DIE VERLOCKUNG

Leben sucht Liebe und Licht,
es fragt nicht nach Fron, nicht nach Pflicht;
frei sind die Seelen geboren,
nur dem Schimmer des Höchsten verschworen –
drum wär’ für das Urrecht erblindet,
wer die Herzen bannt oder bindet.

Doch Freiheitsbereitschaft und Gönnen,
überkrönt sich allein durch das Können !
Was nutzt die geöffnete Käfigtür,
gern flöge das Vöglein zur Sonne herfür,
und wenn es auch flattert und schwärmt,
das Fliegen hat’s lang schon verlernt.

Was nützt uns das Licht und die Liebe,
was gelten die göttlichen Triebe -
wer zu lang’ in der Enge gesessen,
hat das Strecken der Flügel vergessen.
Gern möcht’ es die Federn noch breiten,
und segeln in himmlische Weiten;

Sich suchen die Kernlein und Knospen,
die köstlich, zu kosen, zu kosten,;
stille Täler wollt’ es durchstreifen
nach den roten Beerlein, den reifen.
Wilde Wolken wollt’ es durchziehen,
in den Sturmwind stürzen und fliehen.

Sanft über die Hügel hinstreichen,
den Regenbogen erreichen,
das Geheimnis der Grüfte ergründen,
da die heiligen Quellwasser münden,
wo die Zauberblume erblüht
deren Anblick die Sinne durchglüht -,
wie ein Frieden schenkender Feen-Kuss --;
jetzt aber Schluss !

Du siehst, ein Dichter lässt sich doch beflügeln,
zuletzt muss er sich sogar zügeln,
und wenn er geistig nun in Deine Arme sank,
dann sagt er damit: „Habe Dank !“
Hab’ Dank, für dieses liebe Wort, das Du mir schenktest -
mit dem Du meine Ruhe mir verrenktest -
Ich will’s in meinem Herzen fest bewahren,
in allen meinen künft’gen Lebensjahren.
 
(November 1999)