07.04.2024

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HALBGENIALER, HALBVERSTANDENER RUNEN-KREIS VON HERMAN WIRTH 

Am Bremer Haus „Atlantis“: Androgynes Urwesen Wodin-Odin am kreuzförmigen Weltenbaum in der Runen-Zeitenuhr. Zwischen den horizontalen Fensterbändern gestaltete Architekt Hoetger hölzerne Brüstungstafeln, mit den germanischen Monatsnamen in Form von abstrakten Reliefs. Als Höhepunkt wachte über dem Eingangsbereich der so genannte „Lebensbaum“, eine riesenhafte, die Fassade überragende Holzplastik mit der Darstellung der nordischen Schicksalsmächte und der Figur des in ein Radkreuz gefassten „Gekreuzigten“, in dem man nicht „Jesus“, jedoch „Odin-Christus“ erkennen mag. Der auf dem Radkreuz umlaufende Spruch in runenartiger Schrift stammt aus dem nordischen Epos der Edda und besagt, dass hier die heidnisch-göttliche Helden-Metapher gezeigt ist, die sich selbst opfert und „dem Odin, geweiht“ ist. Der Runenkreis der 24 Stäbe umfassenden Ur-Runenreihe ist - bis auf wenige Abweichungen - korrekt in Folge gesetzt. Der falsche Beginn besteht aus der d-Rune, anstatt o-Rune, wie sie der Kylver-Grabstein (3./4. Jh.) vorführt. Wirths Fehler war die linksbeginnende Runen-Kalender-Deutung, während der Runen-Schöpfer, vor etwas mehr als 2.000 Jahren, rechtsbeginnend, sein geheimes, runisches ODING-Lehrprogramm konzipiert hatte. 

Die Frage nach den Ursprüngen der Menschheit beschäftigte Ludwig Roselius im Laufe der Zwanziger Jahre immer intensiver. Hierbei ließ er sich stark von den Theorien des Vor- und Frühgeschichtsforschers Herman Wirth beeinflussen. Dieser vermutete den versunkenen Erdteil Atlantis in der Arktis, von Norditen bzw. Protogermanen bevölkert, die dann vor der Eiszeit nach Süden flüchteten, um das Licht der Kultur nach Griechenland und Ägypten zu bringen. So wurde die älteste Kultur, die nordische, von Roselius in dem Satz zudammengefasst‚ dass es nicht heißen muss „ex oriente lux“, sondern „ex okzidente lux“. Die Thesen Wirths aufnehmend, schildert Roselius seine Sicht auf die Geschichte der Menschheit in seinem Beitrag zum ersten „Führer zur Böttcherstraße“: Ludwig Roselius: „Die Vollendung der Böttcherstraße“, in: Albert Theile (hrsg.): „Die Böttcherstrasse in Bremen, Idee und Gestaltung, Bremen, 1930“.

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Das wunderbar schöne Bremer Haus „Atlantis“ der Böttcherstraße entwarf der Architekt, Bildhauer und Grafiker Bernhardt Hoetger (1929-31) nach Ideen des Ludwig Roselius (1874-1943), dem bedeutenden Kaffee-Importeur („Kaffee HAG“) und dem Visionär Herman Wirth (1885-1981). Wirth hatte 1928 sein Buch „Aufgang der Menschheit“ veröffentlicht, von dem Roselius begeistert war und der beschloss, die Wirthschen Runen-Spekulationen in einem Bauwerk, unter Hoetgers Regie, Gestalt werden zu lassen. Das „Haus Atlantis“ war eine Konstruktion aus Stahl und Glas. Die tragende Konstruktion des Gebäudes bilden Stahlträger, die sich im Dach tonnenförmig biegen, um die Form des „Himmelssaals“ vorzugeben. In regelmäßigen Abständen setzte Hoetger genormte Teakholzfenster, Elemente aus Glasbausteinen und Holztafeln zwischen die Träger. „Haus Atlantis“ wurde am 23.06.1931 also zur Sommersonnwende - eingeweiht. Neben dem faszinierenden Neubau zur Böttcherstraße errichtete Hoetger gleichzeitig auch das mit diesem verbundene Haus Martinistraße 7. Dieses erscheint im Vergleich auffällig traditionell und ist dem bereits 1923-1924 von „Runge & Scotland“ errichteten und ebenfalls in den Baukomplex „Atlantis“ integrierten Haus Martinistraße 8 angepasst. Allerdings ist das Erdgeschoß nach dem Krieg um die expressive Bauskulptur an den Fensterpfosten reduziert worden. Das Haus Martinistraße 8 nahm neben dem „HAG-Institut“ für Leistung auch das „Institut für Körperkultur“ auf (der Himmelssaal diente teilweise als Gymnastikraum) und im Dachgeschoß die über den Kuppelsaal erreichbare „Väterkunde“-Sammlung des Herman Wirth, wo er selbst eine Wohnung innehatte.

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Eingang zur Böttcherstraße, mit dem Fassadenrelief „Der Lichtbringer“ (wie er, schwertbewaffnet, dem dreiköpfigen Drachen wehrt) von Bernhard Hoetger, 1936.

Haus „Atlantis“ war ein moderner Zweckbau in Stahlbeton u. a. für ein Institut zur „Erforschung des sagenhaften Atlantis“, mit einem Vortragssaal sowie Ausstellungs- und Clubräumen. Dieses sichtbare konstruktive Gerüst bekam über der Eingangsachse ein von Hoetger entworfenes holzgeschnitztes Fassadenprogramm vorgeblendet, den sog. „Lebensbaum“, in Wahrheit die Runen-Kalender-Version des Herman Wirth. Es war ein monumentales, archaisierendes Bildwerk aus Jahresrad, Kreuz und Sonnenscheibe, eine kultursymbolische Darstellung für den Beginn des Lebens, aus dem der Jahresanfang und damit gleichzeitig auch der Mensch erwächst; insbesondere der Lebensbaum wurde von den Nationalsozialisten heftig angefeindet, auch lehnte Adolf Hitler diese Kunstart schroff ab. Im Krieg verbrannte das Kunstwerk unter englischen Fliegerbomben. Von den nach Entwürfen Hoetgers ausgestatteten Innenräumen erhalten sind nur das Treppenhaus mit der im Gehäuse freigestellten, um 3 Stützen in der Hohlspindel geführten Treppenspirale, der unter dem verglasten Parabeldach gelegene sog. Himmelssaal (die Glasbausteine 1981 erneuert) und der Kuppelraum über dem Treppenzylinder mit weiß-blauen Glassteinen (1990-91 restauriert). Die unverkleideten, in kunststeinqualität ausgeführten Stahlbeton-Konstruktionen und die großflächige Verwendung von Glasbausteinen sind formal und auch hinsichtlich eines intendierten Symbolwertes durchaus vergleichbar mit dem bereits 20 Jahre zuvor entstandenen Pavillons der Glasindustrie des Architekten Bruno Taut auf der Werkbundausstellung 1914. Die banausenhafte Neugestaltung der kriegszerstörten Fassade des Hauses „Atlantis“, ist keiner Rede wert, man kann sie getrost vergessen.

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Der „Himmelssaal“ mit Kreuz- und Sonnenzeichen, vermittelte die Anmutung eines sakralen Andachtsraumes, auch wenn er bevorzugt als Tanz- oder Gymnastiksaal und als Vortrags- oder Ausstellungsraum genutzt wurde. Erst von hier aus, über eine Empore und den dahinter liegenden Kuppelsaal, war das Herzstück des Gebäudes, das „Väterkundemuseum“ in der Dachetage des Hauses Martinistraße 7 („Kontorhaus“) zu erreichen.

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Die „Vätersammlung“ aus der das spätere „Ahnenerbe“ hervorging. Das gesamte Arrangement des „Hauses Atlantis“ bis zur „Ahnenerbe-Sammlung“ war zweifellos eine hervorragende volkspädagogische Motivation, im Kontrast zum nur negativ-antivölkischen Angebot des Kirchenchristianismus.