03.10.2023

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 Jagt ihn - ein Mensch ! Schauspiel in fünf Aufzügen. Eigenhändige Widmung des Autors an Kurt Kluge, mit Foto, 1935

ERWIN GUIDO KOLBENHEYER

Deutsche Dichter gab‘s in Menge,
voll Leichtigkeit und ohne Strenge,
auch mit Tiefgang wie mit Feuer,
von Siegfried und dem Ungeheuer.

Das Nibelungenlied hoch in Ehren,
Goethes „Faust“ wollte belehren.
Doch aber was bot Kolbenheyer ?
Deutsch-seelische Erkenntnisfeier!

Ein Weihtum tief im Seelengrunde,
vom deutschen Wesen gute Kunde,
jene, unter alten-dicken Krusten,
Bekundungen von Selbst-Verlusten.

Faustisch ist die Art der Deutschen,
der Weltgeist leitet seine Leutchen,
zwischen Höll‘ und Höhe hingerissen,
ward die deutsche Art zerschlissen.

Doch immer jung, aus allen Tiefen,
wenn die Guten Geister riefen,
waren Deutsche stets Erfinder
und des besseren Weg‘s Verkünder.

Ein Faust ist jeder deutsche Denker,
wär‘ er gesünder oder kränker -,
immer geht‘s ums Wohl des Ganzen
für’s Gute bricht er seine Lanzen.

„Christ oder Wodan“, waren Fragen,
nicht nur zu Kolbenheyers Tagen.
Nichts geht über Selbsterhaltung,
zuvor Erkenntnis falscher Schaltung.

Die Krusten über deutschem Wesen,
die alten, sind schwer wegzubesen.
Und neue inkarnieren in Gestalten
die unser Volk in alten Fesseln halten.

Urgeister des Hasses und Verächter,
der Weltmacht temporäre Pächter,
dulden keine starken, freien Geister -,
Kolbenheyer, ein deutscher Meister !

Erwin Guido Kolbenheyer (1878-1962) war der Sohn eines ungarn-deutschen Architekten der als Angestellter des ungarischen Kultusministeriums am Bau der Budapester Universität beteiligt war. Der Junge wuchs in Karlsbad auf, besuchte das Gymnasium in Eger und studierte in Wien, wo er zum Dr. phil. promovierte. Seit 1919 lebte er als freier Schriftsteller in Tübingen, ab 1932 in München-Solln. 1926 wurde er Mitglied der Preu­ßischen Dichterakademie. Er war Erzähler, Lyriker, Drama­tiker und philosophischer Schriftsteller. 1911 erhielt er den Bauernfeld-Preis, 1926 den Adalbert-Stifter-Preis, 1943 den Grillparzer-Preis, 1958 den Sudetendeutschen Kulturpreis. Seine wichtigsten Werke sind: der Roman „Amor Dei“, 1908; der Roman „Meister Joachim Pausenwang“, 1910; der Roman „Montsalvasch“, 1912; die Paracelsus-Trilogie 1917 bis 1926, der Gedichtband „Der Dornbusch brennt“, 1922; die „Karlsbader Novelle“, 1929, und die Weihnachtsgeschichten, 1933. Seine „Bauhüttenphilosophie“ veröffent­lichte er 1942. Im Jahre 1957 erschien seine Autobiographie „Sebastian Karst über sein Leben und seine Zeit“. Er schrieb die Dramen „Die Brücke“, 1929; „Jagt ihn — ein Mensch“, 1931, und „Gregor und Heinrich“, 1934. Im Jahr 1944 erschien seine Dramentetralogie „Götter und Menschen“. (Handlexikon: Deutsche Literatur in Böhmen, Mähren und Schlesien, 1968)

Kolbenheyer legte auf sein denkerisches Werk dasselbe Gewicht wie auf sein dichterisches. Den Kern seiner Weltanschauung bildet ein entwicklungsgeschichtlicher Realismus und die ins Religiöse überhöhte Inbrunst seines gefährdeten Deutschtums. Er verstand Völker als überindividuelle, fundamental-biologisch bestimmte Einheiten, die sich im fortwährenden Anpassungskampf nach den Mechanismen von Auslese und Differenzierung je nach ihrer Eigenart bewähren müssen oder versagen können. Wesen und Eigenart eines Volkes seien durch sein „Artplasma“ (Genpool) bestimmt. Den Deutschen schreibt er ein „faustisches“, ruhelos wühlendes Wesen zu, das alle Tiefen durchforsten und Gipfel erklimmen wolle und rastlos nach dem tiefsten Ruhepol seines Daseins suche. Kolbenheyers Beschreibung wird nicht allein von der Betrachtung der deutschen Geistesgeschichte bestätigt, auch der mythische deutsche Volksgott Wodan-Odin trägt den gleichen Charakter, den „Er“ in der eddischen Havamal anschaulich bekundet. Er ist nicht der tyrannische judäochristliche Himmelsdiktator, der eifersüchtige, angeblich allwissende Urgeist, sondern vielmehr die dem Hegel‘schen Weltgeist entsprechende, mit dem Kosmos wachsende, dem Menschen immanente, intelligible Denkkraft: Die runischen Ideenbilder werden ergriffen, begriffen und in folgerichtige Werdetaten umgesetzt. Spezifische Eigenarten etwa der deutschen Dichtkunst führt Kolbenheyer auf biologisch-wesensmäßig determinierten Grundlagen deutschen Volkstums zurück, die als nachweisbar vererbbare z.B. mathematische oder musikalischen Fähigkeiten in den Sippen weitergereicht werden können. Sein dichterisches Werk ist auf die mythische Hinterfragung von Leben und Geschichte vor dem Hintergrund dieser, auf der Volksehrung basierenden Bekenntnisideologie, gerichtet. Seine Darstellung historischer Stoffe will „das geistige Zu-sich-selbst-kommen des deutschen Volkes aus der Überdeckung durch die mittelmeerische Geistigkeit“, aus imperial-römischen und römisch-katholischen Überkrustungen, anhand konkreter Ereignisse und Gestalten beleuchten. Im „Paracelsus“ wählt er dafür die Zeit der Reformation und schildert die Kämpfe zwischen Luthertum und Katholizismus, Humanismus und Wiedertäuferei als kulturhistorische Realisierung seiner realen Auffassungen. „Jeder der drei Bände wird eingeleitet durch ein ‚Gespräch‘ zwischen Wotan und Christus über das deutsche Volk, dessen Drang nach einem festen Glauben durch die konfessionelle Zersplitterung und leere religiöse Formeln erstickt werde.“ Kolbenheyer begründete eine Schule Gleichgesinnter, die den völkischen Aufbau nach dem Vorbild der mittelalterlichen Bauhütten befördern sollten. Den Ersten wie den Zweiten Weltkrieg betrachtete Kolbenheyer als rassischen Überlebenskampf. Das deutsche Volk habe allein und auf sich gestellt gegen den „mediterranen Geist“ und für den „Lebensbestand der weißen Menschheit“ gekämpft, erklärte er in einer Rede im Frühjahr 1932. Dazu bedurfte es freilich keiner prophetischen Gaben oder Rückgriffe auf krude Verschwörungstheorien, sondern allein das Wissen um beispielsweise die Thesen des Moritz-Moses Hess (1812-1875) in dessen Werk „Rom und Jerusalem“ (1862). Auch nach den Kriegen blieb er seiner fundierten Geschichtsbetrachtung, trotz aller Gehässigkeiten der Nachkriegszeit und argen Anfeindungen treu. Er wurde auf dem Waldfriedhof in Gartenberg beigesetzt.

Werk:
Giodarno Bruno. Wien 1903
Die sensorielle Theorie der optischen Raumempfindung. Diss. Leipzig 1905
Amor dei. Ein Spinoza-Roman. München 1908
Meister Joachim Pausewang. Roman. München 1910
Montsalvasch. Roman. München 1912
Ahalibama. Erzählungen. München 1913
Die Kindheit des Paracelsus. Roman. München 1917
Wem bleibt der Sieg? Schriften 1919
Das Lächeln der Penaten. Roman. Hamburg 1920
Das Gestirn des Paracelsus. Roman. München 1922
Der Dornbusch brennt. Gedichte. Eger 1922
Ein Gruß vom Wege - Eurem Weg. 1923
Drei Legenden. Hamburg 1923
Die Bauhütte. Elemente einer Metaphysik der Gegenwart. München 1925
Gesammelte Werke. 8 Bände. München 1925-1941
Die Wiedergeburt des alten Daringer. Erzählung. München 1925
Das Dritte Reich des Paracelsus. Roman. München 1926
Kämpfender Quell. München 1929
Wenzel Tiegel. Novelle. Leipzig 1929
Lyrisches Brevier. München 1929
Heroische Leidenschaften. Tragödie. München 1929
Aufruf der Universität. 1930
Das Gesetzt in dir. Drama. München 1931
Stimme. Aufsätze. München 1931
Jagt ihn - ein Mensch! Drama. München 1931
Reps, die Persönlichkeit. Roman. München 1932
Unser Befreiungskampf und die Deutsche Dichtung. München 1932
Deutsches Bekenntnis. Unser Leben. Dichtung für Sprechchöre. München 1933
Die Begegnung auf dem Riesengebirge. Novelle. München 1933
Die volksbiologischen Grundlagen der Freiheitsbewegung. München 1933
Weihnachtsgeschichten. München 1933
Gregor und Heinrich. Drama. München 1934
Der Lebensstand der geistig Schaffenden und das neue Deutschland. München 1934
Völkerverständigung. Ansprache. München 1935
Arbeitsnot und Wirtschaftskrise biologisch gesehen. München 1935
Lebenswert und Lebenswirkung der Dichtkunst in einem Volke. München 1935
Neuland. Schriften. München 1935
Klaas Y., der große Neutrale. Novellen. München 1936
Grundfragen der Dichtung. München 1937
Wie wurde der deutsche Roman Dichtung? München 1937
Das Kolbenheyer-Buch. Hg. Ernst Frank. Karlsbad 1937
Das gottgelobte Herz. Roman. München 1938
Widmungen. München 1938
Der Einzelne und die Gemeinschaft. Reden. München 1939
Vox humana. Gedichte. München 1940
Kindergeschichten. Stuttgart 1942
Bauhüttenphilosophie. Abhandlungen. München 1942
Zwei Reden: Das Geistesleben in seiner volksbiologischen Bedeutung. Jugend und Dichtung. München 1942
Die volksbiologische Funktion des Geisteslebens und der Geisteserziehung. Vortrag. Wien 1942
Menschen und Götter. Dramatische Tetralogie. Prag 1944
Die Philosophie der Bauhütte. Wien u. a. 1952
Sebastian Karst über sein Leben und seine Zeit. Biographie. München 1957/1958
Gesamtausgabe der Werke letzter Hand. 18 Bände. Gartenberg 1957ff
Dichterischer Nachlaß. Hg. Ernst Frank. Heusenstamm 1973
Kämpfer und Mensch. Theoretischer Nachlaß. Hg. Ernst Frank. Heusenstamm 1978

Auszeichnungen:
1911 Bauerfeldpreis
1926 Stifter-Preis
1932 Goethe-Medaille
1937 Goethe-Preis
1938 Adlerschild des Deutschen Reiches
1941 Kronberger Kant-Plakette
1941 Ehrendoktor der Universität Tübingen
1958 Sudetendeutscher Kulturpreis