Text Copyright © Gerhard Hess - 5. April 2016
Von Ilmarinen Kowal (Grzegorz Kowal)
DIE SOLVEIGH -
SONNENTÄNZERIN VON EGTVED
Um dreitausend Jahre vor heutigen Tags,
ein Kind des schwarzwälder Eibenhag’s,
war heile, biegsam, rank und fein,
wollte des Himmelsohn‘s Tänzerin sein.
Keine der Schwestern sprang so wie sie,
flog über die Hürden mit federndem Knie.
Dem Schimmelfohlen die Solveigh glich,
da Wind ihr wehendes Blondhaar strich.
Dort oben, im Nord‘, in der Jüten Gau,
im goldenen Hof einer wissenden Frau,
belehrt‘ sie die Maiden im Sonnen-Tanz,
für die heiligen Feste im Jahres-Kranz.
Die Sonnen-Scheibe tanzt und springt,
spiralig steigend den Erd-Berg umringt,
und wer ihre Liebe zum Reigen errät,
ihrer Lichtseele Segen und Gnade sät.
Als Solveigh erblühte zur wonnigen Maid,
sie bettelte lang‘ zu des Winters Zeit,
bis der wegkluge Oheim es endlich litt,
im Frühjahr mit ihr auf die Reise schritt.
Vieltausend Meilen weit war der Weg,
mit Rad und Huf auf dem Bernstein-Steg,
zur höfischen Mitte von Jütlands Thron,
bei Jelling erlebt‘ sie der Mühen Lohn.
Schon nächsten Sonnenlauf war sie dabei,
zum Sommerbeginn im sonnigen Mai -;
beim fünften Neumond im Fackelschein,
sprang sie als Elevin mit in den Reih’n.
Man ehrte die Solveigh mit Lohn und Preis,
dann rief eine Kunde sie neu auf die Reis‘.
In der fernen Heimat der Vater starb,
so dass das Schicksal um Rückkehr warb.
Keiner ahnte was der Jungfrau geschah,
als man wenige Monde sie wiedersah.
Ihr Brüderchen hatte sie mit sich geführt,
gar bald wurden beide vom Tod berührt.
Bei Egtved hat man den Hügel getürmt,
des Zugvögleins Kräfte waren verstürmt,
doch der Sonnengeist den Solveigh geehrt‘,
hat ihr jetzt ihre Auferstehung gewährt.
Vorwort zum Egtved-Mädchen-Fund
Natürlich kennt keiner den Namen des Bronzezeit-Mädchens aus Egtved in Mitteljütland, einen Namen muss sie gehabt haben, deshalb gebe ich ihr den nordischen Frauennamen Solveigh, was so viel bedeutet wie „Sonnenkraft“, war sie doch nachweisbar eine kultische Sonnentänzerin. Alle Indizien weisen darauf hin, dass die junge Solveigh als Tänzerin des Sonnenritus eine kurze Zeitspanne im jütländischen Kultzentrum verbrachte, was - wie ich aufgrund meiner Forschungen überzeugt bin - im südskandinavischen Raum sein ausstrahlendes Wirkfeld hatte. Warum es die junge Schwarzwälderin dorthin zog, ist ersichtlich, ihre Grabstätte von Egtved liegt nur ca. 20 km südlich von der bronzezeitlichen Kultstätte Jelling entfernt. Hier darf das geistige und mithin religiöse Zentrum der jütländischen Halbinsel angenommen werden. Der Ort Jelling befindet sich mitten in Jütland nordwestlich von Veile. Das „königliche Jelling“, mit seinen beiden größten Grabhügeln, gehört zu den bedeutendsten archäologischen Fundplätzen Dänemarks. Der Platz hatte bereits seit der Bronzezeit kultische Bedeutung. Der heidnische König „Gorm der Alte“ (Gorm den Gamle, vor 900 - ca. 958) wurde als erster König Dänemarks angesehen. Die beiden Jellinger Grabhügel sind nach ihm und seiner Frau Thyra benannt. Der kleine Jellingstein, um 935 errichtet, ist mit Runen beschriftet, er gilt als „Geburtsschein“ der dänischen Nation da er die erste namentliche Nennung eines dänischen Königs enthält, auch wird zum ersten Mal in schriftlichen Quellen der Landesname Dänemark verwendet. Gorms Sohn, Harald Blauzahn, gelangte erst spät auf den Thron und ließ sich 960 christlich taufen. Sein dritter Sohn, Sven Gabelbart, wurde Führer der heidnischen Gegenreaktion. Im Machtkampf zwischen Vater und Sohn unterlag der greise König. Während einer Seeschlacht, wohl bei Bornholm, wurde Harald verwundet, konnte sich an Pommerns Küste flüchten, wo er verstarb. Sven als nachfolgender dänischer König baute die vier großen Wikingerburgen im Land. Nach ihm wurde die Residenz nach Roskilde verlegt. Damit endete die altgläubige und gleichzeitig politische Bedeutung des heute kleinen Ortes Jelling.
Abb. 2
Der Egtved-Baumsarg-Fund
Im Jahre 1921 wurde der Grabhügel von Egtved, der ursprünglich einen Durchmesser von mehr als zwanzig Metern hatte, von Bauer Peder Platz entdeckt. Er wollte auf seinem Land einen Hügel einebnen, da kam die Ecke eines mehr als zwei Meter langen Baumsarges zum Vorschein. In dem Eichensarg, dessen Jahresringe die Altersbestimmung erlaubten, lag das 16- bis 18-jährige, um 1.60 m große Mädchen, das im Sommer 1.370 v.0 zu Grabe getragen worden war. Eine blühende Schafgarbe, wohl eine dem Sonnengott geweihte Pflanze, hatte man ihr in den Rand des Sarges gelegt. Ob es die weiße oder die rote Art war, ist mir nicht bekannt. Die Schafgarbe ist eine beliebte klassische Heilpflanze, die für die Verdauungsorgane und Frauenleiden eingesetzt werden kann. Bevor man die junge Frau sorgfältig mit ihren Beigaben niederlegte, kleidete man den Sarg mit einem weichen Kuhfell aus. Danach bedeckte man sie mit einer Decke aus Schafswolle und schloss den Sarg. Sie trug eine recht kurze Bluse mit halblangen Ärmeln, welche in einem Stück gewebt und im Rücken mit einer T-förmigen Naht geschlossen wurde, dazu einen nur knielangen Wickelrock aus Wollschnüren, der auf ihrer Hüfte saß. Alle Kleidungsstücke waren aus naturfabener Schafswolle gewebt. Ihre Taille zierte ein langer gewebter Gürtel mit einer Zierquaste am Ende des Gürtels. Eine große sonnenkultische Bronzescheibe mit 27 eingravierten Sonnen-Spiralen lag auf dem Bauch. Ein bronzener Ohrring sowie zwei verschiedene Armreifen aus dem gleichen Material und der Beinkamm an ihrem Gürtel gehörten zur weiteren Ausstattung. Neben ihren Kopf hatte man eine kleine Dose aus Birkenrinde mit einer Bronzeahle und den Überresten eines Haarnetzes gelegt. Weiterhin fand man auch die Reste eines kleinen Kleiderbündels, die sich als verbrannte Knochen eines 5-6-jährigen Kindes erwiesen. Ein paar Knochen des gleichen Kindes befanden sich auch in der Birkenrindendose neben ihrem Kopf. Dass es sich um das eigene Kind der jungen Frau gehandelt haben könnten, ist weniger wahrscheinlich. Als extrem junge Mutter hätte sie kaum die Reisen nach Jütland durchführen mögen. Zu ihren Füßen befand sich eine weitere Birkenrindendose. Bei den Untersuchungen konnten darin Reste eines alkoholischen Getränkes erkannt werden, nämlich ein mit Honig gesüßtes Bier oder Met. Einer sorgfältige Analyse definierte Pollen von 55 verschiedenen Pflanzen, die dem Getränk beigemischt waren.
Abb. 3
Die Isotopenanalysen der Haare, Zähne und Nägel des Mädchens zeigen, dass sie nicht in Egtved oder Dänemark geboren wurde. Die Analyse der Strontium-Isotope in einem ihrer Molare kombiniert mit Strontiumisotopensignaturen ihrer Kleidung weist auf die Herkunft aus dem süddeutschen Raum bzw. auf den Schwarzwald hin. Karin Margarita Frei vom Nationalmuseum in Kopenhagen konnte durch eine Analyse der Strontiumisotopensignaturen ihres Haares ermitteln, dass das Mädchen kurz vor seinem Tod erneut nach Jütland gekommen sein muss. Die Analyse zeigt außerdem, dass das Mädchen in den letzten zwei Jahren seines Lebens weite Reisen unternommen hatte. 13 bis 15 Monate vor ihrem Tod war sie noch einmal in ihrer alten Heimat, dann reiste sie zurück nach Jütland, blieb dort ein paar Monate, kehrte erneut neun bis zehn Monate vor ihrem Tod in den Schwarzwald zurück, blieb dort wieder knapp ein halbes Jahr, ehe sie etwa einen Monat vor ihrem Tod wieder nach Egtved kam, wo sie ihre letzte Ruhestätte fand. Diese Wegstrecke, welche die zartgebaute junge Frau mehrere Male zurücklegte, beträgt um 800 km. Sie starb also vor 3.400 Jahren. Woran genau, wissen die Forscher nicht. „Mithilfe von forensischen Methoden haben wir in ihren Haaren Spuren gefunden, die auf Stress oder auch eine Erkrankung hindeuten“, sagte die Wissenschaftlerin K.M. Frei. Die junge Frau reiste also mehrmals zwischen beiden Orten hin und her, das muss in der damaligen Zeit zweifellos mit gewaltigen körperlichen Belastungen einhergegangen sein. „In der Bronzezeit bestanden zwischen Dänemark und Süddeutschland enge Beziehungen“, erklärte der dänische Archäologe Kristian Kristiansen: „Damals waren Süddeutschland und Dänemark die beiden dominanten Machtzentren Westeuropas, ähnlich wie Königreiche.“ Eine Menge Güter wurden ausgetauscht, der Bernsteinhandel bis nach Griechenland blühte. Süddeutschland, wo eine vorzügliche Handwerkerschaft zuhause war, lieferte im Gegenzug seine Produkte nach dem Norden. Es gibt beispielsweise einen aufwendig gearbeiteten, langen Achtkant-Bronzeschwert-Typ, den die Schmiede herstellten und nach Jütland exportierten. „Das war ein richtig tolles Schwert“, erklärte der Wissenschaftler Johannes Müller.
Abb. 4 5
Die Sonnen-Tänzerin
Die Bestattete von Egtved war keine reiche, wohlhabende junge Frau, ihren bescheidenen Schmuck und ein paar wenige persönliche Habseligkeiten gab man ihr mit auf ihre letzte Reise -, und den Abschiedsgruß der leuchtenden Schafgabenranke eines ihr sicherlich nahestehenden Menschen. Doch ihr Grabhügel von ca. 20 m Durchmesser weist auf ihre Ehrenwertigkeit hin. War sie trotz ihres jugendlichen Alters eine Art Sonnenpriesterin oder wurde sie möglichweise wegen ihrer kultischen Tanz-Akrobatik so hoch geschätzt ? War es ihre Anmut, ihre hingebungsvollen Bewegungen im Ausdruckstanz mit dem sie die fruchtbringende Sonnenkraft ins Bild ihrer Schaustellungen zu setzen vermochte ? Zweifellos galt sie als eine wichtige, hochrangige Persönlichkeit. Ihre fein verzierte, glänzenden Bronzescheibe war zweifellos ein Symbol der Sonne. Ich erkläre es noch.
Der leichte Wollschnurrock unter der Sonnenspiralscheibe war ein kultisches Kleidungstück der Sonnentänzerin -, die gefundenen bronzezeitlichen Figürchen von Grevensvænge (nahe Næstved) und andere erweisen es (Abb. 4). Diese Mädchenfigur macht eine Brücke oder schlägt einen Purzelbaum. Bronzezeitliche Felsbilder Schwedens zeigen die gleichen Rückwärtssprünge auf Schiffen. Sie müssen zum damaligen Kultritus gehört haben. Auch das bronzezeitliche weibliche Steck-Figürchen von Fårdal bei Viborg (altnord. „Weiheplatz auf der Höhe“) in Mitteljütland trägt ein Wollschnurröckchen (Abb. 5). Diese Steckfiguren, von denen wir mehrere kennen, sind als Bestand von Kultschiffchen aus den Tempelanlagen zu verstehen. Das Fårdal-Frauchen mutet wie eine kniende Göttin vor einer dämonischen Schlange an. Die „Göttin“ - nach der Handhaltungs-Öffnung in ihrer erhobenen Rechten zu schließen - wird einen Speer erhoben oder drohend geschwungen haben. Ihr Gestus zur nährenden linken Brust bezeugt ihre Fruchtbarkeitsfunktion. Galt sie als regionale Sonnengöttin ? Bis heute schwankt ja die Auffassung der Sonne zwischen männlicher und weiblicher Deutung. Auch die weibliche bronzezeitliche Rasiermessergriff-Figur von Itzehoe in Holstein, die ein Töpfchen in Händen hält, trägt das Schnurröckchen. Man hat den Wollschnurrock des Egtved-Mädchens fachmännisch nachgearbeitet („European Researcher´s Night 2007“), dieser besteht aus 223 Schnüren und die Gesamtarbeitszeit für seine Anfertigung betrug rund 60 Stunden.
Abb. 6
Die bronzene Sonnenscheibe der Sonnentänzerin von Egtved (Abb. 6) weist in zwei Kreismäandern 10 und 17 Symbole auf -, insgesamt 27 Spiralwirbel. Rechnet man den Mitteldorn als Zähleinheit dazu, erhält man 28, multipliziert mit der Jahressymbolziffer 13, erhält man die Zahl des Sonnenjahres von 364 Tagen. Ich erkläre es im Folgenden noch verständlicher. Laut Pythagoras und Platon repräsentieren die Zahl 3 in der dritten Potenz - also 27 - und die Zahl 2 in der dritten Potenz - also 8 - den Kosmos. In der indischen Astrologie „Jyotisha“ wird die Ekliptik in 27 Sterngruppen („Nakshatras“) eingeteilt, das sind die Mondstationen und zugleich die 27 Gattinnen des Mondgottes. Einige buddhistische Gebetsketten („Mala“) haben 27 Perlen (108 geteilt durch 4). Nach „Feng Shui“, einer daoistischen Harmonielehre aus Ostasien, soll man, um Geld zu sammeln, im Haus 27 identische Münzen halten. Gemäß der Inka-Kultur soll es 27 Straßen nach „Eldordo“ (Goldland). In der hebräischen Kabbala gibt es 27 Buchstaben, entsprechend 27 Kanäle der Kommunikation mit Gott und 27 Kombinationen der Namen Gottes - 13 offene und 14 verdeckte. Wenn im ODING-Runen-Kreis über Position 24 hinaus weitergezählt wird, steht auf 27. Stelle der kleine Sonnenkreis (oder Raute) der Ing-Rune des solaren Fruchtbarkeitsgottes Ingo-Frō (altnord. Ingwi-Freyr). 27 X 4 = 108 mit Seelenzahl-Quersumme 9.
Beim dänischen bronzezeitlichen „Sonnenwagen von Trundholm“ bildet sich der äußere Dekorring aus 27 Kreischen, der mittlere aus 8 Kreispärchen mit insgesamt 16 Kreischen, der innere Ring besteht aus 8 Kreischen. Insgesamt handelt es sich also um 52 Kreischen. 3 der Dekorringe bestehen aus Strichelungen, 3 aus Kreischen, wir addieren den Mittelpunktkreis dazu und gelangen zu 7 Zähleinheiten. Multiplizieren wir 7 mit der Gesamtsumme von 52 Kreischen, resultiert daraus die altgebräuchliche Annäherungszahl der Tage des Jahres: 364.Die Gesamtzahl der Kreischen setzt sich aus vier Zähleinheiten (27 + 16 + 8 + 1) zusammen. Die 4 als Zahl der möglichen Lichtgestalten des Mondes, wie auch der jährlichen Haupt-Sonnenstände (Äquinoktien / Solstitien), vertritt Mond- und Jahres-Symbolismus. Das Jahr und die 13 galten als Sinnbilder der Zeit schlechthin. Im ODING-Runenkreis steht die Jahr-Rune auf 13. Stelle. 13 war eine der signifikanten Zahlen des eranischen Zeitgottes Zervan. Da im luni-solaren Kalendersystem das notwenige Schaltjahr des 13. Regulationsmonates bedarf, wurde die 13 zum Zeit- und zum Ordnungssymbol. Bei Aufsummierung der 13 entsteht 91, welche mit 4 multipliziert auch zur Sonnenjahres-Tageszahl 364 hinführt. Auch der Kalender der Essener-Kultgruppe bei Chirbet Qumran, vom Beginn heutiger Zeitrechnung, umfasste 364 Tage, eingeteilt in 4 Quartale je 91 Tagen. Von den 12 Monaten des Jahres hatten die 4 letzten Monate der Quartale jeweils 31 Tage, die restlichen 8 Monate 30 Tage. Jedes Jahr hatte 52 Wochen, ein neues Jahr begann immer mit einem Mittwoch. Das Jahr, die „Wanderung Gottes durch die Zeit“, ist zu verstehen als ein kosmisches Produkt aus Sonne und Mond. Bei des Sonnenjahres Wochenzahl von 52 (Quersumme 7), à 7 Tagen, ist die Tagesanzahl also 364 und deren Quersumme 13, dem Zahlensymbol des Jahreszeichens im gemeingermanischen Kalendarium des ODING-FUÞARK-Systems. Die Lichtkörper-Kreischen der goldbelegten Seite des Diskus weisen unterschiedliche Größen auf. Sie sind in 27 + 1 = 28 größere sowie 16 + 8 = 26 kleinere Kreischen zu unterscheiden. Die Zähleinheiten 27 und 28 deuten auf den Zeitweiser Mond hin. Benötigt er doch für seinen Erdumlauf einen „siderischen Monat“ von 27,322 Tagen. Aber der „synodische Monat“, also die Zeit zwischen zwei Neumonden, beträgt im Mittel 29,531 Tage. In 28 sind die 4 Phasen des Nachtgestirns vollkommen enthalten (4 x 7 = 28), welches nach Vorstellung der Alten in seinem Rundlauf auch 28 Sternengruppen durchwandern muss. 13 Mondmonate von 28 Tagen ergeben das Jahr von 364 Tagen. Da jeder Monat 4 Phasen hat, ergibt sich eine zeitliche Feinrastereinteilung von 52 Mondzeitsegmenten („Wochen“) pro Jahr, mit der ersichtlich die nordische Bronzezeit ihre Kalenderordnung gestaltet hat. (siehe dazu meine Kleinschrift „Die Zahlensprache des Sonnenwagens von Trundholm“,1998) Die Gesamtzahl aller Kreischen der goldbelegten Seite beträgt 52, die der Rückseite 54. Gleiche Zahlen erhält man bei anderer Addition. Die kleinen Kreischen von Vor- und Rückseite zusammengenommen ergeben 52, von großen Kreischen sind 54 vorhanden. Beide Zahlenwerte wurden demnach planvoll hineingearbeitet. Zusammengerechnet mit den beiden Pferdeaugen-Kreischen erscheint die Zahl 108. Sie bliebe ohne Widerhall, wüssten wir nicht, dass sie in der hinduistischen und buddhistischen Tradition heiliger Zahlen eine bedeutende Rolle spielt. So tanzt die Sonneninkarnation Krishna im gewiss tiefsinnigen Symbolismus im Kreise mit solch einer Zahl von „Gopis“, die sich auf der höchsten Stufe der vollkommenen reinen Liebe und Hingabe befinden. Für die Buddhisten ist es die Zahl der „Arhats“, jener verklärten, vollendeten Heiligen; aber auch der Perlen des Rosenkranzes sowie der Bände tibetanischer heiliger Schriften. Das ODING-FUÞARK-Runensystem etwa vom Beginn unserer Zeitrechnung demonstriert mit 6 Vokalen und 18 Konsonanten (6 x 18) = 108 Urstammsilben der germanischen Sprache. Die Zahl 108 - Produkt aus 36 x 3, oder 6 x 18, oder 4 x 27, oder 12 x 9 - scheint demnach ein sehr altes heiliges Vollkommenheitssymbol (Kreissymbol) zu sein, das über die indogermanische Brücke nach Nordeuropa bzw. andererseits nach Zentralasien gelangte.
Schon der Archäologe Th. Thomsen schrieb im Jahre 1929 in seiner Publikation, dass man versucht, die verstorbene junge Frau mit ihrem Haarschnitt, ihrem kurzen Kordelröckchen, dem damit dürftig bekleideten Unterleib und den vom Knie bis zum Knöchel nackten Beinen als Tempeltänzerin oder Sonnenpriesterin in einem Fruchtbarkeitskult zuzuordnen. Tanzten die Sonnenmädchen im Rausch, stimulierten sie sich durch alkoholische Getränke ? War ihr Trancezustand Teil der bronzezeitlichen rituelle Zeremonien der sonnen-religiösen Rituale ? „Eine berauschte Person transzendiert die Grenze zwischen dem Alltag und der übernatürlichen Welt. Bekanntlich ist Alkohol nicht der einzige Weg, seinen Bewusstseinszustand zu verändern -, durch Tanz, Musik und dem bewussten Verzicht auf Nahrung, Flüssigkeit und Schlaf kann ein solcher Zustand ebenfalls herbeigeführt werden.“ Die wissenschaftlichen Untersuchungen wiesen bei dem alkoholischen Getränk im Egtved-Grab Pollen von 55 verschiedenen Pflanzen nach, die dem Getränk beigemischt waren. Wie oft wird sie solche Getränke zur „Stärkung“ zu sich genommen haben ? Darin werden Wirkstoffe gewesen sein, die sich für einen öfteren Genuss nicht geeignet haben. Sie könnten - zusammen mit den Reiseüberanstrengungen - sehr wohl die Ursache für ihren frühen Tod gewesen sein !
Im Jahre 1999 besuchte die professionelle Tänzerin Frau Anni Brøgger das dänische Nationalmuseum und ließ sich vom Kostüm des Egtved-Mädchens inspirieren. Sie meinte, dass der zweimal um die Hüfte gewickelte Kordelrock und die eindrucksvolle, prächtig verzierte Gürtelscheibe mit ihren eingravierten Spiralen sehr gut für einen weiblich betonten Tanz geeignet sei. Ich folge dem diesbezüglichen Netzeintrag: „Für eine experimentelle archäologische Studie erprobte sie, bekleidet mit den originalgetreu nachgearbeiteten Kleidungsstücken des Egtved-Mädchens, Funktion und Wirkung der Bronzescheibe, die den Mittelpunkt, das Hauptaugenmerk ihres Kostüms bildete. Sie konnte nur einen bestimmten Sinn, eine ganz besondere Bedeutung haben: das Licht der Sonne einzufangen und ihrer Symbolik gerecht zu werden. Ihr Anblick muss atemberaubend und sehr eindrucksvoll gewesen sein, als sie begann, unter freiem Himmel im Sonnenschein zu tanzen. Mit kreisförmigen Bewegungen ihres geschmückten Bauches fing Anni das Sonnenlicht ein, so dass aus der Sicht der Zuschauer die Spiralen scheinbar zum Leben erwachten und sich im Lauf der Sonne über die Scheibe schlängelten. Durch weitere Bewegungen des Bauches, dem horizontalen Kippen ihrer Hüften oder dem Zeichnen einer liegenden 8, reflektierten die Sonnenstrahlen auf der Scheibe und hüpften auf ihrem blank polierten Rand hin und her. So entstand ein getreues Ebenbild der Sonne und ihrem Lauf und der Betrachter war für einen Augenblick völlig geblendet. Anni Brøggers experimenteller Tanz hat bewiesen, dass es in der Bronzezeit - neben anderen kulturellen Tänzen - auch eine Art Bauchtanz gab, der im Rahmen von kultischen Fruchtbarkeitsfesten eine tiefe mythologische Bedeutung hatte. Das Mädchen von Egtved war zu Lebzeiten in der Lage, das Licht der Sonne, ihre Wärme, ja, ihre fruchtbare Energie physisch und metaphorisch auf die Erde zu ziehen.“
Anni Brøggers Tanz - Wie das bronzezeitliche Schwarzwald-Mädchen Solveigh von Egtved ihren rituellen Tanz vorgeführt haben könnte:
https://www.youtube.com/watch?v=qY6Lz7RdAMY