ODINGs „DOGMA“
 
Es hat in allen Religionskulturen wohl immer zwei Richtungen gegeben, die sich unnötigerweise gegenseitig befehdeten: die Wortgläubigkeit und die Sinngläubigkeit. Die erste bestand darauf, das Erkenntnisgut der Religionsschöpfer und -weisen in feste Regeln und Formeln (Dogmen) zu fassen und auch schriftlich niederzulegen, um den Wegsuchenden einen festen Halt zu weisen. Daraus erwächst mitunter die Gefahr der Erstarrung durch „Buchstabengläubigkeit“. Jede Religion ist für das Leben - das wahre, ewige Leben - geschaffen und muss fähig sein, sich dem natürlichen, gesunden Werden und auch Wandeln anzupassen. Die Vertreter der Sinngläubigkeit verweigern die Bindung an irgendeinen starren Wortlaut und drangen allezeit auf den Verzicht von Dogmen, weil Worte oft den Sinn verfälschen. Für sie steht Gott (oder mehrere Kraftmächte) hinter der Natur, ja, er leuchtet ihnen aus jedem Wesen in anderer Gestalt entgegen und bleibt doch der Eine.
 
Aus der ungebundenen Sinngläubigkeit kommt eine andere Art von Gefahr. Es ist die Vereinzelung und Vereinsamung des Menschen in der eigenen (individuellen) Glaubensverstrickung. Das Wir-Gefühl, das Gruppen- und Volksgefühl opfert der Sinngläubige allzu leicht seinem nur auf ihn selbst zugeschnittenen, eigensinnigen Religions- und Gottesverständnis. So wie kein Mensch dem anderen völlig gleicht, so gibt es auch keine zwei Menschen von genau deckungsgleicher Gotterfassung. Ohne die verbindende Idee, das Symbol und „Wort“, gäbe es keine Einbettung des Einzelnen in einer Glaubensvereinigung. Religion muss neben ihrem Ringen um relative Wahrheit unbedingt auch gemeinschaftsbildende Kräfte entwickeln können. Dem Mitmenschen näherrücken, sich mit ihm vertragen durch das Erlebnis des grundsätzlich gemeinsamen Wissens, Hoffens und Glaubens - das ist, was die verbindende Wortgläubigkeit ermöglicht. Man könnte es als eine Art „gemeinsamen Nenner“ bezeichnen, welcher gesellschaftsbildend und -erhaltend wirkt. Nur ein als heilige Schrift anerkannter Codex, ein Grundgesetz als Orientierungshilfe, bewirkt Gruppenfrieden und gedeihlichen Aufbau. Wer derartiges ablehnt, will letztlich keinerlei Gemeinschaft und bewirkt das Chaos aller gegen alle. Das Vorhandensein einer festen Glaubens-Grundordnung bedeutet also noch keinerlei Gefahr - im Gegenteil !
 
Doch wie wir mit solchen festen, unverrückbaren Größen umzugehen haben, darüber muss immer wieder neu verantwortungsvoll vor Vergangenheit und Zukunft gerungen werden. Jene, die Heimat- und Artreligion ebenso bejahen wie sie gewisse Weltreligionen als Gleichschaltungs- und Vermassungsversuche ablehnen, werden den unverzichtbaren Wert eines jahrtausendealten Glaubensherkommens zu schätzen wissen. Auch die brillanteste neuzeitlich erarbeitete Weltanschauung ist nicht fähig, solche Bindekraft zu entwickeln.
 
Das ODING ist in der Tat ein religiöses Grundgesetz dogmatischen Charakters. Doch sein Dogma kann nach Art seiner Niederlegung in Gestalt einer Verschlüsselung durch 24 Sinnzeichen allein ein Grobraster gemeingermanischer Religion darlegen. Sehr, sehr weite individuelle Abschattungsmöglichkeiten des Denkens bleiben möglich. Und dies entspricht voll und ganz dem, was wir von germanisch-deutscher Religiosität wissen und erleben. Das ODING bietet den „Breiten Nachen“ arteigener Religion an, auf dem sich jedermann unter Brüdern und Schwestern frei bewegen kann, der aber den Einzelnen schützend aufnimmt und auch sicher ans jenseitige Ufer zu bringen vermag.
 
Nachsatz: Das Dogma des ODING bezieht sich allein auf die Anerkennung der rechtsbeginnenden Reihenfolge des Ur-Runen-Jahreskreises unserer gallo-germanischen Vorfahren, nicht aber auf eine bedingungslos festgelegte Interpretation der einzelnen Runenstab-Erklärungen und Jahresfest-Begrifflichkeiten.