FRIEDRICH NIETZSCHE
 
Ein Mensch vermag zu steigen,
zum Übermensch’ hinan,
das mochte selbst zu zeigen
ein göttergleicher Mann.
 
Der Mensch ist eine Brücke,
vom Affen hin zu Gott -;
des Untermenschen Lücke,
gleicht argem Gottes-Spott.
 
Drum hielt uns seine Hände
der Friedrich Nietzsche hin.
Als seines Geistes Spende,
sei uns sein Zorn Gewinn.
 
Er zürnte dem Gesindel,
er liebt’ der Höhen Luft
und starker Zukunft Kindel,
befreit von Schelm und Schuft.
 
Wie Zarathustra lehrt’ er,
des neuen Mensch's Moral,
warf weisend seinen Geistspeer,
hinauf, aus Trug und Tal.
 
Die Umwertung der Werte,
hat Nietzsche uns gezeigt,
dazu das Christ-Verkehrte,
wie es zum Niederen neigt.
 
Der Held, ein Überwinder,
des falschen Ethos Wert,
der besseren Zukunft Finder,
mit Feder und mit Schwert.
 
So hat der deutsche Denker,
des Geistes Saat gesät,
erwuchs damit zum Lenker,
zum Lehrer und Prophet.
 
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900) war Philologe, Psychologe, Schriftsteller, Dichter, Komponist und der fundamentalistische den Christianismus verneinende Philosoph. Seine schulischen Leistungen waren sehr gut, er dichtete und komponierte schon als Jüngling. Im Jahr 1860 gründete er mit Freunden die künstlerisch-literarische Vereinigung „Germania“. 1864/65 begann Nietzsche an der Universität Bonn das Studium der klassischen Philologie und der evangelischen Theologie. Er trat der „Burschenschaft Frankonia“ bei, übte auch Mensur, von der ihm ein Schmiss auf dem Nasenrücken zurückblieb. Er begeisterte sich für die Musik Richard Wagners, zu dessen starker Persönlichkeit es ihn hinzog. Als Freiwilliger bei der preußischen Armee erlitt er einen schweren Reitunfall und wurde deshalb dienstunfähig. Unmittelbar im Anschluss an sein Studium, schon mit 24 Jahren, ist der Frühvollendete Professor für klassische Philologie in Basel geworden. Er meldete sich als deutscher Patriot freiwillig zum Kriegseinsatz gegen das raublüsterne Frankreich 1870/71, wobei er gegen seine ursprüngliche Absicht im Krankenpflegedienst eingesetzt wurde. Sein Genie litt wohl zu intensiv an der Geisteskrankheit der Menschheit insgesamt, weswegen er gerade die christliche „Mitleidsmoral“ heftig attackierte. Dazu war es ihm in seiner gigantischen Geistigkeit, und mithin weitsichtigen Schwere, nicht vergönnt, eine Frau zu finden, die ihm hätte das Glück der Liebe schenken können. So wurde Nietzsche ein einsamer Höhenwanderer, mit all den seelischen Gefahren die sich daraus ergeben. Seine Werke enthalten rigorose Kritiken an der christlichen und christlich-kleinbürgerlichen Religion und ihrer zum Niedergang führenden Morallehren. Dagegen stellte er als Idealbild die heitere und freie Kultur des antiken Griechenlands hin. Seine großen Themen waren der „Wille zur Macht“, der „Übermensch“ und die „Ewige Wiederkunft“. An vielen Stellen seiner Aphorismen scheint er die spätere Wissenschaft der Psychoanalyse vorwegzunehmen, er war ein Seelenkenner des Menschen par excellence. Nach schmerzhafter Erkenntnis des vorgefundenen Dilemmas, versuchte er das Konzept einer besseren Zukunfts-Religion zu entwickeln. Von diesem großen Gedanken beflügelt, schrieb er wie von „oben gelenkt“ in einer Art Rauschzustand sein Werk „Also sprach Zarathustra“ nieder, als wären ihm die Eingebungen seiner erschütternd starken Sprache von einer höheren Macht in die Feder diktiert worden. Er brachte im ligurischen Rapallo in nur zehn Tagen den ersten Teil davon zu Papier. Mit Franz Overbeck, dem atheistischen Theologieprofessor, pflegte er eine dauerhafter Freundschaft. Auch gehörte er seit 1868 zum Bewundererkreis Richard Wagners und dessen Frau Cosima. Die pessimistische Weltbetrachtungsweise Schopenhauers konnte er zwar überwinden und eine zukunftsgewandte Philosophie der Erd- und Lebensbejahung entwickeln, doch sein titanisches Ringen im Geiste zermürbten ihn schließlich. Ab seinem 45. Lebensjahr litt er unter einer immer wieder aufflackernden seelischen Krankheit, die ihn oft arbeitsunfähig machte. Er wurde zum Pflegefall in der Obhut seiner Mutter, dann seiner Schwester und starb 1900 im Alter von nur 55 Jahren.
 
Bild: Nach einer Radierung von Hans Olde, 1899
 
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Friedrich Nietzsche :
„Irgendwo gibt es noch Völker und Herden, doch nicht bei uns, meine Brüder: da gibt es Staaten.
Staat ? Was ist das ? Wohlan ! Jetzt tut mir die Ohren auf, denn jetzt sage ich euch mein Wort vom Tode der Völker.
Staat heißt das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: »Ich, der Staat, bin das Volk.«
 
Lüge ist’s ! Schaffende waren es, die schufen die Völker und hängten einen Glauben und eine Liebe über sie hin: also dienten sie dem Leben.
 
Vernichter sind es, die stellen Fallen auf für Viele und heißen sie Staat: sie hängen ein Schwert und hundert Begierden über sie hin.
Wo es noch Volk gibt, da versteht es den Staat nicht und hasst ihn als bösen Blick und Sünde an Sitten und Rechten.
 
Dieses Zeichen gebe ich euch: jedes Volk spricht seine Zunge des Guten und Bösen: die versteht der Nachbar nicht. Seine Sprache erfand es sich in Sitten und Rechten.
 
Aber der Staat lügt in allen Zungen des Guten und Bösen; und was er auch redet, er lügt – und was er auch hat, gestohlen hat er’s.
Falsch ist Alles an ihm; mit gestohlenen Zähnen beisst er, der Bissige. Falsch sind selbst seine Eingeweide.
 
Sprachverwirrung des Guten und Bösen: dieses Zeichen gebe ich euch als Zeichen des Staates. Wahrlich, den Willen zum Tode deutet dieses Zeichen ! Wahrlich, es winkt den Predigern des Todes !
 
Helden und Ehrenhafte möchte er um sich aufstellen, der neue Götze ! Gerne sonnt er sich im Sonnenschein guter Gewissen, – das kalte Untier !
 
Alles will er euch geben, wenn ihr ihn anbetet, der neue Götze: also kauft er sich den Glanz eurer Tugend und den Blick eurer stolzen Augen.
 
Ködern will er mit euch die Viel-zu-Vielen ! Ja, ein Höllenkunststück ward da erfunden, ein Pferd des Todes, klirrend im Putz göttlicher Ehren !
 
Ja, ein Sterben für Viele ward da erfunden, das sich selber als Leben preist: wahrlich, ein Herzensdienst allen Predigern des Todes !
Staat nenne ich’s, wo Alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme: Staat, wo Alle sich selber verlieren, Gute und Schlimme: Staat, wo der langsame Selbstmord Aller – »das Leben« heißt.
 
Also sprach Zarathustra.“