Copyright Ⓒ Gerhard Hess / 1997
Leitwort:
„Ekki mun ek ganga af trú Þeiri"
„Niemals werde ich den alten Glauben aufgeben“,
entgegnete die schwedische Königin Sigrid im Jahre 998 dem Usurpator und
Heidenverfolger Olaf Tryggvason.
Heidenverfolger Olaf Tryggvason.
Titelabbildung: Frühgermanisches Felsritzbild von Kalleby/Bohuslän/Schweden. Zeitstellung: ca. 1.500 v. 0 Wahrscheinlich handelt es sich dabei um die Darstellung des durch die beiden Sonnenwenden und beiden Sonnengleichen viergeteilten Jahresrades. Der Fußsohlenabdruck meint den göttlichen Jahrgang durch die Zeit. Ebenso ist es denkbar, dass das Bild nur das von drei Göttern (oder Kultdarstellern) hochgehaltene Sonnenrad meint.
Nur drei Jahresquadranten sind Gestalten zugeordnet, welche wohl die drei Hochkultopferfeste versinnbildlichen, mit der dazugehörenden Göttertriade. Ihre Platzierung stimmt im Wesentlichen mit dem Jahresverständnis der ODING-Runen-Kalenderordnung überein:
Gestalt links unten = Julfest, Anfang/Mitte Januar
Gestalt links = Siegfest, nach Frühlingsgleiche
Gestalt rechts unten = Asa-Ahnenfest, Spätherbst
Feste und Feiern
im ODiNG-Jahreskreis
Das menschliche Bedürfnis nach Wechsel zwischen Arbeit und Feier reicht sicherlich bis in die vorgeschichtliche Zeit zurück. Eindeutige Felsritzbilder aus der Bronzezeit Südskandinaviens (1600-800 v.0) zeigen schon Feierlichkeiten, Prozessionen und Kultspiele, die uns an noch heute vertraute Motive erinnern. Die vielgesichtige Lebendigkeit des nordischen Jahres mit seinen ständigen klimatischen Umschwüngen und wandelnden Natureindrücken lieferte zweifelsfrei die Hauptveranlassungen dafür, einen nicht endenden Fest- und Feierreigen zu entwickeln. Wie einförmig erscheint dagegen der Jahresfluß in südlicheren Regionen.
Im Urbeginn des Jahresfestkreises stand eine Naturachtung und -verehrung, die im Zuge des allgemeinmenschlichen Entwicklungsprozesses immer mehr heranreiften zu einer Erkenntnis- und Verbindungssuche nach jenen numinosen Kraftmächten, welche die geschauten Naturschauspiele letztlich verursachen. Der ODiNG-Jahressymbolismus mit seinen 24 Mond-Festzeiten ist ein tiefsinniger Spiegel des altgermanischen Mythenjahres. Man könnte ihn als das naturreligiöse Grundschema der runischen Hochreligion bezeichnen. Zwar bedeuten 24 Jahresfeste nicht unbedingt auch 24 Feiern, denn der Begriff der „Festzeit“ meint lediglich eine Festmarke im Sonnenjahreslauf, also einen Erinnerungskerbschnitt, welcher eine ganz bestimmte Jahresstation markieren soll. Doch kannte der nordische Jahresfestring tatsächlich eine solche Fülle von wirklichen Feieranlässen, dass 24 Runen nicht ausgereicht hätten, sie alle zu bezeichnen. Noch heute weiß jedes Buch über deutsche Jahresbrauchtümer davon ein Lied zu singen. Ausnahmslos alle Fachleute - auch die christlichen - bestätigen das reichentwickelte religiöse Kult- und Gemeindeleben in vorchristlicher Ära. Kaum eines der noch jetzt üblichen Feste wurde als völlige Neuentwicklung der Christenkirche geschaffen, vielmehr lässt sich in der Regel ohne Anstrengung ihr altgläubiger Kern herausschälen. Zur Massenhaftigkeit noch heutiger Brauchtumsfeste in Deutschland hat also zu allererst der engbesetzte altdeutsch-heimatreligiöse Kultkalender beigetragen, auch die Vermischung mit verschiedenartigsten Kultkreisen und insbesondere die mehrfach verschobenen Jahreseinteilungen und -anfänge. Durch solche verwirrenden Verschiebungen ist es zu erklären, dass wir gleiche Bräuche zu verschiedenen Festzeiten wiederfinden.
Die Menge der jahreszeitlich gebundenen Sippen-, Gemeinde-, Stammes- und Gaufeierlichkeiten widersprechen andererseits nicht der Gegebenheit, dass das kosmische Sonnenjahr eigentlich nur vier Festpunkte aufweist, nämlich die beiden Sonnenwenden (21. Dez. u. 21. Juni) und die beiden Sonnenstandsgleichen (21. März u. 23. Sept.) Weil diese vier Sonnenstände zwar messbar und berechenbar, aber nicht erlebbar sind, spielten sie im alten Brauchtum keine hervorgehobene Rolle, vielmehr feierte man diese Jahresumschwünge auf den festgesetzten Mondständen danach, also erst zu den Zeiten, in denen die Auswirkungen des sich ändernden Sonnenganges deutlich sichtbar wurden.
Doch die germanische Auffassung von der Dreiteilung des Jahres, der vielfach belegten Göttertriade und die allgemein kultisch-religiöse Hochschätzung der Dreizahl, die sich auch im ODiNG-Lehrsystem überzeugend wiederfindet, legt die Vermutung nahe, daß lediglich drei Haupt-Kultopfer gefeiert wurden. Diese Annahme wird bestätigt durch hochmittelalterliche Berichte über heidnische Festbräuche Skandinaviens (Snorris „Heimskringla“, 13. Jh.) sowie die noch heutige Einteilung der drei Festkreise: Weihnachten, Ostern, herbstliches Totengedenken. Die drei großen einstigen Kultfeiern der Volksgesamtheit lagen nach genannten Schriftzeugnissen sowie ODiNG-Zeitweiser (ursprünglich mondstandsabhängig): etwa Mitte Januar Jolablót, Mitte April Sigrblót und Mitte Oktober Ásablót.
Das Jahr beginnt im groben Überblick mit der Julspanne: Klausenlaufen, Klöpflesnächte, Mütternacht/ Weihnachten, Drei(himmels)königsfest/Perchtennacht und Hakunacht/Hochjul/Mittwinter. (Der Sonnengang wird wieder sichtbar; 20. Jan. = „Fabian, der Saft tut in die Bäume gahn“.) Dann währt die Frühlings- /Frühsommerspanne: Lichtmeß/Frauenfest, Winteraustreiben, Fasnacht /Schemenlauf, Funkensonntag, Arilpossen, Palm-/Weidensonntag, Sommertagsfest, Osterfeuer, Walpurgisnacht, Laubmännchentag, Maibaumtanz, Brunnenschmückungen, Questenfest. Es folgen die Somme - und Herbstfeste: Balder(Johannis-)feuer, Notfeuerdrehung, Hagelprozessionen, Erntefest, Erntedank/Hahnenschlagen, Kirmes/Kerwe, Lichtgansessen /Martinstag/Sommerende, Schlachtfeste, Nikolaus-/Pelsnickel/ Isegrindnacht. Aus dem vorhandenen Brauchtumsmaterial - unter Zuhilfenahme der ODiNG-Ordnung - ist eine Wiederherstellung des urdeutschen Festkalenders sehr gut möglich.
DER GERMANISCHE FESTKREIS
Die älteste und ergiebigste Quelle zum germanischen Festjahr ist der ODiNG-Runenring, dem als Formprinzip eben diese Kultfeierfolge zugrunde liegt. Er vermittelt 24 Runencharaktere, die die Merkmale des nordischen Jahresmythos widerspiegeln, vier davon stehen für die traditionellen Hauptfestkreise. Die alte Jahresorganisation entsprach dem gebundenen Mond-Sonnenjahr, mit schwankenden Neu- und Vollmondfesten. Begannen die Feierzeiten vom Idealfesttermin auffällig abzuweichen, wurde zur Regulation ein 13-Monatsjahr eingeschaltet - wie es der Geschichtsschreiber der Angelsachsen, Beda Venerabilis, von seinen deutsch-dänischen Vorfahren beschrieben hat.
Zur grundsätzlichen Frage, wie das germanische Jahr organisiert war und wie die Forderung nach gleichliegenden Festzeiten erfüllt wurde, überlasse ich Prof. Willy Hartner das Wort, dessen diesbezügliche Ergebnisse mit meinen eigenen Erkenntnissen deckungsgleich sind (S. 86f): „Die Antwort geben uns die Kalender der Antike, wie sie mit wenigen Ausnahmen fast bei allen Völkern im Gebrauch waren: Das Sonnenjahr, festgelegt durch die jährlichen Erscheinungen bestimmter Fixsterne, bildet das Gerüst und liefert die ungefähren Termine; den genauen Tag aber bestimmt man mit Hilfe der Neu- und Vollmonde, die diesen Terminen benachbart sind. ... Die Germanen machten hiervon keine Ausnahme. So berichtet Tacitus (Germ. 11) über ihre Versammlungen: ,Man versammelt sich, wenn nicht ein zufälliges und plötzliches Ereignis eintritt, an bestimmten Tagen, bei Neumond oder Vollmond; dies sei, glauben sie, für Unternehmungen der gedeihlichste Anfang. Sie rechnen nicht nach Tagen wie wir, sondern nach Nächten. So setzen sie die Fristen fest, so bestimmen sie die Zeit: die Nacht geht nach ihrer Auffassung dem Tage voran.‘ Dasselbe - die Verlegung auf Neu- und Vollmond - gilt natürlich auch für die Feste. Und wenn es dazu noch heißt, dass sie nicht nach Tagen, sondern nach Nächten zählen und daß ,die Nacht den Tag nach sich zieht‘, so ist das ein untrügliches Zeichen dafür, daß es sich um einen lunisolaren Kalender analog den übrigen im Altertum gebrauchten handelt, denn beginnt man den Mondmonat mit der Beobachtung des Neulichts des jungen Mondes nach Sonnenuntergang, so ergibt sich diese Rechnungsweise als eine Notwendigkeit. Dass in späterer Zeit, wohl veranlasst durch die komplizierteren Beobachtungsverhältnisse in nördlichen Breiten, andere Wege begangen wurden, kann nicht als Gegenargument angeführt werden.“
Vier markante Festdaten bietet das Naturjahr: die beiden Wenden und die beiden Gleichen. In den hochmittelalterlichen Schriften Skandinaviens ist zwar mehrmals von drei Jahresopferterminen die Rede, das will aber nicht besagen, es habe nicht mehr Feste als diese drei Hochopfer im Jahreslauf gegeben. Aus diesen späten unvollkommenen nordeuropäischen Berichten sind andeutungsweise weitere Feste bzw. Jahreszusammenkünfte zu entnehmen. Nicht übersehen werden darf: Es handelt sich dabei um Angaben, welche über tausend Jahre jünger sind als die urgermanische ODiNG-Konzeption. Manche altreligiösen Schwerpunkte, wie die Verehrung der beiden Gottesbrüder (Alkes/Dioskuren), die in germanischer Frühzeit sehr wichtig war, spielten in spätheidnisch-hochmittelalterlicher Epoche keine Rolle mehr. Neben den großen Volksopfern gab es eine Vielzahl kleinerer Gemeindeopfer. Eindringlich hervorzuheben ist, dass nicht die von Christen überlieferte Saga-Literatur, sondern der gemeingermanische ODiNG-Kanon die einzigartige Primärquelle darstellt ! Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch der noch heute lebendige Brauchtumskalender der germanischen Länder, welcher eine breite Vielzahl von Feieranlässen ausweist, die unverkennbar auf vorchristliche Motive zurückgehen. Darunter befinden sich die vier Hauptfestzeiten: 1. Weihnachten/Jul, 2. Ostern/Maifeiern, 3. Sonnwende/Mittsommer, 4. Herbstfest/Totengedenken.
Die knappeste Aussage in altnord. Literatur gibt „Odins Gesetzgebung“ (lagasetning Óðins) in der Ynglinga saga, Kap. 8, wo es heißt: „Þá skyldi blóta i móti verti til árs, en at miðjum vetri blóta til gróðrar, it driðja at sumri; Þat var sigrblót“; d.h.: „Es war Pflicht zu opfern auf die Winterzeit hin für ein gutes Jahr und im Mittwinter für Frühlingswachstum, das dritte Opfer, zum Sommer hin, war das Siegopfer.“
Die drei Hochopferfeste (blótveisla) bzw. vier Hauptfeiern des germanischen Jahres sind aus dem ODiNG-Jahreszeitweiser klar herauslesbar. Zur ehemaligen Datierung schreibt Prof. W. Hartner in „Die Goldhörner von Gallehus“, S. 58: „Die drei blót-Termine waren in heidnischer Zeit sicherlich nicht auf den Tag genau nach dem Sonnenkalender fixiert; sie lagen jeweils etwa drei Wochen nach den Äquinoktien [Gleichen] und dem Wintersolstiz [Wintersonnwende].“ Auf den späteren Kalenderrunenstäben, die nach römisch/julianischem Kalender ausgerichtet sind, fällt vetradagr/vetrarnótt (1. Wintertag/-nacht) auf den 14. Oktober, der Tag des heidnischen Julfestes (jólabóð/jólablót) bzw. die midsvetrarnótt (Mittwinternacht) auf den 14. Januar und sumardagr-sigrblót (1. Sommertag) auf den 14. April. Der vierte Jahreshaupttermin war der miðsumardagr (Mittsommertag) zum 15. Juli. In altgermanischer Zeit hatten aber diese Kalenderangaben keine Gültigkeit, sondern das luni-solare Jahresschema: Die genauen Festzeiten wurden von nichts anderem bestimmt als von den Mondphasen, wie es Tacitus (Germ.11) beschrieben hat. Legt man probeweise das ideale urgermanische Mond-Sonnenjahr des Runen-ODiNG als Arbeitsmodell zugrunde, dann stehen folgende Runen auf den o.a. Jahresfestzeiten:
vetrarnattáblót = Asen-Rune im Neumond = 12. Okt.;
jólablót-midsvetrarnótt = Ingvi-Freyr-Rune imNeumond = 19. Jan.;
sigrblót-sumardargr = Sonnen-Rune, sog. Siegrune im Neumond = 18. April;
miðsumardagr = Not(wende-)/Nutzen-Rune im Neumond = 16. Juli.
Die Festzeiten liegen - in Anbetracht dessen, dass die Mondphasen etwa drei Tage umfassen - fast deckungsgleich. Der Winterbeginn weist eine zweitägige, der Julfestbeginn eine fünftägige, der Sommerbeginn eine viertägige und das Mittsommerfest eine unbedeutende Differenz zwischen altgermanischem Runen-Zeitweiser und hochmittelalterlichem julianischem Kalender auf. Man darf bei diesen Betrachtungen den Umstand keinen Moment aus den Augen verlieren, dass im ursprünglichen Mond-Sonnenjahr die Mondfeste ± 14 Tage um den Idealzeitpunkt herumpendelten. Die alten Mondfeste können also innerhalb eines Zeitrahmens von ca. vier Wochen im julianisch-gregorianischen Kalender ihre Brauchtumserinnerungen niedergeschlagen haben.
Auffällig ist die Lage aller vier Hauptopferfeste auf Schwarzmondständen. So unverständlich dieser Umstand für oberflächliche Betrachter auch sein mag, bestätigt er doch nur die Information über germanisches Denken. Wenn die Nacht dem Tage vorausgeht, steht die Schwarzmondnacht auch der Mondlichtfülle voran, dann muss der Mondmonat mit dem Neumond beginnen; dann ist allein aus dem Neumond-Opfer das neue Werden und überhaupt jegliches mythische Wachstum zu erhoffen.
Die Frage, welcher Art die Feste waren, die auf diesen drei oder vier Zeiträumen lagen, beantwortet uns in gegenseitiger Bestätigung der altgermanische ODiNG-Kalenderrunenkreis sowie die altnordische Literatur. Der Isländer Snorri Sturluson (1178-1241), Autor der meisten im folgenden zitierten Berichte, schrieb aus Sicht des christlichen Gelehrten, dem nichts weniger im Sinn lag, als der Nachwelt eine faire Beschreibung des längst vergangenen Heidentums zu hinterlassen. Zwar schimmert an keiner einzigen Stelle seiner Hinterlassenschaften eine wohlwollende Betrachtung des Altglaubens durch; doch für die Zeit, in der er lebte, ist es schon bemerkenswert, dass er aus eindeutig christlicher Position, aber doch sachlich nüchtern, ohne antiheidnischen Pathos schrieb. In seiner „Heimskringla“, die als historische Lobrede auf die christlichen Bekehrerkönige angelegt ist, finden sich ganz vereinzelt einige mehr zufällige Hinweise auf altreligiöse Gegebenheiten.
In Snorris Óláfs saga helga, Kap. 109, steht: „In ganz Inner-Drontheim ist fast das ganze Volk heidnisch in seinem Glauben, wenn auch einige Männer dort getauft sind. Nun ist es ihr alter Brauch, im Herbst ein Opferfest zu begehen, um den Winter zu begrüßen [fagna þá vetri], ein zweites im Mittwinter [miðjum vetri] und ein drittes zum Sommer [at sumri], um den Sommer zu begrüßen [fagna Þeir sumri]. So ist es Brauch bei den Bewohnern der Inseln wie bei denen von Sparbuen, von Verdalen und von Skogn. Dort sind zwölf Männer, die es auf sich nehmen, die Opferfeste [blótveizlurnar] zu leiten, und jetzt im Frühjahre ist Ölvir daran, das Fest zu geben.“ Darüber, wie diese heidnischen Feste auch nach der Christianisierung fortgeführt wurden - wie exemplarisch das alte Siegopfer als Osterfest weitergefeiert wurde -, hören wir in Kap. 117, über einen norwegischen Großbauern namens Sigurd Thorison: „Solange das Heidentum herrschte, war er gewohnt, jedes Jahr drei Opferfeste [þrjú blót] zu veranstalten, eins zu Wintersanfang [at vetrnóttum], ein anderes zum Mittwinter [miðjum vetri], ein drittes gegen den Beginn des Sommers [þriðja at sumri]. Und als er Christ wurde, behielt er dieselbe Gewohnheit in der Veranstaltung der Feste bei. Im Herbst [haustit] lud er immer eine Menge Freunde [vinabóð] ein, und im Winter bat er zum Julfest [jólabóð], da lud er wieder viele Leute zu sich. Ein drittes Fest hielt er zu Ostern [páska] ab, und auch da bat er wieder eine Menge Menschen zu sich. Und an dieser Gewohnheit hielt er sein ganzes Leben fest. ... Asbjörn trat die Erbschaft seines Vaters an. Auch er hielt an der alten Gewohnheit fest und veranstaltete drei Feste jedes Jahr, genau wie sein Vater es getan hatte.“
DAS WINTERANFANGSOPFER
Über das Winteranfangsopfer (vetrarnattáblót) steht in Snorris Ynglinga saga, Kap. 8: „þá skyldi blóta i móti vetri til árs“, d.h. „Es war Pflicht zu opfern gegen die Winterzeit für ein gutes Jahr.“ Der ODING-Zeitkreis markiert den theologisch-rituellen Hintergrund des Winteranfangsfestes durch die Asenrune a, die für den Geist- und Seelengott Wodan/Odin steht. In Hakonar saga góða (Hakon der Gute, 918-960) Kap.17, wird berichtet: „Im Herbst nahe dem Winter fand ein Opferfest [blótveizla] in Lade statt und der König begab sich zu diesem. ... Der König setzte sich auch wirklich auf seinen Hochsitz. Als aber der erste Becher geschenkt wurde, da sprach Jarl Sigurd über ihm. Er segnete den Becher für Odin und leerte dann, dem König zutrinkend das Horn. ... Am nächsten Tage, als man zur Tafel ging, drangen die Bauern heftig in den König und verlangten, er solle das Rossfleisch essen. Das wollte der König aber durchaus nicht. Dann forderten sie ihn auf, die Rossbrühe zu trinken. Aber auch das lehnte er ab. Endlich wollten sie, dass er von dem Rossfett äße, doch er weigerte sich wieder. Da wurden die Bauern beinahe handgreiflich gegen ihn.“ Das erste Weihehorn wurde für den Asen Wodan/Odin getrunken. Weil der (christlich empfindende) König als eigentlich höchste heidnische Heilsinstanz das Kultmahl ablehnte, fürchteten die bestürzten Landleute ein heilloses Winterjahr.
Eine weitere Bestätigung erhalten wir aus Óláfs saga helga (Olaf der Hl., 995-1030), Kap. 107, wo es von den Drontheimern heißt, „dass die Bauern dort vielbesuchte Feste zu Wintersanfang [at vetrnóttum] abhielten und dass es dort große Gelage gäbe. Dem König wurde erzählt, dass alle Becher dort nach altem Brauch den Asen geweiht [signuð Ásum] wurden. Auch wurde ihm weiter erzählt, dass man Rinder dort schlachtete und sogar Pferde, und dass man die Altäre mit ihrem Blut besprenge. Blutopfer hätten stattgefunden, und das sei als Grund angegeben, sie sollten einer besseren Ernte dienen.“
Die Ynglinga saga berichtet in Kap. 15: „Da brachten die Schweden ein reiches Blutopfer in Upsala. Im Herbst opferten sie Ochsen, aber der Ertrag des Jahres besserte sich nicht. Im zweiten Herbst brachten sie Menschenopfer, doch der Ertrag des Jahres war wieder der gleiche oder noch schlechter. Aber im dritten Herbst kamen die Schweden in großer Menge nach Upsala, wo die Blutopfer stattfinden sollten. Da hatten die Häuptlinge eine Beratung untereinander, und sie waren darin einig, dass an diesem bösen Jahr ihr König Domaldi die Schuld trüge. Sie meinten alle, man müsse ihn opfern, um ein gutes Jahr zu erlangen, man sollte ihn ergreifen und töten und den Opferaltar mit seinem Blute besprengen. Und dies taten sie auch.“ Ebenfalls in den Rahmen des Winteranfangsfestes dürften die Geschehnisse fallen, die in Ynglinga saga, Kap. 43, dargestellt sind: „Es gab daselbst ein böses Missjahr und Hungersnot. Das schoben sie auf ihren König, denn die Schweden pflegten gute und schlechte Jahre ihren Königen zur Last zu legen. König Olaf gab sich nur wenig mit Blutopfern ab. Das missfiel den Schweden, und sie glaubten, daher rühre das schlechte Jahr. Daher sammelten die Schweden ein Heer, unternahmen einen Zug gegen König Olaf, umringten sein Haus und verbrannten ihn darin. Dann weihten sie ihn Odin, indem sie ihn dem Gotte für ein gedeihliches Jahr opferten. Das geschah am Vänersee.“ Aus dem Gesagten geht hervor, dass zum Winteranfangsfest in Notzeiten auch Menschen-Bittopfer für den Asen Wodan/Odin geweiht werden konnten.
Weitere recht ergiebige Zeilen zum Winteranfangsfest lieferte Snorri in Ferð sigvats skálds, dem Kap. 91 von Óláfs saga helga. Snorri bringt darin die schnurrigen Strophen des isländischen Skalden Sigvat (Rompilger), der im Auftrage des Norwegerkönigs Hl. Olaf wohl im Jahre 1017 eine Amtsreise nach Schweden unternahm. Die Strophen des Reimeschmieds nennt man Ostfahrtweisen (Austrfararvisur). Anfang des Winters (öndurðan vetr) zieht er mit zwei Begleitern los und erreicht im Waldgebiet Westergötlands eine Ansiedlung, die er hof nennt. Da „Hof“ aber im Altnordischen „Heiligtum“ bedeutet, muss man sich fragen, ob er einen heidnischen Tempel meint oder sich nur einen Scherz erlaubt. Auch an anderen Sagastellen erscheint einige Male der Begriff „Hof“, ohne dass daraus hervorgeht, wie das zu verstehen sei. Jedenfalls dichtete Sigvat in 5. Strophe, die Einheimischen hätten die Pforten verschlossen gehalten, seiner abgespannten Reisegruppe keinen Einlass für ein Nachtlager gewährt und unter Beschimpfungen davongejagt. Er legte einer der abweisenden Frauen folgende Worte in den Mund: „Gakkattu inn, armi drengr, en lengra, Hæðumk ek við Óðins, erum heiðnir ver, reiði.“ - das heißt: „Bleib‘ draußen, geh‘ weiter, elender Bursche, ich fürchte Odins Zorn aufzureizen, denn ich bin Heidin“, sie sagte: „Ein Albenopfer [alfablót] ist jetzt angesetzt“, erklärt Sigvat ergänzend. Weitere drei Männer, bei denen die Reisenden anklopfen, sind nicht einladender. Sigvat nennt sie „Ölvir“, was wohl verächtlich Kultbierbrauer bedeutet. Der „Ölvir“ war anscheinend der Bräuer und Hüter des Opferbieres. Dieser Eigenname taucht in altnordischen Literatur noch mehrmals auf, ohne dass eine eindeutige Erklärung möglich würde. Auch der bekanntermaßen freundlichste Mann der Region ließ den christlichen Amtsträger nicht hinein. Er jammert in 9. Strophe: „Kein Heide nahm mich auf zur Übernachtung ... Fort mit euch, hatte man uns des abends viermal zugeschrien.“ Durch das Gedicht Austrfararvisur erfahren wir, dass die Winteranfangsfeier ein Albenopfer war, sich also an die Seelengeister richtete. Diese Information harmoniert mit jenen der Asenheiligung anderer literarischer Erklärungen zum Winteranfangsfest und mit der Asenrune a des ODiNG-Runenfestkreises. Dass der Seelengott Wodan/Odin als Führer der Alben-Geistwesen sowie der Asen-Ahnenseelen gegolten hat, muss nicht sonderlich hervorgehoben werden. Alben/Alfen, vom ursprünglichen Wortsinne her die Weißen, Glänzenden, die geglaubten „lichten Nebelgestalten“, sind die Seelen verehrter Verstorbener - Schwarzalben hingegen die dämonischen gefährlichen Geister böser Dahingegangener. In einem isländischen Märchen hat man das Elfen-/Alfenvolk als die „unsichtbaren Kinder“ des ersten Menschenpaares beschrieben. Alben und Asen werden in altnord. und altengl. Quellen oft in einem Atemzuge genannt, man verstand darunter verwandte Kraftmächte. Im Angelsächsischen sprach man von „ese and ylfe“ und ebenso in den eddischen Liedern (Grimnismál 4, „ásom oc álfom“; Þrymsqviða 7, „ásom með álfom“; Locasenna 2, „ása oc álfa“). Was unter Asen zu verstehen ist, sagt uns Jordanus in „Geschichte der Goten“: „Die Goten nannten ihre Vorfahren, durch deren Glück sie gleichsam siegten, nicht einfache Menschen, sondern Halbgötter, das bedeutet Ansis.“ Dass Asen und Ansis identisch sind, ist wissenschaftlich unumstritten. Unter den Asen verstanden unsere Vorfahren ihre angebeteten Helden-Ahnen, Ahnen-Schutzgeister. In der Nornagest saga, Kap. 6, Strophe 4: „Künd mir das Hnikar [Odin], Du kennst alle Vorzeichen für Asen und Irdische.“ Die Asen werden als Jenseitige den Irdisch-Leiblichen gegenübergestellt, um so die Gesamtheit der Weltwesen zu bezeichnen. Das Winternachtsfest, vetrarnattáblót, ist unter Einwirkung dieser Zusammenschau als Asen-Alben-Opfer, ása-alfablót, zu begreifen.
Ganz im Sinne unseres Verständnisses vom Winterfest lautet eine Passage in „Die Geschichte von den Seekriegern auf Jomsburg“ (Th. Bd.19 S.417f): „Bald darauf erfuhr man die Nachricht aus Dänemark, dass der Jarl Stutz-Harald, Sigvaldis und Thorkels Vater, gestorben war, ihr Bruder Hemning aber war noch jung. Nun schickte König Svend Botschaft an Sigvaldi, sie sollten nach Dänemark kommen, um das Erbmahl für ihren Vater zu feiern. Sie sandten die Antwort, der König möge das Gelage ausrichten lassen und ihr Gut nicht sparen, sie aber sagten zu, sie würden zur Zeit des Winteranfangs dazu erscheinen.“ Zum Begriff des Erbmahles klärt die Ynglinga saga, Kap. 36, auf: „Es war in jener Zeit Sitte, dass wenn ein Erbmahl stattfinden sollte für Könige oder Jarle, der, welcher es veranstaltete und die Erbschaft antreten sollte, auf einem Schemel vor dem Hochsitz saß, bis der Becher hereingebracht war, den man Bragibecher nannte. Er sollte dann aufstehen, den Bragibecher entgegennehmen und ein strenges Gelübde ablegen, dann den Becher leeren. Dann sollte man ihn auf den Hochsitz geleiten, der seinem Vater gehört hatte. Nun erst war er voller Besitzer des ganzen Erbes seines Vaters geworden.“ Vom gleichen, schon erwähnten Erbmahl zur Zeit des alten Winteranfangsfestes, welches der Dänenkönig Svend Gabelbart im Herbst 986 für seinen gefallenen Vater Harald Gormson ausrichtete, erzählt die Óláf saga Tryggvasonar, Kap. 35: „König Svend veranstaltete ein prächtiges Gelage, wozu er alle Großen des Reiches einlud, denn er wollte die Totenfeier für seinen Vater Harald abhalten. ... Am ersten Tage des Gelages, bevor König Svend den Hochsitz seines Vaters bestieg, trank er auf dessen Gedächtnis, und er tat ein feierliches Gelübde, ehe drei Winter vergangen wären, wolle er mit seinem Heere nach England kommen und den König Äthelred töten oder ihn aus dem Lande verjagen. Diesen Erinnerungsbecher mussten alle mit ihm leeren, die auf dem Erbmahl waren. ... Als jener Gedächtnishumpen getrunken war, sollte jedermann den Christusbecher (Krists minni) trinken ... Der dritte Humpen galt St. Michaels Gedächtnis (Mikjáls minni).“ Der „Führer der Engelscharen, Erzengel Michael,“ nahm bekundetermaßen nach der Christianisierung die Stelle des Seelengeleitgottes Wodan/Odin ein.
Bevor König Harald Gormson durch politischen und militärischen Druck des deutschen Kaisers Otto II. (973-983) zum Christianismus überwechseln musste, hatte er seiner Neigung folgend in Norwegen die volksgläubigen Asen-Tempel und -Opfer (hofum ok blótum) wiederherstellen lassen, so bekundet die Óláf saga Tryggvasonar, Kap. 16. Nur ca. 15 Jahre später, während seiner Totenfeier, wurde am dänischen Hofe schon nicht mehr die göttliche Asenkraft (ásmegin) verehrt und die Asenminne (Ása minni), sondern die „Michaelsminne“ getrunken.
Das Erbmahl war eine Art Vertragsritus, bei dem der Erbnehmer im religiös-symbolischen Sinne aus der Hand des verstorbenen Erblassers die Bestätigung zur Übernahme aller Rechte erhielt. Verbunden war dieser Rechtsakt mit einem Gelöbnis des Erben, durch das er sich als würdiger Empfänger auszuweisen hatte. Solch ein Rechtshandel zwischen Toten und Lebenden gehörte dem altgläubigen Denken gemäß ganz fraglos in die Winteranfangsfeierlichkeiten des vetrarnattáblót bzw. ása-afablót.
Die Egil saga, Kap. 1, enthält über das Fest in Gaular, nördlich des Sognefjordes, nur den Satz: „Einmal im Herbste waren in Gaular eine Menge Menschen zum Herbstopfer versammelt. Da sah Ölvir Hnufa die Solveig, und es ergriff ihn Liebe zu ihr.“ Und die Gisla saga Kap. 15 (Die Geschichte von Gisli dem Geächteten, Th. Bd. 8), zeigt, dass der Einzelne bei den privaten Opferfesten seinem Lieblingsgott - hier dem Sonnen-/Fruchtbarkeits-/Friedensgott Frey - in besonderer Weise huldigen konnte: „Thorgrim wollte zum Wintersanfang ein Gastmahl geben, den Winter begrüßen und dem Frey ein Opfer bringen. ... Auch Gisli rüstete ein Gelage ... Auf beiden Höfen sollte ein großes Trinken stattfinden. Auf Seehof war der Estrich mit Binsen vom Teich bestreut. Als nun Thorgrim und seine Leute beim Vorbereiten waren und den Saal (mit Teppichen) behängen wollten...“ Aus dem Gesagten ist zu entnehmen, wie liebevoll und aufwendig die Festvorbereitungen durchgeführt wurden.
Um den gleichen Festzeitraum müsste es sich beim herbstlichen Disenopfer handeln, denn auch die weiblichen Schutzmächte, die Feen, gehören in die Rubrik jenseitiger Geistmächte, ebenso wie Asen und Alben. Die Saga von Glum, Kap. 6, führt aus: „Es wurde ein Schmaus gerüstet zu Wintersanfang und ein Disenopfer abgehalten, und alle sollten an der Opferfeier teilnehmen.“ Die Egil saga, Kap. 44, trägt bei: „Es sollte ein Disenopfer [disablót] stattfinden. Das Gastmahl war gut und reichlicher Trank in der Stube. ... Der König empfing Ölvir freundlich und bat ihn, sich ihm gegenüber auf dem Hochsitz niederzulassen, ... Jetzt wurde das Bier zum Trinken gebracht. Viele Erinnerungsbecher für Verstorbene kreisten, und bei jedem Gedächtnistrunk sollte ein Horn geleert werden. Und während so der Abend herging, wurden viele Mannen Ölvirs schwer auf den Füßen. ... Es war dunkle mondlose Nacht [niðamyrkr = Neumonddunkelheit] draußen, da Egil vom Gehöft stürmte.“ Hier haben wir die Bestätigung für die Angabe des ODiNG-Runenfestweisers, dass das Winteranfangsfest, vetrarnattáblót bzw. vetrarnótt-veizla, in den Neumondnächten abgehalten wurde. Es wäre verwunderlich, wenn dieses herbstliche Opferfest für die Jenseitigen nicht auch Niederschlag in den südgermanisch-deutschen Zeugnissen gefunden hätte. Widukind von Corveys Sächsische Geschichte (10. Jh.), Kap. 11/12, berichtet vom Sieg der Sachsen über die Thüringer: „Als nun der Morgen geworden war, brachten sie ihren Adler an das östliche Tor, errichteten einen Siegesaltar und verehrten gemäß der Irrlehre der Väter, unter ihren eigentümlichen Bräuchen ihr Heiligtum, ... Hierauf hielten sie drei Tage hindurch ihr Siegesfest ... Es ist aber alles das, wie die Überlieferung unserer Vorfahren berichtet, am 1. Oktober geschehen, und diese heidnischen Festtage sind durch die Weihe gottesfürchtiger Männer verwandelt in Fasten und Gebete und Opfergaben für alle vor uns dahingegangenen Christen.“ Was der Autor hier anspricht, ist die sog. „Gemeine Woche“, beginnend nach dem auf Michaelis (29. Sept.) folgenden Sonntag, eine auf Norddeutschland bzw. das Missionsgebiet der Sachsen beschränkte Begehungsart des Seelengedächtnisses. Widukinds Kenntnisse über altsächsisch-heidnische Traditionen waren unbedeutend, er wusste nichts von den wahren Festbezügen. Unverkennbar lebte das einstmals im Oktoberneumond, später am 14. Oktober gefeierte Ahnenseelenfest nach der Christianisierung in angegebener Form weiter. Bekanntlich setzte man den „Erzengel Michael“, Führer der Engelscharen (Asen/Alben/Alfen/Disen), als Nachfolgefigur des Wodan/Odin ein. Sein Tag gilt mancherorts als Hexentag, als Totengedenktag; im Norden trank man die „Michaelisminne“.
Dass mit Totengedenkfeiern in vorchristlicher Zeit keineswegs nur traurige, getragene, düstere Brauchtümer verbunden waren, ist bekannt. Eine ganz andere Art des Totengedenkens war üblich. Dazu gehörten Erinnerungsschmäuse, Trinkgelage, Frohsinn, Tänze, Musik und Spiele. Die Eyrbyggja saga, Kap. 43, berichtet: „Das war die Sitte der Breidfirdinger im Herbste, dass sie Ballspiele hielten um den Beginn des Winters unter Oexl südlich Knorr; da heißt es seitdem Tal der Spielhütten [leikskála vellir].“
DAS MITTWINTEROPFER
Zum Mittwinteropfer (jólablót-midsvetrarnótt) heißt es in der Ynglinga saga, Kap. 8: „en at miðjum vetri blóta til gróðrar.“ d.h. „zum Mittwinter wurde geopfert für das Frühlingswachstum.“ In Haralds saga hárfagra, Kap. 15, wird von König Harald Schönhaar (848-931) gesagt: „Úti vill jól drekka, ef skal einn ráða, ... ok Freys leik heyja,“ d.h. „Draußen [auf seinen Schiffen] will er Jul trinken, wenn er sich so berät ... und die Pflicht zu Freys Spiel annehmen.“ Dies ist der Hinweis, der mitteilt, dass die Julfeier mit einem Kultspiel/Ritus des Gottes Frey zusammenging. Bestätigung dafür erhalten wir durch die ODiNG-Festanzeige in Gestalt der Ingo-Frô-/Ingvi-Freyr-Rune zu Mittwinter bzw. Julopferzeit.
Der Norwegerkönig Hakon der Gute (918-960) hatte sich während des Winterbegrüßungsopfers in Lade (s.o.) standhaft geweigert, vom Ross-Kultmahl zu kosten. Beim darauffolgenden Julopfer in Mären konnte er den Unmut seines heidnischen Volkes nicht länger reizen „und schließlich aß König Hakon einige Bissen von der Rossleber [hrosslifr] und trank, ohne das Zeichen des Kreuzes darüber zu machen, alle Erinnerungsbecher [öll minni], die die Bauern ihm schenkten.“ - so steht es in der Hákonar saga góða, Kap. 18.
Und die Óláfs saga helga, Kap. 108 erzählt, „dass die Inner-Drontheimer sich in Massen in Mären zusammengeschart hätten, und dass man dort große Opferfeste im Mittwinter veranstaltet habe. Sie hätten diese Opfer gebracht um Frieden und für ein gutes Winterjahr (vetrarfars góðs/Güte des Winterverlaufs). ... Der König klagte die Bauern an, dass sie ein Mittwinteropferfest [miðsvetrarblót] veranstaltet hätten“. Der Sprecher der Bauern namens Ölvir (Kultbierbrauer) antwortete: „Wir hatten, Einladungen zum Jul-Gastgebot [jólaboð] und Trinkgelage weit und breit in der Gegend. Die Bauern sind nicht gesonnen, sich in ihrer Julfestfreude [jólaveizlu] so [durch die neuen christlichen Gebote] einschränken zu lassen, daß nicht ein Gutteil davon übrig bliebe.“ Durch Denunziation wird Ölvir bald darauf als einer der Hauptorganisatoren heidnischer Kultfestgelage erkannt und im Auftrag des Königs erschlagen.
Erst Hakon der Gute von Norwegen (918-960) bestimmte, dass Jul nicht mehr im Mittwinter, also ca. Mitte Januar, sondern am vermeintlichen Geburtstermin des christlichen „Erlösers“, dem angenommenen Wintersonnwendtag des julianischen Kalenders, gefeiert werden sollte. In Hákonar saga góða, Kap. 13, steht, „dass das Julfest künftig zu derselben Zeit abgehalten werden sollte wie das christliche Weihnachtsfest. Da sollte jeder ein bestimmtes Maß Bier brauen oder sonst Strafe zahlen, und er sollte die Zeit heilig halten, solange das Bier reichte. Früher hatte das Julfeiern [jólahald] aber in der Hökunacht [hökunótt], das ist die Mittwinternacht [midsvetrarnótt], begonnen, und dann wurde Jul drei Tage lang gefeiert.“ Was unter dem Begriff Hökunacht verstanden wurde, ist nur zu ahnen. Das knöchellange altisländische Priestergewand hieß hökull; Ökla ist der Fußknöchel, öklaliður das Fußgelenk, hökunótt wird die tiefe Mittwinternacht, Fußnacht des Jahres meinen, von der das Sonnenjahr seinen Anfang nimmt, auf der es fußt, oder von der aus es hinaufspringt, hinauffährt. Denn ab dem Zeitpunkt des altgerm. Julopfers (etwa Mitte Januar) konnte wieder der neue Jahres-Sonnenaufstieg beobachtet werden. Da nämlich öku- auch fahren bedeutet - ökuvegr ist der Fahrweg, ökufær heißt fahrbereit -, so wäre die hökunótt als die Ausgangsnacht der Sonnenjahresbewegung zu deuten.
In Kap. 16, Hákonar saga góða, „sagten die Bauern, sie wollten, dass der König für sie um ein fruchtbares Jahr und um Frieden opfere, wie dies sein Vater getan hätte.“ In Óláf saga helga, Kap. 141, findet sich eine interessante Stelle: „Als nun Mitt-Jul [mið jól] herangekommen war, gingen Thorar und alle seine Mannen mit ihm zu seinem Schwager, und dort saß er für den Rest des Julfestes beim Gelage.“ Die Julzeit umfasste nach dem Bericht (De temporum ratione, Kap. 13) des Historikers Beda (672-735) bei den Angelsachsen zwei Mondmonate, „1. giuli“ und „2. giuli“; der erste lag vor, der andere nach der Wintersonnenwende, deren Name Mütternacht (modraniht) war. Spätere englische Quellen sprechen von geóli. In alter Zeit hätte Mitt-Jul also Wintersonnwende bedeuten müssen. In hochmittelalterlicher Sagazeit aber wird „Mitt-Jul“ etwa „Silvester“ meinen, denn der Julfeierbeginn wurde von König Hakon dem Guten auf den 24. Dezember gelegt - Julende war und ist noch im Skandinavien 13. Januar, der Knut-Tag. Henry Petersen erkannte aufgrund seiner Forschungen und dem Hinweis aus der Hervarar saga Kap. 12, dass Jul auf Ende Januar oder Anfang Februar fallen konnte. Kaum ein Fachmann folgte ihm damals. Erst unser wiederentdeckter ODiNG-Festrunenkreis erweist die Richtigkeit dieser Vermutung, in gemeingermanischer Zeit vermochten die schwankenden Mondstände sehr wohl das Julfest vom 19. Januar bis in den Februar hineinzuverlegen.
Nicht allein die Egil saga, Kap. 67, berichtet von den üblichen Julgeschenken: „Arinbjörn gab ein großes Julfest. Er lud dazu seine Freunde und die Bauern der Umgegend. Da waren viele Menschen und eine gute Bewirtung. Arinbjörn schenkte Egil als Julgabe ein seidenes Schleppgewand mit goldener Borte, unten bis zum Saum besetzt mit goldenen Knöpfen. Arinbjörn hatte dies Egils Wuchs anpassen lassen. Er schenkte Egil ferner einen vollständigen Anzug, neu angefertigt, zu Weihnachten. Die Gewänder waren buntfarbig nach englischem Schnitt. Arinbjörn gab auch mancherlei Freundesgaben den Männern, die er zum Julfest gebeten hatte: kaum einer war ja so trefflich und freigebig wie er.“
DAS SOMMERBEGRÜSSUNGSOPFER
Das dritte Jahresopfer (sigrblót-sumardagr) hielt man zum Sommeranfang. Die Ynglingasaga, Kap. 8, sagt: „..it þriðja at sumri; þat var sigrblót“, d.h. „das dritte [Jahresopfer] zum Sommer hin war das Siegopfer.“ Snorri scheint in Hákonar saga góða, Kap. 14, ausführlicher vom Siegopferfest zu sprechen: „Es war alter Brauch, daß, wenn ein Blutopfer [blótveizlum] stattfinden sollte, alle Bauern an die Stätte zu kommen hatten, wo das Heiligtum [hof] stand, und sie dort alle Lebensmittel mitbringen mußten, die sie nötig hatten, solange das Fest [veizlu] währte. Und zu diesem Fest sollten außerdem alle Männer Bier [öl] mitbringen. Die Frauen schlachteten dort insgesamt Kleinvieh und besonders Pferde. Alles Blut aber von diesen nannte man Opferblut [hlaut], die Schalen, in denen das Blut stand, hießen Opferschalen [hlautbollar], die Opferwedel [hlautteinar] aber waren nach Art von Sprengwedeln gemacht. Mit diesen sollten die Götteraltäre [stallana öllu = Freundesgestelle /-altäre] allesamt gerötet werden, ferner Wände des Heiligtums innen und außen. Auch auf die Menschen sollte man das Opferblut geben. Das Fleisch aber solle gesotten werden zu frohem Willkommensschmaus der Anwesenden. Feuer waren in der Mitte des Tempelbodens angezündet, und Kessel sollten darüber hängen, um die vollen Becher über das Feuer hinreichen zu können. Der Veranstalter und Leiter des Festes sollte die Becher und die Opferspeisen segnen. Zuerst sollte man den Odinsbecher für den Sieg und die Herrschaft des Königs trinken, und dann die Becher des Njörd und des Frey für fruchtbares Jahr und Frieden. Danach pflegten manche Männer den Bragi-Becher zu trinken. Man trank auch Becher auf seine Verwandten, die schon im Grabe lagen, und diese nannte man die Gedächtnisbecher.“Auch in der Egil saga, Kap. 49, wird vom norwegischen Sommeranfangsopfer die Rede sein: „Im Frühling wurde festgesetzt, dass im Sommer zu Gaular ein großes Opferfest stattfinden sollte. Dort lag der berühmte Haupttempel. Dahin strömte eine große Menschenmenge zusammen. ... Thorolf soll dort opfern und um Heil für sich und seinen Bruder bitten. ... Thorir zog nun mit seinem Gefolge auf das Opferfest, und es gab da ein gewaltiges Menschengewimmel und große Trinkgelage. ... Aber die Männer da drinnen waren ohne Waffen, wegen der Heiligkeit des Festes...“ Thorolf plante sicherlich dieses Opferfest aufzusuchen, um siegreichen Ausgang seiner Feindschaften und angemessenen Vergleichsfrieden mit seinen Gegnern zu erbitten. Kein anderes Opferfest kam dafür in Frage.
Der ODiNG-Festweiser zeigt an, dass die Sommer-Siegfest-Rune auf einer Neumondphase liegt und somit das alte sigrblót eine Feier war, deren Beginn in einer Schwarzmonddunkelheit lag. Prof. Willy Hartner kam aufgrund seiner ikonographischen und astronomischen Untersuchungen in „Goldhörner von Gallehus“, S. 87, zum gleichen Ergebnis: „Das Sigrblot im Jahre 413 war also mit fast völliger Sicherheit auf den Neumondtag festgesetzt.“
Snorri, Autor der Heimskringla, sorgt in Óláf saga helga Kap. 77, für Verwirrung, indem er sich hier gegenüber seinen sonstigen Angaben widerspricht: „In Schweden war es ein alter Bauch, so lange das Land heidnisch war, dass das Hauptblutopfer im Monat Goi [Mitte Febr. bis Mitte März] zu Upsala stattfinden sollte. Da sollte ein Opfer gebracht werden für Frieden und für den Sieg ihres Königs. Dorthin sollte das Volk aus dem ganzen Schwedenreiche kommen, und dort sollte zu gleicher Zeit das Thing aller Schweden abgehalten werden. Auch war dort ein Markt und eine Messe, die eine Woche lang dauerte. Als aber Schweden christlich wurde, hielt man das Gerichtsthing und den Markt nichtsdestoweniger dort ab. Aber jetzt, wo ganz Schweden christlich geworden war und die Könige aufgehört hatten in Upsala zu wohnen, wurden der Markt verlegt und zu Lichtmess [2. Februar] abgehalten.“ Snorris Widerspruch findet eine Erklärung in dem wahrscheinlichen Umstand, dass infolge der Christianisierungsmaßnahmen zwar das heidnische Siegopfer abgeschafft wurde, zunächst aber das damit verbundene Gerichtsthing und der Markt um vier Wochen vorverlegt wurden; später rückte man Markt/Messe sogar auf Anfang Februar. Man hört an dieser Stelle die Unsicherheit der von Snorri verarbeiteten Nachricht deutlich heraus. Er vermochte zu seiner Zeit, als er im Jahre 1219 Schweden besuchte, die christlichen Datenverschiebungen und -löschungen nicht mehr im einzelnen zu durchschauen und auseinanderzuhalten.
DAS MITTSOMMERFEST
Das vierte Jahresfest (midsumardagr) hielt man am 15. Juli. Da die Sommerzeit aber für den gesamten Norden eine Fahr- und keine Feierzeit war, spielte dieses Mittsommerthing gegenüber anderen Festzeiten eine untergeordnete Rolle. Trotzdem wird es einmal in der Óláfs saga Tryggvasonar, Kap. 65, erwähnt: „Schließlich wurde beschlossen, dass ein Mittsommer-Opferfest [miðsumarsblót] in Mären stattfinden solle. Dort sollten alle Häuptlinge und mächtigen Bauern erscheinen, wie das der Brauch war ...“ Und weiter in Kap. 68: „Eine große Menschenmenge strömte zusammen ... Da ließ der König das Thing ausrufen, ... und nach der Eröffnung des Things sprach der König und forderte die Bekehrung zum Christenglauben. Eisen-Skeggi antwortete dem König auf seine Rede im Namen der Bauern. Er sagte, die Bauern wünschen nach wie vor, dass der König ihre Gesetze nicht brechen solle - ,Wir wollen, König‘, sprach er, ,dass du opferst, wie die anderen Könige vor dir es getan haben.‘ Bei dieser Antwort erhoben die Bauern einen großen Lärm und riefen, sie wollten, dass alles so geschähe, wie Skeggi sagte.“ Aus dem weiteren Text, mit der Erwähnung von Herbst und Winter, geht hervor, dass es sich bei der Bezeichnung des miðsummarsblót um keinen Schreibfehler handelt. Da die Not-/ Nutzen-Rune auf dieser Festzeit liegt (der dt. Begriff „Not“ war in alter Sprache nicht vorhanden), ist zu vermuten, dass der mittsommerliche Brauch des „Notfeuers“ (niedfyor, nodfyr) aus dem miðsumarsblótveizla herstammt.
PS: Die in eckige Klammern gesetzten Begriffe sind die altnordischen Originalworte aus der Heimskringla (siehe Literaturverzeichnis).
Literatur:
Henry Petersen, Om Nordboernes gudedyrkelse og gudetro i hedenold, 1876, S.
27 = Jul im Februar
27 = Jul im Februar
J. Fr. Schroeter, Haandbog i Kronologie, Anden Del, Oslo, 1926, Nr. 170, S.
310ff = germ. Festtermine
310ff = germ. Festtermine
Snorris Königsbuch (Heimskringla), Thule Bd. 14, 15, 16, 1922 u. 1923
Heimskringla Snorra Sturlusonar Konungasögur, Bindi 1, 2, 3, Reykjavik,
1946, 1947, 1948
1946, 1947, 1948
Willy Hartner, Die Goldhörner von Gallehus, 1969, S. 58, 61, 62
= Festtabelle, 86f
= Festtabelle, 86f
Rudolf Simek, Lexikon der germ. Mythologie, 1984, S. 8ff = Alben, Alfen
Gerhard Heß, ODING Wizzod, 1993