Das FLÜGELDRACHEN-SYMBOL im 12. Jh.
 
 
 Unteres Register des Externstein-Kreuzabnahmerelief mit dem Flügeldrachen, welcher zwei dämonisch-heidnische Gestalten (Heidenpriester  + Faun-Satyr) umschlingt - 12. Jh. -- Um die Dämonisierung der beiden verhässlichten Gestalten zu steigern, wurden dem typisch bezopften u. mit Halsringen geschmückten Heidenprieser die mit Fell behaarten Bocksfüße des Satyr verliehen (auch das Ziegenschwänzchen ist auszumachen) und dem Faun-Satyr die Menschenbeine.
 
   
 
1. Heidenpriester mit Bart und Zöpfen vom Taufstein-Freundenstadt 12. Jh. - 2. Römische Faun-Plastik aus Herkulaneum - 3. Bocksbeine des Faun von Pompeji, ca. 100 v.0, röm. Kopie eines griech. Originals
 
 
Taufstein in Freudenstadt / Stadtkirche, mit zwei sich mit Hälsen umschlingenden Flügeldrachen, 12. Jh. - Gleiches Motiv findet sich auf einem der linksseitigen Halbsäulenkapitelle der Eingangspforte der Nikolai-Kirche / Obermarsberg, dem Standort der altsächsischen Irminsäule.
 
 
Frühes normannisches Tympanon der St. Michael's Kirche / Hoveringham / Nottinghamshire / England (Nottingham Castle Museum) - Motiv: Erzengel Michael (Wodan-Ersatz) kämpft gegen den satanischen Drachen - („It can be dated to the early 12thc. on the basis of its similarity to the one at Southwell, which is dated c.1120 (ERA”)
 
Saxon_Tympanum_2.JPG 
 
Southwell Minster: The Village Cathedral / Nottinghamshire / England – Motiv: St. Michaels Drachenkampf („The Saxon Typanum“ ) -- („The wooden halftimbered building with its central archway -- wide enough for a coach or a farm cart -- dates from the 12th century.”)
 
 
Flügeldrachen am Kapellenportal von Schloss Tirol; Erbauungszeit zwischen 1150 / 1160. Seit 1141 nennt sich das altdeutsche Geschlecht der Grafen von Vintschgau „Comites de Tyrok“, Grafen von Tirol, nach ihrem um diese Zeit erbauten Hauptsitz, dem Schloss Tirol, so benannt nach der älteren Dorfsiedlung. Der Name TIROL ist vorrömisch, aber ungeklärt. Die Grafschaft Tirol „dominium comitis Tirolis“ 1254 erstmals urkundlich genannt, umfasst die nach harten Kämpfen erworbenen Vintschgau, die Hochstifte Trient und Brixen, die Herrschaft an Etsch und Eisack und - als Erbe der Andechser - Nordtirol.
 
 
Papierhandabriebe von nordischen Taufsteinen aus gotländischer Produktion des 12 Jhs. mit Reliefs des Flügeldrachens als kirchenchristliches Sinnzeichen des Heidentums. (oben li. Althadersleben - oben re. = Husby / Taufsteinsockel - Mitte = Großsolt / Taufsteinsockel - unten = Großsolt, Taufsteinsockel)
 
BILDDEUTUNG DES UNTEREN EXTERNSTEIN-REGISTERS
 
Keiner der vielen Beschauer und Interpreten des Externstein-Kreuzabnahme-Reliefs war vor mir fähig, die wahre Identität der Bildstrukturen zu erkennen und damit den Sinn der Komposition endgültig zu begreifen. Dem Leser stelle ich dazu die erste wissenschaftlich-sachliche beweisbare Erläuterung zum unteren Register vor ! Immer wieder wurde der Unsinn vom biblisch ersten Menschenpaar, also Adam und Eva, breitgewalzt. Und selbst der auf sein Fachwissen als Steinmetzlehrer stolze Ulrich Niedhorn meinte mit Überzeugung, in der linken Gestalt eine Art Urmutter, mit einem langohrigen Häslein auf dem rechten Arm, klar erkennen zu dürfen -, ganz zu schweigen vom hemmungslos drauflosfantasierenden Otto Hantl, der mit seinen spinnerten Ergüssen den Vogel abschoss. Fantasievolle Vorschläge sind also genug gemacht, es wird Zeit, dass die bildsprachlichen Fakten anhand antiker Vergleichsmodelle geprüft und erkannt werden. Bedauerlich waren die hemmungslosen Ausdeutungen ohne Sachkenntnis, denn sie sind der Grund, warum über das untere Register des Großreliefs die tollsten Vorstellungen in den närrischen Umlauf gebracht werden konnten. Viele Unsachverständige sind der Auffassung, dieser untere Bildteil gehöre eigentlich nicht recht zum oberen, sei vielmehr ein älteres, noch echt heidnisches Bildmal. Aus dem Unverständnis ergeben sich auch die diversen falschen Datierungen. Wer die einzelnen Bildelemente zu deuten weiß, weiß auch die ungefähre Entstehungszeit der Arbeit. Der untere Bildteil der Externstein-Kreuzabnahme gibt auch deswegen für Nichtkenner unlösbare Rätsel auf, weil er unvollendet ist, die Rückwand ist noch nicht geglättet und etliche Arbeiten an den Bildstrukturen wurden ohne die beabsichtigte endgültige Feinausführung abgebrochen. Derartige Reliefs werden immer von oben beginnend ausgeführt, damit der Abraum die unteren Bildelemente nicht beschädigen kann -, deshalb der unvollendete Bild-Unterteil. Wie es kam, dass der Großauftrag des Kreuzabnahme-Reliefs nicht zu Ende geführt werden konnte, habe ich in einer exakten Chronologie dargelegt: 
 
 
Trotzdem sind die Strukturen gut genug zu erkennen. Es handelt sich um einen der für das 12. Jahrhundert typischen teuflischen Flügeldrachen, welcher - wie könnte es anders sein ?! - zwei heidnische Gestalten umschlingt. Sie sind unter die Bodenlinie verbannt, also besiegt, überwunden, nur noch als jenseitige Dämonen zu verstehen. Um sie als solche spontan erkennbar zu machen, ist die linke Figur als heidnischer Priester markiert, dem der christenkirchliche Künstler die Bocksfüße des Faun verliehen hat. Er trägt zum Schnauzer den Knebelbart und die langen Kopfhaarzöpfe, um den Hals vier Ringe. Alles Indizien für den heidnisch-kultischen Würdenträger. Die rechte Figur hat den markanten Faun-Kopf mit der herabgezogenen Ziegennase bzw. -schnauze, den entsprechenden Spitzbart, die langen Bocksohren und den helmartigen Kopf, allerdings ohne Hörner. Es soll sich also um eine Satyr-Faun-Mischgestalt handeln. Sie wiederum erhielt relativ normale Menschenbeine, in logischer Gedankenfolge hinsichtlich der Bocksfüße vom Heidenpriester. Durch die vorgenommene Beintausch-Methode hat man beide Figuren hinreichend dämonisiert. Die beiden Jenseitigen fühlen sich genötigt ihre bestialischen Tatzen zum über der Bodenlinie sich erhebenden Christus-Kreuz, betend oder Abbitte leistend, anzuheben.
 
Der nach rechts hin schauende Flügeldrachen besitzt als Füße die Geierkrallen, den lang gewundenen Hals mit drei Nackenschuppen, den Kinnbart als Sinnzeichen des Alters, die Flügel, als Symbol seiner Allgegenwart, von denen sich der linkseitige vor dem unteren Thorax des Heidenpriesters erstreckt. Der Drachenschwanz läuft in der typischen Dreispross-Endquaste aus, wie es ebenso bei vielen anderen Flügeldrachen des 12. Jhs. zu sehen ist. Um die Identität von der im oberen Register geknickt dargestellten altheidnischen orientalisch-mittelmeerischen Lebensbaumes zu verdeutlichen, ist der Dreispross bzw. Palmette mit dem gleichen Dreiwinkel-Zeichen versehen, welches mindestens schon bei Hethitern als Heilssymbol galt.
 
Dieses Drachenschwanzende, der Schwanz-Quast, meint zweifelsfrei die Palmette, ein Sinnzeichen das aus dem Orient und der frühgriechisch-ionischen bzw. helladischen Kunst, später der byzantinisch-römischen zu den italienischen Langobarden gewandert ist, wo es in einer grandiosen Fülle von Erzeugnissen der Steinmetzkunst für den heutigen Besucher langobardischer Baureste und italienischer Museen zugängig blieb. Unausweichlich ist die Erkenntnis, dass dieses Symbol aus der Dattelpalme des Orients, dem Lebensbaum dieser Stadtkulturen, bis zum ikongraphischen Bildkürzel der heraldischen „Lilie“ einerseits und der Lebensbaum-Palmette andererseits erwachsen ist. Die nordische Mythologie und Kunst kannte keinen „Lebensbaum“, allein einen „Weltbaum“, dazwischen liegen immense gedankliche Differenzen. Vom Lebensbaum-Dattelpalme lebten die orientalischen Siedlungen buchstäblich, während der Weltbaum eine rein mythisches Vorstellungsgebilde ist. Verwirrung stiften nun der Umstand, dass sich drei verschieden Ideenkreise von Mystikern und Künstlern im Laufe der Zeiten zusammengemischt worden sind: 1. Lebensbaum, 2. Weltbaum und 3. die das Weltendach tragende Allsäule. Dieser allgemeine Synkretismus und speziell die Schwierigkeit, die christenkirchlichen Interpretationen des Mittelalters in Gänze zu durchschauen, versperren den simplen Zugang. Es erscheint zunächst konfus, dass die Palmette-Lilie einerseits als Symbol der Reinheit und Hohheit betrachtet wurde und andererseits als Sinnbild der brachialen Weltlichkeit und der kirchlicherseits dem Heidentum unterstellten leiblichen Weltsucht. Die Lilie als Herrschaftszeichen trugen Kaiser, Könige, Äbte und Äbtissinnen, wie ich mit hinreichendem Bildmaterial ausgeführt habe:
 
 
Zum anderen galt die Palmette - oft der Lilie völlig gleichend - als eine der Markierungen des Heidentums, ebenso wie der Flügeldrachen. Die von mir untersuchten hauptsächlich nordischen Taufsteine des 12. Jahrhunderts zeigen im Arrangement ihrer Reliefbilder eine Fülle unterschiedlicher Formen des von der Christenkirche als heidnisch bezeichneten Lebensbaumes. Insbesondere fand ich die aus gotländischer Produktion stammenden Sandsteintaufen in Angeln, Schwansen und Dänemark. Die Palmblätter sind mal deutlicher mit den Palmblatt-Rippungen, mal weniger klar herausgearbeitet. „Hässliche“ oder „dumme“ oder „stolze“ Tiere“ (Kröten, Schweine, Esel, Pferde, Bären, Wölfe) eilen zur Anbetung der zentralen Lebensbaum-Palmette heran. Mal sitzen Vögel auf ihren beiden Ästen (Sörup), mal sind zwei oder auch drei Wurzeln vorhanden, mal leckt ein Wolf an ihren Blättern, mal verneigen sich Heidentiere vor ihr in Huldigung -; mal besitzen die Lilien-Bäumchen nur die üblichen beiden Palmblattranken, mal sind sie in mehreren Etagen angeordnet. Die Formenvielfalt ist erstaunlich und doch gleichen sich diese Lebensbäumchen soweit, dass sie der mittelalterliche Betrachter als solche klar zu erkennen vermochte. Warum diese heidnischen Sinnzeichen so oft auf Taufsteinen und Kircheneingangsbogenfeldern (Tympani) anzutreffen sind, ist leicht verständlich, sollte doch der neu hinzukommende Christgläubige während der damals noch notwendigen und üblichen Erwachsenentaufe jene Vorstellungsbilder demonstriert bekommen, denen er abzuschwören hatte -, und hinsichtlich der Tympani, welche beim Kirchenhauseintritt er draußen zu lassen hatte. Allein, wenn die beiden üblichen Blattranken sich an ihren Blattspitzen nicht nach oben leicht aufschwingen, sondern mehr oder minder nach unten hin in Bandform gerollt, also Voluten (lat. „Gerolltes“) ohne Blattstruktur zu sehen sind, dann dürfte von den Produzenten ein anderes, ein echt altnordisch-heidnisches Sinnbild gemeint sein, nämlich die Sonnenspiral-Säule -, deutlicher oder in einer Mischform.
 
Abb. a b
 
Zwei Beispiele für die beiden Taufstein-Haupttypen heidnischer Verehrungsobjekte - Abb. a =  Palmetten-Lebensbaum-Typ (Großsolt) - Abb. b = Spiral-Baum/Säulen-Typ (Karby)
 
Die heidnischen Verehrungsmodelle auf den Taufsteinen jener Kirchen die ich selbst aufsuchte, um Abriebe herzustellen, unterscheiden sich - ebenso wie sämtliche anderen Taufstein-Bilder - in zwei Grundtypen: A der Palmetten-Lilien-Lebensbaum-Typ und B der Spiralbaum/-Säulen-Typ. Zu Typ A gehören Taufsteine in Saelde (mit trauerndem + freudigem Palmetten-Lebensbaum), Söne / Westergötland (Wolf trägt Dreispross), Våmb / Västergötland (Kopf darüber), Hyrop (Kreuztragenderm Lamm wendet sich von Lebensbaum ab) Sörup (2 Vögel aufsitzend), Barby (doppelstöckig), Husby (mit Wolf), Düppel (Anbetung durch Doppellöwen), Großsolt, Spiralbäumchen = Karby (mit Hahn u Doppelspirale), Rieseby (steht auf kl. Bogen), Althadersleben (Anbetung durch Bär und Eber), Feldstedt (Anbetung durch dummen Esel und stolzes Pferd mit Fahne),
 
Die zugrundeliegende kirchengeprägte Denkart der Mittelalterkunst unterschied ersichtlich - belegt durch ein überwältigendes Denkmälermaterial - die sanktionierte „Lilie“, im Sinne einer gereinigten, aufs Jenseits gerichteten Lebendigkeit, von einer grobstrukturell empfundenen diesseitigen „Lilien / Dreispross“-Huldigung, wie sie beispielsweise in heidnischen Fruchtbarkeitskulten sowie im profanen weltlichen Herrschwillen der Mächtigen zum Ausdruck kam. Diese Erkenntnis bietet den Schlüssel an für die Widersprüchlichkeit der „Lilien“-Darstellungen da und dort -, also gewissermaßen in der Hand der Heiligen und der Heiden.
 
 
Wie aggressiv die Kirchenmissionspropaganda das heidnische Dreispross-Symbol bekämpfte, geht auch markant aus dem Taufstein-Relief der Söne-Kirche hervor (Westergötland / Schweden), wo (rechts im Bild) das „Lamm-Gottes“ sein Kreuz hält, während (links im Bild) der „heidnische Wolf“ aus seinem Schwanz (genau so wie bei den Drachenschwänzen) den Dreispross hervorgehen lässt.
 
Was als unzweifelhaft erkannt werden darf ist, dass die Kirche das nordisch-germanische Dreispross-Zeichen als Symbol der Fruchtbarkeit, mit dem ihr schon aus dem Orient altbekannten Palmbaum-Lilien-Symbol gleichsetzte - und bekämpfte. Dieser nordische Dreispross ist als runisches Bildkürzel - bereits auf Waffen der nordischen Bronzezeit fassbar - als 10. ODING-Zeichen   in den kalendarischen Runen-Verband aufgenommen worden. - Was aber leider wirklich ungewiss bleiben muss, ist die Gretchenfrage, ob die in großen Teilen noch altgläubig-heidnische oder bestenfalls oberflächlich kirchlich vereinnahmte nord- und ostdeutsche und skandinavische Bevölkerung des Hochmittelalters - zu der die Altsachsen gehörten - tatsächlich dieses einwandfrei auch von der Christenkirche mitgebrachte orientalisch-mediterrane Lebensbaum-Symbol als ihr eigenes althergebrachtes Kultsymbol verstand oder ob es lediglich als kirchliche Markierung des Heidentums während der nordeuropäischen Mission Verwendung fand ? Ich neige dazu, letztere Variante anzunehmen. Der Dreispross ohne jeglichen Palmettencharakter, also ohne Palmblattrippungen, muss dem Laienvolk altvertraut geblieben sein, doch die Palmetten-Variante nicht. Zwar wäre es nicht völlig auszuschließen, dass der altorientalische Dattelbaum-Lebensbaum schon vor der Christianisierung in den Norden hochgewandert sein könnte und dort auch als eine mögliche Formgestaltung der heiligen All-Säule, der Irminsul, ins Bild gesetzt worden ist, doch wahrscheinlich ist das nicht. Deshalb nicht, weil die ikonographische Bildform des Lebensbaumes im Norden auf kein Verständnis hätte treffen können, wegen der Unkenntnis der breiten Bevölkerung hinsichtlich des Dattelbaumes überhaupt und im Speziellen als Lebensspender und mithin als sakrales Fruchtbarkeitssymbol.