Zwei Vordenker  - Guido List und Herman Wirth - und ein koordinierender Aktivist, es war Karl Maria Wiligut, bestimmten im Wesentlichen das Runendenken der Interessierten im nationalsozialistischen Staat, obschon gerade in dieser Zeit eine Menge hervorragender wissenschaftlicher Runenbücher entstanden. Dass die Ergüsse von Guido List nicht ganz ernst zu nehmen sind, wusste man schon, trotzdem bewegte man sich in den weitgehend von ihm vorgegebenen Erklärungshorizonten und denen seiner Schüler. Beispielhaft für diese Haltung sind die lesenswerten von der „Gemeinschaft Deutsches Ahnenerbe“, Berlin, herausgegebenen Arbeiten von Karl Theodor Weigel: „Runen und Sinnbilder“, 1935; „Lebendige Vorzeit rechts und links der Landstraße“, 1936; „Sinnbilder in der fränkischen Landschaft“ und „Sinnbilder in Bayern“, 1938 sowie „Sinnbilder in Niedersachsen“, 1941. Frei dagegen bekannte man sich zunächst zu den wissenschaftlicher erscheinenden Erklärungen von Prof. Dr. Herman Wirth. Ihm folgte Erna v. Vakano-Bohlmann mit ihrem heute noch ansprechenden, lehrreichen „Jugend im Jahresring - Brauchtumsweise für die dt. Jugend“. (S. 23 ff). Wenn auch manches darin nicht ganz richtig ist, waren das doch anerkennenswerte, liebevolle Versuche, die Symbolwelt um uns herum verständlicher zu machen und mit dem letztgenannten Werk, den verlogenen kirchenchristlichen Jahresfestkreis-Erklärungen eine Art Naturjahresführer an die Seite bzw. gegenüber zu stellen.
 
Hinter den Kulissen übte Karl Maria Wiligut einige Zeit starken Einfluss auf den Reichsführer-SS Heinrich Himmler aus, der diesen als „Oberst im Ruhestand“ auf einer Tagung der „Nordischen Gesellschaft“ kennengelernt zu haben scheint. Die beiden verstanden sich auf Anhieb - der Reichsführer bot dem vermeintlichen „Weistumsträger" umgehend einen Rang im Orden der SS an. Der offizielle Eintritt in die Schutz-Staffel unter dem Decknamen „Weisthor“ als SS-Hauptsturmführer mit der SS-Nr. 10.955 erfolgte am 9. November 1933. Wiligut-Weisthor wurde zum Chef der Abteilung für Ur- und Frühgeschichte im Rasse- und Siedlungshauptamt der SS ernannt. Bereits am 20. April 1934 bekam er als SS-Standartenführer seinen alten Dienstgrad als Oberst zurück und gehörte ab dann zu den führenden Köpfen des esoterischen Flügels des Nationalsozialismus. Er war der Mann, der die Wewelsburg bei Büren fand, um daraus ab 1934 das esoterische Zentrum der SS zu gestalten, nämlich die „Reichsführerschule-SS", in der eine einheitliche ideologische Ausrichtung des Führungskaders der Schutzstaffel gewährleistet werden sollte. Bis 1944 plante der Architekt Bartels immer mächtigere, großartig-repräsentative Bauprojekte in Wewelsburg, bei deren Realisierung schließlich das ganze Dorf umgesiedelt worden wäre. Die Ordensburg des „Schwarzen Chors“ sollte umgeben werden von einer halbrunden, im Durchmesser über 1.000 Meter breiten Gebäudeanlage von antiker Monumentalität.
 
Der „Vater der Wewelsburg" war maßgeblich beteiligt an der Ausprägung der sog. „Irminen“-Religion des Reichsführers-SS. Wiligut erscheint als eine der rätselhaftesten und tragischsten Gestalten nicht nur in der okkulten Geschichte des Dritten Reiches. Er wurde am 10. Dezember 1866 um 23.00 Uhr in Wien als Sohn des „dazumaligen königlich ungarischen teutschen Hof-Accessisten" Karl Maria Wiligut geboren. Nach dem von ihm selbst verbreiteten Mythos war er der letzte Traditionsträger und Erbe einer „gotischen Asa-Uana-Sippe“. Seine Initiation in diese uralte Familienüberlieferung sei schon im Alter von zwölf Jahren durch seinen Großvater geschehen. Deren Urwissen wäre immer nur vom Vater oder Großvater auf den ältesten Sohn weitergegeben worden. Er berichtete, es seien ihm „Halgarita"-Sprüche bekannt gemacht worden, die er in den folgenden Jahren auswendig lernen musste. Im dreizehnten Lebensjahr wurde Karl Maria Wiligut in die Kadettenschule Wien aufgenommen, und er begann eine militärische Ausbildung im Heer der k.u.k. Monarchie. In Mostar wurde er als siebzehnjähriger Offiziersaspirant dem k.u.k. Infanterieregiment Milan I. König von Serbien zugeteilt. Im Jahr 1888 ernannte man ihn zum Leutnant. Ein Jahr später war er der quasi-freimaurerischen Schlaraffia-Loge beigetreten, und in seinen Militärakten wurde vermerkt, dass er über gute gesellschaftliche Kontakte verfüge. Sein erstes Buch: „Seyfrieds Runen", veröffentlicht 1903 unter dem Pseudonym „Lobesam", demjenigen Ordensnamen, den er auch bei der Schlaraffia-Loge trug. Die „Neun Gebote Gots“ verfasste er 1908. Diese Schrift gab nach Wiliguts Behauptung erstmals seit über 1200 Jahren Zeugnis ab vom Irminenglauben seiner Sippe. „Neun Gebote Gots" aus der mündlichen Überlieferung der "Asa-Uana-Sippe" erscheinen manchen noch heute als Beweis, dass Wiligut von Guido List nicht beeinflusst sein könne. Sie übersehen dabei, dass List seine entscheidenden Runenideen von Fr. Fischbach übernommen hatte, der sein Buch („Die Buchstaben Gutenbergs“) bereits im Jahre 1900 veröffentlichte.
 
Im 1. Weltkrieg diente Wiligut vorwiegend als Kommandeur an Ost- und Südfront. Am 1. August 1917 wurde er Oberst und fand Verwendung als Brigadekommandeur. Mitte Mai des Jahres 1918 wurde er von der Front abberufen und als Kommandant in Heimkehrer- und Rekonvaleszentenlager im Raum Lemberg in der Ukraine versetzt. Aus dem Kriegsarchiv in Wien ist ersichtlich, dass er von Vorgesetzten und Kameraden durchwegs hervorragend beurteilt wurde. Am 1. Januar 1919 entließ man ihn nach fast vierzigjährigem Militärdienst. Er zog nach Morzg bei Salzburg, um sich okkulten Forschungen zu widmen. Das O.N.T.-Mitglied Theodor Czepl, mit dem Wiligut bereits vor dem Krieg in Kontakt stand, besuchte ihn in dieser Zeit dreimal. Vermutlich im Auftrag von Jörg Lanz von Liebenfels verbrachte Czepl im Winter des Jahres 1920/21 ganze sieben Wochen im Haus der Wiliguts. Dabei vertraute Wiligut Czepl an, er sei der Abkömmling einer geheimen Linie der deutschen Könige, und seine Krone liege in der Kaiserpfalz zu Goslar, sein Schwert in einem Steingrab in Steinamanger. Aus dieser Zeit stammt auch das Gedicht "Deutscher Gottesglaube", das er Theodor Czepl beim Abschied schenkte. Czepl verfasste daraufhin für das Archiv des O.N.T. einen ausführlichen Bericht. Er fand in dem Oberst einen „martialisch aussehenden Mann, der sich ihm als Träger der geheimen deutschen Königswürde offenbarte", wobei ihm ein anscheinend uraltes, in Schweinsleder gebundenes Wappenbuch der gefürsteten Grafschaft Tirol vorgelegt wurde, das sämtliche Wappen des Tiroler Adels enthielt. Auf der ersten Seite wies er auf ein Wappen hin, welches drei Kronen in einem blauen Feld und als Helmzier einen Arm mit einem Schwert zeigte. Darunter stand „der deutsche König“. Ebenso zeigte er ihm sein Hauswappen und ein uraltes Siegel. „Dieser geheime deutsche König darf nie aufgrund einer eigenen Initiative hervortreten oder gar sich dem Volk aufdrängen. Nur wenn er durch die Wunschkraft des ganzen Volkes aus tiefstem Herzen herbeigewünscht wird, darf er seiner heilbringenden Aufgabe nachkommen..." Anzumerken wäre, dass weder im Generalindex von Siebenmachers „Großen und allgemeinen Wappenbuch“ noch im „Deutschen Namensbuch“ und auch nicht in der Generalkartei der „Heraldisch-genealogischen Gesellschaft Adler" in Wien, die sowohl adelige als auch bürgerliche Familienaufzeichnungen enthält, die geringste Spur der Wiliguts zu finden ist. Wiligut wurde von den politischen Umtrieben der Nachkriegszeit mitgerissen und gründete die Zeitung „Der Eiserne Besen", wo er seinen antijudistischen, antifreimaurerischen und antichristlichen Gefühlen freien Lauf ließ. Wie so viele andere kluge und weniger kluge Köpfe war er der Überzeugung einer weltumspannenden Verschwörung dieser „Dunkelkräfte“.
 
Ein sehr intimes Kapitel in Wiliguts Leben war die Ehe mit Malwine, geborene Leuts von Teuringen aus Bozen, die er im Jahre 1907 geheiratet hatte. Die Ehe wurde auf eine harte Zerreißprobe gestellt, da sie ihm „nur“ zwei Töchter schenkte, Gertrud und Lotte, beide vor dem Krieg geboren. Sein Sohn, Zwilling einer der Töchter, starb bereits als Kind, und dieses für ihn schreckliche Unglück entfremdete ihn seiner Frau, die er unsinnigerweise dafür verantwortlich machte, - war doch die „Weitergabe seines Geheimwissens“ nur an einen männlichen Nachkommen gebunden. Seine praktisch denkende Frau hielt jedoch gar nichts von dieser angeblichen Tradition als „Weiskönig“, vielmehr bezeichnete sie ihn als Hauptschuldigen der familiären Finanzmisere. Sie betrieb seine Einweisung in eine Nervenheilanstalt. Am 29.11.1924 wurde er durch Krankenpfleger der Salzburger Landesheilanstalt für Geistes- und Gemütskranke in aller Öffentlichkeit in eine Zwangsjacke gesteckt. Wiligut wurde in eine Irrenanstalt eingeliefert, wo er bis Anfang 1927 verblieb. Das psychiatrische Gutachten diagnostizierte ihm eine „paraphrene Psychose“ mit Bildung von Größen- und Beeinträchtigungsideen bei starker psychischer Reizbarkeit. Als Gründe für seine Einweisung wurden Gewalttätigkeit gegenüber seiner Frau, exzentrisches Verhalten und überzogene okkulte Hinneigungen aufgeführt. Er wurde entmündigt; ein Salzburger Gericht erklärte ihn für unfähig, seine Privatangelegenheiten zu handhaben. Im Widerspruch dazu hielt das Gericht fest: „...während jene Personen, die in letzter Zeit vorübergehend mit Wiligut zusammenzukommen Gelegenheit hatten, den Eindruck gewonnen haben, dass Wiligut geistig normal sei..." Selbst in dieser für ihn sehr schweren Zeit unterhielt er Kontakte zu ariosophischen Schülern und Freunden, wie Dipl.-Ing. Emil Rüdiger und Dr.-Ing. Friedrich Teltscher, die er beide während des Krieges kennenlernte und die ihm ungebrochen Treue hielten. In Deutschland stand er mit dem O.N.T.-Frater Friedrich Schiller sowie einigen Mitgliedern der „Edda-Gesellschaft", wie Werner von Bülow, Richard Anders (ebenfalls O.N.T.-Mitglied) und der Ehefrau des Schatzmeisters, Käte Schaefer-Gerdau in Kontakt. Nach seiner Entlassung aus der Anstalt im Januar 1927 führte er seine Forschungen und Aktivitäten als „Überlieferungsträger der Asa-Uana-Sippe" fort. Über Thedodor Czepl war auch die Verbindung zum Wiener Kreis wiederhergestellt worden. Vorerst blieb Wiligut jedoch weiterhin in Morzg wohnhaft. Er überreichte in den folgenden Jahren Dipl.-Ing. Rüdiger und Werner von Bülow seine „Halgarita"-Sprüche. Es bestanden Kontakte zu Wilhelm Teudt, dem Hauptdeuter des gebogenen Externstein-Dattelbaumbildes ("Palmette") in die angebliche germanische Irminsul. Wiligut, mit seinem „Irminenglauben“, muss Teudt maßgeblich dazu angeregt haben, doch endlich ein reales Irminsulbild herauszufinden.
 
Im Jahre 1932 floh der entmündigte Ex-Oberst vor seiner Familie nach Deutschland. Friedrich Schiller begründete diese Flucht in einem Brief an Rudolf J. Mund: „...einerseits, um der verursachten Jesuitenhaft zu entkommen, andererseits, um sein Erberinnern für das junge Werden in Deutschland nutzbar zu machen ... Dass ihn dann das weltanschauliche Amt missbrauchte, ist eine andere Sache. Das Ergebnis wäre, ohne Krieg, die Wewelsburg gewesen." Zunächst ließ sich Wiligut in Bogenhausen bei München nieder. Im Jahre 1933 war er häufiger Gast im Haus von Käte Schaefer-Gerdau in Mühlhausen, wo er einige Zeit sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Beeindruckt von seiner Erzählfähigkeit, versammelte sich ein Kreis, bekannt als „Freie Söhne der Nord- und Ostsee“, um seinen Ausführungen über den „Irminenglauben" zu lauschen. Anfang dieses Jahres veröffentlichte die „Edda-Gesellschaft“ in ihrem Monatsheft „Hag-All-All-Hag" die Beschreibung und Interpretation seines angeblichen Familiensiegels. Im selben Jahr verfasste sein Schüler Dipl.-Ing. Emil Rüdiger die Schrift „Kosmotechnische Gedanken zu Waltung und Lenkung“. Eineinhalb Jahre später folgte für die in der Zwischenzeit in „Hagal" umbenannte Zeitschrift eine neue Ära mit der Veröffentlichung einer Reihe von Arbeiten Wiliguts unter seinem neuem Pseudonym Jarl Widar.
 
Im Frühjahr 1935 erfolgte sein Umzug nach Berlin, wo er die Arbeit im Büro von Karl Wolff, dem Chefadjutanten des Persönlichen Stabes des Reichsführers-SS, weiterführen konnte. In seiner Privatvilla in der Kaspar-Theyss-Strasse 33 empfing er oft Besucher und Gäste, wie Johannes von Leers, Edmund Kiss, Otto Rahn, Richard Anders und Friedrich Schiller. In diese Zeit fällt auch sein großes Engagement für die Pläne zur Umgestaltung der Wewelsburg zum sinnbildhaften „Mittelpunkt der Welt“. Mit dem ersten Burgkommandanten Manfred von Knobelsdorff verband ihn bald eine enge Freundschaft. Dieser versuchte Wiliguts Irminenglauben durch verschiedene Rituale, die Wiligut ersann, auf der Wewelsburg zu zelebrieren. Am 4.1.1937 praktizierte Wiligut einen Taufritus für Karl Wolffs (Obergruppenführer und General der Waffen-SS) ersten Sohn, der dabei auf den Namen Thorisman Heinrich Karl Reinhard getauft wurde. Dieser Zeremonie wohnten als Taufpaten sogar der Reichsführer-SS und SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich bei, wie bereits die Namensgebung erahnen lässt. Auch SS-Sturmbannführer Karl Diebitsch war anwesend. Karl Wolff war bis zum Ende des Krieges streng „irminengläubig“, so schreibt er noch in einem Brief vom 31.1.1945 an den Reichsführer-SS: „Der Segen des ,Uralten’ [Wiligut] möge weiterhin über Ihnen und Ihrem Werk sichtbar walten.“ Wolffs Kinder trugen den spätheidnischen Thorshammer als Schmuckstück um ihren Hals.
 
Im Sommer 1936 hat Wiligut zusammen mit Günther Kirchhoff eine 22-tägige Erkundungsreise im Schwarzwald unternommen. Wiliguts offizieller Bericht für die SS umfasste 87 Seiten und enthielt 168 Photos über alte Fachwerkhäuser, architektonische Ornamente, Runen, Wappen, Inschriften und Großsteinplastiken. Das Gebiet mit dem Zentrum Schloss Eberstein bezeichnete Wiligut als gigantischen religiösen Komplex des Irminismus, der das „Gotos-Draugh“, das „Dreieck-Gottesaug“ darstellt. Auf seinen verschiedenen Landschaftserkundungen entdeckte Wiligut-Weisthor auch einen irminkreuzförmigen Komplex in der Gegend um Goslar, dem heiligen Gebiet des Irminenglaubens. Im südlichen Niedersachsen ortete er ein weiteres Irminkreuz und lokalisierte folgende Punkte: den „Geistpunkt“ im Ort Einum, den „Willenspunkt“ in Bodenburg, den „Zentralbewußtwerdenspunkt“ in Gandersheim, den „Krafthandpunkt“ auf der Anhöhe Engelade, den „Herzpunkt“ des gekreuzigten Baldur nördlich von Calefeld, den „Zeugungspunkt“ bei Brunstein, den „Stoffhandpunkt“ in Naensen, den „Skouldpunkt“ in Ebergötzen und den „Kraftpunkt“ Romkerhall. Wiligut fungierte dabei als eine Art menschliche Wünschelrute, wie Hans-Jürgen Lange in seinen Buch „Weisthor - Karl Maria Wiligut - Himmlers Rasputin und seine Erben" vermutet.
 
Ob Wiligut tatsächlich übersinnliche Fähigkeiten hatte, lässt sich heute kaum noch nachweisen. Eine seltsame Begebenheit, die sich angeblich zugetragen habe, beschrieb seine Betreuerin Else Baltrusch: „Ich ging mit dem Oberst eines Tages über die Theresienwiese [München]. Mit einem Mal blieb er stehen und sagte bestürzt: 'Jetzt ist irgendwo ein Botschafter erschossen worden.' Es war der 8.11.1938, der Tag, an dem der Jude Herschel Grynspan in Paris den deutschen Botschaftsrat Rath erschoss. Was folgte, war die Kristallnacht." Seine „phänomenale Hellsichtigkeit“ und seine „Erberinnerung“ sollen durch immer häufigeren Alkohol- und Medikamentenmissbrauch verlorengegangen sein.
 
Im Gegensatz zur hochlobenden Beurteilung durch seine esoterischen Freunde fiel die Beurteilung durch Prof. Herman Wirth, dem ersten Präsidenten des „Ahnenerbe“, der ihn in einem Brief an Rudolf J. Mund als senilen Erotiker und Alkoholiker bezeichnete, sehr kritisch aus: „Was ich von seinem Runenweistum an schriftlichen Auslassungen von ihm noch im Archiv irgendwo habe, beweist, dass er den Guido List ausschlachtete und weiter verwertete. Alles dies, seine Deutungen der 'geheimen Runenweisheit' der Fachwerkhäuser, die Himmler und Darré gläubig als uralte Überlieferung, Familientradition seines Großvaters, hinnahmen, ist völliger Blödsinn und Unsinnswust.“
 
Prof. Herman Wirth verlor sein Amt im Ahnenerbe keineswegs nach seinem selbstproduzierten Flop mit der „Ura-Linda-Chronik“, einem holländischen Freimaurerroman, den er als germanisches Urzeugnis angesehen und ausposaunt hatte, sondern erst als sich seine Fälschungen („Kalenderscheibe von Fossum“) nach der Ahnenerbe-Expedition nach Schweden, 1937, herausstellten. Da erst ließ ihn der in diesen Dingen äußerst akkurate Heinrich Himmler wie eine heiße Kartoffel fallen. Wirth verlor danach sein Amt als Vorsitzender des „Ahnenerbes".
 
Doch auch Weisthor sollte bald abserviert werden. Seine Gesundheit verschlechterte sich rapid, trotz oder gerade wegen der starken medikamentösen Behandlung, die ja eigentlich seine Vitalität und seine Erberinnerung erhalten sollte, vermutlich aber das pure Gegenteil bewirkte. Im November 1938, also kurz nach dem Anschluss Österreichs an das Reich, besuchte Karl Wolff Malwine Wiligut in Salzburg. Dabei wurde Wiliguts frühere Einweisung bekannt und Himmler geriet in Zugzwang. Im Februar 1939 wurde Weisthors Stab von Karl Wolff darüber informiert, dass sich der SS-Brigadeführer aus Altersgründen und wegen seiner zusehends schlechten Gesundheit zurückziehe und sein Büro aufgelöst werde. Himmler bat Wiligut sogar um die Rückgabe des SS-Totenkopfringes, SS-Dolches und SS-Ehrendegens. Den SS-Runenring hatte der „alte Wissensträger“ mit der von Guido List postulierten „Hagal-Rune“ (die nicht in das altgerm. Runensystem hineingehört, sondern aus dem späten, hochmittelalterlichen Wikinger-Futhark stammt) einstmals selbst entworfen.
 
Der offizielle Austritt von Weisthor aus der SS erfolgte am 28.8.1939, nur wenige Tage vor Beginn des Zweiten Weltkrieges. Wiliguts letzten Lebensjahre waren eine Odyssee durch Deutschland, obwohl sich die SS weiterhin um ihn kümmerte. Zunächst wurde er mit Else Baltrusch, die Mitglied des persönlichen Stabes des Reichsführers-SS war und ihm als Haushälterin und Betreuerin zugeteilt wurde, nach Aufkirchen gebracht, wo er in einem Haus der SS Quartier bezog. Im Mai 1940 zogen sie weiter in sein geliebtes Goslar. Ihre Unterkunft im Werderhof wurde 1943 in eine medizinische Forschungseinrichtung umgewandelt, so dass sie sich gezwungen sahen, erneut eine Unterkunft zu suchen. Daraufhin zog Wiligut mit Else Baltrusch in ein Gästehaus der SS am Wörthersee in Kärnten, wo er bis zum Kriegsende bleiben konnte. Nach dem Krieg wurde Wiligut in ein Flüchtlingslager in Sankt Johann bei Velden eingewiesen, wo er einen Schlaganfall erlitt. Daraufhin erhielten er und seine Begleiterin Else Baltrusch die Erlaubnis, nach Salzburg zurückzukehren, doch hielt es ihn nicht lange in seinem alten Familienhaus, vermutlich wegen der Animositäten seiner Ex-Frau gegenüber. Bereits im Dezember 1945 reiste das Paar weiter zu Baltruschs eigener Familie nach Arolsen, wo er gleich nach der Ankunft in ein Krankenhaus gebracht werden musste. Karl Maria Wiligut, der „Uralte“, wie ihn sein Freunde nannten, starb am 3.1.1946 als der „Letzte seiner geheimen Linie“. Für die einen war er ein wahrer germanischer Weiser, für die anderen ein belesener gewöhnlicher Hochstapler. Sein Grab befindet sich in Bad Arolsen.
 
Literaturverzeichnis:
 
Nicholas Goodrick-Clarke, „Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus“, 1997
Rudolf J. Mund, „Der Rasputin Himmlers“, Wien 1982
Rudolf J. Mund, „Fragmente einer verschollenen Religion“, unveröffentlichtes Manuskript, ohne Jg., im Besitz des „Schwartzen Ordens von Luzifer"
Hans-Jürgen Lange, „Weisthor - Karl-Maria Wiligut - Himmlers Rasputin und seine Erben“, 1998
Stuart Russell, „Heinrich Himmlers Burg - Die Wewelsburg: Das weltanschauliche Zentrum der SS“, Mundus Video, Essen 1996
Rüdiger Sünner, „Schwarze Sonne - Entfesselung und Missbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik“,1999 (hochgelobter selbstgefälliger Zeitgeistautor, der so ziemlich alles Historische durcheinanderwirft und letztlich nichts verstanden hat von deutscher Lebensnot und germ.-kelt Mythos)
 
FAZIT:
 
Der nationalsozialistische Staat schenkte mit seiner Hinwendung zu den Ursprüngen und seiner Kraftsuche aus den Wurzeln unserer deutsch-germanischen Kultur den Runen eine gewisse Aufmerksamkeit. Die Zeit war aber noch nicht reif für eine realtraditionelle Runentheologie aus altgermanischem Geist. Die meisten der damals im Umlauf befindlichen Runenthesen basierten auf Irrtümern und streckenweise sogar auf Scharlatanerie. Die Runentheorien von Guido List und Herman Wirth sind falsch. Unsere neuzeitlich (ab 1982) wiederentdeckte Runentradition aus dem Geist des ODiNG-FUÞARK, von der weder die Esoteriker des „Dritten Reiches“ noch irgendwelche Forscher oder Mystiker bisher etwas wussten, trennt uns von allen eventuellen Belastungen aus dieser tragischen Zeit. Die Hauptprotagonisten der nationalsozialistischen Geistigkeit spielen im heutigen theosophischen Runendenken keine Rolle. Das runische Lehrgebäude unserer altgermanisch-keltischen Religion wurde nachweislich vor mehr als 2.000 Jahren begründet und kann mit dem Gedankengut des „Dritten Reiches“ in keinen ursächlichen Zusammenhang gebracht werden.
 
Abb.: Runenkreis der frei erfundenen Guido-List-Runen