- IM ZEICHEN DER KIENSPAN-RUNE
- Vom gottesmütterlichen Abschiedsfest im Scheiding -
(Kleine Ansprache vor den Gefährten im Herbst 7996 n.M.)
(Die Mehrdeutigkeit der –Rune fokussiert im herbstlichen Mutterfest)
Mit der Herbstgleiche im Scheiding (23. September) ist der vierte kosmische Jahrespunkt erreicht. Das letzte Zeitquartal beginnt. Die herbstlichen Vorboten des Winters kündigen den Niedergang von Licht und Wärme an. Wir stehen an der Pforte der dunklen, entbehrungs- und sorgenreichen Jahresspanne, die für unsere mittel- und nordeuropäischen Vorfahren ungleich schwerer zu meistern war als für uns Heutige; benötigen wir doch keine mühevolle Herstellung und Vorratshaltung mehr von Winterkleidung, Brennholz, Lebensmitteln und Kienspänen.
Mit der Herbstgleiche und dem zunehmenden Dunkelheitsgeschwür an des Jahres Lichtkörper begann für die Alten die herbe, die frostige, aber auch die heimelige Kienspanzeit. In den Spinnstuben saßen Frauen und Mägde beisammen, ließen durch flinke Finger die Fädelein gleiten und erzählten sich dabei wohl uralte und auch brandneue Kunde.
Noch lange Generationen nach dem christlichen Umsturz, den fürchterlichen Bedrängungen derer, die am Urelternglauben festhielten und der Verteufelung unserer angestammten Gottheiten, wurden von der Mutter zur Tochter die Mären weitergereicht. Zäh hielten die Frauen an ihren heidnischen Glaubensgewissheiten fest, bis die päpstlich gelenkte grauenhafte Hexenverfolgung die alte Liebe und Anhänglichkeit und das Wissen in einem schmachvollen Meer von Blut und Qual ertrinken ließen. Unsagbar ist, was diese blutbesudelte Christenheit unserem Volksleben, unserer Geisteskultur und unserem Frauentum antat. Wenn ich andächtig kniende Frauen über Kirchenbänke rutschen sehe, kann ich mich nur angewidert abwenden; gellen diesen verdrehten, tumben, törichten Weibern denn nicht die Todesschreie ihrer sich an Brandpfählen windenden Urmütter in den Ohren ?!
Einstmals hielten die keltisch-germanischen Muhmen, Mütter und Mägde zur Herbstgleiche in zehnter Schwarzmondphase ihr Disablot, das große, würdige Frauenfest. Das ODING-Wizzod, unser Runen-Zeitweiser, gibt treue Kunde und bestätigt die überkommenen Nachrichten aus anderen Quellen. Die Kienspan-Rune (<) mit dem mythologischen Zahlenwert 19 und der Quersumme 1 ist das Buchstabensymbol der herbstlichen Gottesmutter. Mit der Kienspanfackel in Händen geht nun die Göttin den Weg in die dunkle Zeit. Sie geht hinab in ihre Muttergrüfte, hinab in unterirdische Kammern, wo sie für das keimhafte Neuerwachen des Lebens und des Lichtes sorgt. Die Naturvorlage des kosmischen Geschehens lockte mancherlei andere Gleichnisse hervor. Geht die Mutter des Lebens nun hinunter in ihre Wiegenkämmerlein, oder schläft sie, vom Schlafdorn gestochen, bis der junge Lenzo, der Maiengraf, der stürmische, sonnenhaft-blondlockige Heilbringer sie mit den ersten Frühlingswinden wieder wachküsst, um den neuerlichen Reigen der Liebe und des Lebens anzustimmen ?
In der Sage von Brünhilde und dem Märchen von Dornröschen hat sich dieser Mythenzug bis heute erhalten. In spätheidnisch-altnordischen Quellen wird Brynhilde als Walküre bezeichnet. Sie ist es, die die ursprüngliche Gottesmutter-Mythe an sich zog. Im hochmittelalterlichen Nibelungenlied ist sie schließlich nurmehr eine zauberkundige Königin auf Island und ränkesüchtige, hexengleiche Unholdin. Der sich dokumentierende Wertverfall der Gestalten, an denen sich der altwürdige Mythos festmacht, ist bezeichnend: von der Gottesmutter bis zur Hexe hinab. Die schmähsüchtige Propaganda des Christianismus über viele Jahrhunderte hinweg leistete wirkungsvolle Arbeit.
Mit dem Begriff der Hexe können sich in echter eigenbestimmter Zeit keinesfalls negative Betrachtungen verknüpft haben. Die Hagazusse oder Hägtesse muss die im Hag Sitzende, das Gehegte, Eingefriedete, hütende, heilige Frau oder Priesterin gewesen sein. Demnach eine Frau, die im Auftrag der keltisch-germanischen Kultgemeinde den Hag, also Kultplatz, zu betreuen hatte. Die niederländische Hexenbezeichnung Walriderska weist sogar noch sprachlich auf die Walküre/Gottesjungfrau hin.
Über ganz Deutschland und seine Randstaaten verteilt, finden sich die altheiligen Haine, die Frauen- und Hexentanzberge, Wildweibleinleien (Wildweibleinfelsen), Heidenberge, die Walburgen. Wie im Himmel, so auf Erden ! So wie in Asgard, dem germanischen Götterhimmel Walvater Odin/Wodin/Wodan auf Walaskjalf, seiner Walburg, thront, die ganze Welt überschauend und bei ihm in Walhall die ehrenwerten Toten, so wollten auch die gläubigen Gilden ihre Anbetungs- und Feierstätten auf markanten Höhen besitzen.
Nun aber, in der jetzigen Jahresphase des herbstlichen Disablot, des Frauen-Opferfestes, möchten wir, die dem Altglauben treugeblieben sind, eine reine gottesmütterliche Kultstätte besuchen. Da bieten sich in unserem Großraum einige schöne Möglichkeiten an:
1. - 10 km von Alsfeld bei Ottrau und Berfa liegt der hessische Blocksberg, der Bechtelsberg, der seinen Namen auf die Göttin Bechta zurückführt. Ein bronzezeitliches Hügelgrab an seinem Abhang beweist die uralte Verehrung der Stätte.
2. - Als nächstes wäre das Dörfchen Bechtheim (Heim der Göttin Bechta) an der Bundesstraße 417 im Untertaunus zu nennen. Hier, auf der „Mathildenhöhe‘, fand die bedeutendste deutsche Philosophin Mathilde Spieß/Ludendorff („Erlösung von Jesu Christo“, 1938/57/67) ihren gedanklichen Weg hinaus aus der Enge eines christlichen Elternhauses zu ihrem eigenen reifen Heidentum.
3. - Das Brunhildisbett, eine Felsformation auf dem Feldberg, der höchsten Erhebung des Taunus, wurde schon in einer Urkunde des Jahres 1043 „lectulus brunihilde“ genannt.
4. - Die Domstadt Worms war einstmals ein Zentrum des heidnischen Muttergotteskultes, lautet doch der alte keltische Stadtname „Borbetomagnus“ - der auf die göttliche Borbeth hinweist. Auch in germanischer Zeit wurde die Gottesmutterverehrung fortgeführt; dafür zeugt u.a. die Ortsbezeichnung des nördlich gelegenen Bechtheims an der Liebfrauenstraße und die in Wormser Urkunden 1141 erwähnte Brunihiltwisi und 1355 der Brunhiltegraben. Der Dom selbst mit seinem herrlichen Relief der drei heidnischen Madeln steht exakt auf der einstigen zentralen Mutterkultstätte.
5. - In der Nähe von Bad Dürkheim befindet sich die Weihestätte des in einer Amorbacher Urkunde 1360 erwähnten Brunoldesstuol. Auf einem nördlichen Ausläufer des Peterskopfes (einstiger Donarsberg) liegt der Rest einer uralten Befestigungsanlage, die sog. Heidenmauer, und die senkrechten Felswände des Brunhildisstuhles, der in römischer Zeit als Steinbruch ausgebeutet wurde.
6. - Weniger bekannt ist der schon 812 erwähnte Brunhildenstein, wohl östlichster Besitz der Abtei Bleidenstadt, auf einem Bergzug nördlich von Wiesbaden; noch einmal in einer Urkunde 1221 als nächster Punkt von dem Dorfe Engenhahn bei Idstein aufgeführt. Heutige Karten nennen die Stätte “Hohe Kanzel“. Die nur 1.000 m südlich vorgelagerte Erhebung trägt bezeichnenderweise den Namen Bechtewald.
7. - Oberhalb des Dorfes Streitbergerhebt sich die Burgruine Neideck, auf einem Felsensporn im Wiesenttal gelegen, istein stozes Wahrzeichen der Fränkischen Schweiz, im oberfränkischen Landkreis Forchheim in Bayern. Gegenüber erhebt sich die kleinere Burgruine Streitberg, westlich von Muggendorf. Durch den Wald, vorbei am Burgblick, durch kultiviertes Gelände und wieder Wald geht’s zum Brunhildenstein, einersehr schönen Felsklippe mit freier 180-Grad-Aussicht auf Muggendorf. Auch der Frauenstein ist ein markanter Aussichtsfelsen auf der südlichen Talseite direkt oberhalb von Muggendorf, mit dem sich schlängelnden Wiesent-Flüsschen im Vordergrund.
Ich möchte hier im Zuge dieser kurzen Erörterungen nicht eingehen auf die vielen unterschiedlichen Kultnamen der mütterlichen Heilbringerin in den keltisch-germanischen Gauen. Die vielgestaltigen religiösen Äußerungsformen in unserer Heimat wurden durch den christlichen Missionierungswahn bekämpft, beseitigt und vergessen gemacht. Nur wenige Gemarkungsnamen und andere volksgläubige Relikte entgingen der pfäffischen Zensur.
Doch das wenige Verbliebene reicht - zusammen mit der Botschaft unserer heiligen Runen-Urkunde des ODING-FUTHARK - aus, uns ein getreues Nachbild unserer Heimatreligion schaffen zu können. Das wollen wir im Herzen hüten, fortbilden und weiter in die Zukunft tragen, über alle Gefahren und Anfeindungen hinweg. Damit erzeigen wir den Heilsmächten der Ahnen die ehrende Achtung und uns selbst, die wir unter ihrem Schutze stehen - bewahren wir vor dem Versinken und Ertrinken im christlichen Welteinheitsbrei.
Das einstige Disablot-Mutterfest im Scheiding - der Mondphase, in der das Tageslicht scheidet - war eine Abschiedsfeier voller Gewissheit der Wiederkehr alles Guten und Wahren. In nächtiger Dunkelheit wandelten damals die Kienspan-Trägerinnen der Frauenkongregationen hinauf auf ihre heiligen Opfertennen, wo schließlich - von Hunderten brennender Fackeln gebildet - ein weit sichtbarer Flammendom in den Nachthimmel emporloderte. Ein Fanal jener unauslöschlichen Kraft der großen mütterlichen Lichtgebärerin. Die göttlichen Kräfte der Mutter des Lebens gehen nur zur Ruhe, um neue Kraft zu sammeln für eine glänzende Wiederkehr. Deshalb wollen auch wir darauf hoffen und dafür im Stillen wirken, dass das, was wir wertvoll erachten, wiederaufersteht zu seiner Zeit.
Wer mit uns, liebe Gefährten, in diesen trüben Herbsttagen über die vertrauten Steige durch nebelige Niederungen hinauf auf die Höhen der Mutterkultplätze wandert, der vergisst die Welt da unten mit ihrer geschäftigen Unrast, mit ihrem Widerspruch, ihrer Lüge und Anmaßung, dem bietet dies Gipfelerlebnis jene selige Entrücktheit, und dem bleibt eine Weihe.
In dunklen Nächten geht‘s mir durch den Sinn,
es war da eine Liebe, die war von Anbeginn,
und Frigga, Freya, Bechta sind ihre Namen bloß,
nur zarte, bunte Schleier vor ihrem heil‘gen Schoß.
Die Sonne, Mond und Sterne und Menschenherzen trug,
kein Name und kein Lied lobpreist sie je genug.
Ach neige, Weltenmutter, dein göttlich‘ Angesicht,
erlöse uns vom Übel und führ‘ uns heim ins Licht !
Herman Wirth
Bild: 3. Jh. n.0 Büste einer der kultischen keltisch-germanischen Mütter von Marnheim, Donnersbergkreis, Kirchheim-Bolanden (Museum Speyer)