KINDER-KZ-HÖLLE-TORGAU
 
Es hängt bekannter Stallgeruch
am alten Proletarier-Spruch:
„Willst Du nicht mein Genosse sein,
schlag‘ ich Dir den Schädel ein !“
 
Sie hatten nicht nur laute Schnauzen,
man schlug Schädel ein in Bautzen;
die Hilde Benjamin ließ morden,
man dankte ihr mit vielen Orden.
 
Man schickte, wenn nicht angepasst,
selbst Kinder in den Höllen-Knast.
Das System ließ Schüler stolpern,
Margot Honecker ließ sie foltern.
 
Staats-Sozialismus eingeprügelt,
auf Linie und auf Norm gebügelt;
Dunkel-Haft und Kasernen-Drill,
machten Menschenrechte still.
 
Mit hohlen Phrasen angelogen,
mit Fäusten, Tritten umerzogen,
so wollte, unter Furcht und Zittern,
man Kinder formen hinter Gittern.
 
Mädels zwang man nackt zu steh‘n,
ließ „Sozi“-Schergen sie beseh’n.
Das ist im Klartext auszusprechen:
Man wollte ihre Seelen brechen.
 
Der „Jugendwerkhof Torgau“ war
ein Ort wo täglich Qual geschah.
So sah sie aus, die üble Spur,
von SED und roter Diktatur !
 
Vom 1. Mai 1964 bis zum 11. November 1989 wurden über 5.000 Jugendliche - auch Minderjährige - im Alter von unter 14 bis 18 Jahren zur „Anbahnung eines Umerziehungsprozesses“ willkürlich in den „Jugendwerkhof“ von Torgau ohne gerichtlichen Beschluss der DDR eingewiesen, eingesperrt und gequält, um sie den „sozialistischen Lebensnormen“ unterzuordnen. Die DDR-Unverantwortlichen folgten auch darin blindlings ihren sowjetrussischen Zwingherren, wie der Leiter des „Jugendhofs“ Wolfersdorf nach 1997 gegenüber dem Reporter Thomas Sandberg erläuterte: „Nach dem Credo des sowjetischen Pädagogen Makarenko sollte der Wille des Jugendlichen gebrochen und die falsch entwickelte Persönlichkeit entwertet“ werden, um sie dann „mithilfe des Kollektivs auf gesunde Weise wieder aufzubauen“ bzw. zum gehorsamen unselbständigen Massenmenschen zu kneten. Der russische Kommunist Anton Makarenko schuf mit seiner Umerziehung der Jugendlichen zu willenlosen Apparatschiks eine Basis für die blutige Gewaltherrschaft in der Sowjetunion. Einige der SED-Peiniger arbeiten noch heute als Pädagogen. Diese Disziplinierungsanstalt war direkt dem Ministerium für Volksbildung und damit Margot Honecker unterstellt. Die in der Regel unangepassten Kinder wurden hinter hohe Mauern mit Wachtürmen, Diensthunden und den vergitterten Fenstern gesteckt, systematisch gefoltert, um sie seelisch zu zerbrechen. Brüllende Erzieher, Einschüchterung, Willkür, Schläge, Tritte in die Genitalien, militärischer Drill, Strafsport, stundenlanges Nacktstehen vor den Schergen, mit dem Gesicht zur weißgekalkten Wand, Einzelhaft, Dunkelzellen, Essensentzug. Die Arrestanten bekamen zur Nachtruhe zumeist keine Matratzen, sondern lediglich zwei Decken zugeteilt. Die Jugendlichen erhielten kein Essen, wenn sie mit ihren Arbeiten noch nicht fertig waren und mussten die Teller unbedingt  leeressen, geschah es nicht, bekamen sie das alte Essen bei nächster Mahlzeit erneut vorgesetzt. Bewegungsschikanen bis zur völligen Erschöpfung und Zusammenbruch gehörten zur Tagessordnug. Während die Erzieher herumkommandierten, traten sie in die Beine, schlugen mit Schlüsselbünden ins Gesicht, dass das Blut spitzte. Einer erinnert sich: „Es war ein absoluter Schock, ich war im Vorraum der Hölle“. Jede Bewegung hatte im Laufschritt zu erfolgen. In den Arrestzellen dufte der Jugendliche die Liege, den Hocker oder Toiletteneimer zur Ruhe tagsüber nicht benutzen, er musste daneben stehen, wurde die Zelle geöffnet, hatte er in strammer Haltung Meldung zu machen. Wahnsinnsstrafen gab es wie das Putzen vom Toilettenraum mit Zahnbürsten und Rasierklingen. Der Kopf des zwölfjährigen Mario S. wurde von einer Erzieherin ins Toilettenbecken gedrückt und die Spülung betätigt, auch ist er von einem Erzieher sexuell missbraucht worden. Wer hierher gebracht wurde, hatte sich gegen Staat und Erzieher aufgelehnt, Schule oder Arbeit geschwänzt, passte nicht ins sozialistische Menschenbild. Die Zöglinge mussten hinter der drei Meter hohen Anstaltsmauer immer wieder bis zur Erschöpfung laufen, im Entengang gehen oder über Hindernisse klettern. Sie durften sich nur im Laufschritt bewegen, bereits Blickkontakte zwischen Jungen und Mädchen wurden schwer bestraft. Wer nicht parierte, musste bis zu zwölf Tage in den Einzel-Arrest. Viele hielten das nicht aus, versuchten sich mit unterschiedlichsten Mitteln umzubringen, mindestens drei Jugendlichen gelang der sog. Selbstmord. Ein Junge erhängte sich (Steve B.), der die für ihn wichtigen Tabletten nicht bekam und einer verbrannte (Rainer Folkert). Die Aussagen der Zeugen machen es wahrscheinlich, dass der nach Hilfe Schreiende von den „Erziehern“ zu Tode geprügelt und dann angezündet wurde, um die Prügelspuren zu vertuschen. Wer als renitent galt und die Eltern nicht in der Partei waren, wer sich nicht unterordnete, eine eigene Meinung hatte, sich den Pionier- und FDJ-Zwängen nicht unterordne, die sozialistischen SED-Phrasen nicht mitbetete, schlechte Schulnoten hatte oder Schule schwänzte, die falschen Hosen oder Haartrachten trug, landete im Terrorcamp Torgau.
 
Die Betroffene Mico-Harriet Fabri erzählte, wenn jemand schlechte Arbeitsergebnisse hat, der Boden nicht richtig gewischt war, oder nichts zu den in den Nachrichten gepriesenen glorreichen Errungenschaften der DDR sagen wollte, wurde die ganze Gruppe bestraft. Danach verschwanden die Erzieher ganz bewusst. „Dann durfte die Gruppe mich als Punchingball benutzen, dann war ich vogelfrei ausgeliefert. Und wenn 27 Mädchen ihren Frust an dir loslassen und jede froh ist, nicht selbst in der Mitte zu stehen, dann hältst du es nicht mehr aus.“ Mico-Harriet Fabri hat dreimal versucht, sich das Leben zu nehmen. Sie hat im Jugendwerkhof Bernburg Schlimmes, Unerträgliches erlebt, sagt sie, aber Torgau war die Hölle. Bei ihrer Ankunft schaffte sie als Kleinste die abverlangte Leistungstoturen nicht. Dafür schlug der Erzieher ihr den großen Schlüsselbund an den Kopf. Dagegen wehrte sie sich erst viele Jahre später. Im Oktober 2000 erwirkt sie eine rechtskräftige Strafe gegen diesen Unmenschen wie auch gegen jenen, der ihr in der Arrestzelle den Kübel verweigerte, „so dass sie sich nach mehreren Stunden in ihre Kleidung entleeren musste“. Der DDR-Pädagogen Eberhard Mannschatz, der mitverantwortlich war für die Jugendwerkhöfe, mischt heute in der Bildungspolitik der PDS mit. Mannschatz formulierte in aalglattem SED-Zynismus die Aufgaben der Jugendwerkhöfe so: „Das Ziel der Umerziehung besteht darin, die . . . Besonderheiten in der Persönlichkeitsentwicklung zu überwinden, die Eigenheiten im Denken und Verhalten der Kinder und Jugendlichen zu beseitigen und damit die Voraussetzungen für eine normale Persönlichkeitsentwicklung zu schaffen.“
 
Das Erziehungssystem der DDR quälte Hunderttausende Kinder und Jugendliche. Über 50 Erziehungsheime und 32 Jugendwerkhöfe gab es zum Ende der DDR. Durch Unterricht, Arbeit und strikte Erziehung sollten die Jugendlichen auf Linie des sozialistischen Staates gebracht werden. „Erziehung zur Arbeit durch Arbeit“ lautete das Prinzip der Züchtigungsheime. Dort landete, wer als schwer erziehbar oder sonst problematisch galt. Das waren Schätzungen zufolge zwischen 135.000 und 300.000 Kinder und Jugendliche. Die schlimmste Terroranstalt von Margot Honecker erfuhr auch Kerstin Gueffroy. Schon als Siebenjährige verbrachte sie ein Dreiviertel Jahr in einer psychiatrischen Einrichtung. Als sie 14 wurde, ließ ihre Mutter sie in einem Spezialkinderheim unterbringen und schließlich zur Adoption freigegeben. Den grausamen Höhepunkt der DDR-Pädagogik erlebte die heute 48-Jährige im „Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau“, dem sogenannten Kinder-KZ. Diesen tragischen Weg beschreibt Kerstin Gueffroy in ihrem aktuellen Buch „Die Hölle von Torgau - Wie ich die Heim-Erziehung der DDR überlebte“. Sie nimmt den Leser gleich zu Beginn mit in die Dunkelzelle - das kalte, modrige, finstere Loch, wo sich Kerstin Gueffroy dem Tod näher fühlte als dem Leben. Wer nicht ins System passte, musste gebrochen werden.
 
DER LEIDENSWEG DER HEIDEMARIE PULS
 
An ihren ersten Tag erinnert sich Heidemarie Puls genau. „Wir wurden behandelt wie Schwerverbrecher. Erst nachdem wir durch die zweite Sicherheitsschleuse gefahren waren, durften wir aussteigen“. Im Flur im Erdgeschoss des Haupttraktes lässt man sie über eine Stunde stehen. Weil sie dringend auf Toilette muss, klopft sie an der Tür des Büros, öffnet und fragt, ob sie die Toilette benutzen dürfe. „In dem Moment kam der Wächter mit einem Schlagstock raus und prügelte wie wild auf mich ein“. „Wenn jemand Fragen stelle, sei er das.“ Ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte. Nach den drei Tagen Einzelhaft hatte sich Heidemarie Puls wie alle anderen auch ins Kollektiv einzuordnen. Der Gruppenzwang ging so weit, dass sogar alle gemeinsam auf Toilette gehen mussten. Und auch das nur zu festgelegten Zeiten. „Schafften drei Mädchen aus unserer Gruppe das vorgegebene Arbeitspensum nicht, gab es für die gesamte Gruppe kein Abendessen“. Konnte umgekehrt jemand sein Mittag- oder Abendessen nicht schaffen - etwa aus Krankheitsgründen - gab es zusätzlich eine Extraportion, die gegessen werden musste. Sonst drohte Einzelhaft. Machte beim Sport, bei dem die Jungs und Mädchen häufig bis zum körperlichen Zusammenbruch getrieben wurden, jemand schlapp, gab‘s Strafrunden für die gesamte Gruppe. Als einmal ein Mädchen im Hof vor Erschöpfung zusammenbricht und der Aufseher es mit Schlägen und Tritten zum Weitermachen bewegen will, brennen bei Heidemarie Puls die Sicherungen durch, wie sie sagt. „Ich habe mich auf ihn gestürzt.“ Daraufhin wird sie vom Aufseher zusammengeknüppelt. Für die Mädchen kam die Gefahr der Vergewaltigung hinzu. Heidemarie Puls wurde innerhalb von fünf Monaten zehn bis zwölfmal vergewaltigt. Nicht von Mithäftlingen, sondern von Horst Kretschmar - jenem Anstaltsdirektor, der so stolz verkündete, man brauche im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau durchschnittlich drei Tage, „um die Jugendlichen auf unsere Forderungen einzustellen“. Doch das war noch nicht das Schlimmste, was Jugendliche in Torgau erlebten. „Am schlimmsten war der Fuchsbau“, sagt Heidemarie. Nachdem ein Erzieher sie bewusstlos geschlagen hatte, weil sie sich mit einem Schraubenzieher hatte umbringen wollen, wurde sie hier hinuntergeschleift und durch eine kleine Öffnung in der Wand in den so genannten Fuchsbau gestoßen. Er war die härteste Strafe. Ein dunkles Loch - 1,30 Meter mal 1,30 Meter. Kein Fenster, kein Hocker, kein Eimer. Heidemarie Puls weiß nicht mehr, wie lange sie hier drin zugebracht hat. „Zwei Tage, drei Tage - wie lange kann ein Mensch ohne Nahrung und Flüssigkeit überleben ?“ Was die damals 16-Jährige noch genau weiß: „Mir tat alles so weh, dass ich nur noch einen Wunsch hatte: Ich wollte sterben.“ Doch sie stirbt nicht. Sie erwacht - auf der Intensivstation. Einerseits ist es für sie wie eine zweite Geburt. Andererseits ist spätestens jetzt ihre Persönlichkeit gebrochen. „Ich funktionierte fortan wie ein Roboter, wollte auf keinen Fall mehr anecken, um das, was ich da unten erlebt hatte, nie wieder durchmachen zu müssen“. Wie bei wohl allen Insassen hat die Zeit in der Hölle von Torgau auch bei Heidemarie Puls tiefe Spuren hinterlassen. Geblieben sind nicht nur die seelischen Narben. „Ich war danach nicht mehr der Mensch, als den mich Gott geschaffen hat“. Nach den erlebten sadistischen Torturen ihrer Aufseher war sie als „Neuer Mensch“ der SED-Diktatur eingenormt, sie sagt:  „Dann war ich fähig für den Sozialismus. Nicht aufmucken und Schnauze halten.“ Seitdem sie von einem Aufseher so zusammengeschlagen wurde, dass ein Rückenwirbel angebrochen war und danach schief wieder zusammenwuchs, leidet sie unter starken Rückenschmerzen. Der Nahrungsentzug hat zu einer Kombination von Bulimie und Fresssucht geführt. Und aufgrund der Vergewaltigungen leidet die heute 52-Jährige unter einem Waschzwang. Heidemarie Puls ist 17, als sie freikommt. Bei ihrer Entlassung muss sie ein Papier unterschreiben, dass sie nichts über die Zustände in den Jugendwerkhöfen erzählt. Erst 2004 werden die Erziehungsmaßnahmen in Torgau für rechtswidrig erklärt und die Opfer rehabilitiert. Drei Jahre und viele ärztliche Gutachten später wird Heidemarie Puls schließlich eine Opferrente bewilligt. Die Täter von damals wurden nicht belangt.
 
DIE AUSSTELLUNG
 
Um stärker über das verdrängte Thema des Grauens der DDR-Heimerziehungen zu informieren, ist eine mobile Ausstellung gestiftet worden. Sie umfasst Fotografien von damals und heute sowie Texttafeln. Sie wurde gemeinsam mit Betroffenen von DDR-Heimerziehung am 18. April 2013 in Torgau eröffnet. Es ist geplant, sie auch in den Räumlichkeiten ehemaliger DDR-Spezialheime der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dies wird Anstöße liefern, die Geschichte des jeweiligen Heimes vor Ort aufzuarbeiten. Dies ist insbesondere deshalb wichtig, weil die Verwalter dieses Terrorsystems noch heute eine Schuld weit von sich weisen, nichts gesehen und gewusst haben wollen, der involvierte Arzt keine Wahrnehmungen von Menschenschinderei und Prügelwunden erkannt haben will und die meisten Täter sich beharrlich in Schweigen hüllen.