06.10.2025
Jesus: Forensik schafft realistisches Bild – kein Vergleich zur Kirchenkunst (nach Philipp Rall)
Wie sah Jesus wirklich aus? Diese Frage beschäftigt Gläubige, Historiker und Forscher seit Jahrhunderten. Lange Zeit musste man sich mit vagen Hypothesen oder symbolhaften Darstellungen begnügen. Mittlerweile aber hat die Forschung – speziell die Forensik – Werkzeuge entwickelt, die uns ein Stück näher an eine realistische Vorstellung bringen.
Wie sah Jesus wirklich aus? Das wissen wir bisher
Da es weder zeitgenössische Porträts noch Beschreibungen Jesu gibt, muss die Frage reduziert werden auf: Wie sahen jüdische Männer in Galiläa vor rund 2.000 Jahren aus?
Die frühesten bekannten Jesus-Darstellungen stammen erst aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. – also über 200 Jahre nach seinem Tod. Doch habe der Zweck dieser Bildnisse nie darin bestanden, die Frage zu beantworten, wie Jesus wirklich aussah. Vielmehr haben sie theologische Bemerkungen sein sollen, wer Jesus als Sohn Gottes war, zitiert die Irish Times Joan Taylor, Professorin für christliche Ursprünge und Judentum des Zweiten Tempels am King’s College London. „Sie haben sich im Laufe der Zeit zu dem Standard-‚Jesus‘ entwickelt, den wir anerkennen“.
Historisch plausibel ist jedoch ein anderer Typus: Jesus hätte „wie ein palästinensischer jüdischer Mann aus dem ersten Jahrhundert ausgesehen“, so Robert Cargill, Assistenzprofessor für klassische und religiöse Studien an der Universität von Iowa, gegenüber der Biblical Archaeology Society. „Er hätte wie ein galiläischer Jude ausgesehen.“
Dieses o.a. Bild ist kein Porträt Jesu, sondern ein forensisches Modell eines durchschnittlichen galiläischen Juden seiner Epoche. Es zeigt einen Mann mit dunkler Haut, dunklen Augen, kurzem lockigem Haar und Bart.
Näher dran – aber nicht die Wahrheit - Oft wird Jesu Körpergröße mit etwa 1,65 bis 1,70 Metern angegeben – das entsprach dem damaligen Durchschnitt. Häufige Angaben von nur 1,50 Metern sind zu niedrig und nicht durch archäologische Befunde gestützt. Männer im östlichen Mittelmeerraum dieser Zeit waren im Schnitt deutlich größer. [Diese größeren waren aber keine Juden, sondern Vertreter der eingewanderten Philister bzw. Griechen.]
Allerdings merkt auch Cargill an, dass die Frage „Wie sah Jesus wirklich aus?“ schlicht nicht beantwortet werden könne. „Wie sahen die jüdischen Galiläer vor 2000 Jahren aus?“, fragt er hingegen. „Das ist die Frage. Wahrscheinlich hatten sie keine blauen Augen und keine blonden Haare.“
Alle Versuche, Jesu Gesicht zu rekonstruieren, bleiben also Annäherungen. Sicher ist nur: Er sah nicht aus wie die idealisierten Jesusbilder der westlichen Kunst, also weder blond noch blauäugig. Wahrscheinlich war er ein durchschnittlicher galiläischer Jude des 1. Jahrhunderts – mit dunkler Haut, dunklen Augen, Bart und kurzem lockigem Haar.
Was ist mit dem Turiner Grabtuch?
Einen Hinweis auf Jesus‘ Gesicht vermuteten Gläubige und Gelehrte lange Zeit im Turiner Grabtuch. Es tauchte erstmals im Jahr 1354 auf und soll in Folge der Kreuzigung Christi als Leichentuch gedient haben. 1989 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Radiokarbondatierungen datieren das Leinen jedoch eindeutig ins 13.–14. Jahrhundert. Selbst der Vatikan betrachtet es nicht als bestätigte Reliquie, sondern als Ikone.
„Das Turiner Grabtuch wurde mehrfach als mittelalterliche Fälschung entmystifiziert“, so Cargill. „Es ist Teil eines größeren Phänomens, das seit Jesus selbst existiert und bei dem versucht wird, Gegenstände zu erwerben und, wenn sie nicht erworben werden können, zu produzieren, die Teil des Körpers, des Lebens und des Dienstes Jesu sind – entweder um seine Existenz und die Behauptungen über ihn zu legitimieren oder, in einigen Fällen, um seine Wunderkräfte auszunutzen.“
Jesus‘ Gesicht: So könnte es ausgesehen haben
Während Reliquien, Ikonen und Bildnisse uns einen groben Hinweis darauf geben können, wie der „König der Könige“ aussah, sind sie doch nicht mehr als sie nun mal sind. 2001 erarbeitete ein Team um den forensischen Künstler Richard Neave daher im Auftrag der BBC eine Gesichtsrekonstruktion auf Basis von Schädeln aus dem 1. Jahrhundert in Galiläa. Dabei nutzten sie anthropologische Daten, Computermodellierung und das Wissen über das Erscheinungsbild jüdischer Männer jener Zeit.
Die Gruppe aus israelischen sowie britischen Anthropolog und Programmierer schufen ein neues, möglichst wahrheitsgetreues Bild Jesu. Sie basierten ihre Arbeit auf einem israelischen Schädel aus der Zeit, in der auch Jesus gelebt haben muss. Mittels Computermodellierung erarbeiteten sie Jesus‘ Gesicht und machten sich dabei mitunter ihr Wissen darüber zunutze, wie palästinensische Juden im ersten Jahrhundert nach Christus aussahen.
Quellen: The Irish Times; Biblical Archaeology Society; „Radiocarbon dating of the Shroud of Turin“ (Nature, 1989); BBC News