02.03.2024
Am 15.09.2021 gab es eine ARD-Sendung mit Sandra Maischberger, Marco Buschmann und Tino Chrupalla über die im Netz der Beitrag zu finden ist: „Tino Chrupalla (AfD) zu blöd für Heinrich Heine?“ (Maischberger vom 15.09.2021). Und unter „Der Schlagabtausch des Abends ist zu lesen“: „In einer Art Mini-Wahlduell knöpft sich Sandra Maischberger Tino Chrupalla von der AfD und Marco Buschmann von der FDP vor. Maischberger muss dabei aber eigentlich nur Stichpunkte und Nachfragen liefern, ansonsten nehmen die beiden Politiker das mitunter hitzige Duell selbst in die Hand. Im Kommentar zu der Sendung liest man: „Nun ist es nicht besonders originell von Sandra Maischberger, diese Episode aufzugreifen und Chrupalla und Buschmann ebenfalls nach ihrem Lieblingsgedicht zu befragen. [Marco Buschmann darf glänzen, indem er einige Verse rezitiert. Inwieweit war das mit ihm vorher abgesprochen ?] „Denk ich an Deutschland in der Nacht – bin ich um den Schlaf gebracht“, zitiert Chrupalla aus seinem Lieblingsgedicht von Heinrich Heine und fährt fort: „Das, was wir in Deutschland gerade aktuell erleben, zielt es ja genau daraufhin“, behauptet Chrupalla.
„Wissen Sie, wie das Gedicht weitergeht?“, hakt Maischberger deshalb nach. „Natürlich weiß ich …“, beginnt Chrupalla und stoppt dann: „Das ist ja jetzt nicht das Thema, wie es weitergeht.“ „Doch, das ist das Thema, weil: Es geht nicht um Deutschland“, bleibt Maischberger unnachgiebig. „Doch, es geht um Deutschland“, will Chrupalla noch intervenieren, macht es damit aber nur schlimmer, denn Maischberger klärt den AfD-Politiker auf: „Nein, es geht um die Mutter. Die kranke Mutter von Heinrich Heine.“ - Man fasst sich an den Kopf, ist das möglich, Frau Maischberger hat Heri Heine (Geburstnamen) nicht kapiert und erblödet sich dazu in aller Öffentlichkeit. Als wäre es dem Preußenhasser Heine in seiem Pamphlet „Deutschland ein Wintermärchen“ jemals um sein altes Mütterchen in Hamburg gegangen, das er an einer Stelle „alte Katze“ nennt, wobei er abschwächend noch das Adjektiv „süß“ dazustellte. Kann eine echt verehrte Mutter als Katze bezeichnet werden ? Mütterliche Katzenliebe trägt jedenfalls einen unschönen Beigeschmack des Unechten, des Aufgesetzten, des Geheuchelten.
Im „Deutschlandfunk“ brachte Hildegard Wenner, 09.08.2018, einen Nachruft auf den jüdischen Spötter Harry/Heinrich Heine, unter dem Titel: „Heinrich Heine vor 175 Jahren ,Nachtgedanken‘ erscheint erstmals in einer Zeitung. Heinrich Heine gilt immer noch als der deutsche Dichter. Seine ambivalente Sehnsucht nach seinem Heimatland spiegelt sich in seinem Gedicht ,Nachtgedanken‘, das er 1843 aus dem Pariser Exil schrieb: „Die einen lesen es als bittere Vaterlandsklage, die anderen als Liebeserklärung an die Mutter.“ Das mag richtig sein, wenn man allein einer Wortauswahl folgt und den hinlänglich wohlbekannten Kontext des H. Heine weglässt bzw. nicht zur Kenntnis nehmen will, also sich anschickt, zu manipulieren.
Auf einer zeitgeistkonformen Lyrik-Seite wird erklärt: „Das Gedicht ,Nachtgedanken' (1844; Epoche des Vormärz) besteht aus 10 Strophen mit je 4 Versen. Das Reimschema ist ein regelmäßiger Paarreim. Das Versmaß ist größtenteils ein vierhebigen Jambus, der in den achtsilbigen Versen (jeweils die ersten beiden Versen) in einer männlichen, in den neunsilbigen (jeweils die letzten beiden Versen) in einer weiblichen Kadenz endet. Am Anfang des Gedichts (,Denk ich…') sowie in der Mitte (,Deutschland…') wird der Daktylus als Versmaß verwendet. Inhalt / Zusammenfassung: Heine zeigt ,Nachtgedanken' seine Liebe zum Vaterland und die Sehnsucht nach der Heimat, die sich auch durch das anschließende ,Wintermärchen' zieht und den Kern dieser Werke bildet. Das lyrisches Ich schildert in der ersten Strophe, dass der Gedanke an Deutschland bei ihm zu Schlaflosigkeit führe und es zum Weinen bringe. Dann befasst sich das Ich mit seiner alten, in Deutschland lebenden, geliebten Mutter, die es seit 12 Jahren nicht gesehen hat, und mit der es im Briefkontakt steht. Das Land Deutschland nennt das Ich im Gegensatz zur Mutter in Worten, die als ironisch zu betrachten sind, „kerngesund“, „mit seinen Eichen, seinen Linden“ etc. Das Gedicht kulminiert in der Erinnerung des Ich an, und Trauer ob der vielen geliebten Personen, die während seines zwölfjährigen Exils in der Heimat verstorben sind; ihm ist, ,als wälzten sich die Leichen' auf seiner Brust. Diese Vorstellung wird erst vertrieben, als morgens in Frankreich die Sonne aufgeht und die schöne Frau des Ichs erscheint und es anlächelt. Hintergrund: Wegen seiner jüdischen Herkunft (er war 1825 zum Christentum konvertiert) und seiner politischen Ansichten zunehmend angefeindet - vor allem in Preußen - und der Zensur in Deutschland überdrüssig, übersiedelte Heine 1831 nach Paris (wo er auch verstarb). Von einem Exil im strengen Sinn kann zu dieser Zeit noch nicht gesprochen werden, erst die späteren Publikationverbote 1833 und 1835 machten es dazu. Der berühmte Eingangsvers „Denk ich an Deutschland in der Nacht, / Dann bin ich um den Schlaf gebracht“ ist zu einem geflügelten Wort geworden.“
Und weiter: „Liebster Freund! Wir müssen unsere politischen Sympathien und sozialen Antipathien nirgends verhehlen, wir müssen das Schlechte beim rechten Namen nennen und das Gute ohne Weltrücksicht verteidigen. Jedenfalls werde ich die ‚Elegante‘, weil Ihr Blatt, mit treuester Liebe unterstützen und fördern.“ Ein bisschen Sorge klingt schon mit in Heinrich Heines Brief an den „liebsten Freund“ Heinrich Laube, der nun, nach Jahren der Verfolgung und Festungshaft, wieder seine frühere Redakteursstelle bei der Leipziger „Zeitung für die elegante Welt“ antreten kann. War Laube, Dichter-Kollege und Mitstreiter, Gefährte in der Bewegung „Junges Deutschland“, womöglich etwas revolutionsmüde geworden? Heine jedenfalls lieferte:
„Denk‘ ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht“
Ein Gedicht macht eine fulminante Karriere - Am 9. August 1843 erschienen Heines „Nachtgedanken“ in der „Eleganten“: Zehn Strophen mit jeweils vier Versen in konsequentem Paarreim. Ein „Sehnsuchtslied“, das, ähnlich wie die „Loreley“, eine fulminante Karriere hinlegen wird, millionenfach zitiert, vertont, vermarktet, Vorlage für Buch-, Funk- und Fernsehreihen. Zugegeben: hauptsächlich wegen der ersten Zeilen - aber dieses Schicksal teilt es ja mit vielen Gedichten.
„Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.“
Seit zwölf Jahren lebte Heine im Pariser Exil, als politischer Autor vertrieben von der Metternich-Restauration, als - getaufter - Jude vom Antisemitismus in Deutschland. Seine Schriften waren längst berühmt - und verboten. Heine feuerte aus Frankreich zurück, von Anfang an, unermüdlich, unerbittlich.
„Widerwärtig war mir dieses Preußen“
„Widerwärtig, tief widerwärtig war mir dieses Preußen, dieses steife, heuchlerische, scheinheilige Preußen, dieser Tartüff unter den Staaten.“
Der Lyriker Heine aber offenbart in den „Nachtgedanken“ die andere Seite des - wie er sich selbst gern nannte – „entlaufenen Romantikers“. Den „heißen Tränen“ folgen nämlich nicht neuerliche Salven gegen das ebenso verfluchte wie vermisste „Vaterland“, das er „an den Schuhsohlen mit sich schleppte“. Stattdessen biegt der schlaflose Dichter unvermittelt ins Private ab.
„Die Jahre kommen und vergehn!
Seit ich die Mutter nicht gesehn“
Betty Heine, die Mutter im fernen Hamburg, bekommt ziemlich viel Platz in den folgenden Strophen, weshalb spitzfindige Köpfe später behaupten werden, es sei der größte Irrtum der Literaturgeschichte, die „Nachtgedanken“ als bittere Vaterlands-Klage zu lesen. In Wahrheit handele es sich um eine Heimweh-getränkte Liebeserklärung an die Mutter. Tatsächlich schrieb Heine ja ganz zauberhafte Briefe nach Hause:
„Liebe, gute, liebe Mutter! Du alte süße Katze, wie geht es Dir? Wenn Du stirbst, ehe ich Dich wiedersehe, schieße ich mich tot.“
Verdruss über Deutschland - Heine, mindestens ebenso leidenschaftlicher Spötter wie gequälte „Dichterseele“, liebte es, falsche Fährten zu legen. Die Sorge um die leibliche Mutter - die er übrigens, stets die Polizei im Nacken, gleich im Herbst 1843 und ein Jahr später noch einmal besuchte - ist natürlich real, aber ebenso der Verdruss über die „Rabenmutter“ Deutschland: Stur reaktionär, scheint sie Heine – fünf Jahre vor der 48er Revolution – unverwüstlich und nur mit galligem Unterton in den Griff zu kriegen.
„Deutschland hat ewigen Bestand,
Es ist ein kerngesundes Land,
Mit seinen Eichen, seinen Linden
Werd ich es immer wieder finden.“
Ein Happy End: Im Paris der frühen 1840er Jahre gingen die Revolutionäre - auch Karl Marx - bei Heine ein uns aus. Der indes wollte nie ein „Tendenzpoet“ sein, kein Flugblattschreiber; die agitatorischen Dichter des Vormärz fand er zu pathetisch, zu wenig ästhetisch. Und dass das Private nicht erst seit 1968 politisch ist, beweist der Schluss, das Happy End der „Nachtgedanken“ virtuos:
„Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.“
Im September 1844 erscheinen die „Nachtgedanken“ als letztes von 24 „Zeitgedichten“ in der Lyriksammlung „Neue Gedichte“, zunächst zusammen mit dem Versepos „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Obwohl Heines Verleger Julius Campe allerhand Tricks beherrschte, um die Zensoren abzuhängen, wurde das Buch in Preußen und den meisten Bundesstaaten sofort beschlagnahmt. Der Literaturbetrieb in Deutschland hielt sich in seinen Kritiken feige bedeckt. Getraut hat sich ausgerechnet Heinrich Laube. Gar nicht revolutionsmüde, preist er das neue Werk seines Freundes Heinrich Heine in der „Zeitung für die elegante Welt“: „Er kommt, der ach so oft todtgesagte! Gepfiffen und gesungen gellend und verführerisch wie er nur je gesungen hat. Heinrich Heine gilt immer noch als der deutsche Dichter. Seine ambivalente Sehnsucht nach seinem Heimatland spiegelt sich in seinem Gedicht „Nachtgedanken“, das er 1843 aus dem Pariser Exil schrieb. Die einen lesen es als bittere Vaterlandsklage, die anderen als Liebeserklärung an die Mutter“
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Die letzten vier Strophen der „Nachtgedanken“ lauten:
Nach Deutschland lechzt' ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wär;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.
Seit ich das Land verlassen hab,
So viele sanken dort ins Grab,
Die ich geliebt - wenn ich sie zähle,
So will verbluten meine Seele.
Und zählen muß ich - Mit der Zahl
Schwillt immer höher meine Qual,
Mir ist, als wälzten sich die Leichen
Auf meine Brust - Gottlob! Sie weichen!
Gottlob! Durch meine Fenster bricht
Französisch heitres Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.
Nein, Harry-Heinrich Heine liebte weder Deutschland noch die Deutschen, er war ja keiner. Einerseits lästert er in „Deutschland ein Wintermärchen“ stundenlang mit bösartig-scharfem Sarkasmus über Deutschland und die Deutschen ab, andererseits schreibt er im Vorwort einen patriotischen Satz der Schleimerei, um als eitler Dichter nur ja keine potentiellen Leser in Deutschland zu verlieren. Er schrieb an Moses Moser am 08.08.1826: „Es ist aber ganz bestimmt, daß es mich drängt dem deutschen Vaterlande Valet zu sagen. Minder die Lust des Wanderns als die Qual persönlicher Verhältnisse (z. B. der nie abzuwaschende Jude) treibt mich von hinnen.“ Absout irreal meinte er in Frankreich weniger Nationalstolz zu bemerken, als in Deutschland und schrieb im Gedicht „Diesseits und jenseits des Rheins“ den Unsinn:
„Aber wir verstehen uns bass,
Wir Germanen auf den Hass.
Aus Gemütes Tiefen quillt er,
Deutscher Hass! Doch riesig schwillt er,
Und mit seinem Gifte füllt er
Schier das Heidelberger Faß.“
Um seinen Deutschenhass auf die Deutschen projektieren zu können, macht er sich in den diskriminierenden Versen gar selbst zum Deutschen. Wie leichtfertg Heine mit Worten umging, wenn sie sich nur reimten, geht aus den boshaften Versen auf Ehefrau Augustine Crescence Mirat, die er Mathilde nannte, hervor:
„Deine Nücken, deine Tücken,
Hab ich freylich still ertragen
Andre Leut' an meinem Platze
Hätten längst dich todt geschlagen.“
Nach der Betrachtung seiner Biographie und dem was er hinterlassen hat, kommt man nicht umhin, ihm ein Bekenntnis zuzutrauen, wie es Kurt Tucholsky abgelegt hat: „Germania, mir graut vor dir“. Heines Spott über deutsch-preußische Beamte hörte sich so an, in „Deutschland - Ein Wintermärchen“:
„Noch immer das hölzern pedantische Volk,
Noch immer ein rechter Winkel
In jeder Bewegung, und im Gesicht
Der eingefrorene Dünkel“
Dass er selbst ein vom maßlosen Dünkel Beherrschter war, kam ihm gar nicht in den Sinn seines lächerlichen Hochmutes! Er lag in seiner syphilitischen Pariser „Matratzengruft“, lobhudelte über Frankreich und schimpfte auf Deutschland, dessen Geist er nie verstanden hat. Zu mehr war er nicht in der Lage. Der hochmütigen Frau Maischberger, welche sich unberechtigterweise Herrn Chrupalla intellektuell überlegen gab, müsste man nahebringen: „Sie haben keinen Grund Ihrem Diskutanten Chrupalla Unverständnis, hinsichtlich H. Heine vorzuwerfen, Sie selbst sind es, die den Spötter Heine kindhaft naiv zu deuten versuchten und dabei auf seiner Mütterlein-Leimrute festklebten, als wäre es Heine nicht immer um Agitation und Häme gegangen. Allein der Hass hielt ihn am Leben, Hass auf das prosperierende Deutsch-Preußen und auf sich selbst, den Versager und Schmarotzer (der reiche Bankier-Onkel Solomon Heine aus Hamburg finanzierte ihn). Er hatte sich so viel Aktives vorgenommen, als junger revolutionärer Schwarmgeist, doch zu was war er nun als Wahlparieser imstande ? Zum kläglichen Tintenritter war er abgesunken, der sich mit leichtsinnigen Weibern und leichtsinnigen Worten vergnügte. Er wurde nur 58 Jahre alt.