Unwahrheit hat von einem höheren Gesichtspunkte noch eine viel schlimmere Seite, als die gewöhnliche. Sie ist der Grund einer falschen Welt, Grund einer unauflöslichen Kette von Verirrungen und Verwicklungen. Unwahrheit ist die Quelle alles Bösen und Üblen. Eine Unwahrheit gebiert unzählige. Eine absolut gesetzte Unwahrheit ist so unendlich schwer auszurotten.“ Novalis
Folgenden Text gab ich zu Beginn des Jahres 2001 in die damalige GOD-Weltnetzseite:
Prof. Friedrich Fischbachs Runen-Fata Morgana
Es gibt Unsinnigkeiten, die haben ein so zähes Leben wie man es dem Guten und Richtigen oft vergeblich wünscht. Wenn ich immer wieder unverdrossen auf Missstände und Verständnislücken hinweise, so tue ich mir damit selbst natürlich keinen Gefallen. Meist verärgert man irgendwelche Leute, die berechtigte Kritik von einem persönlichen Angriff nicht zu unterscheiden verstehen. „Lass das doch, du eckst nur wieder an !“, sagte mir unlängst einer, der es gut mit mir meint. Ich hab’ ihm geantwortet:
„Wir sind nicht auf der Welt, um uns beliebt zu machen, sondern um unsre Pflicht zu leisten, und dazu gehört es, gegen Unwahrheit und Dummheit, so gut wie wir es vermögen, anzukämpfen !“
Da gab es eine schöne Arbeit, Ewald Friesacher's „Germanischer Jahrweiser - Alldeutscher Jahrgothweiser 3224 nach Atlantis 3801 nach Stonehenge - 2001“. Gemeint ist die Kalenderzeit des Jahres 7001 nach unserem urdeutschen Meisternthal-Kalenderbau. Der Kalender ist eigentlich voll empfehlenswert, denn man sieht ihm den liebevollen Gestaltungswillen an. Umso unangenehmer berührt es den wissenden Leser, wenn er darin so krasse Fehlinterpretationen von Runenzeichen findet, dass ihm förmlich „die Spucke wegbleibt“, wie man so sagt. „Die Thurs-Rune“, heißt es da auf einer Seite, „steht für Donner und Thor's Hammer.“ Ja, um Gottes Willen, möchte man den Autor befragen, warum sollte denn die Thurs-Rune den Thor/Donar, unseren Donnerstags-Gott, bezeichnen ? „Thurs“ heißt doch, das dürfte bekannt sein, „Unhold-Riese“. Wie könnte denn den Thursen-Bekämpfer Donar-Thor, ausgerechnet das Zeichen der unholden Giganten bezeichnen. Völliger Widersinn also !
Dieser Runen-Quatsch wird nun sogar weiter ausgewalzt. Da heißt es auf einer Kalenderrückseite: „Die Thurs-Rune ist die Rune der Kraft, der Zerstörung und der Verteidigung, sie signalisiert Blitz und Donner und kann so mit dem Hammer Thors, Mjöllnir, verglichen Werden. Auch Mjölnir steht für Verteidigung, Zerstörung, Kraft und wiederum Aufbau.“ Mit einigen weiteren Sätzen wird dann krampfhaft versucht, das Unvereinbare doch noch zu vereinen. Die gleiche Art der Argumentation könnte lauten: „Der Hammer ist ein Amboss, denn er ist wie dieser aus massivem Eisen !“ Sie lachen ? Jawohl, genau das gleiche steht in zitierter Runenerklärung: Weil die Rune angeblich Kraft, Zerstörung und Verteidigung signalisiert, deshalb muss sie zum Himmels-Donnergott mit seinem Blitzhammer gehören und nicht zum Thursen-Dämon dessen Name sie trägt.
Wie verquast müssen die Köpfe derer sein, die so etwas Widersinnig-Gedankenloses zusammenschreiben ?
Die Rune um die es geht, wird in den mittelalterlichen Runenliedern und Handschriften ganz durchgehend „Thurs“ oder „Thorn“, also „unholder Riese“ oder „Dorn“ geheißen. Ja, wir kennen sogar die Eddastelle wo vom Riesen gesprochen wird, der mit seiner dornigen Rute die Völker in den Schlaf (des Selbstvergessens ?) schlägt. Nicht ein einziger Runenwissenschaftler hat das Thurs-Zeichen jemals dem guten Himmelsgott Donar-Thor zugeordnet - warum sollte er auch, bei der klaren Aussage der Runen-Begriffe ? Wie kommt es nun, dass es eine Unsinnsschule in Deutschland gibt, die aus der Chiffre des Bösen das Signum des Guten machen wollte, also aus dem Dämon (Thurs) den Gott (Donar).
Damit fing, textlich fassbar, im Jahre 1900 ein Wiesbadener Fachmann für orientalische Teppiche an. Es war der Ornamentalist Friedrich Fischbach (1838-1908). In seinem Schriftchen „Ursprung der Buchstaben Gutenbergs - Beitrag zur Runenkunde“. Auf Seite 11 führte er folgendes aus: „Die bisher Thurs, Dorn und Durs bezeichnete Rune gehört dem Donnergott Thorr. Sie zeigt seinen scharfen Hammer, den Donnerkeil. Im Norden kommt auch die runde Form vor. ... Sein Himmels-Donnerkeil hatte also ursprünglich keine böse Bedeutung, aber die Befehdung des alten Kultes ergab, ähnlich, wie aus dem Lichtbringer Lucifer ein Teufel wurde, dass die Thorr-Rune die Thursen-Rune wurde, obschon Thorr's Aufgabe ist, die Thursen (Sturm- und Kälte-Riesen) zu besiegen.“
Der gute Friedrich F. spann hier das Garn der reinen Fantasie. Aber damit fing es an. Ein Herr Guido List aus Österreich, las den Fischbachschen Runenerguss, war davon entzückt, lobte des Mannes Verdienste, schrieb ihn ab, brachte im Todesjahr Fischbachs dann sein Buch „Das Geheimnis der Runen“ heraus und weiter ging's -, 100 Jahre lang - bis zum heutigen „Germanischen Kalender“.
Es schreibt immer einer von einem anderen ab, von dem man meint, er müsse es wohl wissen. Warum nimmt nicht endlich mal einer der was über Runen berichten will, ein Fachbuch in die Hand und macht sich beim Faktischen kundig ? Warum schreiben so viele Leute bei Esoterikern ab, die doch lediglich ihre Visionen an den Mann bringen möchten ? Soll denn dergleichen Runenschwachsinn ewig währen ?
(Ergänzungen, Nov. 2013)