie vor psychisch instabilen Menschen musste der Artikel ein Schlag ins Gesicht sein.“ Nach dem Selbstmord versuchte sich Bild in Schadensbegrenzung. Tagelang wurden Bekannte des Schauspielers zitiert, die den Suizid kommen sahen. Ein „enger Vertrauter der Familie“ wusste gar zu berichten, dass sich Harmstorf noch während der Behandlung mit einem langen Messer eine Wunde am Hals zugefügt hat. Ebenfalls ein Vorfall, an den sich in der Klinik niemand erinnert. Rund eine Woche später wurde der Fall Raimund Harmstorf journalistisch abgeschlossen. Per Ferndiagnose brachte das Schwesterblatt der Bild, die Berliner BZ, die unschöne Angelegenheit auf den Punkt: „Er hat den Starken gespielt und sich furchtbar schwach gefühlt. Ein Zwiespalt, so unerträglich, dass sich Schauspieler Raimund Harmstorf am vergangenen Sonntag auf seinem Bauernhof erhängte.“ So einfach war es nicht ! (Autor: Oliver Gehrs, „Warum der Selbstmord von Raimund Harmstorf auch ein journalistisches Unglück war“)