Meine über 40jährigen Forschungen um die Irminsul haben einige sehr sichere Ergebnisse erbracht:
 
1.)    Das nach vorderasiatisch-ostmittelmeerischen Vorlagen geschaffene, umgebogene Lebensbaum-Idol im Externsteinrelief hat keinerlei Ähnlichkeiten mit der altsächsischen heiligen Irmin-Säule. Die beiden großen Voluten (lat. volutum „das Gerollte“) des Externstein-Kultbaumes stellen einwandfrei Palmblätter dar, die kleinen, nach unten gerichteten Voluten, versinnbildlichen traditionell die Dattelfruchtstände (Abb. 1).
 
Abb. 1
 
2.)    Das Externstein-Relief stammt aus dem Beginn des 12. Jahrhunderts, es ist ein gregorianisch-benediktinisches Triumphmal aus Veranlassung des sächsischen Sieges über Kaiser Heinrich V. nach der Schlacht am Welfesholz d.J. 1115. Das Palmbaum-Lebensbaum-Sinnbild galt damals - und in Folge zunehmend - als Symbol der weltlichen Kaisermacht, die dem ideologischen Anspruch des geistlich-jenseitigen Strebens eines mönchisch-fundamentalistischen Klerikertums polar entgegenstand. Prägnanten Ausdruck fand die Palme als Sinnzeichen der Herrschermacht und Gerichtsbarkeit  in ihrem Abbild auf dem normannisch-deutschen Kaisermantel, ab Heinrich VI.. Man siehe auch die Abbildungen im „Sachsenspiegel“ (Landrecht II. 66 § 1 / aus den Jahren 1224/1231), die Wahl des deutschen Königs (Abb. 2).
 
Abb. 2.
 
3.)    Die Gestaltungsidee der altgläubigen All-Säule, der Irmisul, beruht auf zwei Vorstellungskreisen, nämlich a) dem Weltsäulenkult, der konkret oder sinnbildlich eine Weltstütze unter dem Nordstern als Tragemoment der Himmelskuppel annahm, und b) die jährliche Sonnenlaufbahn, die als nach oben oder unten gewendelte Doppelspirale dargestellt wurde. Aus der Kombination dieser beiden ikonographierten Metaphern entstanden Verbildlichungen der Irminsulen, wie es mir gelungen ist, eine in der bronzezeitlichen Felsbildkunst von Kasen/Bohuslän/Schweden aufzufinden (Abb. 3 Papierhandabrieb vom Felsbildoriginal). Die vereinfachte Weltsäulendarstellung, ohne ausgeprägte Spiralvoluten, gleicht einem senkrecht gekonterten Anker.
 
Abb. 3
 
4.)    Sehr früh sind im Orient, und über die Vermittlung der ionischen Griechensiedlungen der vorderasiatischen Küstensiedlungen, die beiden fundamentalen sakralen Ideenkreise - jener vom Dattelpalm-Lebensbaum und dem Weltstützenkult - zusammengeschaut worden und von Künstlern in diversen Mischformen auch schon in der mykenisch-helladischen Kunst zum bildlichen Ausdruck gelangt. Der hohe, säulenartig wachsende Palmbaum ist auch als fruchttragende Weltsäule ins Bild gesetzt worden, oft mit zwei ihn flankierenden allegorischen Genien oder real vorkommenden Wesen wie gewissermaßen adorierenden Tieren, z.B. Stieren, Steinböcken und Löwen. Es bewahrt die  Kirche „S. Maria Assunta“, im lombardischen Städtchen Gussago, die Besonderheit des Steinreliefs einer lombardischen Irminsul im Mischstil (Abb. 4). Die Weltsäule mit ihrer Funktion der statischen Welterhaltung, garantiert gleichzeitig das Leben der Weltfruchtbarkeit und kann somit im Nebeneffekt auch als Lebensbaum gesehen werden. So hat es der Schöpfer der Grabplatte von Gussago in seiner künstlerischen Vision gesehen: Licht- und Blütenräder lässt er über die Welt rollen in deren Mitte sich die Allsäule erhebt. Rund um sie gruppiert er seine Bildersprache. Zwei Bestien beten die Säule ebenso an wie zwei kreuztragende Lämmer. Eine Schlange kriecht heran. Einen Adler lässt er gegen die Schlange kämpfen, der andere schlägt seine Fänge in den Fischrücken. Von rechts kommend, zügelt ein typisch langschädeliger langobardischer Reiter sein Rösslein. 
 
Abb. 4
 
5.)    Die Urform der rein nordischen Irminsul - als Sonnenspiralsäule - ist in etlichen Artefakten der Kleinkunst, dem  aussagereichen Zierwerk auf Fibeln (Gewandspangen), Broschen usw. auf uns gekommen, ebenso wie auf Kapitel- und Tympanon-Gestaltungen der sog. „romanischen“ bzw. germanischen Kirchenbaukunst. Schon die „Ionische Säule“ der Altgriechen war - wie es freistehende Exemplare sinnfällig veranschaulichen (Abb. 6) - kein gedankenloses Zierelement, vielmehr Ausdruckwille des nordischen Weltsäulenkultes.
 
6.)    Die zentral tragende Doppelspiral-Kryptasäule (Abb. 7) unter der Michaelskapelle von Fulda, welche kirchlicherseits als „der das All tragende Christus“ ausgedeutet wird, ist von den Fuldaer Klostermönchen unter Sturmius, welche den Frankenkönig Karl auf seinem Vernichtungszug gegen Sachsen begleitet haben, als Beutestück bzw. Trophäe über das Heidentum weggeschleppt worden. Da König Karl, laut den Berichten, an der Irminsul-Tempelanlage mehrtägige Zerstörungen vornehmen und die Kultschätze des Heiligtums fortschleppen ließ, muss es sich um mehr als nur ein Monument, vielmehr ein Gebäudekomplex gehandelt haben. Absolut sicher ist: Zur Zeit der Errichtung der Michaelskapelle bzw. deren Krypta wussten die Mönche noch sehr genau, dass die zentrale Säule mit dem Doppelspiral-Kopf, die Sonnenbahn versinnbildlicht, wäre dem nicht so, hätten sie diese niemals als „Christus“ - der nach ihrer Definition das „Licht der Welt“ sein sollte - bezeichnet !
 
Die Irminsul des sächsischen Zentralheiligtums, hoch über der sächsischen Verteidigungsfeste Eresburg (heute Obermarsberg), welche auf dem dominanten Ort der heutigen Stiftskirche „St. Petrus und Paulus“ stand, war reich verziert und herrlich gearbeitet. Das hat der Corveyer Dichter Poeta Saxo, zum ausgehenden 9. Jahrhundert aus seinem Klostertraditionswissen überliefert. Die Krypta-Doppelspiralsäule hat in den Klosterbeständen (heute im Klostermuseum ausgestellt) ein ähnliches Gegenstück (Abb. 8 - gleiche Größe wie Säule von Abb. 7). Folglich könnte es sich bei diesen beiden irminsul-charakterlichen Säulen um Bauteile der altsächsischen Tempelanlage auf dem Plateau des Marsberges bzw. Gottesberges oberhalb der Eresburg handeln. Säule von Abb. 8 weist Abbrüche an Scheitel und Rückseite des Kapitels aus, so dass von einem Herausbrechen aus urspünglicher Verbauung auszugehen ist. Wenn ich an diese beiden Säulen im Besitz des Klosters Fulda denke, kommt  mir eine Stelle bei Paul Hermann („Das germanische Priesterwesen“, 1929, S. 58) in den Sinn, wo er schreibt: „Die Irminsul der alten Sachsen war keine Steinsäule… Sie war von zwei Säulen umgeben, und rechts und links war eine pfahlartige Darstellung von Göttern, sie sollte ,gleichsam das All tragen“. Da P. Hermanns Darlegungen ausnahmslos wissenschaftlich belegt sind, kann ich mir nicht erklären wie er zu dieser Äußerung gelangte, denn sie ist in den üblichen Quellen nicht zu finden. -- Eine Säule mit identischem Ausdruckswillen ist jener Säulenrest vom Palast von „Theoderich dem Großen“ (Abb. 9), der in Galeata (Provinz Forli-Cesena) südlich von Ravenna, verbaut worden ist (Siegfried Fuchs, „Kunst der Ostgotenzeit“, 1944, S. 31f).  - Ein frühzeitliches Schieferplattenbild aus Ägypten zeigt das Palmbaum-Welten-Lebensbaum-Motiv mit den flankierenden Tieren (Abb. 5). Larisa am Fluss Hermos war eine Pelaskerstadt die vom Griechenstamm der Aioler im 8. Jh.v.0 erobert wurde. Eine Votivsäule von dieser rekonstruierten Art (Abb. 6), bei der sich der Säulenkult mit dem Dattelpalmkultmotiv vermischt, stand im 7. Jh. v.0 an der Wehrmauer.
 
Mein Forschungsergebnis: Im ostmittelmeerisch-orientalischen Formenkreis wurde der Dattelbaum-Lebensbaum-Kult mit der Weltsäulenidee verquickt, während man im megalithisch-hyperboräischen Formenkreis die Weltsäulenidee mit der Sonnenspiralbahn verband. Da die Altsachsen ihrer eigenen Stammessage gemäß aus dem jütländisch-skandinavischen Norden eingewandert sind - ohnehin der Norden Deutschlands kontinuierlich seit der Steinzeit dem nordischen Kulturkreis angehörte - ist es absolut unwahrscheinlich, dass die Sachsen ihr irminsulisches Weltsäulenidol nach den bekannten ikonographischen Formen der Lebensbaum-Dattelpalme gestaltet haben könnten. Folglich entspricht der verbogene Lebensbaum-Kultstamm des Externsteinreliefs nicht der einstigen von König Karl zertrümmerten Irminsul.
 
Abb. 5 6 7 8   9
 
Abb. 10 - Die christlich beerdigte Irminsul unter der Michaelskapelle zu Fulda.
 
Versteht Ihr die Symbolik nicht ?
 
Die christliche Usurpation unseres Vaterlandes hat die Gedankenkraft der Deutschen in die Unbewusstheit gezwungen, im Unterirdischen gefesselt, und zwar in ihrer sinnbildlichen Verkörperung, der Irminsul, dem eigenen, wahren religiösen Symbol des einstigen freien Volksglaubens. Sie muss seit der Zerstörung ihres angestammten Tempelplatzes und der gewaltsamen Verchristlichung, die Last eines Fremdglaubens tragen (hier in Realität den oktroierten Michaelskult in Gestalt der darübergebauten Michaelskirche) und erdulden, so wie im antiken Mythos der Riese Atlas.