03.07.2023

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Im Laufe der römischen Jahrhunderte, in denen Rom grauenhaften Schrecken und Massenmord auch über die germanischen Gaue im Norden gebracht hatte, war das Germanenvolk trotz alledem derart erstarkt, dass um Mitte 5. Jh. n.0 im gesamten römische Heerwesen und in der röm. Verwaltung seiner nördlichen Provinzen germanische Menschen nicht mehr wegzudenken waren. Seuchenzüge, korrupte Steuereinehmer, verweichlichender Luxus der Patrizierkaste kamen hinzu. Das Vertrauen in die Republik sank. Das Weströmische Reich war nur noch ein Schatten seiner selbst. Überall entglitten dem Romkaiser die Zügel. Germanen waren überall auf dem Vormarsch und seit dem Beginn der durch die Hunnen im Jahre 375 ausgelösten Völkerwanderung überschwemmten unsere deutschen Vorfahren die von den Römern zuvor geraubten Länderregionen. Nach Gallien drangen die Westgoten und Burgunder, nach Hispanien die Sueben. Und das westliche Nordafrika war an die Wandalen verloren gegangen. Ihre Mannschaften plünderten im Jahre 455 unter ihrem Heldenkönig Geisarich (reg. 428-477) für zwei Wochen die römische Hauptstadt, viel zu zaghaft und viel zu anständig, was die räuberischen, gnadenlosen Römer gar nicht verdient hatten. Keine Frauen rührten die Wandalen an, keine Kirchen wurden beraubt und kaum waren die gnädigen Wandalen abgezogen, feierte man in Rom schon wieder die Zirkusfeste.

In dieser Zeit war die Elite des Imperiums heillos zerstritten. Das gewissermaßen schon taumelnde, zerrissene Reich versuchte 468 den Befreiungsschlag: Kaiser Anthemius (reg. 467-472) und sein oströmischer Kollege Leo I. (457-474) starteten eine der größten Offensiven der Antike. Ihnen schloss sich der General Marcellinus an, der in Dalmatien eine weitgehend autonome Herrschaft unter dem Schirm Ostroms errichtet hatte. Die Flotte, welche die drei Machthaber zusammenbrachten, sei „die größte gewesen, welche die Römer jemals besessen“ hätten, schreibt Prokop, der Historiker und Geheimschreiber des röm. Feldherrn Belisar. 1.100 Schiffe mit 100.000 Soldaten. Das ist möglicherweise etwas übertrieben, Schätzungen gehen eher von 30.000 Soldaten aus und vielleicht 20.000 Seeleuten und Hilfskräften, auf jeden Fall eine gewaltige Macht. Die Zahl der Schiffe aber könnte stimmen. „In ihrer großen Mehrheit handelte es sich dabei um Handelsschiffe, die nur durch Segel angetrieben wurden“, erklärt der britische Historiker Peter Heather in seinem Buch „Der Untergang des Römischen Weltreichs“. Es mag auch einige spezielle Kriegsschiffe gegeben haben, sogenannte Dromen, die auf dem Hinmarsch segelten, dann im Kampf mit Rudern angetrieben wurden. Die gigantische Summe von gut 100.000 Pfund Gold stellte Kaiser Leo für das Unternehmen bereit, der immerhin über die intakten Ressourcen des Ostens verfügte. West- und Ostrom boten quasi alles auf, was sie hatten. „Dass eine so gewaltige Flotte zusammengestellt werden konnte, war an sich schon eine Glanzleistung“, schreibt Heather. Das Ziel der Offensive war Karthago. Im Jahr 439 hatten die Wandalen unter König Geiserich diese zweitgrößte Stadt des Westens eingenommen, nachdem sie zuvor die römische Kornkammer Afrika erobert hatten.

Die Römer setzten nun all ihre Hoffnung auf die Rückeroberung Karthagos, in dem die Wandalen Ordnung und anständige Zustände eingerichtet hatten, wie Bischof Salvian von Marsailles berichtete. Wäre Nordafrika erst wieder Teil des Reiches, so das ambitionierte Kalkül, gäbe es genug Hilfsmittel, um auch Hispanien und Gallien wieder dauerhaft unter römische Kontrolle zu bekommen. „Ein erfolgreicher Feldzug gegen die Wandalen hätte den Teufelskreis des Niedergangs durchbrechen und dem Westreich ein aktives politisches Leben für die absehbare Zukunft garantieren können“, schreibt Heather. Der Teufelskreis aus Invasionen und Usurpationen sollte endlich durchbrochen werden. Es ging also um nichts weniger als den Wiederaufstieg Westroms. Der Feldzug bestand aus drei Operationen. Die ersten beiden wurden zügig und erfolgreich durchgeführt: Marcellinus Flotte vertrieb angeblich vandalische Bestzungen von den Inseln Sizilien und Sardinien. Und ein Expeditionskorps unter dem General Heraclius brachte Tripolitanien, im Nordwesten von Libyen, unter seine Kontrolle. Von dort sollte das Corps nach Westen vorstoßen und sich mit dem Hauptheer verbinden, das General Basiliskos befehligte. Dieser steuerte mit seiner Flotte, wahrscheinlich im Juni 468, von Sizilien aus Nordafrika an. Eine Seeschlacht sollte mit den voll besetzten Schiffen vermieden werden. Ziel war es, die Entscheidung an Land zu suchen. Basiliskos’ Flotte ging 60 Kilometer nordöstlich von Karthago am Kap Bon vor Anker. Die Römer waren überzeugt, alle Trümpfe in der Hand zu haben. Die Überfahrt war gelungen, und sie waren zahlenmäßig gegenüber der wandalischen Flotte in erdrückender Überzahl. Vielleicht hoffte Basiliskos, mit dieser Machtdemonstration den Wandalenkönig Geiserich zur Aufgabe bewegen zu können. Möglicherweise wurde er auch, wie Prokop vermutet, von diesem bestochen. Sicher ist, dass er auf dessen Wunsch einging und ihm fünf Tage Aufschub gewährte, um die Kapitulation vorzubereiten. Bis dahin verzichtete der römische Feldherr darauf, seine Soldaten an Land zu bringen. Doch der tapfere Wandale dachte nicht ans Aufgeben. Er hatte einst sein Volk von Hispanien nach Afrika geführt, ihm die reiche Provinz erobert und später Rom ein bisschen geplündert. Nun setzte Geiserich erneut alles auf eine Karte, konkret auf bessere Windverhältnisse.

Er hatte Glück. Der Wind drehte und blies nicht mehr von Osten, sondern von Nordwesten. „Für die Wandalen, die von Karthago aus in See gestochen waren, wehte der Wind so günstig, dass sie genau bestimmen konnten, wann und wo sie angreifen wollten, während die Römer, für die der Wind von vorn kam, sich nur langsam und in Zick-Zack-Linien voranbewegen konnten“, beschreibt Heather die Schlachtaufstellung. Jetzt bot sich für die Wandalen die Chance, eine neue Waffe einzusetzen: Brander, also mit Brandmasse gefüllte Boote. Geiserich ließ unbemannte, kleine Schiffe anzünden und in Richtung der Gegner treiben. Die Römer versuchten noch hektisch, mit Ruderbooten die schweren manövrierunfähigen Transporter abzuschleppen, doch es war zu spät. Bald stand ein Teil der römischen Flotte in Flammen. „Während nun so der Brand heranwogte, wurde die römische Flotte natürlich von Panik erfasst“, schildert Prokop. „Es erhob sich lautes Geschrei, wurde aber fast übertönt vom Sturm und dem Prasseln des Feuers.“ Dann fielen die wandalischen Krieger über die Römer her „und versenkten die Schiffe und machten sich die Soldaten, die da lebend entkamen, samt ihren Waffen zur Beute“. In Anbetracht dieses Desasters zog sich das Korps, das von Tripolitanien anrückte, zurück. Nachdem Marcellinus auf Sizilien ermordet worden war, konnten die Vandalen auch dort ihre Positionen zurückgewinnen. Die Schlacht war für die Römer eine Katastrophe. „Basiliskos’ Niederlage hatte die letzte Chance zerstört, eine dominierende Reichsmacht wieder zu errichten“, urteilt Heather. West- und Ostrom hatten alle Kräfte mobilisiert und verloren, für einen weiteren Feldzug fehlte es zunächst an Geld, Material und Soldaten. Der westliche Teil des Imperiums löste sich nun buchstäblich auf. Die Kaiser wurden zu Marionetten ihrer Generäle. 476 wurde der als „Kaiserlein“ verspottete Romulus von dem germanischen Söldnerführer Odoaker (um 433-493) schließlich abgesetzt und auf ein Landgut in Pension geschickt. Damit war das weströmische Kaisertum Geschichte. Germanen hatten die Welt vom Sklavenhalterjoch Rom befreit. (frei nach Manuel Opitz)