PALMETTE ODER IRMINSUL ?
 
Abb. 1 a 1 b  
 
Abb. 1 a + b = ungarische Silberscheibe von Anarcs im Original und für die schlecht sehenden Uninformierten in Sachen Lebensbaum-Ikonographie, eine Freistellung des Palmbaumes, also Wegnahme der Ziersprossen - Darunter der Dattelpalm-Idolbaum vom Externstein.
 
   
 
Das Palmbaumblatt wird in der darstellenden Kunst als Rippung ober- oder unterhalb der Palmwedelrispe kenntlich gemacht, während die herabhängenden Dattelfruchtstände bei den Palmbaum-Ikonen als nach unten gedrehte Kringel versinnbildlicht werden. 
 
 
Ziegenböcke und assyrische Schutzgenien (Lamassu / Schedu) umstehen den Palmbaum-Lebensbaum auf einem Relief des 8. Jhs. v.0  aus „Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament“ von Othmar Keel.
 
 
Kaiserzeitlicher römischer Gladiatorenhelm mit Palm- bzw. Lebensbaumdarstellung (Eckart Köhne u. Cornelia Ewigleben, „Gladiatoren und Caesaren“, 2000) Die Dattel-Fruchtstände wurden zuweilen als herabhängende Zapfen dargestellt oder - wie aufgezeigt - als Schneckenwirbel.
 
Wilhelm Teudts Irminsul-Narretei
 
Es ist verwunderlich, es ist letztlich unerklärlich, es ist erschütternd, es ist empörend -, dass eine Narretei - von einigen Leuten gepredigt - in Umlauf kommen, breitere interessierte Kreise erreichen kann und bis heute in unserer „aufgeklärten“ hyperinformierten Zeit selbst von „Wikipedia“ kolportiert wird, so wie die Unsinnslehre von der „Irminsul am Externstein“. Erschütternd ist die Feststellung, dass es immer wieder halbgebildeten Menschen gelingt, die von einem Vorreiter- oder Anführersyndrom getrieben sind, solche Parolen zu verkünden, die dann von einer unklugen Menge der Nichtgebildeten aufgenommen werden, die sich betören und mobilisieren lassen und den ihnen vorgegaukelten Unsinnigkeiten nicht selten dann sogar mit Feuer und Schwert zum Durchbruch verhelfen. Die Weltgeschichte ist voll davon. Eine der gelinderen geistigen Epidemien solcher Art war das mittelalterliche Miauen französischer Nonnen -; eine fing damit an, bald hatte sie ihre Umgebung angesteckt und in wenigen Monaten miauten alle Klosterkätzchen von Pontigny und Clairvaux und Saint-Germain bis Morimond in den Ardennen. Ein männlicher Narr fing im 13. Jahrhundert damit an, sich den Rücken blutig zu schlagen, bald zogen ganze Scharen sich selbst hauender, sogenannter Flagellaten bzw. „Geißler“ durchs deutsche Land, die glaubten, dem christlichen Bibelgott würde es wohlgefallen, wodurch es ihnen einen dicken Rabatt auf ihre erwarteten Fegefeuerstrafen anrechnen würde. Die warnenden Stimmen der Vernünftiggebliebenen verhallen in solchen Augenblicken regelmäßig ungehört, im Gegenteil sogar, nicht selten fallen die Enthusiasmierten in ihrem Wahn über die nüchtern gebliebenen her, um sie als Querulanten und Spielverderber in den diversen Gradationen nach Möglichkeit zu lynchen.
 
Auch gegen die Irminsul-Narretei des evangelischen Pfarrers (bis 1907) und Germanenforschers Wilhelm Teudt (1860-1942) erhoben sich nüchterne Rufer, doch die Zeit nach dem Ende des Weltkriegs I., mit ihrem dramatischen und zu Recht schmerzhaft empfundenen Sturz der deutschen Nation ins Chaos und der Verzweiflung von Millionen Menschen, schrie förmlich nach Identitätssuche bzw. der Findung einer neuen deutschen Wurzelkraft, die durch ein unverbrauchtes nationales Aushängeschild symbolisiert werden könnte. So suchte man gewaltsam, man wollte etwas finden und weil man nichts Geeignetes fand, so erfand man etwas, wenn auch gegen jede Wissenschaft, jede Vorsicht und Wahrheit -, und die geistige Totgeburt der „Irminsul vom Externstein“ war aus der Taufe gehoben. Es schrieb schon zu Beginn des Dritten-Reiches der studierte einflussreiche Prähistoriker Bolko Karl Ernst Gotthard Freiherr von Richthofen von der „Berufsgenossenschaft deutscher Vorgeschichtsforscher“, Sitz Königsberg/Pr. (Tagebuch-Nr. 541-31) am 28.02.1934 an Pg. Dr. Schuster von der Zeitschrift „Die Bücherei“: „Viel besprochen werden ja jetzt auch die Arbeiten von W.Teudt. Leider können auch sie für Ihre Grundliste nicht empfohlen werden, da sie ganz ohne ausreichende Sachkenntnis fantastisch geschrieben sind…..“
 
Über die Leichtfertigkeit, die Gedankenlosigkeit und/oder Unwissenheit jener Leute, die sich für den Irminsul-Unsinn engagierten, kann man sich nicht genug verwundern. Bevor man eine „neue Kunde“ in die Welt setzt, wäre es doch die allererste Pflicht eines erstzunehmenden Befürworters, sich auf dem fraglichen Gebiet kundig zu machen, zu studieren, zu sondieren und sich erst bei völliger Sicherheit damit an die Öffentlichkeit zu wenden. Nicht so bei den Irminsul-Banausen der 20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Über den deutschen Tellerrand konnte oder wollte keiner hinausblicken, selbst von der Kultikonographie der italischen Langobarden nahm man keine Kenntnis, geschweige denn von der ostmittelmeerischen und orientalischen Kunst, die bereits das Frühgriechentum so stark beeinflusst hat. Der heilige Palmbaum stand außerhalb der Betrachtungen dieser beschränkten deutschnationalen Kreise, so dass sie nicht einmal die Palmbaumdarstellungen der abendländischen Kirchenkunst vor ihrer eigenen Haustüre zu erfassen fähig oder willens waren. Wilhelm Teudt schreibt in „Germanische Heiligtümer“, 1931, S. 47 f: „Die Irminsul, deren es im Germanenlande viele gegeben haben wird, und die später auch zur Verwechslung mit germanischen Heldenstandbildern Anlaß gab, war ein ,Götzenbild’ oder wie die bessere Überlieferung sagt, ein truncus, eine Holzsäule, die symbolisch als Trägerin des Weltalls gedacht war und zweifellos eine dementsprechende Ausgestaltung gehabt hat. Es war also ein Sinnbild von tiefer, zurückhaltender religiöser Empfindung und weltweitem, religiösen Denken. Wir glauben, dass uns an den Externsteinen innerhalb des Kreuzabnahmebildes ein getreues Abbild dieses Symbols aufbewahrt ist, wovon unten die Rede sein wird.“ (Dass im lat. Sprachgebrauch ,truncus' nicht nur eine Holzsäule meinen konnte, sondern auch einen Säulenschaft, sei nur nebenbei angemerkt !) Hat er sich in seiner vorschnellen Fixiertheit keinen Augenblick „sein“ Irminsulgebilde Detail für Detail angeschaut -, hat er sich keinen Augenblick ins Gedächtnis gerufen, dass eine Säule, zudem die Allsäule, kein Pflanzengebilde sein kann wie es das Externstein-Kultbaum-Bild darstellt, hat es sich nie gefragt, welche Pflanze mit ihren langen Blattrankenarmen hier zur Darstellung gelangt ist ? Hat sich keiner seiner Mitgläubigen die Frage vorgelegt, was diese Rippungen an den Rankenarmen zu bedeuten haben, und was die beiden kleinen nach unten gerichteten Voluten bzw. Röllchen symbolisieren könnten ? Eine derartige, daraus ablesbare Leichtfertigkeit, ist nichts als schlimmstes Banausentum. Die beiden kleinen Voluten unterhalb der beiden großen Palmwedel-Arme des Externstein-Lebensbaumes versteht zunächst nur der Kenner, der viele orientalische Palmkultbaum-Abbildungen miteinander vergleichen konnte -; es handelt sich um die immer wiederkehren Schneckchen als künstlerisch-verkürzte Sinnzeichen für die aus der Dattelbaumkrone herabhängenden Dattel-Fruchtstände. Das Dreieck bzw. die Winkel am Palmbaumkopf sind das orientalische (schon hethitische) Zeichen für Glück/Heil.
 
Dieses ganz erstaunliche Banausentum tritt insbesondere dadurch zu Tage, dass es lange vor W. Teudt genügend Arbeiten gegeben hat, die den interessierten Leser über orientalische Kunst in Kenntnis setzten. Hätte sich der studierte Theologe nur ein klein wenig in der weiterführenden Kunstliteratur getummelt, wäre er nie auf den Gedanken verfallen, in die Palmette vom Externstein ein germanisches Sinnbild hineinschauen zu wollen. In Büchern wie jene von Felix v. Luschan, „Entstehung und Herkunft der Ionischen Säule“, 1912 und von Reinhold Wurz, „Spirale und Volute“, 1914 oder auch Alfred Jeremias, „Handbuch der altorientalischen Geisteskultur“, 1929 -, hätte sich W. Teudt und seine Mitverschworenen eines Besseren belehren lassen können. Die Eingangs abgebildete ungarische Silberscheibe von Anarcs stammt aus Josef Strzygowskis Buch „Altai - Iran und Völkerwanderung“, Leipzig, 1917, Seite 192. Dazu schreibt er: „An dem Stücke muß zweierlei außer der Durchbrucharbeit beschäftigen. Fürs erste die Isolierung jenes geometrischen Palmettengebildes, das wir bereits oben S. 102 f. auf ungarischen Taschenblechen kennen gelernt haben. Dort war daraus  in Nomadenart ein Muster ohne Ende gebildet. Hier ist ein Einzelmotiv, der ,Lebensbaum’ daraus geworden. Weitere Beispiele dieser Art findet man nebeneinander in den Stuckaturen der Wände von Samarra (Herzfeld, Erster vorl. Bericht Tafel VI) und des Deir es-Surjani, wie ich sie Tafel 80 der Monatshefte für Kunstwissenschaft VIII (1915) und unten S. 210 f. vereinigte.“ Der hervorragende Fachgelehrte Josef Strzygowski (1862-1941) war ein deutsch-österreichischer Kunsthistoriker und Begründer der vergleichenden Kunstforschung. Seine Bücher wie „Aufgang des Nordens“ oder „Das indogermanische Ahnenerbe des deutschen Volkes und die Kunstgeschichte der Zukunft“, weisen ihn als vorurteilsfreien Fachmann ohne Germanophobie aus. Dass es sich im Externsteiner-Kreuzabnahmerelief bei der vom Kreuz weggebeugten Kultbaumsäule um den vorderasiatischen Lebensbaum handelt, ist unumstößliche Gewissheit -, und dass der Lebensbaum nicht zusammengeht mit der sächsischen Allsäule-Irminsul, ebenso !  Der den Laien verwirrende Umstand besteht darin, dass der Externstein-Lebensbaum als kantige Kultsäule zur Darstellung gelangte und nicht als leicht erkennbares Baumgebilde mit rundem Stamm. Aber es ist nunmal die Eigenart des vorderasiatischen Lebensbaumes, dass aus dem natürlichen Vorbild der Dattelpalme mit ihren Palmwedeln der symbolische Lebensbaum als Votivsäule entwickelt und als geheiligtes, anbetungswürdiges, denaturiertes Gebilde zur sakralkünstlerischen Tradition wurde. Ebenso wie etwa das kirchliche Kreuzzeichen, welches auch nicht mehr unbedingt - seinem christlich-ursprünglichen Herkommen gemäß - als römischer Galgenbaum ins Bild gesetzt wurde, sondern auch zunehmend als ein verselbständigtes „Sinnbild des Heiles“. Was ebenso manche Laien in falsche Richtungen vermuten ließ, ist der bei der Externstein-Palmette fehlende Mittelspross, dem Sinnzeichen des fortfahrenden Vegetationslebens, so kamen sie auf die Idee, die Palmette als „Gabelstütze“ fehlzudeuten. Den Mittelspross hat der mönchisch beauftragte Steinkünstler sinnfälligerweise nur deshalb weggelassen, um den Tod des geknickten Kultbaumes nochmals zu unterstreichen. Bedauerlich sind die Übernahmen der Irminsul-Fama durch den Externstein-Grabungsleiter Julius Andree, in „Die Externsteine, eine germ. Kultstätte“, 1936 -, auch durch den ansonsten überzeugenden Freerk Haye Hamkens, in „Der Externstein - Seine Geschichte und seine Bedeutung“, 1971 -; auch Willy Wirth, in „Die Volute“, bei „Antaios - Zeitschrift für eine freie Welt“, Bd. 7, Nr. 5, 1966, vermochte nicht Lebensbaum und Irminsul auseinander zu halten. Und bei Hans Wilhelm Hammerbacher in „Irminsul und Lebensbaum“, 1973, geht dann alles vollends tölpelhaft durcheinander. In seiner Betrachtungsweise ist die germanische Irmin-Säule erklärtermaßen, ganz offiziell, zur Palme generiert -, jeden Lebensbaum, jede Palmendarstellung nennt er freiweg ungezwungen Irminsul, wie z.B. das Palmbaum-Flachrelief am Dom zu Speyer (Abb. 18), auch Blätterkapitelle im Kloster Willebadessen (Abb. 7) und Kloster Corvy (Abb. 38). Blödsinniger kann eine Irminsul-Definition nicht interpretiert werden !
    
Wer den Unsinn glauben mag, die Altsachsen hätten den orientalischen Dattelpalmen-Lebensbaum als ihre „Irminsul“ - Sinnbild der welterhaltenden kosmischen Allsäule - aufgestellt und verehrt, der mag der Predigt der Irminsul-Ignoranten folgen -, wer aber als Purist und Wahrheitssucher das Echte dem Surrogat vorzieht, zieht seine dementsprechenden Konsequenzen. 
     
 
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Der germanische Weltenbaum, die sogenannte „immergrüne Esche Yggdrasils“, die ursprünglich eine Eibe war, wurde unter der alles durchdringenden christlicher Beeinflussung des Mittelalters schließlich auch zum orientalischen Lebensbaum, der naturalistischen Palme (nicht zum Palmbaum-Idol wie das Externstein-Bild). Jedes Detail unserer germanischen Tradition wurde dergestalt verfälscht, verderbt, beschmutzt, verfremdet und orientalisiert. Das Bild der Yggdrasil-Palme stammt aus der Illustration der isländischen Edda-Handschrift „Arnamagnæanske Handskriftsamling, AD 738 4to. bl.43v-44r. papir.“ von 1680.
 
 
DIE PALME IM ALTEN SONNENKULT
 
 
Allerdings darf es nicht ganz unbeachtet bleiben, dass der Palmbaum auch eine anatolische und südeuropäische Pflanze ist, mit der die frühen indogermanischen Auswanderer in Kontakt kamen und sie in ihre Kulte einbezogen. Es ist der Baum des babylonischen Sonnengottes Šamaš (Schamasch), dem Gott der Gerechtigkeit und des Wahrsagens, dessen Geschlecht schwankend war. Erst beim Zusammentreffen mit der sumerischen Kultur am Anfang der Akkadzeit und der Gleichsetzung von Šamaš mit dem sumerischen Sonnengott Utu wurde aus der weiblichen Sonne ein männlicher Gott. Sein Symbol war die Sonnenscheibe mit meist achtstrahligem Stern und wellenförmigen Strahlen, Sonnenstrahlen an seinen Schultern, der Löwe und die Säge. Schon die Gewänder der indogerm. Hethiter, im 13./12. Jh. v.0, sind geschmückt mit Palmbaum-Ikonographien (siehe Hethiter-Darstellungen im Tell el-Jahudijeh von Ramses III.). Auch dem griechischen Sonnengott, den die Mykenier / Achäer und dann die Dorer und Philister, aus dem Norden in ihre neue Heimat mitbrachten - Apollon - wurde im Süden die Palme als Attribut zugefügt. Natürlich kann dieser Umstand niemals bestimmend für die Germanen / Sachsen gewesen sein, ihre Irminsul (All-Säule) als Palmbaum-Ikone darzustellen ! Auf der Kykladen-Insel Delos lag das Apolloheiligtum, eine der heiligsten Stätten aller Griechen. Leto gebar hier die Artemis und den Apollon, daher deren Beinamen Delia und Delios. Ein Beispiel für die Verbindung von Apollon mit der Palme bringt Theognis von Megara (ca. 627/585 v.0) in „Die Geburt des Apollon“ (übersetzt von Emanuel Geibel):
 
„Als dich, Herrscher Apoll, dort unter dem wipfelnden Palmbaum,
Den sie mit Armen umschlang, Leto, die Hehre, gebar,
Dort am Auge des Sees, dich aller Unsterblichen Schönsten,
ward von ambrosischem Duft Delos geheiligtes Rund
Bis an die Ufer erfüllt, und es lachten umher die Gefilde
Und es erglänzte vor Lust blauer die Tiefe des Meers.“