IRMINSUL-NACHBILDUNG
Eine attraktive Irminsul-Nachbildung als Wohnzimmerschmuck oder für den heimischen Hausaltar zu besitzen ist der Wunsch von vielen ernsthaften Neuheiden. Die Voraussetzung, damit man dabei keine sträflichen Albernheiten begeht, ist die solide Kenntnis über das einstige Aussehen der geheiligten altgermanischen und altsächsischen Himmelssäule.
Bei der Darstellung des gebogenen Kult-Bäumchens im Agisterstein-Externstein-Kreuzabnahmerelief aus dem 12. Jahrhundert handelt es sich bekanntlich nicht um die altsächsische Irminsäule, sondern um eine altorientalische Palmbaum-Ikone bzw. den auch biblisch-semitischen Lebensbaum. Sich als deutscher Heide ein orientalisches Dattelbaum-Sinnbild als Nachbildung zu wünschen, müsste als ein irrer, zumindest skurriler Einfall eingestuft werden, würde auch eine Verhöhnung unserer altgläubigen Altvorderen sein.
Die echte mythische Irminsul bestand aus zwei Grundgedanken: a.) der Säule, also dem statischen Elemente der Welterhaltung und b.) dem solaren Heilsgedanken in Gestalt der Sonnenlaufbahn in Form der symbolhaften Doppelspirale des ewigen Auf und Ab des Lichtes und aller kosmischen Erscheinungen.
Diese beiden Symbolismen - im Zusammenklang von Weltsäulenabbildungen - sind in zahlreichen von mir aufgezeigten Quellzeugnissen aus alter Zeit nachweisbar. Auffällig an sowohl der Externstein-Lebensbaum-Ikone, wie auch an ähnlichen Abbildungen der Kirchenkunst, sind die drei Winkel, aus denen die beiden Palmblattranken hervorgehen. Dabei handelt es sich um ein sehr altes Heils-Zeichen das im alten Orient schon bei den Hethitern gebräuchlich war. Dieses Drei-Winkel-Sinnbild war ebenso eine traditionelle nordische religiöse Metapher, weshalb ihr aktueller Gebrauch sinnvoll ist und kein Stilbruch. Der bronzezeitliche Stein von Håmhaugen, Hodne, Klepp, Rogaland in Norwegen zeigt die drei Winkel unter den Sonnenringen (siehe Abb. 3), ähnlich der wikingerzeitliche Thorshammer von Lolland (Abb. 4). Ob damit das dreifache Himmelsdach gemeint war oder ein abstraktes Heils-Sinnbild, bleibt im hier besprochenen Gesamtzusammenhang sekundär. Das gleiche heidnische Symbol zeigen die Ornament-Segmente unterhalb der Dachkuppel des Theoderich-Grabes zu Ravenna (Abb. 5).
Für die interessierten Leser zeige ich hier das gelungene Beispiel für eine modernen Irminsul-Nachbildung (Abb. 1) mit dem dazugehörenden Fertigungsplan (Abb. 2).
Es kommt bei der korrekten Nachbildung hauptsächlich darauf an, keine Palmbattranken, sondern Sonnenspiralen zur Darstellung zu bringen !
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Abb. 3: Denkstein von Håmhaugen, Hodne, Klepp, Rogaland, Norwegen - Abb. 4: Mjölnir / Thorshammer von Købelev (Lolland / Dänemark), dessen kugelrunder Knauf als Sonnen-Sinnbild zu verstehen ist. - Abb. 5: Ornament-Segment unterhalb der Dachkuppel des Theoderich-Grabes zu Ravenna - Abb. 6: Die große Bügelfibel aus dem dänischen Gummersmark/Seeland, mit Stil-I-Ornamentik (4./5. Jh. n.0), zeigt auf ihrer oberen Spitze den typischen Irminsul-Obelisken mit aufsitzender Sonne und rechts wie links davon, unter den Tragebögen, jeweils ein weiteres Sonnen- und Mond-Sinnbild. Darunter gieren - mit langen Zungen - die beiden Wölfe Skalli und Hati nach Sonne und Mond. Die beiden Wölfe ganzkörperlich zeigt noch einmal die Abb. 8.
Abb. 7 8
Einer der beiden unholden Wölfe der nordischen Mythologie ist Skalli / Skoll / Sköll / Skjöll (altnord. Spötter, Trüger, Stürmer), der die Sonne bedroht. Der andere ist sein Zwillingsbruder Hati / Hate (altnord. Hass), er verfolgt den Mond. Am Tag des Ragnarök (periodischer Weltuntergang) werden die Wölfe die Gejagten einholen und verschlingen, bis diese wieder auferstehen. Abb. 7 stammt von John Charles Dollman, 1909.
Abb. 9 10
Die Urform der nordisch-germanischen Welt- oder Himmelsstützen-Ikonographie sieht einfach nur einen schlichten säulen- oder Obelisk-artigen Pfeiler vor, über dem sich entweder der pilzartige Himmelsbogen spannt oder die Sonne steht oder die Sonnen-Doppelspirale aufliegt. Die meisten der heutigen als Irminsul bezeichneten Darstellungen sind von frei erfundener, schwülstig unrealistischer Natur -; sie sind als unsinniger Irminsul-Kitsch strikt abzulehnen. Die Abb. 9 zeigt die Himmel-Stütze über dem Weltenschiff auf der verlorenen Grabplatte des bronzezeitlich-schwedischen Kivik-Grabes nach Oscar Montelius, 1875. Von der verlorenen Platte gibt es einige leicht voneinander abweichende Zeichnungen zeitgenössischer Betrachter (Abb. 10). Die Abbildung stammt aus dem Buch von Åke Ohlmarks „Hällristningar“, Stockholm, 1966, S. 245.
Abb. 11 + 11a - Auch die aus merowingischer heidnisch-christlicher Übergangsphase stammenden Grabsteine, die heute im Landesmuseum Trier gezeigt werden, zeigen in schlichter Ausführung den doppelspiraligen Sonnenweg über dem Weltenberg oder Weltsäule (Abb. 11 + 11 a). Auf ihnen ist die Himmelssäule mit ihren beiden Sonnenbahn-Voluten, das Sonnenradkreuz und das Kreuz als mächtig dicke Himmelsbogenstütze eingemeißelt. Die Himmelsstützen sind in einer breiten Version der typischen Obeliskenform ausgeführt. Die Steine sind teils von Koblenz zu den Trierer Kirchhöfen St. Paulin, St, Maximin und St. Matthias verbracht wurden.
Unsere germanischen und altdeutschen Vorfahren hätten beim Anblick derartiger Gebilde nur die Köpfe geschüttelt und sich auf die Schenkel geklatscht unterm Lachen, hätte man ihnen gesagt, dass das Irminsul-Bilder sein sollen.